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prima! Magazin - Ausgabe Mai 2023

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REDE & ANTWORT<br />

ROMA: Ein unterschätzter<br />

Schatz für Europa<br />

Klischees, Vorurteile, Vorbehalte, Ausgrenzung und Diskriminierung: Drei Jahrzehnte nach<br />

der offiziellen Anerkennung der Roma als Volksgruppe hat sich vieles gebessert. Aber längst<br />

nicht alles. Volksgruppenvertreter Emmerich Gärtner-Horvath im Gespräch mit Walter Reiss.<br />

Walter Reiss<br />

Am 16. Dezember 1993 wurden Rom*nija als sechste<br />

Volksgruppe in Österreich anerkannt. Diese<br />

Anerkennung war das Ziel eines langen beschwerlichen<br />

Weges und eines Kampfes um Gleichstellung<br />

in der Gesellschaft. Emmerich Gärnter-Horvath ist<br />

Volksgruppenvertreter<br />

Volksgruppe, Sprache, Kultur und die grausame Verfolgung<br />

und Ermordung von Romnija und Roma durch die Nationalsozialisten<br />

sind wissenschaftlich dokumentiert, in immer<br />

mehr Gemeinden erinnern Gedenkstätten an verschwundene<br />

Romasiedlungen, mehrere Organisationen und Vereine<br />

vertreten die Anliegen der nachfolgenden Generationen.<br />

Aber Rassismus und Antiziganismus sind nach wie vor weit<br />

verbreitet. Seit 2016 leitet Emmerich Gärtner-Horvath aus<br />

Kleinbachselten den Volksgruppenbeirat der Roma. Dieses<br />

Gremium nahm 1995 seine Arbeit auf. Nur zwei Monate nach<br />

dem schwersten rassistischen Verbrechen der Zweiten Republik,<br />

als in Oberwart vier junge Roma ermordet wurden.<br />

Noch in den 1980er-Jahren hieß es bei Arbeitssuche und<br />

in Discos: „Zigeuner unerwünscht!“ Ist das längst Geschichte<br />

oder noch immer spürbare Erinnerung?<br />

Emmerich Gärtner-Horvath: Woran ich mich sehr gut<br />

Foto © Thomas Topf<br />

erinnere, das sind die sogenannten Lokalverbote und zwar<br />

nicht nur in Oberwart, sondern in Lokalen im ganzen Bezirk.<br />

Jugendliche durften zwar oft die Lokale betreten, aber bekamen<br />

nichts zu trinken. Diese Zustände wurden damals öffentlich<br />

gemacht, etwa im ORF-Club-2. Da gab es dann ein wenig<br />

Einsicht seitens der Lokalbesitzer. Und man hat erkannt, dass es<br />

auch andere Probleme gibt, z.B. auf dem Arbeitsmarkt. 1988,<br />

also noch vor der Gründung von Roma-Vereinen, stand in den<br />

Computern des Arbeitsmarktservice der Satz: „Bitte keine<br />

Zigeuner vermitteln!“ Man kann sich also vorstellen, wie<br />

schwierig es war, den negativen Begriff „Zigeuner“ aus dem<br />

Bewusstsein der Mehrheitsbevölkerung zu bekommen.<br />

In den Schulen wurden Kinder aus Romafamilien großteils<br />

ausgegrenzt, bzw. in Sonderschulen abgeschoben.<br />

Erste positive Entwicklungen brachte da die außerschulische<br />

Lernbetreuung. Und die gibt es auch jetzt noch, mit beachtlichem<br />

Erfolg. Mittlerweile gibt es bereits Studierende und<br />

Akademiker. Und besonders stolz bin ich darauf, dass es viele<br />

aus Romafamilien stammende Jugendliche gibt, die einen<br />

Lehrberuf ergreifen.<br />

War es nicht so, dass die Volksgruppe der Roma ihre<br />

eigene Sprache und Kultur erst selbst entdecken musste?<br />

Wir haben damals zu schätzen gelernt, was für ein großer<br />

Schatz diese reiche Kultur ist. Nicht nur hier, sondern in ganz<br />

Europa. Etwa die Musik: Sie reicht von der ungarischen Roma-<br />

Musik bis zu Flamenco und Gipsy-Jazz. Das wurde im Laufe der<br />

Jahre immer mehr auch in der Mehrheitsbevölkerung präsent.<br />

Wie hält man es mit der Sprache?<br />

Bis 1993, bevor wir mit der Kodifizierung und Wiederbelebung<br />

des Roman begonnen haben, wurde die Sprache nur mündlich<br />

weitergegeben. Eine Sprache, die ohne schriftliche Basis<br />

Jahrhunderte überlebt hat. Als reine Familiensprache wurde sie<br />

im Alltag verwendet. Wir waren uns bewusst, dass diese<br />

Sprache verschwinden wird, wenn wir nichts unternehmen.<br />

Gemeinsam mit dem Sprachwissenschafter Dr. Dieter Halwachs<br />

wurden Feldforschung und Sprachaufnahmen gemacht, es<br />

entstanden Bücher und Unterrichtsmaterial. Dadurch konnte<br />

Roman auch in schriftlicher Form festgehalten und weitergegeben<br />

werden.<br />

28 MAI <strong>2023</strong><br />

www.<strong>prima</strong>-magazin.at

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