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SMZ Liebenau Info Jun_2008

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LEITARTIKEL<br />

»<br />

At any time, anywhere on the globe,<br />

the last health reform will be said to have failed.<br />

The Great Chinese Philosopher, Yu Wei’s Universal Laws of Health Care, fourth law<br />

(Princeton University, Professor Uwe Reinhardt)<br />

»<br />

Wirkstoffverordnung („aut idem“)<br />

Um das Thema verständlich zu machen: Jedes<br />

Medikament besitzt einen chemischen<br />

Namen, z.B. Diclofenac. Dieser Wirkstoff<br />

wird von unterschiedlichen Herstellern erzeugt<br />

und hat deshalb von den Herstellern<br />

erfundene Namen, im Fall der obigen Substanz<br />

z.B. Voltaren, Diclofenac-Genericon.<br />

Bisher werden Ärzte von den Kassen zu<br />

ökonomischer „Verschreibweise“ veranlasst,<br />

d.h. sie sollten das kostengünstigste<br />

Medikament aussuchen. Dies führt in der<br />

Praxis dazu, dass der Computer bis zu 30<br />

im Preis unterschiedliche, mit verschiedenen<br />

Firmennamen versehene Medikamente<br />

ausspuckt. Das Ziel dieser Maßnahmen ist<br />

angeblich die Reduktion der Medikamentenkosten.<br />

Die einfachste und aus der Industrie abgeleitete<br />

Maßnahme der Kostenreduktion bei<br />

Medikamenten wäre die europaweite Ausschreibung<br />

eines Wirkstoffes seitens des<br />

Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger,<br />

mit der Zulassung dieser einen Substanz<br />

für z.B. zwei Jahre, danach neue Ausschreibung.<br />

So macht es die Automobilindustrie<br />

bei ihren Zulieferern. Jedoch: In den<br />

Krankenkassen und auch im Hauptverband<br />

sitzen Vertreter der Wirtschaft, d.h. auch<br />

der Pharmaindustrie. Und hat man einmal<br />

ein Monopol, sinkt das Interesse am so genannten<br />

freien Markt oder Wettbewerb.<br />

Ob die Verlagerung der Auswahl des kostengünstigeren<br />

Medikaments vom Arzt zum<br />

Apotheker eine Verbesserung für die PatientInnen<br />

bringt, auch wenn das in vielen<br />

Staaten Europas der Fall ist, bleibt fraglich.<br />

Die Dominanz der Pharmaindustrie im Gesundheitswesen<br />

als Teil des medizinisch-industriellen<br />

Komplexes ist auch in anderen<br />

Ländern ungebrochen. Ärztefortbildung bei<br />

Kongressen, direkte Finanzierung der Forschung<br />

in den Kliniken, Manipulation von<br />

Forschungsergebnissen, um Medikamente<br />

auf den Markt zu bringen, all diese Einflussnahmen<br />

auf ärztliche Tätigkeiten werden<br />

durch diese „Reform“ nicht eingeschränkt.<br />

Wo aber bleiben Patienteninteressen? Ihre<br />

gesundheitliche Versorgung wird nicht verbessert,<br />

eine Qualitätssteigerung ist nicht<br />

zu erwarten. Völlig unberücksichtigt bleibt<br />

in der Diskussion die Tatsache, dass Menschen<br />

mit niedrigem Einkommen häufiger<br />

krank sind und auch früher sterben als Menschen<br />

mit höheren Einkommen.<br />

So hat ein ca. 40-jähriger Mann mit sehr<br />

niedrigem Einkommen den gleichen Gesundheitszustand<br />

wie ein 70-jähriger Universitätslehrer.<br />

Soziale Ungleichheit und<br />

Gesundheit – ein Kernthema jeder ernst zu<br />

nehmenden Reformdebatte – ist aus dem<br />

öffentlichen Bewusstsein entschwunden.<br />

Auch dazu leistet diese „Reform“ keinen<br />

Beitrag.<br />

Und die Ärztekammer?<br />

Obwohl ÄrztInnen völlig unterschiedliche<br />

Arbeitsfelder und auch Einkommen haben,<br />

besteht Pflichtmitgliedschaft in der Ärztekammer,<br />

sie ist die gesetzlich verordnete<br />

Vertretung aller ÄrztInnen und schließt die<br />

Verträge mit den Krankenkassen ab. Diese<br />

Verträge können gekündigt oder nicht mehr<br />

verlängert werden, sodass im Falle von Uneinigkeit<br />

der „vertraglose Zustand“ droht.<br />

Das heißt, jedes Arzthonorar muss vom<br />

Patienten selbst bezahlt werden. Welchen<br />

Betrag jedoch die Kassen den PatientInnen<br />

ersetzen, ist unklar. Tatsache ist, dass freie<br />

Honorarvereinbarungen für viele ÄrztInnen<br />

eine realistische Alternative zu den Kassenverträgen<br />

sind. Statt eines vergleichsweise<br />

„harmlosen“ Streiks – Notdienste würde es ja<br />

ohnehin geben – ist die Auflösung der Kassenverträge<br />

die für die PatientInnen schlechteste<br />

Wahl. Dann kostet z.B. der Hausbesuch<br />

nicht mehr 21,80 € sondern 70 €,<br />

die Infusion nicht mehr 4,62 € sondern das<br />

Zehnfache.<br />

Sollten die Verhandlungen zwischen der<br />

Ärztekammer und den Gesundheitsministerin<br />

bzw. dem Sozialminister scheitern – dann<br />

könnte es zum Crash in der Gesundheitsversorgung<br />

kommen – freier Markt.<br />

Rainer Possert<br />

04 <strong>SMZ</strong> INFO JUNI <strong>2008</strong>

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