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Von Bischof zu Bischof - Rotpunktverlag

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202 In 9 Tagen von Chur nach Como<br />

6E Gualdera–Chiavenna<br />

6E Gualdera–Chiavenna 6 h45<br />

Traumhaft bis <strong>zu</strong>m Kopfverdrehen<br />

Gualdera *1420m<br />

Avero 1678m 1h45<br />

Dalo 1108m 5h00<br />

Chiavenna 333m 6h45<br />

Höhendifferenz Aufstieg 400m, Abstieg 1500m<br />

Chiavenna Siehe Wanderung 5B<br />

Als wir 1995/1996 für die »Veltliner Fußreisen« unterwegs waren (siehe<br />

dort die Wanderung 6), sind wir diesen Höhenweg <strong>zu</strong>m ersten Mal gegangen.<br />

Es ist nach wie vor unser Lieblings<strong>zu</strong>gang <strong>zu</strong>m schönsten Alpenstädtchen,<br />

und weiterhin ein Geheimtipp. Der Weg ist nicht besser geworden,<br />

aber auch nicht schlechter. Neu ist nur, dass man vor Dalo kurz auf einer der<br />

neuen Straßen geht, die im Valchiavenna aufgelassene Maiensäße im Übergang<br />

<strong>zu</strong> properen Feriendörfchen erschließen.<br />

Der Weg nach Motto di Bondeno (unterwegs nicht das »Stumpengleis«<br />

<strong>zu</strong> einem allein stehenden Stall nehmen, sondern den Markierungen folgend<br />

ansteigen) und nach Avero ist ein angenehmes Warmlaufen. Die Häuser des<br />

autofreien Sommerdörfchens werden renoviert, wie es halt kommt. Im Sommer<br />

ist viel Betrieb, alles was kreucht und fleucht wieselt herum, Hühner,<br />

Katzen, Hunde, Kinder, Nonno und Nonna, Ziegen und Pferde – und als<br />

Höhepunkt gibt’s ein Alpfest.<br />

<strong>Von</strong> Avero bis <strong>zu</strong>m Aussichtspunkt Motto wird der Weg unterhalten,<br />

dann unterhält er sich selbst. Trotz einiger kleiner Schäden ist der alte, offensichtlich<br />

von Könnerhand gebaute Weg durch das sehr felsige Gelände<br />

noch immer gut begehbar. Wie heute oft üblich, sind ab und <strong>zu</strong> Seile montiert.<br />

Nur im Val Zerta hat eine Rüfe vor Jahren etwa 50 Meter des Wegs<br />

mitgerissen. Inzwischen ist eine Pfadspur entstanden, auf der man ein paar<br />

Felsklötze umgeht. Mit einer Gegensteigung verlassen wir den Zertakessel.<br />

Oben lädt Olcera <strong>zu</strong>m Mittagstisch: Auf schönen Gletscherschlifffelsen<br />

kann man sein Picknick ausbreiten, seine müden Glieder auch, außer die<br />

Ziegen waren eben da (und haben vor Begeisterung überall ihre Geißenbölleli<br />

verteilt). Oder sie sind noch da, dann ist es vorbei mit der Ruhe. Die<br />

grandiose Sicht in die gegenüberliegenden Seitentäler und die Misoxer Berge<br />

hat man auch, wenn man von neugierigen Ziegenaugen beäugt und naschsüchtigen<br />

Mäulern beknabbert wird.<br />

Auf einem guten Alpweg – eine genussreiche Passage durch lockeren<br />

Bergwald mit dickstämmigen Föhren und Lärchen und orange leuchtenden<br />

Feuerlilien – gelangen wir gemütlich <strong>zu</strong>r Fahrstraße, welche die Zweitwohnungen<br />

von Agoncio erschließt. Nach ein paar Straßenmetern folgen wir<br />

dem Wegweiser Pianazzola und queren so direkt <strong>zu</strong>m Kreuz (Aussichtspunkt<br />

1108) oberhalb Dalo. Fast 800 Meter unter uns liegt mitten in Chiavenna<br />

die Piazza Pestalozzi, das Ziel – so fern.<br />

Nach den ersten 500 Höhenmetern Abstieg erreichen wir den Parkplatz<br />

und das Dorf Pianazzola. Ob es die gemütliche kleine Osteria im ersten<br />

Stock, versteckt in den Gassen, noch immer gibt? Ob die alte Frau noch lebt,<br />

die uns erklärte, was ihr Ritrovo ist, ein Ort, wo man sich treffen kann, und<br />

nichts muss?<br />

In den alten Weg nach Chiavenna kann man bei der Kirche einsteigen.<br />

Bei einem großen Bildstock geht man nicht geradeaus in die Rebberge weiter,<br />

sondern nach links, um später zwischen hohen Steinmauern die »Falllinie«<br />

<strong>zu</strong> nehmen. Sie führt uns direkt <strong>zu</strong>m kleinen Wegbrunnen vor der Locanda<br />

Antica. Über die obere Brücke schlendern wir in die Altstadt von<br />

Chiavenna. Auf der Piazza Pestalozzi nicken wir <strong>zu</strong>m Kreuz hinauf, das gehört<br />

sich so.<br />

Dieser Blick nach oben hat im Juli 1878 auch dem bedeutenden Basler<br />

Kulturhistoriker Jacob Burckhardt den Kopf verdreht. Überlassen wir dem<br />

Junggesellen und Katzenfreund das letzte Wort: »Sonntag gegen Mittag<br />

langte ich in Chiavenna an, vom Frieren auf dem Berg gleich in den wunderbaren,<br />

heißen Süden, wo über die Gartenmauern Feigenbäume und hohe<br />

Oleander herüberschauen. Das ganze Nest ist zwischen haushohe Höllenbrocken<br />

eines urweltlichen Felssturzes eingenistet, zwischen welchen gedeiht,<br />

was an Pflanzen nur wachsen kann, da <strong>zu</strong> der spanischen Hitze auch<br />

noch reichlich fließendes Wasser kommt. Da<strong>zu</strong> einige Vestiboli mit Säulen<br />

gegen den Hof und Aussicht auf lauter Wein- und Felshalden, denn den<br />

Himmel sieht man nur, wenn man den Kopf ganz nach oben dreht.«<br />

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