28.12.2012 Aufrufe

Von Bischof zu Bischof - Rotpunktverlag

Von Bischof zu Bischof - Rotpunktverlag

Von Bischof zu Bischof - Rotpunktverlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

218<br />

In 9 Tagen von Chur nach Como<br />

storbenen Kardinals Angelo Maria Durini logieren wird, dass sein Sohn in der Filanda<br />

hinter der Villa das Spinnen der Seide erlernen wird – wie er selber jetzt, im<br />

Sommer 1852, in der Umgebung von Mailand.<br />

Carl Abegg hat seine dreitägige Reise vom Zürichsee nach Mailand am Freitagmorgen<br />

mit dem Dampfschiff angetreten, von Küsnacht bis Schmerikon noch begleitet<br />

von Mutter und Schwester und ein paar Freunden. Dann reist er allein weiter,<br />

mit der Postkutsche nach Weesen und mit dem nächsten Dampfschiff nach<br />

Walenstadt. Die »Schiffstafel«, das Mittagessen, sei »nichts weniger als gut« gewesen,<br />

wird er aus Chur, wo er abends um halb neun Uhr mit der Pferdepost ankommt,<br />

nach Hause schreiben.<br />

Am Samstag ruft des Posthorn die Reisenden nach Chiavenna schon morgens<br />

um fünf Uhr <strong>zu</strong>sammen. Unterwegs besichtigt man die Viamala. Eines der schönsten<br />

Naturschauspiele, findet Carl. Pünktlich <strong>zu</strong>m Mittagessen fährt der Postwagen<br />

in Splügen vor. Danach geht es hinauf <strong>zu</strong>m Splügenpass, doch ist die Reisepost<br />

dem Sechzehnjährigen <strong>zu</strong> langsam. »Ich ging mit dem Conducteur meistens <strong>zu</strong><br />

Fuß, um die unzähligen Zickzack ab<strong>zu</strong>schneiden. Dann kamen wir <strong>zu</strong>r Douane, wo<br />

es dem Frischankommenden im Anfang nicht gar heimelig ist wegen dem <strong>zu</strong>r<br />

Hälfte unverständlichen Geschnäder.« Es sollte noch schlimmer kommen, unten<br />

im südlichen Alpenstädtchen Chiavenna.<br />

Auch heute erreicht die Reisegesellschaft<br />

ihr Ziel abends um<br />

halb Neun. »Ein nichts weniger als<br />

schönes Nest«, bringt Carl <strong>zu</strong> Papier.<br />

Aber: »Ich logierte im Conradi<br />

(Primo Albergo), wo man gar nicht<br />

gut isst, sodass ich mit der Nachtpost<br />

verreist wäre, wenn es die<br />

Umstände erlaubt hätten.«<br />

Nun, am dritten Reisetag, geht<br />

es mit dem Omnibus nach Colico,<br />

»wo es schon recht italienerlet«,<br />

schreibt der Jüngling nach Küsnacht.<br />

»Auf dem Weg trifft man<br />

sehr viele Pflan<strong>zu</strong>ngen; die schöneren<br />

sind mit Mauern umgeben, da<br />

man hier an Steinen reicher ist als<br />

Abegg-Arter, der spätere SKA-Präsident:<br />

Das Spinnen von der Pike auf gelernt …<br />

an Geld. In Colico besteigt er <strong>zu</strong>m<br />

dritten Mal das Dampfschiff. Dem<br />

Zürichseebuben gefällt auch der Comersee, den er noch oft sehen wird. Mit dem<br />

Pferdeomnibus gelangt er von Como nach Camerlate und von dort mit dem Zug<br />

nach Mailand. Mit dem Hotelomnibus des Albergo Marino fährt der angehende<br />

Lehrling <strong>zu</strong>m Domplatz, wo an diesem Sonntagabend alles <strong>zu</strong>sammenströmt. Hier<br />

erwartet ihn sein Küsnachter Jugendfreund Eduard Fierz.<br />

Schon bald besorgt Carl Abegg in einer Fierzschen Filanda bei Monza die Lohnbuchhaltung<br />

der 250 Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen, darunter auch achtjährige<br />

Kinder. Um »die Spinnerinnen besser <strong>zu</strong> beurteilen«, lernt er selbst Haspeln<br />

und Spinnen. Ein Muster der ersten selbstgesponnenen Seide schickt er stolz seiner<br />

Mutter. Aus dem eifrigen Lehrling wird dereinst der erfolgreiche Seidenindustrielle<br />

und, als Nachfolger von Alfred Escher, der langjährige Präsident der Schweizerischen<br />

Kreditanstalt Carl Abegg-Arter werden. Nennen wir ihn Abegg I.<br />

25 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Die Lehr- und Wanderjahre führen<br />

auch den siebzehnjährigen Carl Abegg junior nach Oberitalien, in die Filanda<br />

von Campo bei Lenno, an der sein Vater seit kurzem beteiligt ist. Am 31. Mai 1878<br />

schreibt er nach Zürich, wo die Abegg nun wohnen: »Gestern haben die Seidenwürmer<br />

den vierten Schlaf vollendet, und heute hat man ihnen <strong>zu</strong>m ersten Mal wieder<br />

<strong>zu</strong> Fressen gegeben«; es habe viel Laub an den Maulbeerbäumen. »Das war ein Gesurr,<br />

als ich sie heute morgen besuchte. In fünf bis zehn<br />

Tagen werden sie sich verpuppen. Die Proben haben<br />

wunderschöne Cocons gegeben. In 14 Tagen wird die Filanda<br />

laufen.« Dann, im Juli und August, spinnt der Sohn<br />

wie einst der Vater, jeden Tag eine halbe Stunde. »Es geht<br />

schon ordentlich, obschon mir das Hinwerfen der Fäden<br />

anfangs etwas schwer fiel.«<br />

<strong>Von</strong> den Spinnversuchen erholt er sich beim Baden,<br />

schwimmt mit Kameraden <strong>zu</strong>r kleinen Insel Comacina,<br />

steigt mit ihnen am Sonntag auf den nahen Monte Generoso<br />

und <strong>zu</strong>m Tessiner Dörfchen Melano ab. Oder er<br />

sammelt Schmetterlinge und »erfreut sich der Pfirsiche<br />

und Pflaumen«, lesen wir in der Familiengeschichte der<br />

Abegg. Oder er besucht die Seenachtsfeste, die Fürst<br />

Melzi im nahen Bellagio gibt. Jeunesse dorée, die zweite<br />

Generation.<br />

Gelegentlich wollen Vater und Mutter den Sohn bei<br />

der Arbeit sehen; das Ehepaar Abegg-Arter nächtigt im<br />

großen Bett im Kardinalszimmer der Villa Balbiano, die<br />

<strong>zu</strong>r Filanda gehört. Nach vier Jahren in der Lombardei<br />

… wie später Sohn<br />

Abegg-Stockar und<br />

Enkel Carl Julius.<br />

219

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!