Von Bischof zu Bischof - Rotpunktverlag
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In 9 Tagen von Chur nach Como<br />
storbenen Kardinals Angelo Maria Durini logieren wird, dass sein Sohn in der Filanda<br />
hinter der Villa das Spinnen der Seide erlernen wird – wie er selber jetzt, im<br />
Sommer 1852, in der Umgebung von Mailand.<br />
Carl Abegg hat seine dreitägige Reise vom Zürichsee nach Mailand am Freitagmorgen<br />
mit dem Dampfschiff angetreten, von Küsnacht bis Schmerikon noch begleitet<br />
von Mutter und Schwester und ein paar Freunden. Dann reist er allein weiter,<br />
mit der Postkutsche nach Weesen und mit dem nächsten Dampfschiff nach<br />
Walenstadt. Die »Schiffstafel«, das Mittagessen, sei »nichts weniger als gut« gewesen,<br />
wird er aus Chur, wo er abends um halb neun Uhr mit der Pferdepost ankommt,<br />
nach Hause schreiben.<br />
Am Samstag ruft des Posthorn die Reisenden nach Chiavenna schon morgens<br />
um fünf Uhr <strong>zu</strong>sammen. Unterwegs besichtigt man die Viamala. Eines der schönsten<br />
Naturschauspiele, findet Carl. Pünktlich <strong>zu</strong>m Mittagessen fährt der Postwagen<br />
in Splügen vor. Danach geht es hinauf <strong>zu</strong>m Splügenpass, doch ist die Reisepost<br />
dem Sechzehnjährigen <strong>zu</strong> langsam. »Ich ging mit dem Conducteur meistens <strong>zu</strong><br />
Fuß, um die unzähligen Zickzack ab<strong>zu</strong>schneiden. Dann kamen wir <strong>zu</strong>r Douane, wo<br />
es dem Frischankommenden im Anfang nicht gar heimelig ist wegen dem <strong>zu</strong>r<br />
Hälfte unverständlichen Geschnäder.« Es sollte noch schlimmer kommen, unten<br />
im südlichen Alpenstädtchen Chiavenna.<br />
Auch heute erreicht die Reisegesellschaft<br />
ihr Ziel abends um<br />
halb Neun. »Ein nichts weniger als<br />
schönes Nest«, bringt Carl <strong>zu</strong> Papier.<br />
Aber: »Ich logierte im Conradi<br />
(Primo Albergo), wo man gar nicht<br />
gut isst, sodass ich mit der Nachtpost<br />
verreist wäre, wenn es die<br />
Umstände erlaubt hätten.«<br />
Nun, am dritten Reisetag, geht<br />
es mit dem Omnibus nach Colico,<br />
»wo es schon recht italienerlet«,<br />
schreibt der Jüngling nach Küsnacht.<br />
»Auf dem Weg trifft man<br />
sehr viele Pflan<strong>zu</strong>ngen; die schöneren<br />
sind mit Mauern umgeben, da<br />
man hier an Steinen reicher ist als<br />
Abegg-Arter, der spätere SKA-Präsident:<br />
Das Spinnen von der Pike auf gelernt …<br />
an Geld. In Colico besteigt er <strong>zu</strong>m<br />
dritten Mal das Dampfschiff. Dem<br />
Zürichseebuben gefällt auch der Comersee, den er noch oft sehen wird. Mit dem<br />
Pferdeomnibus gelangt er von Como nach Camerlate und von dort mit dem Zug<br />
nach Mailand. Mit dem Hotelomnibus des Albergo Marino fährt der angehende<br />
Lehrling <strong>zu</strong>m Domplatz, wo an diesem Sonntagabend alles <strong>zu</strong>sammenströmt. Hier<br />
erwartet ihn sein Küsnachter Jugendfreund Eduard Fierz.<br />
Schon bald besorgt Carl Abegg in einer Fierzschen Filanda bei Monza die Lohnbuchhaltung<br />
der 250 Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen, darunter auch achtjährige<br />
Kinder. Um »die Spinnerinnen besser <strong>zu</strong> beurteilen«, lernt er selbst Haspeln<br />
und Spinnen. Ein Muster der ersten selbstgesponnenen Seide schickt er stolz seiner<br />
Mutter. Aus dem eifrigen Lehrling wird dereinst der erfolgreiche Seidenindustrielle<br />
und, als Nachfolger von Alfred Escher, der langjährige Präsident der Schweizerischen<br />
Kreditanstalt Carl Abegg-Arter werden. Nennen wir ihn Abegg I.<br />
25 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Die Lehr- und Wanderjahre führen<br />
auch den siebzehnjährigen Carl Abegg junior nach Oberitalien, in die Filanda<br />
von Campo bei Lenno, an der sein Vater seit kurzem beteiligt ist. Am 31. Mai 1878<br />
schreibt er nach Zürich, wo die Abegg nun wohnen: »Gestern haben die Seidenwürmer<br />
den vierten Schlaf vollendet, und heute hat man ihnen <strong>zu</strong>m ersten Mal wieder<br />
<strong>zu</strong> Fressen gegeben«; es habe viel Laub an den Maulbeerbäumen. »Das war ein Gesurr,<br />
als ich sie heute morgen besuchte. In fünf bis zehn<br />
Tagen werden sie sich verpuppen. Die Proben haben<br />
wunderschöne Cocons gegeben. In 14 Tagen wird die Filanda<br />
laufen.« Dann, im Juli und August, spinnt der Sohn<br />
wie einst der Vater, jeden Tag eine halbe Stunde. »Es geht<br />
schon ordentlich, obschon mir das Hinwerfen der Fäden<br />
anfangs etwas schwer fiel.«<br />
<strong>Von</strong> den Spinnversuchen erholt er sich beim Baden,<br />
schwimmt mit Kameraden <strong>zu</strong>r kleinen Insel Comacina,<br />
steigt mit ihnen am Sonntag auf den nahen Monte Generoso<br />
und <strong>zu</strong>m Tessiner Dörfchen Melano ab. Oder er<br />
sammelt Schmetterlinge und »erfreut sich der Pfirsiche<br />
und Pflaumen«, lesen wir in der Familiengeschichte der<br />
Abegg. Oder er besucht die Seenachtsfeste, die Fürst<br />
Melzi im nahen Bellagio gibt. Jeunesse dorée, die zweite<br />
Generation.<br />
Gelegentlich wollen Vater und Mutter den Sohn bei<br />
der Arbeit sehen; das Ehepaar Abegg-Arter nächtigt im<br />
großen Bett im Kardinalszimmer der Villa Balbiano, die<br />
<strong>zu</strong>r Filanda gehört. Nach vier Jahren in der Lombardei<br />
… wie später Sohn<br />
Abegg-Stockar und<br />
Enkel Carl Julius.<br />
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