Hänicher Bote | Dezember-Ausgabe 2023
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24 ALTES HANDWERK<br />
(Gräfenhainichen/HäBo). Das<br />
Drechslerhandwerk ist seit dem<br />
klassischen Altertum bekannt.<br />
Der Vorläufer der Drehbank war<br />
das erste mechanische Gerät der<br />
Menschheit, der Fiedelbohrer, mit<br />
dem die Ägypter Löcher bohrten<br />
und Feuer entfachten. Lediglich<br />
die Drehachse wurde später aus der<br />
senkrechten in die horizontale Ebene<br />
verlagert.<br />
Früheste Hinweise auf die Existenz<br />
von Drechslern in Mitteleuropa datieren<br />
aus den Jahren um 800. Der<br />
St. Galler Klosterplan von 820 weist<br />
Werkräume für „tornatorii“ und<br />
„tornatores“ (lateinisch für „Drehmaschinen“<br />
und „Dreher“) auf. Der<br />
älteste Beleg für eine zunftmäßige<br />
Organisation datiert aus dem Jahr<br />
1180 in Köln.<br />
Bis in das 14. Jahrhundert oblag<br />
Drechslern die Anfertigung einfachen<br />
Mobiliars, bis in die Neuzeit<br />
hinein die der einfachen Gegenstände<br />
des häuslichen Bedarfs, wie<br />
Teller, Schalen, Dosen. Erst mit der<br />
Renaissance entwickelte sich bei<br />
den höheren Schichten ein neuer<br />
Lebensstil mit dem Bedürfnis nach<br />
höherwertigen Produkten, wie beispielsweise<br />
Utensilien für Tabakgenuss,<br />
Gesellschaftsspiele, Spinnrad,<br />
Futterale für Wertgegenstände,<br />
Leuchter, Fasshähne, Schreibzeug,<br />
Gewürzbüchsen, Pfeifen oder Musikinstrumenten.<br />
Mit dieser Produktvielfalt und zugleich<br />
Spezialisierung entwickelte<br />
sich im Barockzeitalter aus der<br />
Holzdrechslerei eine eigenständige<br />
Kunstdrechslerei, die kostbare Materialien,<br />
wie Horn, Elfenbein, Perlmutt,<br />
Schildpatt, Schmuckstein und<br />
exotische Edelhölzer, sowie Gold,<br />
Silber und Messing verarbeitete.<br />
Kunsthandwerkliche Drechslerprodukte<br />
fanden als „Curiositäten“<br />
besonders in der höfischen Gesellschaft<br />
großes Interesse. Kaiser<br />
Maximilian I. besaß eine besonders<br />
reich verzierte Drehbank von<br />
1518. In einem Buch von 1701 heißt<br />
<strong>Hänicher</strong> <strong>Bote</strong><br />
<strong>Bote</strong><br />
Historische Bauschlosserei und Schmiedewerkstatt<br />
August Reinhard stellt alte Berufe vor – Teil 43: Der Drechsler<br />
Wappen der Drechsler von Hugo Ströhl<br />
um 1904 Fotos/Grafiken: Netzfunde<br />
es dazu: „In Frankreich, Italien,<br />
England und Deutschland wird die<br />
Beschäftigung mit Dreharbeiten<br />
so hoch geschätzt, dass es kaum<br />
Menschen von Geist geben dürfte,<br />
die nicht versuchen, sich mit dieser<br />
Kunst hervorzutun.“ Geschickte<br />
Drechsler sollen Zar Peter der Erste<br />
und König Ludwig der XV. gewesen<br />
sein. Bis zum 19. Jahrhundert dilettierten<br />
die Herrschenden an den<br />
Wundermaschinen. Dilettieren bedeutet,<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
zu erlernen, ohne damit sein täglich<br />
Brot verdienen zu müssen.<br />
Der Gebrauch des „Fideldrehstuhls“<br />
war bis in das 15. Jahrhundert<br />
gebräuchlich. Einen enormen<br />
technischen Fortschritt bedeutet die<br />
Erfindung der „Wipp-Drehbank“<br />
(fußbetriebene Drechselbank).<br />
Diese ermöglichte zwar keine<br />
kontinuier lichen Arbeitsgänge, waren<br />
aber bis zum 19. Jahrhundert<br />
gebräuchlich, obwohl bereits durch<br />
Leonardo da Vinci das Prinzip einer<br />
Fußdrehbank mit gekröpfter<br />
Welle erfunden war. Eine ähnliche<br />
Maschine kann man in der Historischen<br />
Bauschlosserei Gräfenhainichen<br />
besichtigen.<br />
Von der Weiterentwicklung der<br />
Drehbank im 16. Jahrhundert durch<br />
Kurbel-, Tritt- oder Schwungrad<br />
und der Nutzung der Wasserkraft<br />
als Antrieb profitierte insbesondere<br />
die Metalldreherei.<br />
Durch die generelle Verwendung<br />
des Werkzeughalters, der aus der<br />
Feinmechanik bekannt war, wurde<br />
die Arbeit des Drehens wesentlich<br />
erleichtert. Die Werkzeuge wurden<br />
nun in der Maschine eingespannt<br />
und über Handräder bewegt. Dadurch<br />
sanken einerseits die benötigte<br />
Kraft, die der Arbeiter auf das<br />
Werkzeug ausüben musste, und andererseits<br />
die Anforderung an seine<br />
Geschicklichkeit. Dies mündete<br />
letztlich im 19. Jahrhundert in die<br />
Nutzung von Motoren, insbesondere<br />
in der Eisendreherei.<br />
Die elementaren Werkzeuge des<br />
Drechslers sind Drehröhre (Drechselwerkzeug)<br />
und Drehmeißel. Beide<br />
sind auf alten Inschriften und Siegeln<br />
zu finden. Zudem wurden verschiedene<br />
Dreheisen benötigt sowie eine<br />
Palette gängiger Bohrwerkzeuge,<br />
grobe und feine Maßwerkzeuge sowie<br />
eine Reihe Hilfswerkzeuge und<br />
Einrichtungen für die Drehbank.<br />
Dies alles fertigten meist ortsansässige<br />
Handwerksbetriebe.<br />
Der Arbeitsprozess des Drechslers<br />
begann mit der Auswahl der geeigneten<br />
Rohmaterialien. Das Holz<br />
wurde zugerichtet, eingemessen<br />
und auf der Drehbank eingespannt.<br />
Zunächst wurde das rotierende Holz<br />
grob abgedreht, dann mit feineren<br />
Werkzeugen bearbeitet und schließlich<br />
ausgeformt. In der ländlichen<br />
und kleinstädtischen Drechslerei<br />
fanden bis ins 20. Jahrhundert fast<br />
ausschließlich heimische Hölzer<br />
Verwendung.<br />
Seit dem 17. Jahrhundert entwickelten<br />
sich regional bedeutsame<br />
Zentren des Drechslerhandwerkes,<br />
wie in den holzreichen Gegenden<br />
Thüringens und Sachsens, besonders<br />
im Erzgebirge. Hier wurden eigenständige<br />
Techniken entwickelt,<br />
wie in der Region um Seiffen, wo<br />
die Technik des „Reifendrehens“<br />
perfektioniert wurde. Hier entwi-<br />
13. <strong>Dezember</strong> <strong>2023</strong><br />
Der Drechsler spaltet nach dem Drehen<br />
Tierfiguren vom Reifen ab.<br />
ckelte sich im 18. und 19. Jahrhundert<br />
aus dem Nebenerwerb von<br />
Kleinbauern, Land- und Holzarbeitern<br />
eine eigenständige Drechseltradition.<br />
In nur einem Arbeitsschritt werden<br />
beim „Reifendrehen“ Hunderte Figuren<br />
hergestellt. Es zählt zu den<br />
anspruchsvollsten und faszinierendsten<br />
Bearbeitungstechniken<br />
der Holzkunst. Bei dieser Art der<br />
Spielzeugherstellung wird ein Stück<br />
frisches Fichtenholz auf einer Drehbank<br />
mit verschiedenen Werkzeugen<br />
händisch bearbeitet. Es entsteht<br />
ein Reifen mit Rundungen, Einkerbungen<br />
und Rillen. Werden mit<br />
Messer und Hammer kleine Scheiben<br />
von dem fertigen Reifen abgespalten,<br />
kommen kleine Tierfiguren<br />
zum Vorschein.<br />
Seit etwa 1900 verlor das Drechslerhandwerk<br />
im Zuge der zunehmenden<br />
Mechanisierung und fabrikmäßigen<br />
Produktion durch die<br />
Entwicklung von Kopierfräs- und<br />
Kopierdrehmaschinen und infolge<br />
der ungünstigen Stilentwicklung der<br />
Möbel zunehmend an Bedeutung.<br />
Die Breite der traditionelle Handdrechslerei<br />
ist heute weitestgehend<br />
verschwunden. Aber es gibt sowohl<br />
im professionellen handwerklichen<br />
als auch im Hobby- und kunsthandwerklichen<br />
Bereich wieder eine<br />
stattliche Anzahl von Drechslern.<br />
Typische Drechselarbeiten: Bettknauf, Holzkugel, Möbelfuß sowie Tischbein (v. l.)<br />
In eigener Sache: Allen Freunden<br />
und Unterstützern<br />
der „Alten<br />
Schmiede“<br />
ein besinnliches<br />
Weihnachtsfest<br />
und Guten<br />
Rutsch in das Jahr<br />
2024