Focus-Money_2023-52-1
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genannt. Das Bürgergeld eignet<br />
sich nicht. Man könnte über das<br />
Rentensystem nachdenken. Die<br />
Frage ist nur, kann man das kurzfristig<br />
auf den Weg bringen? Die<br />
Mütterrente, die 2014 für Mütter<br />
mit vor 1992 geborenen Kindern<br />
eingeführt wurde, kostet uns jedes<br />
Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag.<br />
Die hat keine Lenkungsfunktion.<br />
Die Kinder sind bereits<br />
geboren. Das war ein reines Wahlgeschenk.<br />
Einige Frauen, die davon<br />
profitieren, haben ihren Rentenbescheid<br />
schon. Das zu ändern, dürfte<br />
schwierig sein. Das andere Thema<br />
ist die Rente ab 63 Jahren. Wer<br />
45 Jahre gearbeitet hat, soll in der<br />
Lage sein, abschlagsfrei in Rente zu<br />
gehen – etwa der Dachdecker, der<br />
diesen Beruf im Alter nicht mehr ausüben kann. Genutzt<br />
wird die Regelung aber vorwiegend von Menschen, die<br />
durchschnittlich verdienen und überdurchschnittlich gesund<br />
sind. Doch genau diese Menschen brauchen wir aufgrund<br />
des Arbeiterkräftemangels im Arbeitsmarkt.<br />
Und wie wäre es mit Steuererhöhungen?<br />
Schnitzer: Steuererhöhungen kommen bei dem einen oder<br />
anderen Koalitionspartner gar nicht gut an. Doch wir könnten<br />
für eine begrenzte Zeit einen Klima-Soli für Besserverdienende<br />
einführen. Etwas Ähnliches hatten wir bereits 2022<br />
im Jahresgutachten vorgeschlagen. Weil auch Menschen, die<br />
sich höhere Energiepreise hätten leisten können, damals von<br />
der Energiepreisbremse profitiert hatten, hatten wir vorgeschlagen,<br />
diese vorübergehend mit einem Energie-Soli zu belasten,<br />
um sich so an den Kosten der Krise zu beteiligen.<br />
Und die ist unbestritten da. Immerhin steckt Deutschland als einziges<br />
großes Industrieland in der Rezession...<br />
Schnitzer: Absolut. Ich kann nur hoffen, dass man den<br />
Ernst der Lage erkennt, denn die Lage ist ernst. Aus dem Ausland<br />
gucken viele mit Erstaunen auf uns, weil sie die Schuldenbremse<br />
nicht verstehen. Wenn die Mittel jetzt gekürzt<br />
werden, kann uns das einen halben Prozentpunkt Wachstum<br />
kosten. Da bleibt bei einem erwarteten Wachstum von 0,7<br />
Prozent wenig übrig.<br />
Würde man die<br />
Subventionen<br />
auf Dieselkraftstoffe<br />
verringern<br />
oder abschaffen,<br />
ließe sich der<br />
Ausbau der<br />
E-Mobilität<br />
beschleunigen.“<br />
Doch der Schuldenberg, den wir der jungen Generation hinterlassen,<br />
ist auch groß. Werden die Schulden gegen das Klima ausgespielt?<br />
Schnitzer: Interessanterweise hat das Verfassungsgericht<br />
auch beim Klimaschutz angemahnt, dass wir das Klima nicht<br />
zulasten der jungen Generation ruinieren dürfen. Insofern<br />
sind Investitionen dafür gerechtfertigt, von denen die nachfolgenden<br />
Generationen profitieren. Anstelle der Mütterrente<br />
hätte man die Bahn sanieren oder Brücken bauen können.<br />
Doch Investitionen in die Zukunft sind Wählern eben nicht<br />
so gut vermittelbar. Jetzt haben wir massive Defizite in der<br />
Infrastruktur. Zudem haben wir mit 64 Prozent die niedrigste<br />
Schuldenstandsquote aller G7-<br />
Staaten. Andere liegen bei einem<br />
Schuldenstand im Vergleich zum<br />
Bruttoinlandsprodukt von weit<br />
mehr als 100 Prozent. Es ist nicht<br />
so, dass wir ein Problem mit unserer<br />
Schuldentragfähigkeit hätten<br />
oder dass unser Kreditrisiko gefährdet<br />
wäre.<br />
...wie in den USA und in Italien?<br />
Schnitzer: Genau. Klar ist es bei<br />
höheren Zinsen schwerer, die<br />
Schulden zu finanzieren, doch wir<br />
sind handlungsfähig. Jetzt radikal<br />
zu sparen und die Wirtschaft abzuwürgen,<br />
halte ich für falsch.<br />
Halten Sie es für eine gute Idee, dass<br />
uns der Staat sagt, wo es langgeht bei<br />
den Innovationen oder der Energie?<br />
Schnitzer: Der Staat weiß es nicht. Dennoch muss er für<br />
Rahmenbedingungen sorgen. Es ist offensichtlich, dass wir<br />
in Zukunft mehr Energie brauchen. Wir wissen auch, dass<br />
wir klimafreundlich werden müssen. Also müssen wir unsere<br />
Stromnetze ausbauen, Wasserstoff nutzen und dafür sorgen,<br />
dass wir die passende Infrastruktur haben. Ähnlich ist<br />
es bei der E-Mobilität. Dafür muss der Staat Anreize setzen.<br />
Gilt das auch für die Milliarden-Subventionen für Unternehmen wie<br />
Intel, Tesla und TSMC durch die Bundesregierung?<br />
Schnitzer: Es ist auf jeden Fall besser, in neue Industrien zu<br />
investieren als in alte. Wir haben sehr viel Geld in den Bergbau<br />
investiert und diesen noch lange unterstützt, obwohl<br />
schon klar war, dass es sehr viel günstiger gewesen wäre,<br />
Kohle zu importieren. Wir müssen auch unabhängiger von<br />
China werden. Dass China in den nächsten Jahren Taiwan<br />
angreifen wird, hat eine positive Wahrscheinlichkeit. Insofern<br />
ist es eine gute Idee, in die Chip-und Halbleiterindustrie<br />
zu investieren. Richtig ist auch, das in den neuen Bundesländern<br />
zu tun, um den Standort zu stärken.<br />
Private Investitionen in Start-ups fließen hingegen spärlich...<br />
Schnitzer: Die Start-up-Szene hat in der Tat ein Problem,<br />
in der Wachstumsphase an die Mittel zu kommen, die sie<br />
braucht. Marvel Fusion beispielsweise, ein Unternehmen,<br />
das auf Kernfusion setzt, ist für eine erste große Finanzierungsrunde<br />
in die USA gegangen. Ein Positivbeispiel hingegen<br />
ist Aleph Alpha, ebenfalls ein großer Hoffnungsträger.<br />
Die haben es geschafft, eine Finanzierungsrunde mit Mitteln<br />
aus Deutschland und Europa zu stemmen. Die Strukturen<br />
dafür sind da. Wir müssen nur mutiger investieren.<br />
Der Industriestrompreis kommt eher der ‚alten‘ Industrie zugute?<br />
Schnitzer: Richtig. Wir reden dabei von der etablierten Industrie.<br />
Die hat uns lange sehr gut getragen und gut bezahlte<br />
Arbeitsplätze geschaffen. In in Zukunft wird das Geld aber<br />
eher mit anderen Dingen verdient werden. Bei den Autos<br />
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FOCUS MONEY <strong>52</strong>/1 <strong>2023</strong>/24