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Emmanuel L. Rehfeld: Sündlos solidarisch (Leseprobe)

Die Frage, wer Jesus ist, beantwortet das Markusevangelium nicht diskursiv, sondern narrativ: Während es mit den komplementären Bezeichnungen »Gottessohn« und »Menschensohn« auf Jesu wahren Ursprung und auf seinen Auftrag verweist, schildert es sein geschichtliches Auftreten als die verborgene Epiphanie des präexistenten Gottessohns. Indem der Evangelist das irdische Dasein Jesu in die göttliche »Metahistorie« einzeichnet, bezeugt er ein realistisches, nicht-doketisches Verständnis des Menschseins Jesu, das zugleich die ontische Differenz zwischen seinem Menschsein und dem Menschsein derer offenlegt, für die zu sterben er kam. Eine eingehende Untersuchung der markinischen Jesusdarstellung ergibt, dass diese soteriologisch fundamentale Differenz in der These von Jesu Sündlosigkeit gipfelt.

Die Frage, wer Jesus ist, beantwortet das Markusevangelium nicht diskursiv, sondern narrativ: Während es mit den komplementären Bezeichnungen »Gottessohn« und »Menschensohn« auf Jesu wahren Ursprung und auf seinen Auftrag verweist, schildert es sein geschichtliches Auftreten als die verborgene Epiphanie des präexistenten Gottessohns. Indem der Evangelist das irdische Dasein Jesu in die göttliche »Metahistorie« einzeichnet, bezeugt er ein realistisches, nicht-doketisches Verständnis des Menschseins Jesu, das zugleich die ontische Differenz zwischen seinem Menschsein und dem Menschsein derer offenlegt, für die zu sterben er kam. Eine eingehende Untersuchung der markinischen Jesusdarstellung ergibt, dass diese soteriologisch fundamentale Differenz in der These von Jesu Sündlosigkeit gipfelt.

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1 Die Leitfrage: Wer ist Jesus?<br />

Selbst wenn man in der Christologie nicht das eigentliche Thema des Markusevangeliums<br />

sehen wollte, so bildet sie doch derart offenkundig »seine Voraussetzung«,<br />

dass man unbedingt nach ihr fragen muss, »um […] die eigentliche Intention<br />

besser zu erfassen«, wie auch L. Schenke zugibt. 1 Im Markusevangelium<br />

findet ja »unbestreitbar ein Prozeß des Suchens nach Jesu wahrer Identität statt<br />

und ständig wird gefragt: ›Wer ist dieser?‹« 2 Diese Frage erweist sich mithin als<br />

die »Leitfrage des Markusevangeliums« 3 .<br />

Man hat die Frage nach Jesu Identität oft einseitig von den »Hoheitstiteln« her beantworten<br />

wollen. 4 Dieses Vorgehen ist nicht zuletzt deswegen in die Kritik geraten, 5<br />

---------------------------------------<br />

1<br />

Schenke, Präexistenzchristologie, 47. Schenkes »Kann« (s. o. S. 94 m. Anm. 61) habe ich<br />

allerdings durch ein »Muss« ersetzt. --- In forschungsgeschichtlicher Perspektive notiert<br />

Johansson, Identity, 388, die Mehrheit der Exegeten neige gegenwärtig (2011) zu der<br />

These, »that Mark’s Jesus is an exalted, but merely human figure. Scholars of this opinion<br />

for the most part interpret Mark against a Jewish background.«<br />

2<br />

Schenke, Präexistenzchristologie, 47.<br />

3<br />

P. Müller, Jesus, 139. Vgl. auch Telford, Theology, 30; Bayer, Mk, 30; Schnelle, Theologie,<br />

376; ähnlich Joynes, Question, 19. Anders Schenke, Präexistenzchristologie, 45ff.<br />

4<br />

Klassisch Hahn, Hoheitstitel, 9: »Zwar soll nicht übersehen werden, daß auch anderes<br />

Traditionsgut, das nicht mit einer Hoheitsbezeichnung verbunden ist, christologisch bedeutsam<br />

sein kann, aber die christologischen Anschauungen der ältesten Gemeinden haben<br />

sich doch weitgehend in Überlieferungsschichten Ausdruck verschafft, die durch einen<br />

bestimmten Hoheitstitel geprägt sind.« Konsequenterweise sieht Hahn die entscheidende<br />

Aufgabe in einer »traditionsgeschichtliche[n] Einordnung des dem Evangelisten<br />

vorliegenden Stoffes« (a. a. O., 10). Dagegen betont z. B. Theobald, Primat, 163, Anm. 7,<br />

»einem christologischen Titel wie υἱὸς τοῦ θεοῦ, in dem eine bestimmte Geschichte ›aufgehoben‹<br />

ist«, erwachse »die intentionale Richtung allein aus seinem kontextuellen Gebrauch,<br />

der einige der in der Wendung angelegten semantischen Möglichkeiten aktualisiert,<br />

andere aber unausgesprochen läßt.«<br />

5<br />

Vgl. z. B. Balz, Probleme, 46: »Es zeigt sich, daß die Titelchristologie nicht die Gesamtheit<br />

der neutestamentlichen Soteriologie [sic!] umfassen kann.« Zur Kritik an F. Hahns

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