29.02.2024 Aufrufe

Emmanuel L. Rehfeld: Sündlos solidarisch (Leseprobe)

Die Frage, wer Jesus ist, beantwortet das Markusevangelium nicht diskursiv, sondern narrativ: Während es mit den komplementären Bezeichnungen »Gottessohn« und »Menschensohn« auf Jesu wahren Ursprung und auf seinen Auftrag verweist, schildert es sein geschichtliches Auftreten als die verborgene Epiphanie des präexistenten Gottessohns. Indem der Evangelist das irdische Dasein Jesu in die göttliche »Metahistorie« einzeichnet, bezeugt er ein realistisches, nicht-doketisches Verständnis des Menschseins Jesu, das zugleich die ontische Differenz zwischen seinem Menschsein und dem Menschsein derer offenlegt, für die zu sterben er kam. Eine eingehende Untersuchung der markinischen Jesusdarstellung ergibt, dass diese soteriologisch fundamentale Differenz in der These von Jesu Sündlosigkeit gipfelt.

Die Frage, wer Jesus ist, beantwortet das Markusevangelium nicht diskursiv, sondern narrativ: Während es mit den komplementären Bezeichnungen »Gottessohn« und »Menschensohn« auf Jesu wahren Ursprung und auf seinen Auftrag verweist, schildert es sein geschichtliches Auftreten als die verborgene Epiphanie des präexistenten Gottessohns. Indem der Evangelist das irdische Dasein Jesu in die göttliche »Metahistorie« einzeichnet, bezeugt er ein realistisches, nicht-doketisches Verständnis des Menschseins Jesu, das zugleich die ontische Differenz zwischen seinem Menschsein und dem Menschsein derer offenlegt, für die zu sterben er kam. Eine eingehende Untersuchung der markinischen Jesusdarstellung ergibt, dass diese soteriologisch fundamentale Differenz in der These von Jesu Sündlosigkeit gipfelt.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

2 Die Rahmentexte des<br />

Markusevangeliums als<br />

hermeneutischer Schlüssel<br />

Es ist gegenwärtig weitgehend Konsens, dass die Rahmenstücke eines Werkes<br />

für die Leserlenkung von besonderer Bedeutung sind. 1 Im Blick auf den Anfang<br />

einer Erzählung stellt B. M. F. van Iersel ganz grundsätzlich fest: »It is generally<br />

accepted that the beginning, as the introduction to the story, has a distinctive<br />

character of its own.« 2 Auch F. Matera betont: »Few things are more essential to<br />

appreciating a story than understanding the manner in which the narrator begins.<br />

[…] At the beginning of a narrative, the narrator establishes the setting, introduces<br />

the characters, and lays the foundation for the plot.« 3 Als nicht weniger<br />

wichtig erweist sich das Ende einer Erzählung. So hat M. E. Boring in einem instruktiven<br />

Beitrag gezeigt, wie sehr Anfang und Ende des Markusevangeliums<br />

einander nicht nur sprachlich 4 , sondern auch inhaltlich korrespondieren:<br />

»The counterpart to the focalizing function of the introduction is the defocalizing<br />

function of the conclusion. […] Mark intentionally ends with ἐφοβοῦντο γάρ, ›for they<br />

were afraid‹, in order to bring the story into the reader’s present. […] The same is true<br />

of the introduction, but it becomes apparent only in retrospect.« 5<br />

Vor einer inhaltlichen Würdigung der markinischen Rahmentexte müssen jedoch<br />

einige ihrer exegetischen Probleme erörtert werden.<br />

---------------------------------------<br />

1<br />

An diesem Punkt treffen sich so unterschiedliche Positionen wie die von Mayordomo-<br />

Marín, Anfang, 203---205, und Becker, Markus-Evangelium, 239f. Vgl. dazu auch Klauck,<br />

Vorspiel, 40---46.<br />

2<br />

Van Iersel, Mk, 80. Er fährt fort: »Things are different in the case of the end of the book«<br />

(ebd.). Vgl. auch Lührmann, Mk, 32.<br />

3<br />

Matera, Prologue, 3. Darum gelte: »Readers who misunderstand the beginning almost<br />

unevitably misunderstand the conclusion« (ebd.).<br />

4<br />

Sprachliche Bezüge notieren z. B. Becker, Markus-Evangelium, 237---252; Seifert, Markusschluss,<br />

262---266.<br />

5<br />

Boring, Beginning, 68f. Zur Begründung s. ebd.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!