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Vom Handelslehrling zum Großindustriellen. Aufstieg, Repräsentation

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Oberschwäbische Anzeiger. Auch die 1889 von Louis Wiedenmann übernommene Ziegelei in<br />

Ravensburg (1895: 80 Arbeiter und Arbeiterinnen) 73 wurde 1901 angesichts unzureichender<br />

Rohstoffe stillgelegt. Nach längerer Standortsuche entschied sich Julius Spohn 1903 dazu, im<br />

verkehrsgünstiger gelegenen Neckarsulm eine neue Jutespinnerei mit Weberei zu errichten;<br />

Hinweise auf den geplanten Bau des Neckarkanals und offenbar auch das Entgegenkommen<br />

der Stadt Neckarsulm beim Verkauf des benötigten Industriegeländes hatten den Ausschlag<br />

gegeben 74 . Der Betrieb, der 1907 eröffnet werden konnte 75 , wies neben einer Wohnsiedlung<br />

für 125 Familien – die Facharbeiter waren zu einem großen Teil aus Böhmen, Galizien und<br />

Italien angeworben worden - auch zahlreiche Sozialeinrichtungen wie Mädchenheim,<br />

Kinderhort, Kantine, Konsumladen und Kleingärten auf; 1911 zählte der Betrieb rund 350<br />

Beschäftigte. 1906 siedelte Julius Spohn selbst nach Neckarsulm über 76 , blieb aber doch mit<br />

seiner Heimatstadt Ravensburg eng verbunden. Im Ersten Weltkrieg führte der mittlerweile<br />

73-jährige den Betrieb 77 zunächst allein weiter, da sein Sohn Richard <strong>zum</strong> Kriegsdienst<br />

eingezogen worden war. Bald kam es jedoch durch die Unterbrechung der Juteeinfuhr zu<br />

Produktionsstockungen. 1917 verpachtete er den Neckarsulmer Betrieb an die mit ihm<br />

befreundete Jutespinnweberfamilie Winckler aus dem elsässischen Bischweiler, die unter dem<br />

Namen „Württembergische Papierspinnerei und Weberei G.m.b.H.“ Papier, Hanf, Flachswerg<br />

und Textilit verarbeitete 78 . Julius Spohn kehrte, desillusioniert vom Krieg 79 , wieder in seine<br />

Ravensburger Villa zurück; dort starb er 78-jährig am 16. Oktober 1919 an einem<br />

Erstickungsanfall 80 . Über die bewegenden Beisetzungsfeierlichkeiten berichtete die<br />

Oberschwäbische Volkszeitung am 20. Oktober 1919: „Ein imposanter Leichenzug, wie ihn<br />

unsere Stadt wohl selten gesehen hat, bewegte sich vorgestern Nachmittag 3 Uhr von der<br />

Villa Spohn nach dem Leichenhaus. Galt es doch dem großen Wohltäter und Ehrenbürger<br />

unserer Stadt, dem Geh. Kommerzienrat Spohn die letzte Ehre zu erweisen. Die Lehrer und<br />

73 Vgl. Friedrich Lochmaier, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg 1890-1914, S. 92.<br />

Die Ziegelei lag an der Straße nach Weißenau.<br />

74 Vgl. Hans Kohde, Abriss der Geschichte einer schwäbischen Unternehmer-Familie, S. 49; Willi A. Boelcke,<br />

Von der Weinstadt zur Industriestadt, in: Neckarsulm. Die Geschichte einer Stadt, hrsg. von der Stadt<br />

Neckarsulm, Stuttgart 1992, S. 270f.<br />

75 Georg Spohn, Geheimer Kommerzienrat Julius Spohn, S. 4.<br />

76 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 31.3. 1906.<br />

77 Der Wert der Neckarsulmer Fabrik einschließlich aller dazugehöriger Gebäude (v.a. der Arbeiterwohnungen)<br />

wurde im Testament Julius Spohns 1912 mit 1 930 109 Mark angegeben; vgl. StadtA RV, A I 1324.<br />

78 Vgl. Hans Kohde, Abriss der Geschichte einer schwäbischen Unternehmer-Familie, S. 53.<br />

79 So führte er in einem Dankschreiben an den Ravensburger Stadtrat, der ihm <strong>zum</strong> 75. Geburtstag gratuliert<br />

hatte, am 3. August 1916 unter anderem aus: „Wie viel Leid ist in den 2 letzten Jahren über uns hereingebrochen<br />

u. was wird der namentlich in letzter Zeit fürchterlich wütende Krieg uns noch Kummer u. Sorgen bringen. Die<br />

Menschen kommen nicht zur Vernunft - Jeder schiebt die Schuld auf den Anderen, so gibt es freilich keine<br />

Ruhe. Wenn man so etwas in den letzten Jährlein, die von Gott vergönnt sind, erleben muß, so kann man gewiß<br />

nicht von einer verdienten Ruhe reden!“; vgl. StadtA RV, A I 129.<br />

80 Vgl. Oberschwäbische Volkszeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 17.10. 1919; 20. 10. 1919.

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