29.12.2012 Aufrufe

Vom Handelslehrling zum Großindustriellen. Aufstieg, Repräsentation

Vom Handelslehrling zum Großindustriellen. Aufstieg, Repräsentation

Vom Handelslehrling zum Großindustriellen. Aufstieg, Repräsentation

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Vom</strong> <strong>Handelslehrling</strong> <strong>zum</strong> <strong>Großindustriellen</strong>. <strong>Aufstieg</strong>, <strong>Repräsentation</strong> und<br />

Mäzenatentum der Ravensburger Familie Spohn 1765-1919.<br />

1.) Spezereihandel, Papier, Flachs, Abwerg und „gute Partien“ – Grundlegung und <strong>Aufstieg</strong><br />

1765 war Johann Michael Spohn (1748-1814), der jüngste Sohn eines herzoglich<br />

württembergischen Ökonomieverwalters und Schultheißen aus Wippingen auf der<br />

Schwäbischen Alb, das <strong>zum</strong> protestantischen Herzogtum Württemberg gehörte, in die<br />

konfessionell paritätische Reichsstadt Ravensburg gekommen und als Lehrling in die<br />

„Spezereihandlung“ 1 des protestantischen Kaufmanns und Senators Andreas Spieler<br />

eingetreten. [Aus Satz besser zwei Sätze bilden] Spieler, der wie viele Ravensburger Kaufleute<br />

der Schneiderzunft angehörte, war einer der damals höchstbesteuerten Bürger der Stadt und<br />

trat auch als Bankier und Ratsbauherr in Erscheinung 2 . Acht Jahre nach seiner Niederlassung<br />

in Ravensburg, 1773, erwarb Johann Michael Spohn das Ravensburger Bürgerrecht 3 , heiratete<br />

eine Tochter Spielers, Maria Elisabeth (1753-1786), und trat in die Handlung seines<br />

Schwiegervaters „Spieler und Sohn“ ein – ein beachtlicher sozialer <strong>Aufstieg</strong> für den<br />

Neubürger. Auch seine Nachkommen sollten später vornehmlich in die evangelische<br />

Oberschicht Ravensburgs, insbesondere in die alten Familien Kutter, Gradmann und Möhrlin<br />

einheiraten, wie überhaupt die noch wohlhabenden Familien des protestantischen<br />

Wirtschaftsbürgertums hier ein dichtes, durch gemeinsame Interessen verbundenes<br />

Verwandtschaftsnetz ausbildeten, ein Phänomen, das in Ravensburg später „Blutwurst“<br />

genannt werden sollte. Besonders die Spohn verstanden es, „gute Partien“ zu machen, sich<br />

mit einflussreichen Kaufmanngeschlechtern der Stadt zu versippen, ihre Kapitalbasis mehr<br />

und mehr zu verbreitern, ihre gesellschaftliche und ökonomische Position laufend zu<br />

verbessern, vielversprechende Geschäftsbeziehungen einzufädeln. Hinzu kam der besondere<br />

Leistungswille, die Beherzigung zentraler weiterer [weglassen] bürgerlicher Tugenden seitens<br />

dieser protestantischen Newcomer-Familie im mehrheitlich, zu rund zwei Dritteln,<br />

katholischen Ravensburg. War Johann Michael Spohn zunächst, seit 1774, Mitglied der<br />

Schneiderzunft gewesen, so stieg er durch die 1792 oder 1793 erfolgte Aufnahme in die<br />

Ballengesellschaft, einer gesellig-korporativen Zwischenstufe zwischen den Zünften und der<br />

1 Geschäft, das vor allem mit Gewürzen und Farben handelte.<br />

2 Rudolf Waentig/Hans Kohde, Ein Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung der Firma Gebrüder Spohn GmbH,<br />

maschinenschriftl. Manuskript (Exemplar im Stadtarchiv Ravensburg), o.O., o.J., S. 5,7; Susanne Nußbaumer,<br />

Das Finanzwesen der Reichsstadt Ravensburg im 18. Jahrhundert, phil. Diss. masch., Tübingen 1950, S. 96.<br />

3 Vgl. Gemeinderatsprotokoll (im folgenden abgekürzt RPr.) v. 26.4. 1773. Stadtarchiv Ravensburg (im<br />

folgenden abgekürzt StadtA RV).


adligen Patriziergesellschaft <strong>zum</strong> Esel, in der sozialen Hierarchie der Reichsstadt weiter auf 4 .<br />

Sein Vermögen bewegte sich aber in den Jahren bis 1800 ausweislich der Steuertabellen<br />

verglichen mit seinen Standesgenossen noch im Mittelfeld 5 . Das alte Handlungshaus „Spieler<br />

und Sohn“ wurde 1793 aufgelöst. Die Witwe Spieler überließ den beiden bisherigen<br />

Teilhabern – das waren seit 1784 ihre Schwiegersöhne Johann Michael Spohn und Tobias<br />

Ludwig Kienlin – das Vermögen der Firma hälftig zur Nutznießung gegen eine jährliche<br />

Verzinsung zu 1,5 %. An Liegenschaften erhielt Spohn unter anderem das damals auf rund<br />

7.000 fl. geschätzte repräsentative Spieler´ sche Wohn- und Geschäftshaus in der Kirchstraße<br />

nahe dem Rathaus sowie das Felix- und Sempergut außerhalb der Stadtmauern zur<br />

Nutznießung 6 . Nach dem Tod der Witwe Spieler 1796 schied Tobias Ludwig Kienlin aus dem<br />

Geschäft aus und eröffnete mit Hilfe seines Erbteils ein neues Spezereigeschäft im<br />

Nachbargebäude in der Kirchstraße. Die Tradition des Handlungshauses Spieler wurde nun<br />

von Johann Michael Spohn und seinem Sohn Andreas (1775-1814) unter dem Namen „Spohn<br />

& Sohn“ weitergeführt.<br />

1802 endete für Ravensburg nach mehr als 500 Jahren die reichsstädtische Zeit. Im Vorgriff<br />

auf den Reichsdeputationshauptschluss kam die lediglich noch etwa 3.400 Einwohner<br />

zählende, hoch verschuldete Stadt unter bayerische Landesherrschaft. Wenig später fielen<br />

auch die zahlreichen verbliebenen Privilegien des zahlenmäßig bereits stark ausgezehrten<br />

Ravensburger Patriziats, eine [2 Sätze; ...Patriziats. Eine...] neue, zuvor schon einflussreiche,<br />

dem Handels- und Bildungsbürgertum entstammende und zu liberalen Prinzipien tendierende<br />

Elite übernahm nun endgültig das Ruder in der Kommunalpolitik. Andreas Spohn wurde in<br />

dem 1807 unter Bayern eingerichteten Ravensburger Bürgermilitär die Funktion eines<br />

Hauptmanns der „Schützen-Compagnie“ übertragen 7 . Doch bereits drei Jahre später, 1810,<br />

wechselte für Ravensburg noch einmal die Landesherrschaft. Die Stadt wurde<br />

württembergisch. Zu dem dreiköpfigen Ausschuss, der nach der Inbesitznahme der Stadt im<br />

November 1810 König Friedrich I. in Stuttgart die Huldigung darbrachte, gehörte auch der<br />

mittlerweile 62-jährige Johann Michael Spohn 8 . Für die ja aus Altwürttemberg stammende,<br />

protestantische Familie Spohn scheint Württemberg der gewünschte neue Landesherr für die<br />

4<br />

Vgl. StadtA RV, Bü 1307, 1309. Zur „Ballengesellschaft“: Peter Eitel, Die Ravensburger „Ballengesellschaft“.<br />

Eine Zwischenstufe im Sozialgefüge der reichsstädtischen Bürgerschaft, in: Stadtverfassung, Verfassungsstaat,<br />

Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks <strong>zum</strong> 65. Geburtstag, hrsg. v. Franz Quarthal/Wilfried Setzler,<br />

Sigmaringen 1980, S. 111-120.<br />

5<br />

Vgl. Rudolf Waentig/Hans Kohde, Ein Beitrag, S. 8.<br />

6<br />

Vgl. ebd., S. 10f.<br />

7<br />

Vgl. Johann Georg Eben, Versuch einer Geschichte der Stadt Ravensburg von Anbeginn bis auf die heutigen<br />

Tage, mehrere Lieferungen, Ravensburg 1830-1835, Ndr. in zwei Bänden Ravensburg/Oggelshausen 1987, Bd.<br />

II, S. 411.<br />

8<br />

Vgl. Rudolf Waentig/Hans Kohde, Ein Beitrag, S. 8.


einstige Reichsstadt gewesen zu sein; ähnliches gilt auch für andere, in der Stadt in der<br />

Minderheit befindliche protestantische Kaufleute. Dass Johann Michael Spohn kurze Zeit<br />

später zu einem von vier Vorstehern der Kaufmannschaft berufen wurde, war nur ein weiteres<br />

Zeichen seines <strong>Aufstieg</strong>s und der bereits erlangten gesellschaftlichen Stellung.<br />

Nachdem im Oktober 1814 innerhalb von zwei Wochen zunächst Andreas und dann sein<br />

Vater Johann Michael Spohn gestorben waren, führte der erstgeborene Sohn aus der zweiten<br />

Ehe Johann Michael Spohns, Johann Georg (1792-1861), das Geschäft als Prokurist weiter.<br />

Seine Lehrzeit hatte er im französischen Dijon verbracht. Die Spohn als bedeutende<br />

Kaufmannsfamilie legten charakteristischerweise Wert darauf, die technischen und<br />

kaufmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten ihrer Söhne durch Auslandsaufenthalte zu<br />

verbessern.<br />

1823 wurde Johann Georg Spohn, der im gleichen Jahr mit der aus einer bekannten<br />

protestantischen Augsburger Patrizier-, Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie stammenden<br />

Louise Albertine Tröltsch (1795-1847) 9 die Ehe einging, alleiniger Inhaber des Betriebes 10 .<br />

Einige Jahre später wurde er <strong>zum</strong> Obmann des Ravensburger Bürgerausschusses (1827) 11 und<br />

<strong>zum</strong> Obmann des neu gebildeten Zunftvereins 12 der Sattler, Sekler und Kürschner (1830)<br />

gewählt, beides auch geschäftlich sicher nicht unvorteilhaft. Auch im aufblühenden<br />

bürgerlichen Vereinswesen Ravensburgs spielte er eine aktive Rolle. So zählte er zu den<br />

Gründungsmitgliedern des Liederkranzes (1827) und der wiederbelebten Schützengesellschaft<br />

(1831) 13 . Innovationsfreudig ging Johann Georg Spohn ökonomisch bald neue Wege. 1829<br />

erwarb er von dem Lindauer Georg Beer den „Oberen Hammer“, eine der traditionsreichen<br />

Papiermühlen in der Ravensburger Gewerbevorstadt Ölschwang, und führte dort die<br />

Papierherstellung weiter 14 . 1832/33 richtete sein elf Jahre jüngerer Bruder Christian Paul<br />

Spohn (1803-1884), der seine Lehr- bzw. Handlungsgehilfenjahre in der französischen<br />

Schweiz (1817-1822) und in Augsburg (1824-1829) verbracht hatte, mit kräftiger<br />

9<br />

Ihr Bruder war der spätere Augsburger Stadtkämmerer und Rechtsrat Wilhelm Ludwig Tröltsch.<br />

Johann Georg Spohn brachte Geld und Fahrnis in Höhe von 3216 fl. in die Ehe ein, Louise Albertine Tröltsch<br />

Geld und Fahrnis in Höhe von 7883 fl.; vgl. StadtA RV, Bü 2499A.<br />

10<br />

Vgl. Rudolf Waentig/Hans Kohde, Ein Beitrag, S. 24.<br />

11<br />

1851 wurde er noch einmal <strong>zum</strong> Obmann des Bürgerausschusses gewählt; vgl. RPr. v. 22.12. 1851. StadtA<br />

RV.<br />

Bürgerausschuss = Durch ein Dekret des württembergischen König Wilhelm I. vom 7. Juni 1817 in allen Städten<br />

und Gemeinden des Landes eingeführtes, von den Bürgern gewähltes, mit gewissen Kontrollbefugnissen<br />

ausgestattetes Gremium als Vertretung der Bürgerschaft neben dem Gemeinderat (bzw. Magistrat).<br />

12<br />

Infolge der württembergischen Gewerbeordnung von 1828 wurden in Ravensburg die traditionsreichen, seit<br />

dem 14. Jahrhundert bestehenden acht Handwerkerzünfte aufgelöst und 1830 an deren Stelle 26 neue sog.<br />

Zunftvereine gebildet.<br />

13<br />

Vgl. Liste der Gründungsmitglieder im Archiv des Liederkranzes Ravensburg; zu den Gründungsmitgliedern<br />

der erneuerten Schützengesellschaft vgl. StadtA RV, Bü 2404a.<br />

14<br />

Vgl. RPr. v. 4.10. 1829. StadtA RV.


Unterstützung Johann Georgs offenbar zunächst im Komplex dieser Papiermühle eine<br />

zunächst kleine Flachs- bzw. Florettseidenspinnerei ein 15 . Die erforderlichen Maschinen hatte<br />

der Franzose Lavergne konstruiert, der auch die Funktion eines technischen Ratgebers für den<br />

jungen Betrieb wahrnahm. Mit den Gebrüdern Spohn waren, wie oftmals in der Frühphase der<br />

Industrialisierung, Angehörige eines Handelshauses technisch innovativ geworden, hatten<br />

Unternehmungsgeist gezeigt und den Sprung <strong>zum</strong> Industriebetrieb gewagt. Wie die meisten<br />

Ravensburger Fabrikanten der Frühindustrialisierung entstammten sie den Jahrgängen der<br />

Umbruchszeit um 1800. Eine wichtige Voraussetzung für ihren Einstieg in das<br />

Unternehmertum war die Lockerung der zünftischen Beschränkungen durch die<br />

württembergische Gewerbeordnung von 1828. Christian Paul Spohn bat 1835 um eine<br />

staatliche Unterstützung von 6.000 fl. zur Erweiterung seiner Florettseidenspinnerei. Mit<br />

seinen hochfliegenden Plänen, die Spinnerei räumlich beträchtlich auszudehnen und in<br />

Weingarten in der Nähe des 1803 säkularisierten Klosters einen Zweigbetrieb mit mehreren<br />

Wasserrädern zu errichten, scheiterte er jedoch. Die Pläne zerschlugen sich nicht zuletzt<br />

aufgrund der ablehnenden Haltung des Altdorfer Kameralamtes, ihm das gewünschte<br />

Grundstück zu verkaufen, und der Staat gewährte ihm unter drückenden Auflagen lediglich<br />

ein Darlehen in [der] Höhe von 4.000 fl. 16 1836 aber konnte Christian Paul Spohn anstelle der<br />

Firma „Gosner und Co.“ in einen von dieser Firma sieben Jahre zuvor mit der Stadt auf 15<br />

Jahre abgeschlossenen Pachtvertrag eintreten und die Spinnerei mit Hilfe seines Bruders und<br />

der erhaltenen staatlichen Unterstützung in das geräumigere, durch die Wasserkraft des<br />

vorbeifließenden Stadtbachs begünstigte Lederhaus, einen im 16. Jahrhundert errichteten<br />

Renaissancebau, verlegen 17 . Auf der Stuttgarter Kunst- und Industrieausstellung von 1836<br />

erhielt Christian Paul Spohn für seine präsentierten Produkte der Flachs- und Seidenspinnerei<br />

eine Belobigung 18 und 1839 wurde das gewährte staatliche Darlehen um weitere vier Jahre<br />

verlängert 19 . Erst einige Jahre nach seiner Betriebsgründung und schon 36 Jahre alt heiratete<br />

er 1839 Katharina Gradmann (1811-1891) 20 , eine Tochter des einflussreichen Ravensburger<br />

15 Vgl. rückblickend RPr. v. 4.5. 1835. StadtA RV.<br />

Florettseide = aus Seidenabfällen, schadhaften Kokons und Flockseide hergestelltes Seidengarn.<br />

16 Vgl. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg im 19. Jahrhundert (1810-1895),<br />

Staatsexamensarbeit Tübingen 1978, S. 58; Werner Heinz, Altdorf-Weingarten 1805-1945, Bergatreute 1990, S.<br />

43f.<br />

17 Vgl. RPr. v. 1.8. 1836. StadtA RV.<br />

Für die Abtretung der Räumlichkeiten im Lederhaus hatte Christian Paul Spohn offenbar 1000 fl. an die Firma<br />

„Gosner und Co.“ bezahlt; vgl. Brief von Johann Georg Spohn an den Esslinger Textilfabrikanten Johannes<br />

Merkel v. 10.3. 1847. Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg Stuttgart-Hohenheim, B 44, Bü 38.<br />

18 Vgl. Herbert R. Schwankl, Das württembergische Ausstellungswesen. Zur Entwicklung der allgemeinen<br />

Gewerbe- und Industrieausstellungen im 19. Jahrhundert, St. Katharinen 1988, S. 89, 122.<br />

19 Vgl. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg, S. 58.<br />

20 Der Bräutigam brachte Heiratsgut im Wert von 4000 fl., die Braut im Wert von 1000 fl. in die Ehe ein; vgl.<br />

StadtA RV, Bü 2606a.


Kaufmanns Ulrich Christoph Gradmann (1781-1859) 21 . Der Stadtrat konzedierte Christian<br />

Paul Spohn 1844 die pachtweise Überlassung des Lederhauses um weitere 15 Jahre gegen<br />

eine jährliche Bezahlung von 50 fl. 22 . Seit 1845 wohnte er mit seiner Familie auch im oberen<br />

Stockwerk dieses zentral in der Stadtmitte gelegene Gebäudes 23 .<br />

In der ersten Zeit hatte Christian Paul Spohn viel experimentiert. 1839 etwa stellte er vor<br />

allem Decken her, 1841 Garn für Posamenten, Strümpfe und Teppiche. Gleichzeitig erwies<br />

sich jedoch seine dünne Kapitaldecke zunehmend als Problem, die Rückzahlung des<br />

unverzinslichen Staatsdarlehens war 1844 fällig; die Weberei stellte er einstweilen ein.<br />

Anstelle von Wilhelm Knapp, mit dem sich Spohn nicht verstanden hatte, trat 1839 der aus<br />

Saulgau stammende frühere Apotheker Wirth auf drei Jahre als Mitgesellschafter in den<br />

Betrieb ein. Immer wieder wurde auch die problematisch schwankende Wasserkraft als eine<br />

Ursache für die „Hemmung des Geschäfts“ genannt; infolge dessen könnten „nie alle<br />

Maschinen und oft nur die Hälfte“ betrieben werden, hieß es <strong>zum</strong> Beispiel 1841 24 .<br />

In jenen schwierigen Jahren konnte sich Christian Paul Spohn nur dank familiärer Solidarität,<br />

konkret durch die finanzielle Unterstützung seines Bruders und des Ravensburger Kaufmanns<br />

Lorenz Möhrlin, des Ehemanns seiner Nichte Helene Elisabeth, mit seinem Betrieb über<br />

Wasser halten 25 . 1842 konzentrierte er sich auf die Herstellung von Bettbezügen und<br />

Teppichen, für die vor allem auch Spinnereiabfälle Verwendung fanden, sowie auf die<br />

Feinspinnerei 26 . Zwei Jahre später wiederum verlegte er sich statt der Seidenspinnerei und<br />

Teppichweberei auf das Zwirnen von Baumwolle zu Strickgarn und das Zwirnen von Garn<br />

aus Abwerg 27 , das vor allem zur Herstellung von Kornsäcken Verwendung fand [Wiederh.<br />

...das man vor allem zur Herstellung von Kornsäcken benutzte] 28 . 1845 gab er die<br />

Florettseidenspinnerei ganz auf. Immer besser lief nun die Abwergspinnerei im Lohn für die<br />

oberschwäbischen Bauern. Sein älterer Bruder Johann Georg, der bereits 1839 über den<br />

schlechten Gang seiner Papierproduktion und die ständig steigenden Qualitätsanforderungen<br />

der Kundschaft geklagt und die Schuld daran vor allem auch in der Konkurrenz durch die<br />

21 Vgl. Aus dem Leben eines oberschwäbischen Kaufmanns. Das Tagebuch des Ulrich Christoph Gradmann von<br />

Ravensburg aus den Jahren 1796-1845, bearb. von Peter Eitel, Stuttgart 1982, S. 131.<br />

22 Vgl. RPr. v. 3.6. 1844. StadtA RV.<br />

23 Vgl. Briefe von Johann Georg Spohn an Johannes Merkel v. 18.3. 1845 u. 15.6. 1845. Wirtschaftsarchiv<br />

Baden-Württemberg, B 44, Bü 34.<br />

24<br />

Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, B 44, Bü 32.<br />

25<br />

Vgl. Brief von Johann Georg Spohn an Johannes Merkel v. 21.5. 1842. Wirtschaftsarchiv Baden-<br />

Württemberg, B 44, Bü 33.<br />

26<br />

Vgl. Brief von Christian Paul Spohn an Johannes Merkel v. 21.5. 1842. Wirtschaftsarchiv Baden-<br />

Württemberg, B 44, Bü 33.<br />

27<br />

Abwerg = Abfall, der beim Hecheln von Flachs oder Hanf entsteht und zur Herstellung grober Gewebe noch<br />

brauchbar ist.<br />

28 Vgl. Brief von Johann Georg Spohn an Johannes Merkel v. 11.12. 1844. Wirtschaftsarchiv Baden-<br />

Württemberg, B 44, Bü 33.


aufkommenden Maschinenpapierfabriken gesehen hatte, verkaufte nach dem Tod seiner<br />

Mutter 1843, die einen solchen Schritt zu Lebzeiten nicht gestattet hatte, das Spezereigeschäft<br />

„Spohn und Sohn“ an den Kaufmann Karl Heberle, um sich voll auf die Papierherstellung<br />

konzentrieren zu können; im Jahr darauf lief der Absatz denn auch wieder recht gut. Um zu<br />

erkunden, ob die Abwergspinnerei seines Bruders in großem Stil gewinnbringend betrieben<br />

werden könnte, ließ Johann Georg 1846 mehrere Vorspinnmaschinen in seiner Papiermühle<br />

aufstellen, während die übrigen Spinnmaschinen weiter im Lederhaus verblieben. Drei neue<br />

Spinnmaschinen sollten beim Ravensburger Schlosser Anton Erb, der vor allem für die<br />

Baumwollweberei und Weißstickerei „Zwerger & Deffner“ tätig war, bestellt werden. Im<br />

April 1846 war Christian Paul Spohn im Lederhaus an der Grenze seiner Kapazitäten<br />

angelangt; es wurde nun mehr Abwerg <strong>zum</strong> Verspinnen angeliefert, als im bestehenden<br />

Betrieb verarbeitet werden konnte. Wegen des wieder zurückgehenden Absatzes und der für<br />

eine Vergrößerung seines Werkes zu schlechten Aussichten entschloss sich der noch recht<br />

kapitalstarke Johann Georg Spohn 1847, die Papierherstellung aufzugeben, sich statt dessen<br />

mit seinem jüngeren Bruder zusammenzutun und im „Oberen Hammer“ eine neue große<br />

Abwergspinnerei einzurichten. Hier konnte man geschickt, vorhandene Gebäude und<br />

Wasserkraft nutzen, auch standen die nötigen Erweiterungsflächen zur Verfügung. Dazuhin<br />

[Darüber hinaus] leistete – wie aus dem erhaltenen Briefwechsel hervorgeht - der befreundete,<br />

aus Ravensburg stammende Esslinger Textilunternehmer Johannes Merkel 29 bedeutsame<br />

Starthilfe; er überließ eine Probemaschine und sandte auf Wunsch der Gebrüder Spohn als<br />

technischen Fachmann den Obermeister seines Esslinger Betriebs, Wilhelm Demmler, der<br />

sich schließlich für kurze Zeit (1848) mit ihnen assoziierte. Dank der Beziehungen Merkels<br />

konnten moderne Maschinen unter anderem im belgischen Gent und im elsässischen<br />

Mühlhausen erworben werden. Der renommierte Schweizer Ingenieur, Erfinder<br />

(Tangentialrad, Turbine für mittlere und große Fallhöhen) und Wasserkraftspezialist Walter<br />

Zuppinger, Abteilungsdirektor und schließlich Mitglied der Geschäftsleitung der Firma<br />

Escher Wyss und Cie. in Zürich, leistete den Gebrüdern Spohn vor Ort wichtige<br />

Beraterdienste in Bezug auf die Nutzung der Wasserkraft, die Kraftübertragung und den<br />

Einbau eines geeigneten Wasserrades 30 . 1849 ging die neue Abwergspinnerei voll in Betrieb.<br />

29 Johannes Merkel (1798-1879), der unter anderem 1827 den Ravensburger Liederkranz ins Leben gerufen<br />

hatte, begründete 1830 in Esslingen zusammen mit Conrad Wolf und Ludwig Kienlin die Firma Merkel & Wolf,<br />

eine Kammgarnspinnerei, Zwirnerei und ab 1836, Färberei. Ab 1836 nahm der Betrieb, in dem Merkel die<br />

kaufmännische Leitung innehatte, einen raschen Aufschwung; 1845 waren hier bereits rund 150 Arbeiter<br />

beschäftigt und es wurden 1600 Feinspindeln gezählt.<br />

Vgl. hierzu: Gert von Klass, Die Wollspindel. Ein schwäbisches Familienporträt, Tübingen 1955.<br />

30 Schreiben Johann Georg Spohns und Christian Paul Spohns an Johannes Merkel v. 30.3. 1847 bzw. 13.6.<br />

1847. Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, B 44, Bü 38. Zu Zuppinger: Max Preger, Walter Zuppinger –


Als Johann Georg 1853 offiziell als Teilhaber in diesen Betrieb eintrat, wurde der<br />

Firmennamen in „Spohn´sche mechanische Abwergspinnerei“ geändert. Aber auch in der<br />

Folgezeit pachtete die Familie Räumlichkeiten im Lederhaus für ihre Zwecke 31 , bis die Stadt<br />

1876 Eigenbedarf geltend machte 32 . Mit Geschick und Zielstrebigkeit bauten sie in der<br />

Folgezeit „eine Flachsverarbeitung für die Erzeugerschaft des gesamten Landes zwischen<br />

Bodensee und Schwäbischer Alb auf, die sich auf Jahrzehnte als eine krisenfeste<br />

Wirtschaftsform erweisen sollte“ 33 . 1854 wurde in der Fabrik der erste Dampfkessel<br />

aufgestellt 34 , 1856 zur Vermehrung der Wasserkraft die oberhalb gelegene Keppler´sche<br />

Mühle erworben 35 , 1862 zwei weitere Dampfkessel in Betrieb genommen und schließlich ein<br />

40 Meter hoher freistehender Fabrikschlot errichtet 36 , 1864/65 die Fabrik unter anderem durch<br />

Anbauten und Aufstockung bestehender Gebäude und ein neues Dampfkesselhaus baulich<br />

erweitert 37 . [Absatz] Dass sowohl Johann Georg – in den 1850er Jahren 38 - wie sein jüngerer<br />

Bruder Christian Paul Spohn – in den 1860er und beginnenden 1870er Jahren 39 - über einen<br />

längeren Zeitraum hinweg Gemeinderatsmitglieder waren, zeigt die Wertschätzung, die sie<br />

bei ihren Mitbürgern genossen; zudem war ein solches Mandat auch zur Wahrung der eigenen<br />

Interessen von einiger Bedeutung, war man doch <strong>zum</strong> Beispiel bei Erweiterungen oder<br />

Umbauten der Fabrikgebäude auf das Wohlwollen des baupolizeilich dafür zuständigen<br />

Stadtrats angewiesen. Doch noch traten Angehörige der Familie Spohn nicht als größere<br />

Mäzene in Erscheinung. [Doch noch nicht traten...] Beim großen neugotischen Umbau der<br />

Evangelischen Kirche (1858-62), einer im Kern aus dem Spätmittelalter stammenden<br />

Bettelordenskirche, und der Anschaffung der neuen repräsentativen Glasfenster waren unter<br />

den generösen Stiftern wohl Angehörige der wohlhabenden evangelischen<br />

Kaufmannsfamilien Gradmann, Möhrlin, Dorn, Hoffmann und Kutter zu finden, noch nicht<br />

Ingenieur und Erfinder und sein Beitrag zur Industrialisierung Oberschwabens, in: Schriften des Vereins für<br />

Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 96 (1978), S. 153-185.<br />

31<br />

1859 wurde der Pachtvertrag für weitere zwölf Jahre erneuert; die jährliche Pachtsumme betrug 100 fl.; vgl.<br />

RPr. v. 4.4. 1859. StadtA RV. 1869 erfolgte eine weitere Verlängerung der Pacht um 10 Jahre; das jährliche<br />

Pachtgeld betrug nun 400 fl. Die Gebrüder Spohn verpflichteten sich, „die fragl. Localitäten im Lederhaus, wenn<br />

die Stadt solche zu allgemeinen öffentl. oder sonst nach Ihrem Ermessen zu städtischen Zwecken vor Ablauf v.<br />

10 Jahren verwenden wollte, in diesem Fall nach zuvor geschehener ¼ jähriger Aufkündigung an die Stadt<br />

abzutretten, ohne irgendwo einen Anspruch auf Entschädigung zu machen“; RPr. v. 18.5. 1869, S. 139. StadtA<br />

RV.<br />

32<br />

Vgl. RPr. v. 22.5. 1876. StadtA RV.<br />

33<br />

75 Jahre Gebrüder Spohn, in: Unsere Heimat in Bildern v. 30.9. 1922 (Exemplar in StadtA RV).<br />

34<br />

Vgl. RPr. v. 11.4. 1854. StadtA RV.<br />

35<br />

Vgl. RPr. v. 18.2. 1856. StadtA RV.<br />

36<br />

Vgl. RPr. v. 15.9. 1862; 15.10. 1862. StadtA RV.<br />

37<br />

Vgl. RPr. v. 21.3. 1864; 5.4. 1864; 5.9. 1864; 5.7. 1865. StadtA RV.<br />

38<br />

Vgl. RPr. v. 16.12. 1853; 12.2. 1857; 12.4. 1858; 4.7. 1859. StadtA RV. Zuvor war er in den 1840er Jahren<br />

über einen längeren Zeitraum Mitglied des Bürgerausschusses; vgl. RPr. v. 17.7. 1843. StadtA RV.<br />

39<br />

Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger v. 8.12. 1867; RPr. v. 17.2. 1868; 18.1. 1869; 26.9. 1870. StadtA RV.


jedoch die Spohn 40 . Doch [erneute Wiederh.: Aber] das sollte sich zwei Jahrzehnte später<br />

ändern.<br />

2.) Der Höhepunkt der Familiengeschichte: Julius Spohn (1841-1919)<br />

Julius Spohn 41 , der 1841 in Ravensburg geborene älteste Sohn von Christian Paul, trat nach<br />

dem Besuch der örtlichen Realschule (bis 1855) 42 , der kaufmännischen Lehre im<br />

nordostwürttembergischen Ellwangen und einem Auslandsaufenthalt in Paris 1861 in das<br />

väterliche Unternehmen ein, nachdem sein kinderlos gebliebener Onkel Johann Georg<br />

gestorben war. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Georg hingegen besuchte das Polytechnikum<br />

in Stuttgart und absolvierte dann einen mehrjährigen Aufenthalt in Leeds, einer der<br />

Hochburgen der weit fortgeschrittenen englischen Textilindustrie, vor allem um sich einen<br />

persönlichen Eindruck von den dortigen Maschinen zu verschaffen und seine technischen<br />

Kenntnisse zu verbessern. Auch Julius Spohn sollte später mehrfach nach Leeds reisen, um<br />

neuartige, moderne Spinnmaschinen zu erwerben. Sein jugendlicher Elan, besonders aber die<br />

hervorragende Konjunktur für Leinenwaren sorgten dafür, dass der Betrieb mächtig<br />

expandierte; die Zahl der in der Fabrik eingesetzten Spindeln wurde 1864 von 648 auf 2.000<br />

erhöht 43 . Als ihr Vater [,Christian Paul] sich 1866 zur Ruhe setzte, übernahmen die Söhne<br />

Julius und Georg - gut vorbereitet - gemeinsam die Geschäftsführung. Der Betrieb wurde<br />

ausgebaut, 1868 um eine neue Weberei mit zunächst 80 mechanischen Webstühlen 44 und um<br />

[etwa] 1870 sogar um ein eigenes kleines Gaswerk 45 erweitert. Hatte der Betrieb 1862 erst 27<br />

Beschäftigte gezählt 46 , so waren es 1868 bereits 210 Arbeiterinnen und Arbeiter 47 . Der<br />

Gewerbesteueransatz stieg von 54 fl., 24 x. im Jahre 1863 auf 104 fl. im Jahre 1867, 249 fl.<br />

im Jahre 1869 und schließlich stolze 705 fl. im Jahre 1872 an 48 . Julius und Georg Spohn<br />

heirateten Frauen von außerhalb der Stadt. Während Julius Spohn 1868 mit der aus Biberach<br />

40 Vgl. StadtA RV, B 2/434.<br />

41 Zu Julius Spohn bislang: Georg Spohn, Spohn, Julius, Geheimer Kommerzienrat Julius Spohn. Inhaber der<br />

Firma Gebrüder Spohn in Ravensburg, Blaubeuren und Neckarsulm, in: Württembergischer Nekrolog für 1918<br />

und 1919 (1922), S. 135-140. Julius Spohn – ein Leben zwischen Jute und Zement, in: Baden-Württemberg<br />

11(1955), S. 33-35; demnächst: Alfred Lutz, Spohn, Julius, in: Württembergische Biographien.<br />

42 Vgl. StadtA RV, SpG, Bd. 27.<br />

43 Vgl. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg im 19. Jahrhundert, S. 78.<br />

44 Vgl. RPr. v. 20.7. 1868. StadtA RV; das neue einstöckige Webereigebäude war 113 Fuß lang, 99 Fuß breit und<br />

24 Fuß hoch. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg im 19. Jahrehundert, S. 78.<br />

45 Vgl. RPr. v. 23.10. 1871. StadtA RV.<br />

46 Vgl. Staatsarchiv Ludwigsburg, E 179II, Bü 2048, Bl. 33ff.<br />

47 Vgl. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg im 19. Jahrhundert, S. 78.<br />

48 Vgl. Gewerbesteuerkataster in StadtA RV.


an der Riß stammenden Apothekerstochter Luise Heiß (1845-1900) 49 den Bund fürs Leben<br />

schloss, ehelichte der jüngere Georg Spohn 1870 die katholische Auguste Wezler (1845-<br />

1882), Tochter des wohlhabenden Gutsbesitzers Plazidus Wezler aus Nonnenhorn am<br />

Bodensee; sie brachte eine stattliche Mitgift im Wert von mehr als 22.000 fl. mit in die Ehe 50 .<br />

Durchaus dem Familienkalkül entsprach es, dass die beiden Schwestern den erreichten<br />

sozialen Status durch Ehen mit höheren Militärs zu manifestieren suchten; Maria Wilhelmine<br />

Spohn (1840-1919) heiratete in zweiter Ehe 51 den Oberstleutnant Gustav von Plieninger in<br />

Stuttgart, Elisabeth (1848-1935) 1872 den Major Theodor von Tafel 52 . 1873 gründeten die<br />

Gebrüder Spohn in dem drei Kilometer südöstlich von Ravensburg gelegenen, von den Erben<br />

des Plazidus Wezler zwei Jahre zuvor erworbenen Hofgut Ittenbeuren eine eigene Bleiche für<br />

ihre Leinenprodukte; zuvor ließen sie ihre Gewebe offenbar in der nahegelegenen<br />

„Königlichen Bleicherei, Sengerei und Appreturanstalt Weißenau“ veredeln.<br />

Bestrebt, eigene Baustoffe für die ständigen Betriebserweiterungen zu produzieren und mit<br />

dem ihm eigenen [besser: seinem] Gespür für kommende zukunftsweisende wirtschaftliche<br />

Entwicklungen gründete Julius Spohn 1871 zusammen mit seinem Bruder Georg und dem<br />

Gastwirt Albert Ruthard in Blaubeuren, in der Gegend also, aus der seine Vorfahren<br />

stammten, eine Zementfabrik 53 ; reichlich Rohstoffe (weißer Jura) waren dort vorhanden. Für<br />

die Gebrüder Spohn war auf diesem Gebiet jedoch eine lange Durststrecke zu überwinden, es<br />

gab Probleme mit der Zementqualität und der Blaubeurer Teilhaber Ruthard verließ [hier:<br />

1875] frustriert 1875 das gemeinsamen Unternehmen. Erst ab 1887, mit der Einführung des<br />

Portlandzements, warf der Betrieb Gewinne ab und musste bis dahin mit den aus der<br />

Ravensburger Spinnerei erwirtschafteten Überschüssen über Wasser gehalten werden: danach<br />

war es umgekehrt und die Ausdauer hatte sich ausgezahlt. Um 1900 zählte die <strong>zum</strong><br />

Großbetrieb herangewachsene Zementfirma Spohn rund 450 Beschäftigte und produzierte<br />

jährlich etwa 160.000 Tonnen Zement 54 . Angesichts des sich ständig verschärfenden<br />

Konkurrenzkampfes mit gegenseitigem, [...durch gegenseitiges...] mitunter ruinösem<br />

Unterbieten der Preise schloss Julius Spohn den Blaubeurer Betrieb 1903, „im günstigsten<br />

49 Sie verfügte über eine Mitgift in Höhe von 7000 fl., während Julius Spohn Bargeld und<br />

Einrichtungsgegenstände im Gesamtwert von 10 000 fl. in die Ehe einbrachte; vgl. StadtA RV, Bü 2765 A/466.<br />

50 Vgl. StadtA RV, Bü 2785 B/2404; RPr. v. 19.9. 1870.<br />

51 Ihre erste Ehe, geschlossen 1860 mit W.F. Breisch aus Stuttgart, Revisor bei der königlichen Postdirektion,<br />

wurde geschieden; vgl. StadtA RV, Bü 2314a.<br />

52 Vgl. Stammbaum der Familie Spohn in StadtA RV.<br />

53 Vgl. Helmuth Albrecht, Kalk und Zement in Württemberg. Industriegeschichte am Südrand der Schwäbischen<br />

Alb (Schriften des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim 4), Ubstadt-Weiher 1991, S. 142f.<br />

54 Vgl. ebd., S. 149.


Moment“ 55 , dem süddeutschen Portland-Zementverband in Heidelberg an, wobei er innerhalb<br />

dieses Unternehmens eine besondere Aktiengesellschaft mit seinem ältesten Sohn Dr. Georg<br />

Spohn als technischem Leiter bildete (Julius Spohn Aufsichtsratsmitglied).<br />

Seit den 1870er Jahren begann sich Julius Spohn in den kommunalen Gremien und im<br />

sonstigen öffentlichen Leben Ravensburgs zu engagieren und eine aktive Rolle zu spielen. So<br />

war er - allerdings nur recht kurz – von 1877 bis 1883 Gemeinderat 56 und von 1879 bis 1884<br />

Mitglied der Vollversammlung der Handels- und Gewerbekammer Ravensburg 57 . Bereits<br />

1868 war er von der Feuerwehr <strong>zum</strong> stellvertretenden Kommandanten des „Steigerkorps“<br />

gewählt 58 und im Jahr darauf vom Gemeinderat mit der Verwaltung der Feuerwehrrequisiten<br />

beauftragt worden 59 . Julius Spohn unterstützte die traditionsreiche Schützengesellschaft 1879<br />

bei der Herstellung einer neuen Schießstätte auf der Veitsburg 60 , war 1870/71<br />

stellvertretender Vorstand und 1874-1876 Ausschussmitglied des „Museums“, des<br />

bedeutendsten bildungsbürgerlichen Honoratiorenvereins der Stadt 61 ; er war großzügiges<br />

Mitglied im Kunst- und Altertumsverein 62 sowie im 1887 begründeten, um Verbesserungen<br />

im Stadtbild bemühten Verschönerungsverein 63 . 1888 gehörte er dem Komitee zur Errichtung<br />

eines Denkmals für den verstorbenen Kaiser Wilhelm I. an und war mit 500 Mark der weitaus<br />

größte Einzelspender 64 – was beides als Zeichen für die Akzeptanz des kleindeutschen,<br />

preußisch dominierten Kaiserreichs zu werten ist.<br />

Im Jahre 1886 erlag Georg Spohn erst 43-jährig einem unheilbaren Leiden, auch die<br />

Behandlung in einer Münchner Privatklinik und ein Kuraufenthalt in Meran hatten ihn nicht<br />

retten können 65 . [einfacher: konnten ihn nicht retten.] Seine Frau Auguste war bereits drei<br />

Jahre zuvor, erst 37-jährig, gestorben. Einem Versprechen gemäß nahm Julius Spohn die nun<br />

zu Vollwaisen gewordenen acht Kinder seines Bruders zu den sieben eigenen in seiner Villa<br />

auf. Auf ihm lastete nun die alleinige Verantwortung für die Fabriken. Der Sohn des mit der<br />

55 So der württembergische Innenminister Johann von Pischek 1911 in einem Schreiben an den Königlichen<br />

Kabinettschef und Staatsminister a.D. von Soden. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im folgenden abgekürzt HStAS),<br />

E 14, Bü 436, Nr. 12.<br />

56 Vgl. die jeweiligen Ratsprotokolle der Jahre 1877 bis 1883 im StadtA RV.<br />

57 Vgl. 100 Jahre Oberschwäbische Industrie- und Handelskammer Ravensburg, hrsg. von der Oberschwäbischen<br />

Industrie- und Handelskammer Ravensburg, Ravensburg 1967, S. 189.<br />

58 Vgl. RPr. v. 30.3. 1868. StadtA RV.<br />

59 Vgl. RPr. v. 30.11. 1869. StadtA RV.<br />

60 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 25.6. 1910 (Sonderausgabe „Festgruß an die<br />

Schützen“).<br />

61 Vgl. StadtA RV, X 152.<br />

62 Vgl. StadtA RV, X 155.<br />

63 Vgl. StadtA RV, X 453.<br />

64 Vgl. StadtA RV, X 130; A I 1576; Das nach Plänen von Friedrich von Thiersch (Sockel) und Joseph von Kopf<br />

(Büste) ausgeführte Denkmal wurde 1890 eingeweiht und kostete rund 7500 Mark.<br />

65 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 30.4. 1886.


Familie befreundeten Esslinger Textilfabrikanten Johannes Merkel, der spätere Geheime<br />

Kommerzienrat Oskar Merkel (1836-1912), wurde ihm seit jener Zeit ein wichtiger<br />

Gesprächspartner und Ratgeber 66 . Im selben Jahr 1886 noch begann Julius Spohn die<br />

Flachsverarbeitung in Ravensburg aufgrund des mittlerweile schlechten Ertrags – der Anbau<br />

von Flachs und Hanf hatte in Oberschwaben wie in anderen deutschen Regionen<br />

nachgelassen, die Konkurrenz der Baumwolle sich immer deutlicher bemerkbar gemacht -<br />

zugunsten der Produktion von Säcken und Planen für Eisenbahnwaggons aus indischer<br />

Rohjute umzustellen. Die Zahl der Beschäftigten, die 1876 noch 362 betragen hatte, durch<br />

Entlassungen bis 1878 auf 260 reduziert worden war, wurde bis 1889 wieder auf 300 erhöht 67 .<br />

Das Steuerkapital der Spohn´schen Betriebe in Ravensburg betrug 1877 63.032 Mark, sank<br />

1880 auf 45.405 Mark und 1883 auf 42.680 Mark ab, erhöhte sich aber dank der Umstellung<br />

auf Juteverarbeitung 1888 bis 1898 wieder auf jährlich 46.165 Mark 68 . Die Spohn´schen<br />

Sozialleistungen vor der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung (1884) waren<br />

beachtlich und umfassten eine Fabrikkrankenkasse, eine Sparkasse, einen Pensionsfonds und<br />

schließlich sechs Arbeiterwohnhäuser mit insgesamt 30 Wohnungen 69 . Damit wurde auch<br />

beabsichtigt, einen festen Arbeiterstamm an das Unternehmen zu binden. Schließlich erwies<br />

sich aber auch in der Juteverarbeitung die ungünstige Verkehrslage Ravensburgs, fernab von<br />

den Nordseehäfen, als immer hinderlicher. Die hohen Transportkosten bei zugleich relativ<br />

niedrigen Jutepreisen und auch der zu begrenzte lokale Absatzmarkt bedeuteten erhebliche<br />

Wettbewerbsnachteile und machten eine wirtschaftlich rentable Produktion schließlich mehr<br />

und mehr unmöglich. Obwohl noch 1896 als Krönung zahlreicher vorangegangener<br />

Erweiterungen ein 83 Meter langes neues Spinnerei- und Magazingebäude in Scheddachform<br />

nach den Plänen des technischen Direktors der Firma, Robert Schierholz, errichtet worden<br />

war 70 , zog Julius Spohn schließlich die Konsequenzen aus dieser Entwicklung. 1900 legte er<br />

die Ravensburger Jutespinnerei und Weberei still. Für die Stadt war dies ein schwerer Schlag,<br />

denn rund 280 Arbeitsplätze (mittelbar waren sogar rund 700 Köpfe betroffen) 71 und der –<br />

nach der Maschinenfabrik Escher-Wyss - zweitwichtigste Gewerbesteuerzahler gingen<br />

dadurch verloren. Die Bekanntgabe der Kündigung und Betriebseinstellung wurde „von<br />

vielen Betroffenen unter lautem Weinen entgegengenommen“ 72 , berichtete der örtliche<br />

66 Vgl. Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, B 44, Bü 66, 67, 68, 69, 70.<br />

67 Vgl. Andreas Gestrich, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg im 19. Jahrhundert, S. 160; Anm. 187a.<br />

68 Vgl. die betr. Gewerbesteuerkataster im StadtA RV.<br />

69 Vgl. Friedrich Lochmaier, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg 1890-1914, phil. Dipl. Mannheim<br />

(Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte) 1987, S. 49f.<br />

70 Vgl. Bauakte Holbeinstr. 38. StadtA RV.<br />

71 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 17.12. 1900.<br />

72 Ebd.


Oberschwäbische Anzeiger. Auch die 1889 von Louis Wiedenmann übernommene Ziegelei in<br />

Ravensburg (1895: 80 Arbeiter und Arbeiterinnen) 73 wurde 1901 angesichts unzureichender<br />

Rohstoffe stillgelegt. Nach längerer Standortsuche entschied sich Julius Spohn 1903 dazu, im<br />

verkehrsgünstiger gelegenen Neckarsulm eine neue Jutespinnerei mit Weberei zu errichten;<br />

Hinweise auf den geplanten Bau des Neckarkanals und offenbar auch das Entgegenkommen<br />

der Stadt Neckarsulm beim Verkauf des benötigten Industriegeländes hatten den Ausschlag<br />

gegeben 74 . Der Betrieb, der 1907 eröffnet werden konnte 75 , wies neben einer Wohnsiedlung<br />

für 125 Familien – die Facharbeiter waren zu einem großen Teil aus Böhmen, Galizien und<br />

Italien angeworben worden - auch zahlreiche Sozialeinrichtungen wie Mädchenheim,<br />

Kinderhort, Kantine, Konsumladen und Kleingärten auf; 1911 zählte der Betrieb rund 350<br />

Beschäftigte. 1906 siedelte Julius Spohn selbst nach Neckarsulm über 76 , blieb aber doch mit<br />

seiner Heimatstadt Ravensburg eng verbunden. Im Ersten Weltkrieg führte der mittlerweile<br />

73-jährige den Betrieb 77 zunächst allein weiter, da sein Sohn Richard <strong>zum</strong> Kriegsdienst<br />

eingezogen worden war. Bald kam es jedoch durch die Unterbrechung der Juteeinfuhr zu<br />

Produktionsstockungen. 1917 verpachtete er den Neckarsulmer Betrieb an die mit ihm<br />

befreundete Jutespinnweberfamilie Winckler aus dem elsässischen Bischweiler, die unter dem<br />

Namen „Württembergische Papierspinnerei und Weberei G.m.b.H.“ Papier, Hanf, Flachswerg<br />

und Textilit verarbeitete 78 . Julius Spohn kehrte, desillusioniert vom Krieg 79 , wieder in seine<br />

Ravensburger Villa zurück; dort starb er 78-jährig am 16. Oktober 1919 an einem<br />

Erstickungsanfall 80 . Über die bewegenden Beisetzungsfeierlichkeiten berichtete die<br />

Oberschwäbische Volkszeitung am 20. Oktober 1919: „Ein imposanter Leichenzug, wie ihn<br />

unsere Stadt wohl selten gesehen hat, bewegte sich vorgestern Nachmittag 3 Uhr von der<br />

Villa Spohn nach dem Leichenhaus. Galt es doch dem großen Wohltäter und Ehrenbürger<br />

unserer Stadt, dem Geh. Kommerzienrat Spohn die letzte Ehre zu erweisen. Die Lehrer und<br />

73 Vgl. Friedrich Lochmaier, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg 1890-1914, S. 92.<br />

Die Ziegelei lag an der Straße nach Weißenau.<br />

74 Vgl. Hans Kohde, Abriss der Geschichte einer schwäbischen Unternehmer-Familie, S. 49; Willi A. Boelcke,<br />

Von der Weinstadt zur Industriestadt, in: Neckarsulm. Die Geschichte einer Stadt, hrsg. von der Stadt<br />

Neckarsulm, Stuttgart 1992, S. 270f.<br />

75 Georg Spohn, Geheimer Kommerzienrat Julius Spohn, S. 4.<br />

76 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 31.3. 1906.<br />

77 Der Wert der Neckarsulmer Fabrik einschließlich aller dazugehöriger Gebäude (v.a. der Arbeiterwohnungen)<br />

wurde im Testament Julius Spohns 1912 mit 1 930 109 Mark angegeben; vgl. StadtA RV, A I 1324.<br />

78 Vgl. Hans Kohde, Abriss der Geschichte einer schwäbischen Unternehmer-Familie, S. 53.<br />

79 So führte er in einem Dankschreiben an den Ravensburger Stadtrat, der ihm <strong>zum</strong> 75. Geburtstag gratuliert<br />

hatte, am 3. August 1916 unter anderem aus: „Wie viel Leid ist in den 2 letzten Jahren über uns hereingebrochen<br />

u. was wird der namentlich in letzter Zeit fürchterlich wütende Krieg uns noch Kummer u. Sorgen bringen. Die<br />

Menschen kommen nicht zur Vernunft - Jeder schiebt die Schuld auf den Anderen, so gibt es freilich keine<br />

Ruhe. Wenn man so etwas in den letzten Jährlein, die von Gott vergönnt sind, erleben muß, so kann man gewiß<br />

nicht von einer verdienten Ruhe reden!“; vgl. StadtA RV, A I 129.<br />

80 Vgl. Oberschwäbische Volkszeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 17.10. 1919; 20. 10. 1919.


Schüler des Gymnasiums und der Oberrealschule gaben ihrer Dankbarkeit dem so rasch<br />

verschiedenen hohen Gönner gegenüber in vollzähligem Erscheinen Ausdruck und eröffneten<br />

den langen Zug der Leidtragenden. Auch der Liederkranz, die Freiwillige Feuerwehr, der<br />

Veteranen- und Turnverein und das bürgerliche Kollegium schritten in den Reihen der<br />

Trauernden. Wie weit der Ruf seines Namens gedrungen, wieviel dankbare Herzen sich der<br />

Verblichene geschaffen, das zeigte gar deutlich die gewaltige Menschenmenge, die aus Nah<br />

und Fern herbeigeströmt war und nun gesenkten Hauptes mit Wehmut hinter seiner Bahre<br />

schritt...“ 81 .<br />

Julius Spohn vereinigte in sich eine glückliche Mischung von Bodenständigkeit und zugleich<br />

Neuerungsbereitschaft. Das nüchtern-kalkulierende Abwägen von Chancen und der klare<br />

Blick für günstige Gelegenheiten waren bei ihm in glücklicher Weise gepaart mit<br />

unternehmerischer Risikobereitschaft. Sparsam, persönlich bescheiden, autokratisch-streng 82<br />

und sozial-patriarchalisch zugleich seine Betriebe führend, war er eine kraftstrotzende,<br />

zupackende, durchsetzungsfähige, hin und wieder etwas derb und schroff, aber mitunter auch<br />

originell auftretende Persönlichkeit von rastloser Arbeitskraft und unbändigem<br />

Gestaltungswillen, innovativ und zielstrebig, mit einem ausgeprägten Riecher für technische<br />

Neuerungen und gewinnträchtige Produktionsfelder. Wie von vielen anderen Unternehmern<br />

von vergleichbarer Bedeutung sind auch von Spohn keine Tagebücher oder autobiographische<br />

Notizen überliefert; dies ist eine bedauerliche Tatsache, die das Geschäft des Historikers<br />

erschwert. Das 1914 erschienene „Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre<br />

in Württemberg und Hohenzollern“ bezifferte sein Vermögen auf 4 Millionen, sein<br />

Jahreseinkommen auf 280.000 Mark 83 . Das war Platz 69 unter den rund 560<br />

Vermögensmillionären im damaligen Königreich Württemberg.<br />

II.) <strong>Repräsentation</strong><br />

a.) Der Traum vom „Bürgerschloss“ - Die Spohn´sche Villa<br />

81 Vgl. Oberschwäbische Volkszeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 20.10. 1919.<br />

82 So schreckte er hin und wieder auch vor dem Mittel der körperlichen Züchtigung nicht zurück; vgl. einen Fall<br />

aus dem Jahr 1866, dargestellt bei: Dorothee Breucker/Gesa Ingendahl, Blickwinkel. Leben und Arbeit von<br />

Frauen in Ravensburg, Tübingen-Stuttgart 1993, S. 101f.<br />

83 Vgl. Rudolf Martin, Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Württemberg mit<br />

Hohenzollern, Berlin 1914, S. 15f., abgedruckt in: Willi A. Boelcke, Millionäre in Württemberg. Herkunft-<br />

<strong>Aufstieg</strong>-Traditionen, Stuttgart 1997, S. 122f.


Julius Spohn, der zunächst im oberen Teil des bereits von seinem Vater für gewerbliche<br />

Zwecke von der Stadt gepachteten Lederhauses 84 gelebt hatte, konnte es sich nun als erster<br />

der Ravensburger Fabrikanten leisten, der engbebauten Altstadt und ihrem nächsten Umfeld<br />

zu entfliehen und in frischerer Luft, auch in deutlicher Distanz <strong>zum</strong> eigenen Unternehmen und<br />

zur Stadt zu wohnen 85 . Er erwarb 1876 das ausgedehnte so genannte Kuttergut, markant auf<br />

einer Anhöhe weit nördlich vor der alten Stadt gelegen: Eine exquisite Wohnlage mit<br />

schönem Blick über das türmereiche Ravensburg. Hier konnte er baulich das mit seinem<br />

wirtschaftlichen Erfolg gewachsene gesellschaftliche Prestige und bürgerliche<br />

Selbstbewusstsein demonstrieren, durchaus auch mit gewissen Anklängen an aristokratische<br />

Lebensformen. Spohn beauftragte den bekannten Architekten Robert Reinhardt 86 , Professor<br />

für Baugeschichte an der neuen Technischen Hochschule Stuttgart, zunächst damit, einen<br />

Umbauplan für den auf diesem Gelände stehenden einstigen Renaissance- Landsitz der<br />

Ravensburger Patrizierfamilie Kutter („Kutterschlößle“) zu entwerfen. Da ihn die Ergebnisse<br />

aber offenbar nicht zufrieden stellten, gab er schließlich einen Neubau in Auftrag. Mit der<br />

Wahl des Architekten Reinhardt war der Baustil gewissermaßen schon festgelegt: Die<br />

Neorenaissance, die im Villenbau, auch angeregt durch das Werk „Geschichte der<br />

Renaissance in Deutschland“ von Wilhelm Lübke (1872), ihren Siegeszug begonnen hatte 87 .<br />

Reinhardts bekannteste Bauten sind die Alte Reithalle (1887/88) mit ihrer weit gespannten<br />

Dachkonstruktion und eisernen Fachwerkträgern sowie das damals vorbildliche<br />

Marienhospital (1889/90) in Stuttgart, beide mit Veränderungen bis heute erhalten 88 , während<br />

der elegante Fest- und Saalbau „Harmonie“ 89 in Heilbronn und die filigrane, neugotische<br />

Gedächtniskirche 90 in Stuttgart durch Bombenangriffe von 1944 und den Abbruch der Ruinen<br />

in den 50er Jahren verloren gingen. Gut erhalten sind hingegen die in neuromanischem Stil<br />

84<br />

Vgl. Adreß-Buch der Stadtgemeinde Ravensburg, gefertigt von Tobias Albrecht, Ravensburg 1864, S. 83.<br />

85<br />

Vgl. zu diesem Thema allgemein: Barbara Edle von Germersheim, Unternehmervillen der Kaiserzeit (1871-<br />

1914). Zitate traditioneller Architektur durch Träger des industriellen Fortschritts, München 1988.<br />

86<br />

Zu Robert Reinhardt (später Robert von Reinhardt): Zum siebzigsten Geburtstag von Robert von Reinhardt in<br />

Stuttgart, in: Deutsche Bauzeitung, 47. Jg., Nr. 7 v. 22.1. 1913, S. 63; Robert von Reinhardt +, in: Deutsche<br />

Bauzeitung, 48. Jg., Nr. 38 v. 13.5. 1914, S. 371; Hugo Schlösser, v. Reinhardt, Robert, Baudirektor, Professor<br />

an der Technischen Hochschule in Stuttgart (Nachträge <strong>zum</strong> Nekrolog 1914), in: Württembergischer Nekrolog<br />

für das Jahr 1915, hrsg. v. Karl Weller/Viktor Ernst, Stuttgart 1919, S. 242f. Christine Breig, Der Villen- und<br />

Landhausbau in Stuttgart 1830-1930 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart Bd. 84), Stuttgart 2000,<br />

S. 117-120 533. [???]<br />

87<br />

Vgl. Thomas Weichel, Bürgerliche Villenkultur im 19. Jahrhundert, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert, hrsg.<br />

v. Dieter Hein/Andreas Schulz, München 1996, S. 234-251; hier S. 238.<br />

88<br />

Blätter für Architektur und Kunsthandwerk 4 (1891), Heft 7, S. 30 und Tafeln 68, 69 (betr. Marienhospital in<br />

Stuttgart); Architektonische Rundschau 7 (1891), Heft 5, Text zu Tafeln 33 u. 34 (betr. Marienhospital); Martin<br />

Wörner/Gilbert Lupfer, Stuttgart. Ein Architekturführer, 2. erw. Aufl., Berlin 1997, S. 18, 77.<br />

89<br />

Robert Reinhardt, Gesellschaftshaus der Harmonie in Heilbronn am Neckar, in: Allgemeine Bauzeitung 45<br />

(1880), S. 8f., Tafeln 1-3.<br />

90<br />

Vgl. Die Gedächtniskirche in Stuttgart, in: Monatsschrift des Württembergischen Vereins für Baukunde in<br />

Stuttgart, München 1900, S. 27f.


erbaute evangelische Pfarrkirche in Wimsheim bei Leonberg (1883) und die neugotische<br />

evangelische Johannes-Brenz-Kirche in Weil der Stadt (1888/89) 91 .<br />

Zusammen mit seinem Lehrer Christian Friedrich Leins, des bedeutendsten historistischen<br />

Baumeisters Württembergs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seinem<br />

Amtsvorgänger an der Technischen Hochschule, Adolf Gnauth, zählte Reinhardt zu den drei<br />

bedeutendsten Architekten der so genannten „Stuttgarter Schule“. Eines seiner wichtigen<br />

frühen Werke auf dem Gebiet des Villenbaus war die 1874/75 in Konstanz errichtete, reizvoll<br />

am Bodenseeufer gelegene Villa Rosenau mit ihren vier um den erhöhten Kernbau<br />

gruppierten Eckpavillons 92 ; wie viele historistische Bauten zu jener Zeit noch nicht unter<br />

Denkmalschutz stehend, wurde sie bedauerlicherweise 1971 abgebrochen 93 . Sie und andere<br />

repräsentative, von Reinhardt entworfenen Wohnbauten – wie etwa die Villa Faißt in<br />

Heilbronn von 1875 94 - werden Spohn bekannt gewesen sein, der überdies mit dem<br />

Architekten befreundet war. Der nur unwesentlich jüngere Robert Reinhardt, dessen Vater in<br />

Ravensburg beruflich tätig war, hatte hier die evangelische Knabenschule und die Realschule<br />

besucht, bis er 1856 in die Oberrealschule nach Stuttgart wechselte 95 . Zudem waren die<br />

Ehefrauen von Julius Spohn und von Reinhardts Bruder Theodor, der als Prokurist in seiner<br />

Firma beschäftigt war und in Ravensburg lebte, Schwestern. Mit der von Reinhardt<br />

ausgeführten Villa 96 in Neorenaissance-Formen wollte Spohn in Ravensburg seinen<br />

„Bürgertraum vom Adelsschloss“ 97 verwirklicht sehen, den er sich und seiner Familie trotz<br />

aller persönlichen Bescheidenheit glaubte schuldig zu sein. Prägende Gliederungselemente<br />

sind das rustizierte Sockelgeschoss, die Bandrustikagliederung [Bandrustikalgliederung?] des<br />

Erdgeschosses, die Eckquaderung der oberen Geschosse, umlaufende Gesimse, fünf<br />

risalitartige Vorbauten, jeweils bekrönt mit einem flachbogigen Ziergiebel und<br />

Obeliskenaufsatz sowie der an der Nordseite angegliederte Turm mit Pyramidendach, der der<br />

Anlage zusätzlich einen wehrhaften Charakter verleiht. Dass die schieferdeckte [?] Villa<br />

dennoch etwas schematisch, trocken und karg in der Dekoration geriet, entspricht durchaus<br />

91<br />

Vgl. 100 Jahre Johannes-Brenz-Kirche Weil der Stadt 1889-1989, hrsg. vom Kirchengemeinderat der<br />

Johannes-Brenz-Gemeinde Weil der Stadt, Weil der Stadt 1989.<br />

92<br />

Vgl. Wolfgang Brönner, Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830-1890, Worms 1994, S. 75, 226, 229, 231,<br />

232, Abb. 541-544.<br />

93<br />

Frdl. Mitteilung des Stadtarchivs Konstanz.<br />

94<br />

Vgl. Julius Fekete, Kunst- und Kulturdenkmale in Stadt- und Landkreis Heilbronn, Stuttgart 1991, S. 58; Gerd<br />

Kempf, „Wertvollste Heilbronner Villa ist und bleibt die Villa Faißt“, in: Heilbronner Stimme v. 22.9. 1998 (Nr.<br />

219), S. 15.<br />

95<br />

Vgl. StadtA RV, SpG, Bd. 27.<br />

96<br />

Vgl. Alfred Lutz, „Bedeutender Baumeister der Neo-Renaissance“, in: Schwäbische Zeitung (Ausgabe<br />

Ravensburg) v. 27.5. 2000; Helmut Binder, Aus der Geschichte des „Schlößle“, in: Höhere Töchterschule<br />

Ravensburg 1887. Festschrift zur Hundertjahrfeier, Ravensburg 1987, S. 82-87.<br />

97<br />

Wolfgang Richter/Jürgen Zänker, Der Bürgertraum vom Adelsschloss. Aristokratische Bauformen im 19. und<br />

20. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 1988.


der nüchternen, schwäbisch-sparsamen Art Julius Spohns. So bestimmte er auch eine<br />

wesentlich einfachere Version des vom Architekten ursprünglich repräsentativer, mit<br />

Glockenhaube, figurenbekrönter Laterne, Uhr und Glocke geplanten Turmes 98 . Während im<br />

Souterrain mehrere Vorrats- und Versorgungsräume, Kammer, Waschküche, Bügelzimmer<br />

und ein Raum für Kübelpflanzen angeordnet wurden, lagen im Erdgeschoss die über ein<br />

langgezogenes Vestibül erreichbaren <strong>Repräsentation</strong>sräume, aber auch Räume der<br />

Privatsphäre: Wohnzimmer, Salon, Herrenzimmer, Gartenzimmer, Fremdenzimmer,<br />

Schlafzimmer, Küche, Speisekammer. Nach Westen vermittelte vor dem Wohnzimmer<br />

repräsentativ eine Loggia, eine Terrasse und eine Treppenanlage mit Balustraden und<br />

Wandbrunnen zur Elisabethenstraße. In der Beletage befanden sich nur Räume der<br />

Privatsphäre, mit den gleichen Dimensionen wie im Stockwerk darunter: Sechs Zimmer,<br />

Küche, Speisekammer und W.C. Im Dachbereich befanden sich vermutlich Personalräume.<br />

Einen separaten Dienstboteneingang, wie bei anderen Villen oft üblich, gab es aber<br />

offensichtlich nicht. Da der Bauherr Julius Spohn ja auch ein bedeutender<br />

Zementunternehmer war, sollten bei dieser Gelegenheit auch gleich die Vorzüge dieses neuen<br />

Baustoffes werbewirksam unter Beweis gestellt werden; das zur Gänze aus Zement erbaute<br />

„Schlößle“ 99 wie es in Ravensburg bis heute genannt wird, war eines der ersten aus diesem<br />

Baustoff errichteten Gebäude in Württemberg. Auch sonst zeigte sich Spohn privat wie<br />

geschäftlich dem technischen Fortschritt aufgeschlossen; so ließ er sich als einer der ersten in<br />

Württemberg angeblich 1881 ein Privattelefon im „Schlößle“ installieren 100 und bereits ein<br />

Jahr später waren die Firma im Ölschwang und die Bleiche in Ittenbeuren mit den<br />

Wohnhäusern von Julius und Georg Spohn durch Telefonleitungen verbunden 101 . 1887 erwarb<br />

Julius Spohn einen der ersten „sechspferdigen“ Motoren bei der Firma Daimler und später<br />

eines der ersten Daimler-Automobile. Die Verwendung elektrischen Lichts sollte er Jahre<br />

später zu einer Hauptbedingung für den Bau des Konzerthauses machen. In der Stadt<br />

Neckarsulm führte er als erster [ständige Wiederholung] eine elektrische Beleuchtung ein 102 .<br />

Die inmitten eines in Resten erhaltenen repräsentativen Parks stehende Spohn´sche Villa<br />

wurde 1953 von der Stadt Ravensburg erworben und dient seither als Teil des Mädchen- bzw.<br />

des heutigen Welfengymnasiums 103 . Ein in den 60er Jahren erwogener Abriss unterblieb<br />

glücklicherweise. Das Gebäude, durch den angrenzenden Neubau des Welfengymnasiums<br />

98 Vgl. Baupläne in: StadtA RV, HB Bü 226.<br />

99 Feuerversicherungsbuch Bd. 3. StadtA RV, C 3.<br />

100 Vgl. Julius Spohn – ein Leben zwischen Jute und Zement, S. 35.<br />

101 Vgl. RPr. v. 20.3. 1882. StadtA RV.<br />

102 Julius Spohn – ein Leben zwischen Jute und Zement.<br />

103 Vgl. Schwäbische Zeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 11.6. 1954.


von 1968 beinahe etwas erdrückt, steht heute unter Denkmalschutz 104 . Von der alten, im<br />

einzelnen nicht überlieferten Inneneinrichtung und auch vom repräsentativen Park blieb<br />

jedoch nur wenig erhalten.<br />

b.) Die Spohn´ sche Familiengrabstätte - ein bedeutsames Zeugnis der Sepulkralkultur des<br />

ausgehenden 19. Jahrhunderts<br />

Mit dem Bau der bemerkenswerten neoklassizistischen Spohn´schen Familiengrabstätte auf<br />

dem 1875 eröffneten Ravensburger Hauptfriedhof wurde 1884 wiederum der bewährte und<br />

befreundete Robert Reinhardt beauftragt Auch dieses nach antiken Vorbildern gestaltete<br />

Grabmonument 105 - es ist das mit Abstand größte auf dem Hauptfriedhof geblieben - wurde<br />

<strong>zum</strong> Großteil aus Beton mit Zementverputz errichtet. Auch mit diesem Bau sollten<br />

Wohlstand, Selbstbewusstsein und das gewachsene <strong>Repräsentation</strong>sbedürfnis der Familie zur<br />

Geltung gebracht und der Firmengründer Christian Paul Spohn, der ja mit der Begründung der<br />

Flachs- und Florettseidenspinnerei die Grundlage für den steilen <strong>Aufstieg</strong> der Familie gelegt<br />

hatte, nachfolgenden Generationen in Erinnerung gebracht werden [stattdessen: bleiben]. Die<br />

auf dem Hauptfriedhof einzigartig gebliebene Gruft war zur Aufnahme von 12 bis 14 Särgen<br />

bestimmt. Die darüber liegende, architektonisch gestaltete Grabanlage zeigt - um eine kleine<br />

rechteckige Platzanlage gruppiert - eine dreiflügelige monumentale Umfriedung, die an der<br />

Längsseite nach Westen eine halbkreisförmige, mit einer Halbkuppel überwölbte Apside<br />

aufweist. Darin steht auf einem hohen Sockel die einst aus Bronze, heute jedoch aus Zement<br />

bestehende Porträtbüste von Christian Paul Spohn, der als erster der Familie hier im April<br />

1884 beigesetzt wurde 106 . Korinthische, kannelierte Pilaster, ein Gesims mit der Inschrift<br />

„Familie Spohn“ und ein Dreiecksgiebel mit Klötzchenfries schmücken diesen Mitteltrakt, an<br />

welchen sich links und rechts axial die niedrige mit insgesamt 12 schwarzen<br />

Marmorschrifttafeln versehene Umfriedung anschließt; sie ist ringsum mit durchlaufenden,<br />

steinernen Sitzbänken versehen. Das Gesims dieser Umfassungswände war ursprünglich mit<br />

aufgesetzten Palmetten und Urnen geschmückt, die heute fehlen. Leider ist auch die prächtige,<br />

nach pompejanischen Vorbildern ausgeführte Bemalung – so präsentierte sich die Kuppel in<br />

der Apside einst mit einem blauen Sternenhimmel – nicht mehr erhalten. Das Grabmal der<br />

104<br />

Vgl. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Liste der Kulturdenkmale (Exemplar in StadtA RV, Sign. R<br />

189).<br />

105<br />

Beschreibung in: Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 26.8. 1884; 27.10. 1885.<br />

106<br />

Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 20.4. 1884.


Familie Spohn steht unter Denkmalschutz 107 . Ein derartiges antikisierend gestaltetes<br />

Grabmonument entsprach dem „Bildungsbewusstsein des Bürgertums, das, durch Johann<br />

Joachim Winckelmann vermittelt, die Kunst des klassischen Altertums wiederentdeckt<br />

hatte“ 108 .<br />

III.) Das Mäzenatentum Julius Spohns 109<br />

Trotz der ihn auszeichnenden Sparsamkeit und des Primats der Reinvestition der Gewinne<br />

reifte bei Julius Spohn der Wunsch, durch den schmückenden Titel eines „Mäzens“<br />

Kulturprestige zu erwerben, sein soziales Ansehen zu mehren, zur Attraktivität der Stadt<br />

beizutragen. Neben manchen inspirierenden Vorbildern aus anderen, meist wesentlich<br />

größeren Städten war wohl mit entscheidend, dass der nüchtern denkende Wirtschaftsbürger<br />

Spohn aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten im Stadtrat und in den Vereinen mit<br />

verschiedenen Repräsentanten des Bildungsbürgertums in Kontakt kam, die ihn wohl zu<br />

einem guten Teil zu seinen mäzenatischen Initiativen inspirierten. Auf diesem Wege konnte er<br />

eigene Prioritäten durchsetzen, Vorbild für die Bürger sein, auf die Entwicklung seiner<br />

Heimatstadt Einfluss nehmen und dafür sorgen, dass das Bürgertum die „Lösung drängender<br />

Fragen selbst in die Hand [nahm], statt auf die Obrigkeit zu warten“ 110 . Julius Spohn, der<br />

einer „erst“ seit 1765 in Ravensburg ansässigen Newcomer-Familie entstammte und nun zu<br />

außerordentlichem Reichtum gelangt war, wollte seiner Vaterstadt mit besonderen<br />

finanziellen Leistungen das vergüten, was sie ihm und seiner Familie an „konkreten<br />

Lebenschancen geboten“ 111 hatte. Und dies galt auch für die Zeit, als er seinen Wohnsitz und<br />

seine Firma nach Neckarsulm verlagert hatte. Neben allen Prestigeerwägungen und<br />

Titelerwartungen erfreute sich Spohn wie viele andere Mäzene an dem Gedanken, „etwas zu<br />

schaffen, was nicht dem unmittelbaren Geschäftsinteresse diente und [seinen] Namen über<br />

den Tod hinaus gegenwärtig halten würde“ 112 .<br />

107 Vgl. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Liste der Kulturdenkmale (Exemplar in StadtA RV, R 189).<br />

108 Eckhardt Treichel, Erinnerungskult und <strong>Repräsentation</strong>sstreben, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert, hrsg. v.<br />

Dieter Hein/Andreas Schulz, München 1996, S. 289-306; hier S. 297.<br />

109 Vgl. <strong>zum</strong> Thema des bürgerlichen Mäzenatentums: Stadt und Mäzenatentum, hrsg. v. Bernhard<br />

Kirchgässner/Hans-Peter Becht (Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für<br />

Stadtgeschichtsforschung Bd. 23), Sigmaringen 1977; Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des<br />

Bürgersinns in der Gesellschaft, hrsg. v. Thomas W. Gaethgens/Martin Schieder, Berlin 1998; Bürgerkultur und<br />

Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Kocka/Manuel Frey, Berlin 1998.<br />

110 Jürgen Kocka/Manuel Frey, Einleitung und erste Ergebnisse, in: Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19.<br />

Jahrhundert, hrsg. v. Dies., S. 7-17; hier S. 10.<br />

111 Andreas Schulz, Mäzenatentum und Wohltätigkeit – Ausdrucksformen bürgerlichen Gemeinsinns in der<br />

Neuzeit, in: Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Kocka/Manuel Frey, S. 240-<br />

262; hier S. 248.<br />

112 Jürgen Kocka/Manuel Frey, Einleitung und erste Ergebnisse, S. 12.


a.) Der lange Weg <strong>zum</strong> Konzerthaus<br />

Als nach den schweren Theaterbränden in Wien und Nizza 1881 das mitten in der<br />

Ravensburger Altstadt, im Obergeschoss der 1625 erbauten Brotlaube gelegene Stadttheater<br />

aus feuerpolizeilichen Gründen endgültig geschlossen wurde, ergriffen die Brüder Julius und<br />

Georg Spohn die Initiative und übergaben der Stadt Ravensburg zunächst 20.000 Mark als<br />

Grundstock zur Errichtung eines neuen Theaters 113 . Eine wichtige Bedingung war jedoch mit<br />

dieser Stiftung verbunden: Mit dem Bau müsse in spätestens 15 Jahren, Ende 1896 also,<br />

begonnen werden, andernfalls sollte das Kapital samt Zinsertrag an die beiden Stifter oder<br />

deren Erben zurückfallen. In den folgenden Jahren wurde es um die Theaterfrage aber ruhig,<br />

denn die Stadt hatte andere Probleme und musste andere Prioritäten setzen: Auf der<br />

Tagesordnung standen die Errichtung von Volksschulhäusern und dringende<br />

Infrastrukturverbesserungen wie der Bau einer Hochdruckwasserleitung und Kanalisation.<br />

Auch eine Erweiterung des Gaswerks konnte nicht aufgeschoben werden.<br />

Ende 1894 erinnerte Stadtpfleger Simon als Verwalter des Stiftungskapitals die politischen<br />

Repräsentanten der Stadt daran, dass am 13. Dezember 1896 die von den Gebrüdern Spohn<br />

gesetzte 15-Jahres-Frist, innerhalb derer mit dem Theaterbau begonnen werden müsse,<br />

ablaufe. Das Stiftungskapital war mittlerweile durch fünf weitere Einzelstiftungen<br />

Ravensburger Bürger und durch Zinserträge auf 36.000 Mark angewachsen. Einer aus<br />

Mitgliedern des Stadtrates und des Bürgerausschusses gebildeten Theaterkommission gelang<br />

es in zahlreichen Sitzungen während des Frühjahrs und Sommers 1895 jedoch nicht, ein<br />

brauchbares, tragfähiges Konzept zu entwickeln und dass Stadtbaumeister Tobias Knoblauch<br />

erst einmal beauftragt wurde, in verschiedenen kleineren Städten neue Theaterbauten zu<br />

studieren, verhieß wenig Gutes, bedeutete weiteren Zeitverlust und ließ die von den Stiftern<br />

gesetzte Verfallsfrist bedrohlich näher rücken. Angesichts der Tatsache, dass die städtischen<br />

Gremien dieses Theaterprojekt eher lustlos behandelten, keine konkreten Ideen entwickelten,<br />

wie die über die Stiftungssumme hinaus nötigen Geldmittel beschafft werden könnten, und<br />

der Fälligkeitstermin näherrückte, ergriff Julius Spohn in der für ihn charakteristischen,<br />

113 Vgl. zur Entstehungs- und Baugeschichte des Konzerthauses: Tobias Hafner, Altes und Neues aus der<br />

Geschichte Ravensburgs, Ravensburg o.J. (1908), S. 80-88; 25 Jahre Konzerthaus Ravensburg, in: Unsere<br />

Heimat in Bildern. Beilage der Oberschwäbischen Volkszeitung u. Tettnanger Bauernzeitung v. 18.11. 1922;<br />

Carola Franke, Das Ravensburger Konzerthaus, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 13 (1984), S. 85-89;<br />

Andrea Wurth, Das ´Konzerthaus´ in Ravensburg – ein Gebäude von Fellner und Helmer, phil. Dipl. Stuttgart<br />

1986 (Exemplar in StadtA RV); Alfred Lutz, „Dem Mäzen Julius Spohn verdankt die Stadt ihren schönen<br />

Musentempel“, in: Schwäbische Zeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 12.7. 1995; Ders., Der lange Weg <strong>zum</strong><br />

Konzerthaus, hrsg. v. der Volksbank Ravensburg und dem Stadtarchiv Ravensburg (Ravensburger<br />

Stadtgeschichte 26), Ravensburg 1997.


unkonventionellen Art einmal mehr die Initiative und brachte, eigenmächtig gewiss, das<br />

Projekt einen mächtigen Schritt nach vorn.<br />

Während einer Reise nach Zürich hatte er im Oktober 1895 die eben fertig gestellte, von den<br />

Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer erbaute Tonhalle besichtigt und<br />

war von diesem Bau derart angetan, dass er mit den beiden Architekten in Verbindung trat. Im<br />

November desselben Jahres reiste Spohn nach Wien und erreichte mit seiner energischen Art<br />

eine Zusage des in ganz Mitteleuropa renommierten Architektenbüros. In den 25 Jahren seit<br />

1870 hatten Fellner und Helmer 114 vor allem in Österreich-Ungarn unzählige repräsentative<br />

Theater und Opernhäuser errichtet, unter anderem in Wien, Budapest, Karlsbad, Agram<br />

(Zagreb), Varasdin, Temeschburg, Brünn, Reichenberg, Szeged, Prag, Salzburg, aber auch in<br />

Augsburg, Berlin (Komische Oper), Wiesbaden, Hamburg, Fürth und Zürich. Die Zusage für<br />

das kleine Ravensburg war um so bemerkenswerter, als hier im Vergleich zu den allermeisten<br />

anderen Städten nur eng bemessene Geldmittel zur Verfügung standen. <strong>Vom</strong> Bauvolumen her<br />

sollte das Ravensburger Konzerthaus eines der kleinsten Bauwerke dieser Art von Fellner und<br />

Helmer werden.<br />

Die Architekten verpflichteten sich, die nötigen „Eingabe- und Bauzeichnungen“ für 6.000<br />

Mark anzufertigen; der Kostenvoranschlag für den Theaterbau wurde auf 150.000 Mark<br />

angesetzt. Nun trat Spohn mit dem Plan an die zunächst überraschte, ja geradezu<br />

überrumpelte Ravensburger Öffentlichkeit heran und begann sogleich Wege zur Finanzierung<br />

des großen Vorhabens zu sondieren.<br />

Zu einer Vorbesprechung lud er zunächst rund 120 Honoratioren der Stadt, <strong>zum</strong>eist „kapital-<br />

und trinkkräftige Herren“ wie die örtlichen Zeitung vermeldete, in das erste Haus am Platz,<br />

das „Bahnhofshotel Hildenbrand“, ein und bereits kurze Zeit später, am 16. Dezember 1895,<br />

wurde eine „Aktiengesellschaft“ unter dem Namen „Saalbauverein Ravensburg“ gegründet.<br />

Sie hatte sich <strong>zum</strong> Ziel gesetzt, „einen Saalbau, verbunden mit Theater zu erstellen und<br />

denselben mit Wirthschaftsbetrieb nach Bedürfnis zu verwalten und für öffentliche Zwecke<br />

zur Verfügung zu stellen“. Das Aktienkapital war auf 130.000 Mark fixiert und sollte in 260<br />

Aktien zu je 500 Mark zur Zeichnung aufgelegt werden. Stadtrat und Bürgerausschuss<br />

wurden gebeten, ab 1896 jährlich 3.000-4.000 Mark <strong>zum</strong> schrittweisen Erwerb der Aktien im<br />

städtischen Haushalt einzuplanen. In der Bürgerschaft und den städtischen Gremien gingen<br />

die Meinungen krass auseinander. Der örtliche Oberschwäbische Anzeiger wies kritisch und<br />

mahnend darauf hin, dass mit einer derartigen Einrichtung keine oder nur geringe<br />

Überschüsse erwirtschaftet werden könnten, dass neben dem Rückkauf der Aktien ein<br />

114 Zu Fellner und Helmer: Hans-Christoph Hoffmann, Die Theaterbauten von Fellner und Helmer, München<br />

1966.


eträchtlicher Aufwand für die Unterhaltung des Gebäudes betrieben werden müsste. Auf der<br />

anderen Seite forderte etwa der Liederkranz, einer der ältesten und mitgliederstärksten<br />

Ravensburger Vereine, die Stadträte eindringlich zur Unterstützung des Vorhabens auf. Nach<br />

langer heftiger Debatte – noch einmal wurde über Sinn oder Unsinn eines Theaterneubaus,<br />

über die finanziellen Folgekosten und die Prioritäten der kommunalen Politik heftig gerungen<br />

- beschlossen Stadtrat und Bürgerausschuss am 14. Januar 1896 mit großer Mehrheit, den<br />

Saalbau nach seiner Fertigstellung sogleich in die öffentliche Verwaltung zu übernehmen und<br />

hierfür die „unverzinslichen Anteilscheine“ im Wert von insgesamt 130.000 Mark innerhalb<br />

von 65 Jahren zurückzuerwerben. Jährlich sollten Aktien im Wert von 2.000 Mark zur<br />

Auslosung gelangen. Den Bauplatz am zugeschütteten Nordgraben der alten Befestigung<br />

stellte die Stadt unentgeltlich zur Verfügung. Noch im Januar 1896 begann die Ausgabe der<br />

Aktien und bereits zwei Monate später waren Anteilscheine in der Höhe von insgesamt<br />

112.000 Mark gezeichnet, zudem waren zahlreiche Spenden eingegangen. Im März wurde ein<br />

siebenköpfiges Baukomitee gewählt, in dem Julius Spohn den Posten des Schriftführers<br />

innehatte.<br />

Doch laufend erhöhten sich nun die veranschlagten Baukosten: Um in diesem Mehrzweck-<br />

und Kulturbau 200 bis 250 zusätzliche Plätze zu schaffen, wurde eine dreiseitige Galerie - sie<br />

kostete 30.000 Mark - im Großen Saal eingeplant; der Betrag konnte durch Spenden und den<br />

Verzicht vieler Aktieninhaber auf die Rückzahlung von 10% des Betrages aufgebracht<br />

werden. Als zweites zerschlug sich aus Zeit- wie Kostengründen das Vorhaben, eine<br />

elektrische Übertragungsleitung von einem Argenkraftwerk bei Wangen nach Ravensburg zu<br />

bauen. Daraufhin erklärten sich Julius Spohn und der Ravensburger Kaufmann August<br />

Thommel bereit, um 30.000 Mark hinter dem Konzerthaus ein eigenes kleines Kraftwerk mit<br />

einem 15pferdigen Gasmotor der Firma Escher-Wyss zu erstellen. Der Saalbau sollte aus<br />

Sicherheitsgründen – das war ein großes Anliegen Spohns - mit elektrischem Licht beleuchtet<br />

werden. Die Gesamtkosten erhöhten sich durch solche „Nachrüstungen“ schließlich auf über<br />

300.000 Mark. Für die Bauarbeiten wurden viele Ravensburger Industrie- und<br />

Handwerksbetriebe herangezogen, besondere Aufgaben vor allem für hochwertige<br />

Ausstattungsdetails aber auch renommierten auswärtigen Betrieben aus Wien, Stuttgart,<br />

Nürnberg und Crailsheim übertragen. Die heute noch erhaltenen Bühnenprospekte etwa schuf<br />

der bekannte, am Stuttgarter Hoftheater beschäftigte Wilhelm Plappert, während die Stühle<br />

für den Zuschauerraum von der Wiener Firma Thonet stammten.<br />

Nach nur 13-monatiger Bauzeit konnte das „Konzerthaus“, so der nun offizielle Begriff für<br />

diesen multifunktionalen Bau, am 14. November 1897 eingeweiht werden: Zunächst krachten


Böllerschüsse vom Mehlsackturm, dann folgten ein Festzug, musikalische Darbietungen des<br />

Liederkranzes, die feierliche Übergabe der Schlüssel vom Architekten Fellner an den<br />

Stadtschultheißen Martin Springer, eine erste Besichtigung der prächtigen, in elektrisches<br />

Licht getauchten Innenräume, während wiederum der Liederkranz unter Beteiligung der<br />

Regimentskapelle aus der benachbarten Garnisonsstadt Weingarten den „Einzug der Sänger<br />

auf die Wartburg“ <strong>zum</strong> Besten gab. Es schlossen sich ein festliches Mittagessen und ein<br />

abendliches Bankett an; dabei wurden die eingegangenen Grußtelegramme, darunter das des<br />

württembergischen Königs, verlesen. Dem großen Mäzen Spohn, der trotz aller Widerstände<br />

unbeirrt am Konzerthausprojekt festgehalten hatte, wurde als Zeichen öffentlicher<br />

Anerkennung die Ehrenbürgerwürde der Stadt Ravensburg und - nicht zuletzt auf Betreiben<br />

des Ravensburger Stadtschultheißen Martin Springer - das Ritterkreuz Erster Klasse des<br />

Friedrichsordens verliehen 115 . Der Liederkranz ernannte ihn 1899 <strong>zum</strong> Ehrenmitglied. Bereits<br />

1888 hatte der württembergische König Karl Spohn mit dem Titel „Kommerzienrat“ geehrt.<br />

„Der Kommerzienratstitel - anders als ein Orden ständig präsent, in der Anrede, auf der<br />

Visitenkarte und im Briefkopf – suggerierte die gesellschaftliche Gleichrangigkeit mit den<br />

akademisch gebildeten Beamten“ 116 , verhieß „Vorteile im geschäftlichen Verkehr wie im<br />

gesellschaftlichen Umgang“ 117 und galt als „Symbol für die Zugehörigkeit zur ´besseren<br />

Gesellschaft´“ 118 . Der Staat versuchte mit derartigen Titelverleihungen „die Loyalität der<br />

Unternehmer zu erhalten und zu festigen“ 119 .<br />

Dieser 14. November 1897 war ein großer Tag für die damals rund 13.000 Einwohner<br />

zählende Stadt, die nun ein repräsentatives kulturelles Forum besaß, ein Mehrzweckbau nicht<br />

nur für Theateraufführungen und Konzerte, sondern auch für Vereinsaktivitäten, Bälle,<br />

Tagungen und Schulfeiern. Das kulturelle Leben nahm nun einen unübersehbaren<br />

Aufschwung und Ravensburg konnte auch in dieser Hinsicht seine historische Funktion als<br />

Metropole des südlichen Oberschwabens stärken. Bald zierte das neue Konzerthaus viele<br />

kunstvoll gestaltete Ansichtskarten und wurde in den touristischen Reise- bzw. Stadtführern<br />

als Sehenswürdigkeit ersten Ranges gewürdigt.<br />

Noch zwei Mal ermöglichte Julius Spohn großzügig weitere bauliche Verbesserungen des<br />

Konzerthauses. So stellte er 1899 die nötigen 33.000 Mark zur Verfügung, um den<br />

115 Vgl. HStAS, E 151/101, Bü 2915.<br />

116 Dirk Schumann, Bayerns Unternehmer in Gesellschaft und Staat, 1834-1914. Fallstudien zu Herkunft und<br />

Familie, politischer Partizipation und staatlichen Auszeichnungen, Göttingen 1992, S. 271f.<br />

117 Ebd., S. 272.<br />

118 Ebd., S. 262.<br />

119 Ebd., S. 272.


Bühnentrakt – im gleichen Stil - um drei Achsen nach Westen zu verlängern. Damit sollten<br />

adäquate Unterbringungsmöglichkeiten für Requisiten geschaffen, vor allem aber große<br />

Aufführungen des renommierten Stuttgarter Hoftheaters ermöglicht werden. Denn ein eigenes<br />

Ensemble besaß Ravensburg nie, man war auf die Gastspiele auswärtiger<br />

Theatergesellschaften angewiesen.<br />

Im Jahre 1907 wurde das Konzerthaus an das in der Nähe kurz zuvor für die Stadt erstellte<br />

Elektrizitätswerk der Maschinenfabrik Esslingen angeschlossen. Das nun funktionslos<br />

gewordene eigene kleine Kraftwerk wurde aufgestockt und zu einem Kulissenhaus umgebaut,<br />

in dem nun die wertvollen Requisiten untergebracht werden konnten. Wiederum war es Julius<br />

Spohn gewesen, der einen Großteil der 12.000 Mark teuren Baumaßnahme [Baumaßnahmen]<br />

übernahm. Insgesamt ist festzuhalten, dass Spohn letztlich rund zwei Drittel der<br />

Gesamtkosten des Konzerthauses schulterte, ein Drittel war durch kollektives Mäzenatentum<br />

der Bürgerschaft aufgebracht worden. Auch zu den Betriebskosten steuerte Spohn in den<br />

folgenden Jahren beträchtliche, in ihrer Höhe noch zu erforschende finanzielle Mittel bei 120 .<br />

Ohne seine Hilfe wären verschiedenste Veranstaltungen nicht möglich gewesen.<br />

Nachdem größere Umbaupläne von 1938 und 1962 glücklicherweise nicht zur Ausführung<br />

kamen, wurde das außen und innen gut erhaltene Gebäude 1988 als Kulturdenkmal von<br />

besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch des Regierungspräsidiums Tübingen<br />

eingetragen 121 und gilt heute als eines der schönsten Stadttheater im südwestdeutschen Raum.<br />

b.) Ein „Bildungsschloss“ auf dem Ravensburger Andermannsberg – die Stiftung eines<br />

Neubaus für Gymnasium und Oberrealschule<br />

Noch ein weiteres Mal sollte die Stadt Ravensburg aufgrund einer spektakulären<br />

mäzenatischen Großtat Julius Spohns einen großen Jubeltag feiern können.<br />

Ravensburg hielt sich auf seinen Rang als traditionsreiche Schulstadt viel zugute, es besaß seit<br />

1814 eine paritätische Latein- und Realschule, seit 1839 ein Lyzeum. 1880 hatte das<br />

württembergische Kultusministerium einem Antrag des Stadtrats stattgegeben, hier ein<br />

Gymnasium zur Erlangung der Hochschulreife einzurichten. Sein Einzugsbereich umfasste<br />

weite Teile Oberschwabens. Gymnasium wie Oberrealschule, an der man seit 1903 das Abitur<br />

ablegen konnte, waren zunächst im ehemaligen Frauenkloster beim Mehlsack untergebracht,<br />

120 Vgl. z.B. Schreiben des Ravensburger Oberbürgermeisters Andreas Reichle v. 14.2. 1912 an den<br />

Kabinettschef von Soden. HStAS, E 14, Bü 436.<br />

121 Vgl. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Liste der Kulturdenkmale (Exemplar in StadtA RV).


doch angesichts der steigenden Schülerzahlen erwies sich das Gebäude bald als beengt und so<br />

mussten mehrere Klassen des Gymnasiums und der Oberrealschule 1904 in das kurz zuvor<br />

aufgestockte und dadurch vergrößerte evangelische Volksschulgebäude in der Wilhelmstraße<br />

ausgelagert werden 122 . Gleichzeitig wies der Rektor des Gymnasiums, Dr. Johannes<br />

Schermann, „auf die durch überfüllte Klassen teilweise unzugänglich gewordenen<br />

Schulräume“ im ehemaligen Frauenkloster hin 123 . Im Januar 1905 konstatierte die „königliche<br />

Ministerialabteilung für die höheren Schulen“, dass „infolge des starken Wachstums der<br />

Oberrealschule die Räumlichkeiten der Anstalt mehr und mehr ungenügend werden“ 124 . Die<br />

Errichtung eines Neubaus für die beiden höheren Lehranstalten wurde als „dringendes<br />

Bedürfnis“ bezeichnet. Im September 1905 waren bereits alle unteren und mittleren Klassen<br />

der Oberrealschule in der evangelische Volksschule und nur noch die oberen Klassen im<br />

ehemaligen Frauenkloster untergebracht. Eine „solche Trennung der Klassen einer Anstalt<br />

erschwert den Unterricht und die Aufsicht über dieselben ganz außerordentlich und ist daher<br />

auf die Dauer unzulässig“, mahnte die Kultusbehörde 125 . Ravensburg habe daher „die<br />

dringende Pflicht“, durch Errichtung eines Neubaus für Gymnasium und Oberrealschule<br />

„diesem Überstande abzuhelfen“. Derartige Aufforderungen ergingen in den folgenden Jahren<br />

mehrfach. Im Juni 1907 stellten Gemeinderat und Bürgerausschuss schließlich 3.000 Mark für<br />

einen Wettbewerb zur Errichtung eines Oberschulneubaus zur Verfügung; insgesamt rechnete<br />

man mit Baukosten in der Höhe von rund 500.000 Mark. Als Bauplatz war das Gelände<br />

östlich des evangelischen Volksschulgebäudes (Wilhelmstraße) vorgesehen; die Stadt hatte<br />

hierfür auch bereits einige Grundstücke angekauft. Die beiden Rektorate wurden aufgefordert,<br />

Anzahl und Größe der benötigten Schulräume zu nennen 126 . Der Obmann des<br />

Bürgerausschusses, Brauereidirektor Wendelin Ruile, schlug angesichts der finanziellen<br />

Engpässe der Stadt eine Vereinigung von Gymnasium und Oberrealschule zu einem<br />

Realgymnasium vor, um so eine kostengünstigere Vereinfachung zu erreichen; dies wurde<br />

von Bürgermeister Reichle jedoch abgelehnt, nicht zuletzt wegen der großen Bedeutung der<br />

beiden Schulen für einen Großteil Oberschwabens 127 . Nach Aufforderung durch die<br />

staatlichen Kultusbehörden bat das Rektorat der räumlich besonders beengten Oberrealschule<br />

(alleine zwischen 1906 und 1909 war hier die Schülerzahl von 390 auf 449 gestiegen!) 1909<br />

den Stadtrat und Bürgerausschuss erneut um einen Neubau, auch deswegen, da „sich das<br />

122 Vgl. RPr. v. 29.7. 1904; 24.1. 1905; 7.2. 1905. StadtA RV.<br />

123 RPr. v. 29.7. 1904. StadtA RV.<br />

124 StadtA RV, A I 4168, Nr. 1; RPr. v. 21.1. 1905.<br />

125 StadtA RV, A I 4168, Nr. 4.<br />

126 Vgl. Protokoll der Schulhausbaukommission v. 17.6. 1907. StadtA RV, A I 4168.<br />

127 Vgl. RPr. v. 14.7. 1908. StadtA RV.


Bedürfnis nach geräumigen und helleren Lokalen für die im alten Schulgebäude<br />

untergebrachten Oberklassen bei der gegenwärtigen Frequenz dringend geltend mache“ 128 .<br />

Doch nach wie vor behandelten die kommunalen Gremien dieses Thema angesichts der nicht<br />

vorhandenen Geldmittel dilatorisch 129 .<br />

Die überraschende Wende brachte schließlich ein gemeinsamer Spaziergang des mittlerweile<br />

in Neckarsulm wohnenden Julius Spohn mit dem ihm befreundeten Ravensburger<br />

Oberbürgermeister Andreas Reichle anlässlich eines Gastspiels des Königlichen Hoftheaters<br />

im April 1912. Das Stadtoberhaupt schilderte bei dem Gang über die Höhen rings um<br />

Ravensburg die Schulraum- und Finanznöte in drastischen Formen. Als sich die beiden<br />

Wanderer schließlich der Spohn´schen Villa näherten, kam es zu folgendem überlieferten<br />

Wortwechsel: „Eine Schule wollen und sollen Sie bauen. Wo denn?“ fragte Spohn.<br />

Oberbürgermeister Reichle daraufhin spontan: „Gerade hier, wo wir stehen!“ Spohn verdutzt:<br />

„Das ist ja mein Eigentum“, worauf Reichle entgegnete: „Eben deshalb“ 130 . Die beiden<br />

gingen auseinander, der Oberbürgermeister befürchtete, sich zu weit vorgewagt und Spohn<br />

möglicherweise verprellt zu haben, doch dieser nahm sich den Wink des Oberbürgermeisters<br />

zu Herzen. Der mittlerweile über 70-jährige hatte sich – „in Zusammenhang mit der<br />

Feststellung des Erbes, im intergenerationellen Übergang“ 131 – offenbar schon längere Zeit<br />

Gedanken über eine neuerliche mäzenatische Großtat für seine Vaterstadt gemacht. In einer<br />

außerordentlichen Sitzung des Ravensburger Gemeinderates und Bürgerausschusses am 29.<br />

April 1912, 11 Uhr 30, übergab Dr. Georg Spohn in Gegenwart weiterer Familienangehöriger<br />

ein versiegeltes Schreiben seines Vaters, das von Oberbürgermeister Andreas Reichle<br />

geöffnet und verlesen wurde 132 .<br />

In Gestalt einer Spohn´schen Familienstiftung, die vielleicht auch als Ausgleich für die gut<br />

zehn Jahre zuvor erfolgte Schließung der Jutespinnerei gedacht war, sollte der Stadt ein 8.000<br />

Quadratmeter großes Grundstück für den Neubau von Gymnasium und Oberrealschule sowie<br />

einer Turnhalle geschenkt werden. Es lag schön auf dem Andermannsberg, unweit der<br />

Spohn´schen Villa, mit prächtigem Blick über die Stadt. Die beiden Oberschulen sollten in<br />

einem Gebäude untergebracht, die Turnhalle separat errichtet werden. Vor allem aber sollte<br />

die Hälfte der Kosten für das Gebäude, für die Installationen (z.B. Gas, Wasser, elektrische<br />

Anlagen, Schuluhren, Klingeln) und die erforderlichen Einrichtungen (z.B. Pulte, Bänke,<br />

Turngeräte) geschenkt und die andere Hälfte vorgestreckt werden. Ihren Anteil hatte die Stadt<br />

128 RPr. v. 4.2. 1909. StadtA RV.<br />

129 Vgl. RPr. v. 13.12. 1910. StadtA RV.<br />

130 Überliefert in: Jubiläumsausgabe des Oberschwäbischen Anzeigers (Ausgabe Ravensburg) April 1928, S. 34.<br />

131 Jürgen Kocka/Manuel Frey, Einleitung und einige Ergebnisse, S. 14f.<br />

132 Vgl. RPr. v. 29.4. 1912. [StadtA RV??????]


nach Fertigstellung des Gebäudes in Jahresraten von 10.000 Mark zuzüglich zwei Prozent<br />

Zinsen an die Familienstiftung zurückzahlen. Es war dies ein sehr großzügiges Geschenk,<br />

ungeachtet der finanziellen Belastung der Stadt für die Folgezeit. Die völlig überraschten<br />

Mitglieder des Stadtrats und Bürgerausschusses brachen in Bravo-Rufe aus.<br />

Oberbürgermeister Reichle erklärte dem Gemeinderatsprotokoll zufolge unter anderem:<br />

„Überwältigt stehen wir nun einer Tatsache gegenüber, die eine große Sorge den Vertretern<br />

der Stadt abgenommen hat. Er finde nicht genug Wort des herzlichsten Dankes. Die Familie<br />

Spohn habe schon durch die Erbauung des Konzerthauses in der Kunst ihren Namen<br />

verewigt, nun aber habe sie sich durch Förderung der Wissenschaft ein bleibendes Denkmal<br />

gesetzt, das dauernder ist als Stein und Erz“....“Es wachse, blühe und gedeihe die Stadt<br />

Ravensburg und die Spohn´sche Familie“. Die Gemeinderats- und Bürgerausschussmitglieder<br />

erhoben sich von ihren Plätzen und nahmen das Stiftungsangebot einstimmig an. Böllersalven<br />

krachten vom Mehlsackturm und verkündeten der Bürgerschaft die freudige Nachricht.<br />

In nur zwei Jahren – die in der Stiftungsurkunde genannten drei Jahre wurden damit deutlich<br />

unterboten - entstand 1912-14 der Neubau 133 ; die Pläne hierfür hatte der von Spohn bestimmte<br />

und mit ihm gut bekannte, 37-jährige Heilbronner Architekt Adolf Braunwald 134 geliefert, ein<br />

Mann der jüngeren Generation also.<br />

Das neue Gebäude für Gymnasium und Oberrealschule wurde zu einer baulichen Dominante<br />

des nördlichen Stadtteils. Dieses „Bildungsschloss“ auf dem Andermannsberg, eine weitere<br />

„Stadtkrone“ Ravensburgs, erinnert in der Symmetrie des Haupttrakts und mit einem Zug ins<br />

Monumentale an barocke Schlossarchitektur. Die Baumassen sind großzügig verteilt und in<br />

vornehmen, neubarock und neuklassizistisch inspirierten, aber bereits versachlichten Formen<br />

gehalten 135 . Die ausgedehnte Anlage in Winkelhakenform besteht aus einem 65 Meter langen,<br />

133 Zur Baugeschichte: StadtA RV, A I 4168, 4169; HB 518; Neubau der höheren Lehranstalten in Ravensburg,<br />

in: Das Schulhaus 19 (1917), H. 11, S. 346-351.<br />

134 Adolf Braunwald (1875-1951), Sohn des bekannten Stuttgarter Architekten Johannes Braunwald (1838-<br />

1889), gründete 1904 ein Architekturbüro in Heilbronn, wo er zahlreiche Villen und Industriebauten, auch ein<br />

Hotel, errichtete; <strong>zum</strong> großen Teil wurden sie 1944 zerstört; vgl. den kurzen Nachruf auf Adolf Braunwald, in:<br />

Heilbronner Stimme v. 4.10. 1951, S. 3 (Nr. 231); Hotel Kunz in Heilbronn, Bahnhofplatz, Ecke<br />

Rosskampfstraße (von Adolf Braunwald), in: Die Architektur des XX. Jahrhunderts, 11 (1911), Heft 4, S. 43f.;<br />

Tafel 93.<br />

135 Allgemein zur Entwicklung des modernen Schulbaus zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg (Auswahl):<br />

Die Erlweinschen Schulbauten in Dresden (verf. v. 1. Stadtbaumeister Hennig), in: Das Schulhaus 15 (1913),<br />

Heft 4, S. 147-176; Berlin und seine Bauten, Teil V, Bd. C: Schulen, Berlin 1991, S. 1-113; Kerstin Krebber, Die<br />

Heusteigschule von Theodor Fischer in Stuttgart 1904-1906 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart,<br />

Bd. 68), Stuttgart 1995; Jens Kassner, Chemnitzer Schulbauten zwischen Historismus und Moderne, in:<br />

Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins, Jahrbuch 65 (1995), Neue Folge IV, S. 69-85, hier S. 75-80;<br />

Eva-Christine Raschke, Der Kölner Schulbau im 19. und 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der<br />

Bauten der Fünfziger Jahre, phil. Diss. Bonn 1997, S. 41-62; Michael Ruhland, Schulhausbauten im<br />

Großherzogtum Baden 1806-1918, Augsburg 1999.


dreigeschossigen Hauptbau mit hohem Walmdach und eng angeordneter Gaubenreihe im<br />

Westen und einem 45 Meter langen, etwas niedrigeren Südostflügel mit Mansarddach, der in<br />

einem kurzen Querbau ausklingt. Die Umfassungsmauern bestehen im Keller- und<br />

Erdgeschoss aus Beton, darüber aus verputztem Backsteinmauerwerk, die Decken- und<br />

Treppenkonstruktionen sind aus Eisenbeton. Der Haupttrakt im Westen weist gegen Norden<br />

und Süden jeweils einen vierachsigen Seitenrisalit mit voll ausgebautem vierten Geschoss und<br />

einen dreiachsigen, wesentlich schwächer vortretenden Mittelrisalit mit Zwerchhaus und<br />

monumentalem Segmentgiebel auf. Das mächtige Walmdach erfährt in der Mitte einen<br />

dezidierten baulichen Akzent durch den kupferverkleideten Dachreiter, der bis <strong>zum</strong> Umgang<br />

mit Aussichtsplattform polygonal, darüber rund aufragt, durch Halbsäulchen, Hochrechteck-<br />

bzw. ovale Fenster gegliedert ist und schließlich, in 35 Metern Höhe, mit einer drehbaren<br />

Kuppel (Observatorium) ausklingt. Die Westfassade mit ihrer starker Durchfensterung wird<br />

im Erdgeschoss durch durchlaufende Nutenlinien und in den oberen Stockwerken durch<br />

Lisenen bzw. glatte Quadrate gegliedert; lediglich der Mittelrisalit wird durch vier kannelierte<br />

Pilaster mit ionischen Kapitellen, Blendbaluster und drei plastische Köpfe über dem ersten<br />

Obergeschoss (wohl Homer, Athena, Hermes) besonders herausgehoben.<br />

Das Innere besitzt drei Treppenhäuser und wies ursprünglich 34 Klassenräume (21 im<br />

Westen, neun im Osten, vier im Norden) auf; dazu kamen Physik- und Chemiesaal mit den<br />

dazugehörigen Sammlungen (im Ostteil). Zweckmäßig war die Anordnung der physikalischen<br />

und chemischen Übungsräume nach Norden, „damit die feinen Farbenbildungen bei den<br />

chemischen Vorgängen stets unter gleichartigem Licht beobachtet werden können, und<br />

Selbsttäuschungen über die erzielten Wirkungen ausgeschlossen sind“ 136 , wie die<br />

Fachzeitschrift „Das Schulhaus“ 1917 schrieb; des weiteren kamen im Erdgeschoss unter<br />

anderem Konferenzzimmer, Bibliotheksräume, ein Aufenthaltsraum für auswärtige Schüler,<br />

ein Fahrradraum und die Hausmeisterwohnung, in den oberen Stockwerken Lehrerzimmer,<br />

Zeichensäle, Räume für das Aquarellmalen und für die Ausstellung von Gipsmodellen,<br />

Werkstatt- und Modelliersäle hinzu. Die Flure im Westtrakt waren ursprünglich durch Licht<br />

und Luft bringende, sich nach Osten öffnende Loggien unterbrochen; sie wichen später dem<br />

Ausbau weiterer Klassenzimmer. Die beiden Rektorate mit jeweiligem Wartezimmer bzw.<br />

Sekretariat wurden im Südwesten des Gebäudes, dicht neben der Haupttreppe und somit gut<br />

erreichbar, angeordnet. Ein zweigeschossiger, halbrunder Standerker markiert an der Südseite<br />

die Lage der Rektorate, wobei jenes der Oberrealschule (heute Albert-Einstein-Gymnasium)<br />

im zweiten Obergeschoss auf den Balkonabschluss dieses Vorbaus mündet. Von der<br />

136 Neubau der höheren Lehranstalten in Ravensburg, S. 348f.


gediegenen Einrichtung und Ausstattung der beiden Rektorate mit Wandvertäfelung,<br />

Diplomatenschreibtisch, Stehpult, Diwan, Standuhr, Bibliotheksschrank, Lüster,<br />

Handwaschbecken und schönen Teppichen haben sich wesentliche Teile erhalten. Vornehm<br />

und würdig nimmt sich bis heute die Halle im Erdgeschoss aus, bedauerlicherweise ist der<br />

Jugendstilbrunnen heute nur noch ein Torso. An die Halle schließt sich östlich ein 31 Meter<br />

langer und 4,5 Meter breiter, kreuzgratgewölbter Wandelgang an, die sich nach Süden zu<br />

einer schön angelegten und als Schulhof dienenden Terrasse hin öffnet. Der Wandelgang<br />

sollte „auch bei schlechtem Wetter eine ausgiebige Lungenerfrischung für die Jugend<br />

bieten“ 137 . Weitere Beispiele für die gestalterische Qualität der Innenausstattung sind die<br />

Treppengeländer aus bearbeitetem Beton mit schmiedeeisernen Zierfeldern sowie unter<br />

deutlichem Jugendstileinfluss die schmiedeeisernen Lüftungsgitter einiger Heizkörper,<br />

zahlreiche Lampen, die oberen Türrahmungen und die 1916 angebrachte Stiftertafel (mit<br />

einem Porträtrelief Julius Spohns) in der Halle. Decken und Fußböden betonen ihrerseits die<br />

architektonische Gliederung des Grundrisses, die Wände sind bis auf eine Höhe von 1,55<br />

Metern mit grünen Fliesen belegt, um so das jährliche Neustreichen zu vermeiden. Ein<br />

besonderer Stolz waren jedoch die Erdbeben-, Stern- und Wetterwarte, das kleine<br />

Lehrschwimmbecken mit Duschbad, die Ausstattung der naturwissenschaftlichen Lehrräume<br />

mit modernen physikalischen und chemischen Apparaten und schließlich ein kleiner<br />

botanischer Garten.<br />

Nach Osten steht liegt [!] als separater Baukörper die Turnhalle, ein Saalbau mit hohen<br />

Rechteckfenstern und Walmdach, der, an zwei Seiten mit Emporen versehen, auch als Aula<br />

dienen sollte; für größere Schulfeiern war das nahegelegene Konzerthaus vorgesehen.<br />

Demgemäß sollte auch die lang zuvor geplante Einweihung am 12. September 1914 zu einer<br />

Manifestation des Bürgerstolzes werden: Feierliche Gemeinderatssitzung, Gottesdienste, Zug<br />

der Schüler vom alten <strong>zum</strong> neuen Gymnasium, Festakt in der neuen Turnhalle, Rundgang<br />

durch das neue Haus, Festmahl im Konzerthaus, Theateraufführung der Schüler,<br />

Glockengeläut, Böllerschüsse vom Mehlsack und Festbeflaggung 138 ; Oberbürgermeister<br />

Andreas Reichle hoffte sogar auf die Anwesenheit des Königs 139 . Doch daraus wurde nichts,<br />

denn wenige Wochen zuvor hatte der Erste Weltkrieg begonnen und Julius Spohn bat bereits<br />

am 3. August 1914 ausdrücklich darum, nun von einer öffentlichen Feier abzusehen und<br />

137 Ebd., S. 349.<br />

138 Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 24.7. 1914.<br />

139 Vgl. HStAS, E 200, Bü 527; Schreiben von Oberamtmann Stiefenhofer vom 24.7. 1914.<br />

HStAS, E 14, Bü 436, Nr. 15.


lediglich eine kirchliche Feier zu veranstalten. In einfachem Rahmen fand am 11. September<br />

im neuen Zeichensaal der Oberrealschule die Übergabe statt. In diesem Rahmen gab<br />

Oberbürgermeister Reichle die Ernennung Julius Spohns <strong>zum</strong> prestigeträchtigen Geheimen<br />

Kommerzienrat durch den württembergischen König Wilhelm II. bekannt 140 , mehrfach war<br />

diese Ehrung von Reichle bei den zuständigen staatlichen Stellen angeregt worden; er hatte<br />

sich dabei geschickt der Vermittlung und Fürsprache des Generalintendanten des Königlichen<br />

Württembergischen Hoftheaters und Ravensburger Ehrenbürgers (seit 1905), Joachim Gans<br />

Edler von Putlitz, bedienen können. Reichle übergab Spohn die eigens für ihn geprägte<br />

goldene Bürgermedaille und verkündete die Umbenennung der aus Richtung Konzerthaus<br />

heranführenden, die beiden großen Stiftungen – Konzerthaus und Gymnasium - verbindenden<br />

„Unteren Wassertreterstraße“ in „Spohnstraße“. Am Tag darauf, dem ersten Schultag des<br />

Schuljahres 1914/15, wurde der Neubau „sang- und klanglos“, wie es hieß, bezogen. Die<br />

Gesamtkosten hatten sich auf stolze 861.000 Mark belaufen 141 .<br />

c.) Weitere mäzenatische Gesten Julius Spohns<br />

Konzerthaus und Gymnasium waren nur die beiden größten mäzenatischen Leistungen Julius<br />

Spohns. Zumindest in Oberschwaben waren sie damals ohne Vergleich. Im Laufe der Zeit<br />

waren noch zahlreiche kleinere Stiftungen und Spenden hinzugekommen, angefangen von der<br />

Beteiligung am Bau des neugotischen Aussichtsturmes auf der Veitsburg 1884 über die<br />

Mitfinanzierung von bemalten Bodenplatten und neuen Chorfenstern in der evangelischen<br />

Stadtkirche 1902 142 bis hin zur Aufstellung eines mächtigen, 1906 im Garten der Spohn´schen<br />

Villa gefundenen, rund 400 Zentner schweren Findlings an der Wilhelmstraße 1911; mit<br />

einem Bronze-Flachrelief des Dichters versehen, wurde daraus der so genannte<br />

140 1911 hatte der damalige württembergische Innenminister Johann von Pischek in einem Schreiben an den<br />

Kabinettschef von Soden eine Ernennung Spohns <strong>zum</strong> Geheimen Kommerzienrat noch abgelehnt. Kritisiert<br />

wurde das Bestreben Spohns, die bei der Anwerbung von Arbeitern aus Böhmen, Galizien und Italien in<br />

Aussicht gestellten Löhne herabzusetzen, so dass es im Neckarsulmer Werk zu Streiks und Aussperrungen kam.<br />

Auch seien die „Maßnahmen <strong>zum</strong> Schutz der Arbeiter“ zu „lässig“ durchgeführt. Julius Spohn sei ein „tüchtiger<br />

Industrieller, aber eine eigenrichtige, schwer zu berechnende und in hohem Grad launische Persönlichkeit; seine<br />

Umgangsformen lassen zu wünschen übrig. Wenn er sich für eine Sache erwärmt, so hat er eine offene Hand“,<br />

so das Innenministerium. Für seine Verdienste auf industriellem Gebiet sei Spohn mit den bisher erhaltenen<br />

Auszeichnungen bereits genug geehrt. Vgl. hierzu: Schreiben v. 23.11. 1911. HStAS, E 14, Bü 436, Nr. 12.<br />

Nachdem Spohn „inzwischen mit Aufopferung von Hunderttausenden der Stadt Ravensburg den Neubau eines<br />

vorzüglich ausgestatteten Gymnasiums und einer Oberrealschule ermöglicht“ hatte, rückte der neue<br />

Innenminister Karl von Fleischhauer 1914 von dieser ablehnenden Haltung ab und befürwortete die Ernennung<br />

Julius Spohns <strong>zum</strong> „Geheimen Kommerzienrat“; vgl. Schreiben vom 21.1. 1914. HStAS, E 14, Bü 436, Nr. 14.<br />

Bereits im Februar 1912 war Spohn mit dem Ritterkreuz des Kronordens geehrt worden; vgl. HStAS, E 14, Bü<br />

436.<br />

141 Vgl. Angaben des Architekten Adolf Braunwald v. 25.5. 1915. StadtA RV, HB 518.<br />

142 Vgl. Tobias Hafner, Altes und Neues aus der Geschichte Ravensburgs, S. 99.


„Schillerstein“ 143 . Dem Kunst- und Altertumsverein schenkte Spohn unter anderem eine<br />

wertvolle Münzsammlung, einen früher am Seelhaus angebrachten kupfernen Wasserspeier,<br />

einen vergoldeten Schlüssel und eine „Biedermeier-Chaise“ 144 . Als die Stadt 1917, mitten im<br />

Ersten Weltkrieg, das Angebot erhielt, um 987 Mark wertvolle Gemälde und Kupferstiche<br />

von Franz Joachim Beich (1665-1748), des in Ravensburg geborenen Hofmalers des<br />

bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, erwerben zu können, übernahm er die Hälfte der<br />

nötigen Kaufsumme; der Rest wurde von einigen anderen spendablen Bürgern aufgebracht 145 .<br />

Ein Jahr zuvor, im April 1916, hatte Spohn der Stadt ein 10 Ar großes Wiesengrundstück an<br />

der Weissenauer Straße mit der patriotisch-national inspirierten Auflage übergeben, dieses<br />

Grundstück nie zu überbauen und „<strong>zum</strong> bleibenden Gedenken für künftige Generationen zu<br />

Ehren des Generalfeldmarschalls von Hindenburg als ´Hindenburg-Platz´[zu] halten und [zu]<br />

unterhalten“ 146 . Die Stadt nahm die Schenkung an, richtete den Hindenburg-Platz als<br />

öffentliche Anlage her und berichtete darüber in einem an Hindenburg an den östlichen<br />

Kriegsschauplatz gesandten Telegramm 147 .<br />

1904 war das Dorf Ilsfeld, in der Nähe des neuen Spohn´schen Fabrikstandortes Neckarsulm<br />

gelegen, durch einen Großbrand weitgehend zerstört worden. Julius Spohn hatte beträchtliche<br />

finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau geleistet und war aufgrund dessen 1905 mit dem<br />

königlichen Olga-Orden ausgezeichnet 148 und 1906 mit der Ehrenbürgerschaft der Gemeinde<br />

Ilsfeld geehrt worden 149 .<br />

In seinem sehr detaillierten, 39 Seiten umfassenden Testament vom 7. November 1912, das<br />

vor allem die Weiterführung des Unternehmens und die Verteilung des Nachlasses regelte,<br />

war unter der Bezeichnung „Spohn´scher Familienbeitrag“ die großzügige Stiftung des<br />

Gymnasiumsneubaus aufgeführt; daneben war die Gründung einer „Julius Spohn´sche<br />

Familienstiftung“ (§ 11) mit Sitz in Ravensburg und einem „aus vier männlichen<br />

Angehörigen der Familie Spohn“ bestehenden Vorstand (Söhne Dr. Georg, Richard und Karl<br />

Spohn, Schwiegersohn Dr. med. Kübel) geplant. Dazu zählten eine „Familienstipendien-<br />

Stiftung“, eine „Arbeiter-Unterstützungs-Kasse“ (Stammvermögen: 170.400 Mark) und eine<br />

„Konzerthauskosten-Participation“, um die „Benützung des Konzerthauses in Ravensburg<br />

143<br />

Vgl. StadtA RV, A I 1575.<br />

144<br />

Vgl. StadtA RV, X 155; Tobias Hafner, Altes und Neues aus der Geschichte Ravensburgs, S. 44.<br />

145<br />

Vgl. StadtA RV, RPr. v. 8.5. 1917; A I 3151.<br />

146<br />

StadtA RV, A I 2075; RPr. v. 18.4. 1916.<br />

147<br />

Vgl. Oberschwäbischer Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 19.4. 1916.<br />

148<br />

Vgl. HStAS, E 151/101, Bü 2915.<br />

149<br />

Vgl. Wolfgang Ott, Das Hilfswerk nach dem Brand und der Wiederaufbau von Ilsfeld in den Jahren 1904-<br />

1906, in: Ilsfeld in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von der Gemeinde Ilsfeld, Ilsfeld 1989, S. 181-196; Eugen<br />

Härle, Unsere Ehrenbürger, in: Ebd., S. 617f.


durch Beitragsleistung zu den durch die Aufführung entstehenden Kosten zu erleichtern“<br />

(Stammvermögen: 110.000 Mark); schließlich sollten „eine Reihe, teils gemeinnütziger, teils<br />

wohltätige Zwecke verfolgende Anstalten“ unterstützt werden. Aus Julius Spohns Nachlass<br />

waren ferner, jeweils für wohltätige Zwecke, der Stadt Neckarsulm 5.000 Mark, der Stadt<br />

Blaubeuren 2.000 Mark, den Gemeinden Gerhausen und Grünkraut je 1.000 Mark sowie<br />

Weiler (Oberamt Blaubeuren) 500 Mark zu übergeben; hinzu kamen weitere Legate; seine<br />

Nichte Elisabeth Spohn sollte 10.000, seine Haushälterin 5.000, eine bewährte Telegraphistin<br />

1.000 und seine Köchin 600 Mark erhalten 150 .<br />

Julius Spohn bezeichnete es in seinem Testament als „Übelstand, wenn eine<br />

Hinterlassenschaft zu gleichen Teilen unter die Kinder verteilt wird, welche naturgemäss in<br />

verschiedenen Lebensaltern stehen“. Er dachte sich deswegen einen speziellen<br />

Verteilungsmodus aus, gemäß dem „unter Zugrundelegung der Altersdifferenz zwischen dem<br />

ältesten und jüngsten Kind und in Berücksichtigung der Zwischenzinse“ die Zuschläge zu<br />

dem von ihm festgesetzten Erb- und Pflichtteil in Höhe von 521.950, 54 Mark berechnet<br />

wurden. Des weiteren berücksichtigte er die jeweiligen „wirtschaftlichen Bedürfnisse“ seiner<br />

Kinder und gewährte diese Zuschläge nur „insoweit, als meine Kinder sich vor Eintritt in das<br />

45. Lebensjahr verheiratet haben und die Frau evangelischer Konfession ist“; andernfalls<br />

sollten die Beiträge [in] der Familienstiftung verbleiben. Zur Abschreckung - offenbar<br />

misstraute er der Konsensfähigkeit der Hinterbliebenen bei der Verteilung des Erbes - hielt er<br />

in § 13 fest: „Dasjenige meiner Abkömmlinge, welches meine Anordnungen anzufechten<br />

versucht, oder die Auflage nicht erfüllt oder zu vereiteln versucht, enterbe ich“.<br />

Kurze Zeit später brach eine neue Epoche an, „die mit Krieg, politischem Umbruch und<br />

Inflation dem Stiftungsgedanken und dem Stiftungswesen weit weniger förderlich sein sollte<br />

als das „bürgerliche“ 19. Jahrhundert“ 151 .<br />

Wenn auch keiner von Julius Spohns Söhnen an die Bedeutung ihres 1919 verstorbenen, den<br />

Familienverband patriarchalisch-dominierenden Vaters herankam, so setzten mehrere von<br />

ihnen - obwohl <strong>zum</strong>eist nicht mehr in ihrer Vaterstadt lebend - die industrielle Tätigkeit 152<br />

und auch die mäzenatische Tradition der Familie für Ravensburg fort, so etwa durch die<br />

150 Vgl. StadtA RV, A I 1324.<br />

151 Dieter Hein, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Stadt und<br />

Mäzenatentum, hrsg. v. Bernhard Kirchgässner/Hans-Peter Becht, Sigmaringen 1997, S. 75-92; hier S. 92.<br />

152 Die Söhne gründeten teils eigene neue Firmen. 1920 etablierte Hermann Spohn (1876-1923) in Gebäuden der<br />

einstigen Ravensburger Jutespinnerei eine Automobil-Karosseriefabrik; im selben Jahr rief Karl Spohn (1887-<br />

1983) zusammen mit David Burkhardt in Blaubeuren die Elektromotorenfabrik Spohn & Burkhardt ins Leben;<br />

vgl. Gerhard Mirsching, Maybach-Karosserien aus Ravensburg. Hermann Spohn und sein Werk, Friedrichshafen<br />

2001, S. 12; Internet. [???]


Förderung des altehrwürdigen Liederkranzes, durch laufende Geldzahlungen für das<br />

Schulwesen, durch die Stiftung von neuen Gruppen des altehrwürdigen Rutenfestzuges, durch<br />

die finanzielle Unterstützung von Renovierungs- und Erneuerungsarbeiten am Konzerthaus.<br />

Aus der Spohn´schen Familienstiftung wurden <strong>zum</strong> Beispiel 1920 ausgeschüttet: 1.600 Mark<br />

für Schulen und Kindergärten, 200 Mark für die Altertums- und<br />

Naturkundevereinssammlungen, 800 Mark für die Anschaffung von Preisen zur Belohnung<br />

von fleißigen Schülern und erfolgreichen Armbrustschützen am Rutenfest, 500 Mark zur<br />

Pflege des Botanischen Gartens beim Gymnasium, 100 Mark für den Verschönerungsverein,<br />

200 Mark zur Herstellung von Parkanlagen an der Veitsburg 153 . Die Mitglieder des<br />

Spohn´schen Familienstiftungsrats stimmten am 2.12. 1934 schließlich einer für die Stadt sehr<br />

günstiger Vereinbarung zu. Die restlichen städtischen Zahlungsverpflichtungen bezüglich des<br />

Gymnasiumsbaues sollten sich auf 250.000 RM (Gesamtaufwertung einschließlich<br />

Verzinsung) belaufen, wovon zwischen 1.9. 1926 und 1.9. 1933 bereits acht Raten zu je<br />

10.000 RM geleistet wurden. Demnach hatte die Stadt ab 1934 insgesamt 17 Jahre lang<br />

10.000 RM, also 170.000 RM, zu bezahlen. Da in Ravensburg mittlerweile der Bau eines<br />

weiteren Volksschulgebäudes ein dringendes Bedürfnis geworden war, erklärten sich die<br />

Mitglieder des Familienstiftungsrates bereit, ab 1934 mit 7.000 RM einen Großteil des<br />

jährlich von der Stadt zurückzuzahlenden Betrages als Grundstock für einen Schulhausneubau<br />

zur Verfügung zu stellen 154 . Dem Vorsitzenden des Familienstiftungsrates, Dr. Georg Spohn,<br />

wurde vom Gemeinderat deswegen am 6.12. 1934 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Ravensburg<br />

verliehen 155 ; schließlich wurden Richard Spohn an seinem 70. Geburtstag 1950 156 und Karl<br />

Spohn 1970 157 zu Ehrenbürgern der Stadt Ravensburg ernannt. Letzterer starb 1983 im Alter<br />

von 95 Jahren als letzter männlicher Spross der Familie. Doch die repräsentativen Bauwerke<br />

und bemerkenswerten Stiftungen der Familie Spohn prägen bis heute das Stadtbild und das<br />

kulturelle Geschehen Ravensburgs unübersehbar mit. Das Spohn-Gymnasium, das „Spohn-<br />

Schlößle“, die Spohnstraße und die Spohn-Gruppe beim traditionsreichen, jedes Jahr im Juli<br />

153 Vgl. StadtA RV, A I 1324.<br />

154 Bis zur Währungsreform im Juni 1948 flossen der Stadt aus dieser Quelle 129 000 RM zu; diese Summe fiel<br />

der Währungsreform <strong>zum</strong> Opfer. Die Spohn´sche Familienstiftung wurde bereits mit Wirkung <strong>zum</strong> 31.12. 1946<br />

durch Beschluss des Fideikommissgerichts des Oberlandesgerichts Tübingen aufgehoben; von der Familie<br />

Spohn war eine Auflösung schon 1942 angestrebt worden, wobei drei Viertel der Stiftung für „Zwecke der<br />

Familie“ und ein Viertel, d.h. ca. 10 000 RM, für „öffentliche Zwecke“ verwendet werden sollten. Auf Beschluss<br />

des Kreisrats v. 6.3. 1947 erhielt die Stadt Ravensburg aus den Mitteln der einstigen Spohn´schen<br />

Familienstiftung 8 750 RM für das Konzerthaus Ravensburg und 6000 RM für Zwecke des städtischen<br />

Sozialamtes; vgl. StadtA RV, A I 1324; RPr. v. 9.8. 1950.<br />

155 RPr. v. 6.12. 1934. StadtA RV; zur feierlichen Übergabe der Ehrenbürgerurkunde vgl. Oberschwäbischer<br />

Anzeiger (Ausgabe Ravensburg) v. 30.3. 1935.<br />

156 Vgl. StadtA RV, RPr. v. 9.8. 1950; A I, Bü 133.<br />

157 Vgl. Schwäbische Zeitung (Ausgabe Ravensburg) v. 15.7. 1970.


stattfindenden Rutenfestzug halten die Erinnerung an diese bedeutende Industriellen- und<br />

Mäzenatenfamilie lebendig.<br />

Alfred Lutz<br />

Bildtexte:<br />

1.) Johann Michael Spohn (1748-1814), Porträt in Privatbesitz. Foto: Stadtarchiv Ravensburg.<br />

2.) Ravensburg von Nordosten, Ausschnitt aus einer Lithographie von Gottlob Johann<br />

Edinger, um 1820. Stadtarchiv Ravensburg.<br />

3.) Im Bild rechts die Spohn´sche Abwergspinnerei in Ravensburg (Holbeinstraße), um 1868.<br />

Die ehemalige Papiermühle „Oberer Hammer“ ist an ihrem Krüppelwalmdach und den<br />

langgezogenen Dachluken erkennbar, dahinter Anbauten und Erweiterungen der 1850er und<br />

1860er Jahre; der hohe Fabrikschlot nach 1864. Foto: Stadtarchiv Ravensburg.<br />

4.) Schützenscheibe gemalt anlässlich der Hochzeit Julius Spohns mit Luise Heiß aus<br />

Biberach im Jahre 1868. In der Scheibenmitte ist der Bräutigam Julius Spohn am Tisch<br />

sitzend (mit erhobenem Glas) dargestellt, rechts neben ihm sein Vater Christian Paul Spohn,<br />

dahinter stehend der jüngere Bruder von Julius Spohn, Georg Spohn (mit erhobenem Glas).<br />

Im Hintergrund rechts die Spohn´sche Abwergspinnerei, links im Hintergrund das beflaggte<br />

Ravensburger Wahrzeichen, der 51 Meter hohe, 1425/29 erbaute „Mehlsack“.<br />

Ravensburg, Rathaus.<br />

(Anm. bitte vergrößert abbilden!).<br />

5.) Bauplan der Villa Julius Spohns vom Stuttgarter Architekten Robert Reinhardt aus dem<br />

Jahre 1876; nicht in allen Einzelheiten realisiert (v.a. Turm!). Plan im Stadtarchiv<br />

Ravensburg.


6.) Ansicht der Spohn´schen Villa von Norden mit dem im oberen Teil vereinfacht<br />

ausgeführten Turm, Foto um 1925. Stadtarchiv Ravensburg.<br />

7.) Das Spohn´sche Grabmonument auf dem Ravensburger Hauptfriedhof, erbaut 1884/85; in<br />

der Nische die Büste Christian Paul Spohns. Foto um 1985, Stadtarchiv Ravensburg.<br />

8.) Julius Spohn um 1895/1900. Fotografie im Besitz des Liederkranzes Ravensburg.<br />

9.) Das alte Ravensburger Stadttheater befand sich vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis<br />

1881 im ersten Obergeschoss der 1625 erbauten Brotlaube, dem in der Bildmitte dargestellten<br />

frühbarocken Gebäude mit den beiden Rundbogendurchgängen. Ausschnitt aus einem<br />

Sammelbild von Joseph Bayer, Lithographie um 1860, Privatbesitz. Foto: Stadtarchiv<br />

Ravensburg.<br />

10.) Die feierliche Einweihung des „Konzerthauses“ in Ravensburg am 14. November 1897.<br />

Der langgestreckte Saalbau in Formen der Neorenaissance, des Neobarock und<br />

Neoklassizismus besitzt als bauliche Dominante einen mächtigen Mittelrisalit, der von zwei<br />

kolossalen Halbsäulenpaaren mit ionischer Basis und korinthischem Kapitell flankiert wird.<br />

Über den drei Eingängen <strong>zum</strong> Foyer und der Büste Apolls erhebt sich ein mächtiger<br />

Rundbogen. Der abschließende Dreiecksgiebel ist mit einer Inschrifttafel, einem beringten<br />

Löwenkopf, dem Stadtwappen und einer von zwei Drachengestalten gehaltenen „Lyra“<br />

geschmückt. Auch der heute 574 Plätze bietende, prächtig ausgestaltete „Große Saal“ im<br />

Zentrum des Gebäudes (Bühne nach Westen, „Kleiner Saal“ nach Osten) ist weitgehend<br />

original erhalten. Die Nebenräume sind, ähnlich den Seitenschiffen einer Basilika, in<br />

langgestreckten Anbauten an der Nord- und Südseite des Konzerthauses untergebracht.<br />

Foto: Stadtarchiv Ravensburg.<br />

11.) Der Neubau für Gymnasium und Oberrealschule auf dem Ravensburger<br />

Andermannsberg, kurz nach der Fertigstellung 1914. Rechts im Bild die als separater Bau<br />

ausgeführte Turnhalle. Foto: Stadtarchiv Ravensburg.<br />

12.) Die elegant gestaltete Halle im Schulneubau mit repräsentativem Brunnen, Lampen und<br />

Heizungsverkleidungen in Formen des Jugendstils. Aquarell von 1912. Foto: Stadtarchiv<br />

Ravensburg.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!