Von Rittern, Bürgern und von Gottes Wort - Staats- und ...
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Biblia sacra (Vulgata)<br />
Westdeutschland, 14. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Hamburg, SUB: cod. 54 in scrin.<br />
Provenienz: Uffenbach – Wolf 1<br />
Pergamenthandschrift – 289 Bll. – 31 x 22,5 – Lagenverlust am Beginn <strong>und</strong> am Ende der Handschrift – kleine Textura –<br />
73 Initialen auf Goldgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> mit Fleuronnéeverzierung, vereinzelt Tierköpfe, rote <strong>und</strong> blaue Majuskeln – zweispaltig –<br />
moderner Einband des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Die Bibel des christlichen Mittelalters ist die lateinische<br />
Vulgata. Die Auswahl <strong>und</strong> Reihenfolge der biblischen Schriften<br />
in einem verbindlich gültigen Kanon erfolgte in einem<br />
lang andauernden historischen Prozeß. Als ›Vulgata‹ (›die<br />
Allgemeingebräuchliche‹) wird spätestens seit dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
die Sammlung aller kanonischen Bibeltexte in derjenigen<br />
Form <strong>und</strong> Ordnung bezeichnet, in der sie durch<br />
den Kirchenvater Hieronymus im 4. Jahrh<strong>und</strong>ert auf Anregung<br />
des Papstes Damasus I. (366–384) aus verschiedenen<br />
älteren Übersetzungen redigiert, überarbeitet <strong>und</strong> teilweise<br />
neu übersetzt wurde. Hieronymus stellte einzelnen Büchern<br />
<strong>und</strong> Buchgruppen einführende Prologe voran, die in der<br />
mittelalterlichen Überlieferung zum festen Textbestand der<br />
Vulgata gehören <strong>und</strong> deren Bestand im Laufe der Zeit durch<br />
mittelalterliche Autoren beträchtlich erweitert wird. 2 Aufgr<strong>und</strong><br />
der schwindenden Griechischkenntnisse innerhalb der<br />
westeuropäischen Gemeinden wurden schon vor Hieronymus<br />
verschiedene (seit dem 2. Jh. nachweisbare) altlateinische<br />
Übersetzungen der griechischen Septuaginta (Altes<br />
Testament) sowie verschiedene Übersetzungen des Neuen<br />
Testamentes angefertigt, die als sog. Vetus Latina breite Akzeptanz<br />
innerhalb der lateinischen Christenheit erlangten.<br />
Die neue <strong>von</strong> Hieronymus erstellte Version konnte diese<br />
vollständig erst einige Jahrh<strong>und</strong>erte nach ihrer Entstehung<br />
verdrängen. Gleichwohl gebührt Hieronymus das Verdienst,<br />
unter Einbeziehung auch der hebräischen Urtexte eine vereinheitlichte<br />
lateinische Version der Bibel geschaffen zu haben,<br />
die das gesamte Mittelalter hindurch bis weit in die<br />
Neuzeit hinein das heilige, <strong>von</strong> der Kirche autorisierte <strong>und</strong><br />
bewahrte Schriftwort repräsentierte. Der Bibeltext des Hieronymus<br />
bildet im Mittelalter die Gr<strong>und</strong>lage für Liturgie<br />
<strong>und</strong> <strong>Gottes</strong>dienst, für die Schriftauslegung sowie für Predigt<br />
<strong>und</strong> Verkündigung. 3<br />
Bibeln iuxta vulgatam versionem werden das ganze Mittelalter<br />
hindurch immer wieder abgeschrieben, zunächst in<br />
Klöstern, wobei jeder Orden seine eigene Version verwendet<br />
<strong>und</strong> tradiert, für den Gebrauch in Kloster- <strong>und</strong> Domschulen<br />
<strong>und</strong> schließlich auch für das Studium an den Universitäten.<br />
Das ausgestellte Exemplar enthält den vollständigen<br />
Kanon in einem einzelnen Band. Dies ist durchaus<br />
nicht die einzige Form, in der die Bibel im Mittelalter rezipiert<br />
wurde. Der Umfang des biblischen Korpus nötigte<br />
überwiegend zur Aufteilung des Textes auf mehrere Bände.<br />
Je nach Gebrauch finden sich auch Handschriften, die thematische<br />
Teilgruppen <strong>und</strong> einzelne biblische Bücher (z.B.<br />
die historischen Bücher, die prophetischen Bücher, die Evangelien<br />
oder den Psalter), teilweise mit exegetischen Kommentaren<br />
<strong>und</strong> Glossen versehen, überliefern. 4<br />
Bezüglich Layout <strong>und</strong> Textpräsentation steht das Hamburger<br />
Exemplar dem Typ vollständiger Bibeln nahe, wie<br />
sie im Pariser Universitätsbetrieb des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts entwickelt<br />
wurden <strong>und</strong> <strong>von</strong> hier aus weite Verbreitung erfuhren.<br />
Der Text ist in kleiner sorgfältiger <strong>und</strong> gut lesbarer<br />
Textura geschrieben <strong>und</strong> sparsam verziert. Die Handschrift<br />
weist die seit dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert allgemein übliche Kapitelzählung<br />
auf, hier in roten <strong>und</strong> blauen römischen Zahlen<br />
ausgeführt. Zur besseren Orientierung innerhalb des sehr<br />
einheitlichen Schriftbildes dienen Kolumnentitel, die am<br />
oberen Blattrand den sich jeweils über zwei Seiten erstrekkenden<br />
Kurztitel des entsprechenden Buches vermerken,<br />
sowie rote Kapitelüberschriften, die jedoch nicht vollständig<br />
ausgeführt wurden, was darauf hinweist, daß Schreib<strong>und</strong><br />
Rubrizierungsprozeß nacheinander erfolgten. Die über<br />
mehrere Zeilen ausgeführten Initialen an den Textanfängen<br />
sind sehr sorgfältig, jedoch nicht übermäßig prunkvoll ausgestattet:<br />
Typisch sind die lang herabgezogenen, mit Blattgold,<br />
Fleuronneé <strong>und</strong> Tiergrotesken verzierten Buchstabenschäfte,<br />
vor allem bei den Initialen P <strong>und</strong> I, die auch als<br />
Zierleisten für einzelne Spalten dienen. Auf den regelmäßigen<br />
Gebrauch des Codex weisen lateinische Marginalglossen<br />
verschiedener Hände des 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>erts sowie<br />
Notabene-Zeichen hin. Über die mittelalterliche Provenienz<br />
der Handschrift ist nichts bekannt, die Randeinträge<br />
weisen die Benutzer jedoch als clerici aus. Mögliche<br />
Besitzereinträge <strong>und</strong> Schreiberkolophone sind aufgr<strong>und</strong> des<br />
Verlustes mehrerer Lagen – am Ende fehlen unter anderem<br />
die katholischen Briefe sowie die Offenbarung des Johannes,<br />
– verlorengegangen. Außerdem wurden mehrere Initialen<br />
aus dem Codex herausgeschnitten, wofür wohl übertriebener<br />
<strong>und</strong> dem Buch als Gesamtkunstwerk wenig gerecht<br />
werdender Sammeleifer die Ursache ist.<br />
Ein Besitzer des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts ist anhand <strong>von</strong> ausführlichen<br />
persönlichen Randnotizen <strong>und</strong> eines Datums (1466)<br />
innerhalb der Handschrift zu identifizieren. Es handelt sich<br />
um Johannes Hartmanni aus Oberwesel, der unter ande-