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Von Rittern, Bürgern und von Gottes Wort - Staats- und ...

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12<br />

42<br />

Rudolf <strong>von</strong> Ems: Weltchronik,<br />

illuminiertes Fragment: Judith <strong>und</strong> Holofernes<br />

südrheinfränkisch, um 1300<br />

Hamburg, SUB: Frgm. Samlg. (germ.) 1<br />

Provenienz: Wolf<br />

Pergament — 1 Bl. — 18(19) x 20 — eine dreizehnzeilige Miniatur<br />

Der Textausschnitt auf dem freigelegten Pergament gehört<br />

zu einem monumentalen Werk des in der ersten Hälfte des<br />

13. Jahrh<strong>und</strong>erts tätigen Dichters Rudolf <strong>von</strong> Ems, 64 dessen<br />

so gut wie unbekannte Lebensgeschichte nur durch indirekte<br />

<strong>und</strong> verstreute Zeugnisse punktuell erhellt werden<br />

kann. Obwohl sein Bildungsweg nicht bekannt ist, gilt er<br />

in der Forschung fast einhellig als einer der gelehrtesten<br />

mittelhochdeutschen Autoren, der sich neben rhetorischen<br />

<strong>und</strong> poetologischen Fertigkeiten durch gute Latein- <strong>und</strong><br />

Französischkenntnisse auszeichnete. Sein am Vorbild Gottfrieds<br />

<strong>von</strong> Straßburg orientierter Dichterkatalog in Willehalm<br />

<strong>von</strong> Orleans <strong>und</strong> Alexander weist ihn als einen höfischen<br />

Dichter aus, der durch seine umfassenden Literaturkenntnisse<br />

die höfische Epik in ihren allen Facetten überblickt.<br />

Zugleich vermittelt er eine Verbindung zwischen der lateinischen<br />

Gelehrsamkeit <strong>und</strong> der volkssprachlichen Laienkultur.<br />

Die dem Staufer Konrad IV. gewidmete gereimte Weltchronik<br />

mit den Anfangsworten: Richter got herre vbir alle<br />

kraft, ist ein Spätwerk des jung verstorbenen Dichters <strong>und</strong><br />

gewann ein breites Interesse, wohl hauptsächlich wegen seines<br />

Inhalts. Rudolfs Chronik enthält nämlich neben den<br />

heilsgeschichtlichen <strong>und</strong> profanhistorischen Erzählungen<br />

auch naturk<strong>und</strong>liches Wissen <strong>und</strong> Alltagskenntnisse in erstaunlichem<br />

Umfang, die meistens durch die Beschreibung<br />

<strong>von</strong> Realien <strong>und</strong> Lebenssituationen vermittelt werden. Die<br />

Struktur der Weltchronik entspricht in der Traditon des<br />

Augustinus den sechs Schöpfungstagen nach dem Prinzip<br />

des Sechs-Tage-Schemas; ihre Quellen sind u.A. die Vulgata<br />

<strong>und</strong> eine Schulbibel des Petrus Comestor aus dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Durch die zahlreichen Fortsetzungen <strong>und</strong> der Dichtung<br />

Rudolfs folgenden Kompilationen entstand eine Reihe biblischer<br />

Chroniken, wie die sogenannte Christherre-Chronik<br />

eines anonymen Autors (vgl. Kat.-Nr. 14) <strong>und</strong> Jans<br />

Enikels Weltchronik, die sich in mehreren Phasen durch<br />

Einfügung weiterer Erzählstoffe aus verschiedenen Quellen<br />

zu einem umfangreichen Werk entwickelt haben <strong>und</strong> einen<br />

bedeutenden Höhepunkt der Gattung darstellen. Diese<br />

monumentale Kompilation wird mit dem Namen Heinrichs<br />

<strong>von</strong> München 65 verb<strong>und</strong>en sowie mit den in Prosa verfassten<br />

Historienbibeln (s. Kat. Nr. 17 <strong>und</strong> 19), für die Rudolfs Werk<br />

gleichermaßen Gr<strong>und</strong>stoff, Quelle <strong>und</strong> das Aufbaumuster<br />

geliefert hat. So entstand bis zum 15. Jahrh<strong>und</strong>ert ein schwer<br />

überschaubares System entsprechender handschriftlicher<br />

Überlieferungen. 66<br />

Unser Fragment enthält einen Ausschnitt aus der Geschichte<br />

<strong>von</strong> Judith <strong>und</strong> Holofernes, wie sie das vierte Buch<br />

der Könige in der lateinischen Vulgata berichtet. In Rudolfs<br />

Erzählung ist diese Episode jedoch nicht mehr enthalten.<br />

Deshalb muß unser Text ein späterer Zusatz zu der an Rudolfs<br />

Werk anschließenden Überlieferung sein. Gisela Kornrumpf<br />

hat ermittelt, daß das Hamburger Fragment eine in<br />

der Meininger Reimbibel enthaltene Textfassung überliefert.<br />

67<br />

Das Pergamentblatt wurde im Jahr 1980 im Magazin der<br />

SUB Hamburg als Einbandhülle eines Sammelbandes entdeckt.<br />

Ursprünglich enthielt der Band zwei <strong>von</strong> der Hand<br />

des Vorbesitzers Wolf numerierte Werke juristischen Inhalts,<br />

<strong>von</strong> denen jedoch beim Auffinden des Bandes das Werk mit<br />

der Nr.1 fehlte; es ist in der Sammlung der SUB offenbar<br />

auch nicht mehr vorhanden.<br />

Die freigelegte Einbandhülle stammte eindeutig aus einem<br />

großzügig gestalteten Codex, aus dem sich weitere Blätter<br />

in der Handschriftensammlung der Königlichen Bibliothek<br />

Kopenhagen gef<strong>und</strong>en haben (Kat.-Nr. 13). Die abgesetzten<br />

Verse sind auf unserem Fragment in je zwei Kolumnen<br />

angeordnet <strong>und</strong> die Kapitelüberschriften seitlich neben<br />

dem Text plaziert. Die Kolumnentitel wurden abwechselnd<br />

mit roten <strong>und</strong> blauen Initialen geschmückt. Die verblasste<br />

Illustration stellt Judith mit ihrer Dienerin im Lager des<br />

Holofernes dar.<br />

EH

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