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Von Rittern, Bürgern und von Gottes Wort - Staats- und ...

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Übersetzungen der Evangelien <strong>und</strong> der Apostelgeschichte<br />

Raum Speyer, 1504 (?)<br />

Hamburg, SUB: cod. 105 in scrin.<br />

Provenienz: Johann Melchior Goeze 12<br />

Papierhandschrift — 295 Bll. — 19,5 x 13 — einspaltig, 24–27 Zeilen — Bastarda mitteldeutscher<br />

(mittelrheinischer) Provenienz — rubriziert — rote Lombarden mit ausgesparten Verzierungen an den Kapitelanfängen —<br />

an den Prologanfängen grün-rote Initialen mit Fleuronnéeschmuck — roter Maroquineinband des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts —<br />

Schreibsprache westmitteldeutsch — (Provenienz vermutlich südöstlich <strong>von</strong> Speyer).<br />

Für die Vermittlung der Heilsgeschichte an Laien bilden die<br />

vier Evangelien <strong>und</strong> die Apostelgeschichte die wichtigste<br />

Gr<strong>und</strong>lage. Die Evangelien berichten in erzählender Form<br />

Leben, Passion <strong>und</strong> Auferstehung Christi, die Apostelgeschichte<br />

bietet anhand einzelner Schicksale der engsten Vertrauten<br />

des Herrn herausragende Beispiele christlicher Lebensführung<br />

<strong>und</strong> imitatio Christi zur Orientierung an. Die<br />

Kenntnis des genauen biblischen <strong>Wort</strong>lautes, der im <strong>Gottes</strong>dienst<br />

ausschließlich in lateinischer Sprache verlesen<br />

wurde, war im Mittelalter für diese Vermittlung nicht zentral,<br />

sondern vielmehr die k<strong>und</strong>ige Auslegung <strong>und</strong> Erklärung<br />

des in ihm verborgenen Sinns durch den Prediger.<br />

Wiewohl eine selbständige Lektüre biblischer Bücher für<br />

Laien nicht vorgesehen war <strong>und</strong> <strong>von</strong> Seiten des Klerus auch<br />

nicht gern gesehen wurde, nimmt die Rezeption der Evangelien<br />

<strong>und</strong> anderer erzählender Texte der Bibel in der Volkssprache<br />

seit dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert ständig zu. Seit der Mitte<br />

des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts steigt auch die Zahl der überlieferten<br />

Handschriften, die Übersetzungen der vier Evangelien in<br />

der Volkssprache enthalten, nahezu sprunghaft an.<br />

Das ausgestellte Exemplar bietet sowohl die vier Evangelien<br />

als auch die Apostelgeschichte in vollständigen Übersetzungen<br />

<strong>und</strong> wurde <strong>von</strong> einer Hand geschrieben. Jedem<br />

Bibeltext sind ein bis zwei Prologe aus der Vulgata vorangestellt,<br />

ebenfalls in Übersetzung. Der Anfang des Prologs zum<br />

Matthäusevangelium fehlt, was auf den Verlust der ersten<br />

Lage zurückzuführen ist. Der Schluß des Prologs findet sich<br />

auf der ersten gezählten Seite (fol. 1r). Dieses Blatt wurde<br />

mit einem weiteren Blatt zusammengeklebt, auf der verso-<br />

Seite findet sich ein Kapitelsummarium über das erste Kapitel<br />

<strong>von</strong> der selben Hand.<br />

Am Ende des Textes der Apostelgeschichte (fol. 295r)<br />

wurde folgender Schreiberkolophon eingetragen: Hie endet<br />

sich daz buch der wirckunge der apostelen in dem iar vnsers<br />

heren XIV vnde iiij iare sint sie gesch[rieben]. Es folgt <strong>von</strong><br />

einer anderen Hand der Zusatz: <strong>von</strong> suster Gertrut <strong>von</strong> buren.<br />

Verschiedene Ansätze zur Identifizierung dieser Frau als Angehöriger<br />

einer Bremer Familie oder Mitglied eines Zisterzienserinnenkonventes<br />

im Bistum Erfurt konnten nicht<br />

aufrechterhalten werden, zumal diese Zuordnungen auch<br />

mit der mittelrheinischen Schreibsprache der Handschrift<br />

nicht in Einklang zu bringen sind. Fest steht, daß die Nach-<br />

tragshand die Handschrift nicht geschrieben hat, da sich<br />

ihr Schreibanteil auf die fünf Nachtragsworte beschränkt,<br />

die demnach eher als Besitzereintrag zu werten sind. Auch<br />

die Datierung der Handschrift wirft einige Probleme auf.<br />

Es wurde bereits in der älteren Forschung darauf hingewiesen,<br />

daß die Jahreszahl XIV auf einer Rasur stehe <strong>und</strong> ursprünglich<br />

richtig XV geheißen habe. Die Handschrift wird<br />

seitdem auf 1504 datiert. 13 Diese Spätdatierung wird zusätzlich<br />

gestützt durch die Wasserzeichenbestimmung, die ergibt,<br />

daß das älteste vom Schreiber verwendete Papier nicht<br />

vor 1480 in Gebrauch war. Gegen eine Datierung ins 16.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert spricht indes das Layout der Handschrift, welches<br />

sehr traditionell-mittelalterlich erscheint <strong>und</strong> Handschriften<br />

des frühen 15. Jahrh<strong>und</strong>erts näher steht als solchen<br />

um <strong>und</strong> nach 1500. An den Textanfängen finden sich rotgrüne<br />

bzw. rot-blaue Initialen, welche mit Blumenornamentik<br />

verziert sind, an Abschnittsanfängen stehen rote<br />

Lombarden mit Ornamentausspaarungen. Eigennamen sind<br />

rot unterstrichen. Fehlerhafte Stellen wurden rot <strong>und</strong><br />

schwarz durchgestrichen, Korrekturen vom Schreiber am<br />

Rand nachgetragen.<br />

Die Übersetzungen richten sich sprachlich sehr eng an<br />

der lateinischen Vorlage aus: Ein Beispiel aus dem Matthäusevangelium<br />

(Mt 1,18): Do Maria die mutter Jhesu waz<br />

vertruwet Joseph ee dz sie zusammen kamen, sie wart fvnden<br />

habende in dem libe <strong>von</strong> dem heiligen geist Vnd Joseph ir<br />

gemahel wan er gerecht wz vnd wolte sie nicht nemen. Er wolte<br />

sie heymlichen laszen […] 14 Die Übersetzungen repräsentieren<br />

einen Sprachstand, der ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückweist<br />

<strong>und</strong> deutlich macht, daß Texte dieser Art über längere Zeiträume<br />

in Gebrauch waren <strong>und</strong> immer wieder abgeschrieben<br />

<strong>und</strong> bearbeitet wurden. Die Forschung ging der weitverzweigten<br />

Textverwandtschaft der Hamburger Handschrift<br />

mit anderen Übersetzungen der Evangelien <strong>und</strong> der Apostelgeschichte<br />

ausführlich nach. Als Textvorlage gilt eine<br />

Bearbeitung des Textes der Koberger-Bibel, was ein weiteres<br />

Argument für die Spätdatierung darstellt. Allerdings<br />

wurden auch Einflüsse verschiedener anderer gedruckter<br />

Bibeln <strong>und</strong> Gemeinsamkeiten der Hamburger Handschrift<br />

mit einer bereits um 1400 geschriebenen ostmitteldeutschen<br />

Handschrift aus Freiberg/Sachsen festgestellt, die einen Text<br />

überliefert, der als Vorstufe des Textes der ersten Druck-

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