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52 Erinnerungen<br />
Die Fähre die uns hinüber nach<br />
Schweden bringen sollte, befand bzw.<br />
befindet sich neben der Brauerei, in der<br />
das Tuborg Bier gebraut wurde bzw.<br />
wird. Wir hatten bis zur Abfahrt der<br />
Fähre noch jede Menge Zeit und ließen<br />
uns von einem älteren Jugendlichen<br />
zur Besichtigung dieser Brauerei einladen.<br />
In dieser überraschte uns, in unserer<br />
damaligen Erlebniswelt, Unglaubliches!<br />
Aus den auf Hochglanz geputzten<br />
Wasserhähnen sprudelte und zischte<br />
Bier und das Dollste war, es kostete<br />
keinen Öre!<br />
Allen strengen Verboten unserer Eltern<br />
zum Trotz tranken wir viel zu viel<br />
von dem bitteren, gar nicht köstlichem<br />
Naß und hatten größte Mühe, die Fähre<br />
noch rechtzeitig zu erwischen.<br />
In Schweden angekommen, verließen<br />
wir so schnell wie möglich die<br />
Stadt, um uns in die Wälder, auf meist<br />
nur geschotterten Straßen, zu begeben.<br />
Aus den Berichten der deutschen<br />
Holzfäller, die als Gastarbeiter in<br />
Schweden lebten, wußten wir von<br />
Bären und Elchen – das war das „Salz<br />
in der Suppe“. In unserer kindlichen<br />
Fantasie lebten wir das Trapperleben<br />
voll aus. Das Pfadfinder-Fahrtenmesser<br />
mit geöffneter Schlaufe und der<br />
Klappspaten quer auf dem Lenker,<br />
gaben uns die Sicherheit gegen Elche<br />
und Bären gut gewappnet zu sein. Das<br />
Wasser reiner Wildbäche stillte unseren<br />
Durst. Gegessen wurde, auf offenem<br />
Feuer gekocht, Tütensuppe von<br />
Knorr – vom Huhn bis zum Ochsenschwanz.<br />
Eine kleine freie Fläche an irgendeinem<br />
Bach fand sich immer, um unser 2<br />
Mann US Zelt der Army für 3 Mann aufzubauen.<br />
Eine Dreieckplane der Deutschen<br />
Wehrmacht linderte ein wenig<br />
die Platznot, alles natürlich ohne Gummiboden.<br />
Unser Glück war vollkommen,<br />
als wir von unserem knappen<br />
Reisegeld sombreroartige Strohhüte<br />
kauften. Combinette, Fratz und Vicky III<br />
schienen sich ebenfalls äußerst wohl<br />
zu fühlen. Sie schnurrten dahin, als<br />
wollten sie uns bis an das Ende der<br />
Welt bringen. Bis auf einige Plattfüße,<br />
verrußte Zündkerzen und verstopfte<br />
Düsen bereiteten sie uns nur Freude.<br />
Gegenverkehr oder überholenden Verkehr<br />
gab es so gut wie gar nicht und<br />
eine Woche nach der Abfahrt in Sittensen<br />
fuhren wir als stolze „Rotzbengel“,<br />
wie mein Vater zu sagen pflegte, in<br />
Stockholm ein.<br />
Alles was ich in späteren Jahren von<br />
Stockholm gesehen und in der Stadt<br />
erlebt habe, wiegt nicht dieses ungeheure<br />
Glücksgefühl auf, welches ich<br />
bei meiner persönlichen Entdeckung<br />
Stockholms als 16-jähriger empfunden<br />
habe.<br />
Die Rückreise nach Deutschland verlief<br />
ebenso spannend wie die Hinreise.<br />
Es mag mir einer glauben oder nicht,<br />
als wir auf der Fähre nach Dänemark<br />
Kassensturz machten, blieben uns<br />
noch 75 DM von Anfangs 350 DM (abzüglich<br />
unserer Strohhüte).<br />
Ich frage mich noch jetzt, wie konnten<br />
wir mit so wenig Geld fast 3 Wochen<br />
auskommen? Auch wenn die Antwort,<br />
die ich mir gebe immer lautet, wir<br />
haben immer auf offenem Feuer gekocht,<br />
nur Tütensuppe stand auf dem<br />
Speiseplan – nie habe ich köstlicher<br />
gegessen. Mich hat aber ja auch noch<br />
niemand danach gefragt.<br />
Von den restlichen 75 DM zogen wir<br />
15 DM ab – für die zwei Tage, die wir<br />
noch nach Hause brauchten und für 60<br />
DM kauften wir für unsere Eltern „groß“<br />
ein. Kaffee, Schokolade und Zigaretten,<br />
alles zollfrei! „Dürft ihr alles mitnehmen“<br />
raunte uns ein angeblich alles<br />
wissender Mensch zu. Die Folge war,<br />
daß wir den größten Teil unserer Geschenke<br />
beim Zoll abliefern und glücklicherweise<br />
keine Strafe bezahlen mußten.<br />
Wie sollten wir auch?<br />
Ach so - die Gabel der Dürkopp Fratz<br />
hielt mit der angelegten Bandage bis<br />
sie von einer gebrauchten BMW R 67/2<br />
abgelöst wurde.<br />
Egon Funke