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Reader - Deutsches Polen Institut

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Dr. Severin Gawlitta (Remscheid)<br />

Einwanderung ins Königreich <strong>Polen</strong> im 19. Jahrhundert. Eine europäische Perspektive<br />

Dr. Severin Gawlitta, geb. 1975, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Heinrich-<br />

Heine-Universität in Düsseldorf. 2007 Promotion mit dem Thema Zwischen Einladung und Ausweisung.<br />

Deutsche bäuerliche Siedler im Königreich <strong>Polen</strong> 1815-1915. Forschungsschwerpunkte:<br />

Deutsch-polnische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Geschichte und Kultur der Deutschen<br />

im östlichen Europa. Zuletzt veröffentlicht: »Darum vor allem sind wir untereinander Brüder«. Transfer<br />

und Implementierung nationaler Identität unter deutschen Kolonisten in Mittelpolen 1915–1919.<br />

In: Aufbruch und Krise. Das östliche Europa und die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg, hrsg. v.<br />

Beate Störtkuhl/Jens Stüben/Tobias Weger, Oldenburg 2010, S. 243-256.<br />

Die Einwanderung nach <strong>Polen</strong> im 19. Jahrhundert<br />

war zum einen durch soziale und<br />

wirtschaftliche Krisen in den Herkunftsgebieten<br />

der Migranten motiviert, zum anderen<br />

vollzog sie sich aufgrund einer teilweise sehr<br />

intensiven Werbe- und Ansiedlungstätigkeit<br />

der polnischen Regierung und adliger<br />

Grundherren. Diese klassische Dichotomie<br />

prägt die bisherige Forschung zum Thema.<br />

Fragt man nach den Beweggründen für die<br />

Ansetzung von Ausländern in <strong>Polen</strong>, so verweist<br />

die Fachliteratur daher fast ausschließlich<br />

auf einen notwendigen Modernisierungsbedarf<br />

der Wirtschaft, dem mit Hilfe der<br />

herbeigeführten auswärtigen Fabrikanten,<br />

Facharbeiter und Kolonisten entsprochen<br />

werden sollte. So entsteht der Eindruck, die<br />

primäre Ursache für die Einwanderungspolitik<br />

lag in der ökonomischen, vor allem in der agrotechnischen<br />

Unterentwicklung des Landes.<br />

Dabei wird außer Acht gelassen, dass die<br />

Anwerbung und Ansetzung von Ausländern<br />

nur ein Mittel unter vielen war, das zur wirtschaftlichen<br />

Modernisierung eingesetzt und<br />

welches nicht zwangsläufig als einziger Ausweg<br />

aus einer wie auch immer gearteten<br />

Rückständigkeit gesehen wurde. Vor diesem<br />

Hintergrund muss angenommen werden,<br />

dass die Ansiedlung von Fachkräften aus<br />

dem Ausland zur Verbesserung und zur Hebung<br />

der Landeswirtschaft in hohem Grade<br />

auf der Überführung und auf der Partizipation<br />

�<br />

37<br />

von zeitgenössischen, wirtschaftspolitischen<br />

Ideen und Erfahrungen beruhte, die durch<br />

transnational agierende Personenkreise nach<br />

und in <strong>Polen</strong> vermittelt wurden. Das Begreifen<br />

der Einwanderung als ein Instrument moderner<br />

Ökonomie durch die polnischen Eliten ist<br />

daher einerseits auf die wirtschaftstheoretischen<br />

Diskurse in Europa zurückzuführen, andererseits<br />

auf die praktischen Erfahrungen in<br />

den Nachbarstaaten, die in der Folgezeit<br />

auch in <strong>Polen</strong> Rezeptoren und Anhänger<br />

fanden. Die bisherige Deutung der Einwanderung<br />

nach <strong>Polen</strong> als Folge eines Modernisierungs-<br />

und Fortschrittbedarfs reicht daher<br />

für die Beschreibung und Erklärung dieses<br />

Sachverhalts nicht aus und sollte um den Aspekt<br />

des Wissens- und Erfahrungstransfers und<br />

damit um den europäischen Kontext erweitert<br />

werden.<br />

Die Umsetzung dieser wirtschaftstheoretischen<br />

Leitgedanken und Ansätze erforderte<br />

eine Anpassung an die politischen und gesellschaftlichen<br />

Bedingungen in <strong>Polen</strong>. Neben<br />

der Regierung entwickelten vor allem<br />

die polnischen Grundherren eine intensive<br />

Ansiedlungstätigkeit. Diese Parallelität von<br />

staatlich und privat organisierter Einwanderung<br />

bildet ein Charakteristikum der polnischen<br />

Migrationspolitik im 19. Jahrhundert,<br />

was sich auch in ihrem jeweils unterschiedlichen<br />

Erfolg niederschlug.

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