Reader - Deutsches Polen Institut
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Dr. Jens Boysen (Warschau)<br />
»Brüderliche Hilfe« gegen die »polnische Krankheit«: Bemühungen der DDR-Führung zur Rettung<br />
des sozialistischen Lagers in den 1980er Jahren<br />
Dr. Jens Boysen, 1991-97 Studium der Geschichte und Slavistik in Frankfurt am Main und Dublin,<br />
1997/98 Postgraduiertenstudium Europastudien am Europakolleg Warschau-Natolin, 1999/2000<br />
Forschungsassistent für Politik am Europakolleg Brügge, 2002/03 Projektkoordinator am Simon-<br />
Dubnow-<strong>Institut</strong> für jüdische Geschichte und Kultur e.V. in Leipzig, 2003-07 Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am <strong>Institut</strong> für Slavistik der Universität Leipzig, 2006 Promotion in Neuerer Geschichte an<br />
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 2007-2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-<br />
Zentrum Mittel- und Osteuropa in Leipzig, 2009/10 Postdoc-Stipendiat der Stiftung für deutschpolnische<br />
Zusammenarbeit in Warschau, seit Dez. 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen<br />
Historischen <strong>Institut</strong> Warschau.<br />
Die sich ab 1976 entspinnende Krise des<br />
kommunistischen Regimes in <strong>Polen</strong> wurde<br />
von der SED-Führung aufmerksam verfolgt<br />
und beginnend mit den Überlegungen zu einer<br />
Intervention des Warschauer Pakts in den<br />
Jahren 1980/81 engagierte sie sich zugunsten<br />
von Maßnahmen, die zum Erhalt der realsozialistischen<br />
Ordnung im Nachbarland beitragen<br />
sollten. Diese Bemühungen lassen sich<br />
weder mit »antipolnischen« Ressentiments erklären<br />
(auch wenn die DDR-Propaganda<br />
zeitweise instrumentell an solche appellierte)<br />
noch mit raumpolitischen Dominanzideen.<br />
Vielmehr ist bei der SED-Führung eine relativ<br />
konsequente Umsetzung ihrer ideologischen<br />
Prinzipien zu beobachten, in der das Verhältnis<br />
zu <strong>Polen</strong> von der inhärenten Logik des »sozialistischen<br />
Lagers« bestimmt wurde. Dabei<br />
standen folgende Aspekte im Mittelpunkt:<br />
Erstens beruhte die Existenz der DDR primär<br />
auf ihrer »internationalistischen« Funktion als<br />
Frontstaat des sowjetischen Blocks; zugleich<br />
erwartete die SED eine im Grundsatz gleichartige<br />
Ausrichtung auch von den »Bruderstaaten«.<br />
<strong>Polen</strong>s Schlüsselrolle ergab sich hier<br />
aus seiner geostrategischen Brückenfunktion<br />
zwischen der Sowjetunion und der DDR. In<br />
dieser Beziehung erwarteten die Sowjetunion<br />
und die DDR von der PRL unzweideutige Loyalität<br />
und Disziplin.<br />
Zweitens negierte die SED die deutschen nationalen<br />
Traditionen – sofern sie nicht »proletarischer«<br />
Natur waren – um sich von der<br />
Bundesrepublik ideologisch abzusetzen. Ernst<br />
zu nehmen ist auch der Wille der SED-<br />
Führung, unter sowjetischer Führung am Aufbau<br />
einer neuen »sozialistischen« Weltordnung<br />
mitzuwirken. Die <strong>Polen</strong> standen dieser<br />
Idee skeptisch gegenüber, und zwar sowohl<br />
wegen ihres deutsch-russischen Ursprungs als<br />
auch deswegen, weil sich in der PVAP ab<br />
1956 eine nationalkommunistische Linie<br />
61<br />
durchsetzte und der Nationalstaat als Wert<br />
an sich betrachtet wurde. Auch das östliche<br />
Bündnis wurde zunehmend unter diesem<br />
Blickwinkel gesehen.<br />
Drittens wurde in der DDR, wo in den 1970er<br />
Jahren die letzten Reste »bürgerlicher« Lebensformen<br />
in Kultur und Wirtschaft eliminiert<br />
wurden, die in dieser Hinsicht »kompromisslerische«<br />
Politik der PVAP kritisch beobachtet.<br />
Dies galt ebenso für die vielfältigen formellen<br />
und informellen polnischen Kontakte mit dem<br />
Westen, in denen von der SED ein Mangel an<br />
ideologischer Abgrenzung gesehen wurde.<br />
In den 1980er Jahren wurde ein mögliches<br />
»łHerausbrechen« <strong>Polen</strong>s aus dem sowjetischen<br />
Block dann zu einem ständigen Menetekel<br />
für die SED: Das Bestreben der PVAP zu<br />
einer »nationalen Verständigung« mit der<br />
Opposition, die westlichen Versuche zur Unterminierung<br />
der Kohäsion des Warschauer<br />
Pakts an seinem »schwächsten Glied« sowie<br />
der außenpolitische Pragmatismus der polnischen<br />
Führung ließen die SED die Strategie<br />
entwickeln, jener auf mehreren Gebieten –<br />
von der Handels- über die Militärpolitik, die<br />
Zusammenarbeit in internationalen Organisationen<br />
bis zum Kinder- und Jugendaustausch<br />
– eine verstärkte Zusammenarbeit anzubieten.<br />
Deren Ziel war es, die Warschauer Regierung<br />
bei der Beschwichtigung der Bevölkerung<br />
zu unterstützen und zugleich die PRL<br />
wieder stärker in die Blockstrukturen einzubinden.<br />
Damit einher ging eine ideologisch<br />
belehrende Haltung, die sich nicht auf ein<br />
›nationales‹ Interesse der DDR, sondern auf<br />
das Gesamtinteresse des sozialistischen Lagers<br />
berief. Durch Gorbačevs Politik kam es<br />
spätestens nach 1987 zu einem faktischen<br />
sowjetisch-polnischen Reformbündnis und zur<br />
Isolierung der DDR, die als einziger Mitgliedsstaat<br />
den Untergang des Warschauer Pakts<br />
nicht überleben konnte.