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Deutschland zwischen 1950 und 2009 - Rainer Land Online Texte

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allerdings nicht auf die Kapitalverwertung oder den Akkumulationstrieb des Kapitals im All-<br />

gemeinen oder die allgemeine Krise des Kapitalismus als solchem. 18<br />

3.2. Ursachen des Umbruchs aus volkswirtschaftlicher Perspektive<br />

Welche Erklärungen für Erosion <strong>und</strong> Niedergang der Regulation wirtschaftlicher Entwicklung<br />

sind denkbar?<br />

1. Eine mögliche Erklärung liefern Heiner Flassbeck <strong>und</strong> Friederike Spiecker in einer Viel-<br />

zahl von Artikeln <strong>und</strong> zwei Büchern (vgl. Flassbeck/Spieker 2007: 171, Flassbeck <strong>2009</strong>). Aus<br />

seiner Sicht sind es politisch-strategische Fehlentscheidungen 19 , die zur Erosion der Lohnre-<br />

gulation, der Sozialpolitik <strong>und</strong> der Finanzpolitik geführt haben <strong>und</strong> die das internationale<br />

Handels- <strong>und</strong> Finanzsystem schwer geschädigt haben, insbesondere Entscheidungen der Bun-<br />

desbank <strong>und</strong> der europäischen Zentralbank, Strategien der Politik seit den 1980er Jahren bis<br />

heute, darunter insbesondere die Deregulierung der Finanzmärkte, die Lohnmoderation <strong>und</strong><br />

Agenda 2010 der Schröder-Regierung, <strong>und</strong> Strategien der Unternehmerverbände <strong>und</strong> der Ban-<br />

ker. Dahinter sieht er eine politisch-kulturelle Veränderung: die Durchsetzung der neoklassi-<br />

schen Wirtschaftslehre <strong>und</strong> ein neoliberales Gesellschaftsverständnis, das seit den späten<br />

1970er-Jahren an Einfluss gewinnt.<br />

Seine Beschreibung der Funktionsweise des Wirtschaftssystems unter den Bedingungen von<br />

Lohnzurückhaltung <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Gefahren für den Welthandel, die internatio-<br />

18 Die Theorien, die dem Kapitalismus letztendlich keine Zukunft einräumen, keine Transformationen seines<br />

sozioökonomischen Charakters für möglich halten <strong>und</strong> auch den Nachkriegskapitalismus nicht als Transformation<br />

des Verhältnisses von Kapital <strong>und</strong> Lohnarbeit deuten <strong>und</strong> die im Umbruch <strong>und</strong> speziell der derzeitigen<br />

Weltwirtschaftskrise einen Ausdruck des unvermeidlichen Niedergangs des Kapitalismus als solchem sehen,<br />

der schon im Prinzip der Selbstverwertung des Werts begründet liegt, sind so allgemein, dass sie schon<br />

die Entstehung des fordistischen Teilhabekapitalismus nach dem zweiten Weltkrieg ausschließen müssten.<br />

Denn aus der Perspektive der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist Teilhabe der Lohnarbeit <strong>und</strong> produktivitätsorientierte<br />

Lohnentwicklung als Regulationsprinzip mit Kapitalverwertung <strong>und</strong> Akkumulation des Kapitals<br />

nicht vereinbar. Die wirkliche Entwicklung hat im Gegensatz zu diesen Theorien gezeigt, dass Kapitalverwertung<br />

als Prinzip der Selektion wirtschaftlicher Entwicklungsoptionen nicht nur mit einer Konsumtion<br />

der Arbeiter über den Wert der Ware Arbeitskraft hinaus ‚notdürftig‘ vereinbar ist. Vielmehr hat sich erwiesen,<br />

dass eine kapitalistische Wirtschaft, die mit der Teilhabe der Lohnarbeit am wachsenden Reichtum, mit<br />

politischen <strong>und</strong> sozialen Rechten, besseren Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> sozialem Ausgleich verb<strong>und</strong>en ist, auch<br />

die Bedingungen der Kapitalverwertung stabilisiert <strong>und</strong> verbessert – auch wenn sie mit den unmittelbaren Interessen<br />

der Einzel-Kapitalisten <strong>und</strong> deren betriebswirtschaftlicher Perspektive im Widerspruch steht. Die<br />

meisten neomarxistischen Kapitalismustheorien machen aber den Fehler, dass sie die betriebswirtschaftliche<br />

Perspektive der Einzelkapitalisten mit dem volkswirtschaftlichen Regulationsprinzip der Kapitalverwertung<br />

unvermittelt identifizieren – ein Fehler, den Marx meist nicht gemacht hat, aber er hat dafür Gelegenheiten<br />

hinterlassen. Die Herausbildung des Teilhabekapitalismus im <strong>und</strong> nach dem 2. Weltkrieg – als Alternative zu<br />

Faschismus <strong>und</strong> Krieg – betrachten wir als hinreichendes Indiz dafür, weitere Transformationen des Kapitalismus<br />

nicht auszuschließen. Ergebnis des Umbruchs könnte also aus unserer Sicht auch die Entstehung eines<br />

neuen Regimes kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung sein (vgl. 4.), aber das ist eine offene Frage.<br />

19 „Kurz <strong>und</strong> gut: Arbeitslosigkeit ist kein Schicksal, sondern Politikversagen, basierend auf einer ungeeigneten,<br />

falschen ökonomischen Theorie... Das hätte alles nicht sein müssen.“ Flassbeck, Busch, <strong>Land</strong> 2008:8<br />

<strong>Land</strong>, Busch <strong>2009</strong>-10, Teilhabekapitalismus

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