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Deutschland zwischen 1950 und 2009 - Rainer Land Online Texte

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Verfügung stehen, können sie für neue Lebensinhalte eingesetzt werden. Die Funktionen des<br />

Lohns wurden durch freie Ressourcen erweitert. Dies ermöglichte ein Leben über die Arbeit<br />

hinaus, ermöglichte individuelle besondere Lebensentwürfe, deren Unterschiede zumindest an<br />

sich nicht mehr durch die Funktionsunterschiede im Arbeitsprozess bestimmt sein müssen,<br />

<strong>und</strong> es ermöglicht die Gestaltung des eigenen Lebensentwurfs als Karriere, beruflich wie pri-<br />

vat, die Gestaltung des Lebens als Aufstieg, die Vorstellung eines sich entwickelnden Indivi-<br />

duums.<br />

Der Teilhabekapitalismus hat an sich die Möglichkeit der Entwicklung von Individualität für<br />

die Lohnarbeiter <strong>und</strong> damit als Massenphänomen moderner Gesellschaften geschaffen, aber<br />

zunächst nur in der Form der Konsumgesellschaft verwirklicht, also eines über die Reproduk-<br />

tion der Arbeitskraft hinausgehenden, aber standardisierten Massenkonsums. Aber schon da-<br />

mit haben sich in den 1960er-Jahren die vorher noch deutlichen Grenzen milieubestimmter<br />

Lebensweisen gelockert <strong>und</strong> nach <strong>und</strong> nach aufgelöst.<br />

Wahrscheinlich setzt freie Individualitätsentwicklung aber mehr voraus als Teilhabe über stei-<br />

gende Löhne, vor allem eben auch Teilnahme an der Determination qualitativer Entwick-<br />

lungsrichtungen von Produktion, Konsum <strong>und</strong> Kommunikation. Tatsächlich hat eine Wen-<br />

dung der Konsumexpansion hin zur Individualitätsentwicklung mit dem Umbruch in den<br />

1970er Jahren begonnen, wahrscheinlich nicht zuletzt in Folge von 1968. Der Anspruch auf<br />

freie individuelle Ressourcen <strong>und</strong> auf ein Leben, das nicht durch den „freiwilligen“ Dienst an<br />

vorgegebenen Funktionen bestimmt sein soll, sei es als Arbeiter, als Ehefrau <strong>und</strong> Mutter, son-<br />

dern etwas Eigenes zu verwirklichen hat, wurde in den 1980er- <strong>und</strong> 1990er-Jahren bei allen<br />

Einschränkungen in der Verwirklichung eine erstrebenswerte kulturelle Norm.<br />

Diese kulturelle Veränderung hat den Teilhabekapitalismus zur Voraussetzung, aber sie wirkt<br />

auch im Erosionsprozess. Einerseits beschränkt die neu entstandene Kultur die Versuche, die<br />

Effiziensverluste der Massenproduktion durch Druck auf den Lohn auszugleichen. Anderer-<br />

seits kann das seit den 1970er-Jahren etablierte Maß individueller Selbstverwirklichung auch<br />

in künftigen Transformationen nicht ohne Weiteres aufgehoben werden. Ein Rückschritt auf<br />

Lebensweisen, in denen Individuen über keine disponiblen Ressourcen verfügen <strong>und</strong> keine In-<br />

dividualität entwickeln können, wie dies in im sek<strong>und</strong>ären Integrationsmodus überflüssig ge-<br />

wordener Bevölkerungen der Fall ist, zerstört die gesellschaftlichen Voraussetzungen moder-<br />

ner Wirtschaftsentwicklung. Deshalb hat die Suspendierung der produktivitätsorientierten<br />

Lohnentwicklung nicht die Rückkehr zur alten Lohnarbeitergesellschaft zur Folge, sondern<br />

die Segregation (Vgl. Beck 2007; Bude/Willisch 2006). Ein Teil der Bevölkerung hat nach<br />

wie vor Einkommen, die mit der Produktivität steigen <strong>und</strong> die eine adäquate Teilhabe <strong>und</strong><br />

<strong>Land</strong>, Busch <strong>2009</strong>-10, Teilhabekapitalismus

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