Seele <strong>und</strong> Landschaft: Die verdrängte Bedeutung einer lebenswichtigen Beziehung Seite 36 natur <strong>und</strong> mensch 4-5 / 2008 Hoch über der Emme, das Tagewerk ist getan. Auf der Bank vor dem Heimetli lassen Bauer <strong>und</strong> Bäuerin den Abend in die Nacht gleiten. Nach langem Schweigen fragt die Bäuerin den Bauern: „Hesch gseh ?“ Langes Schweigen. „Was?“ „All die viele Schtärne.“ Nach langem, sehr langem Schweigen der Bauer zur Bäuerin: „Und wemme dänkt: Das si nume die vom Amt Signau.“ Foto: Photocase.com © JingleT
Die rasante Zerstörung von Grünraum erzeugt zunehmenden emotionalen Leidensdruck, der zu unbewusstem oder verdrängtem Verlust an Lebensqualität führt. Es wird für eine Rückbesinnung auf die Gr<strong>und</strong>sätze der Nachhaltigkeit plädiert. von Jean-Pierre Jaccard Die Bank trägt das Signet VVV. Nicht die Vermögensverwaltung Volketswil ist gemeint; gemeint ist das „rote Bänkli“, das der Verschönerungsverein Volketswil an jenem Ort aufgebaut hat, wo die Aussicht – nach Ansicht der Initianten – eindrücklich, imposant, überwältigend oder erholsam ist, <strong>und</strong> Einblick in eine „Seelenlandschaft“ gewährt, in der Einkehr möglich erscheint. Die Bank Die Kultur der Ruhebänke belegt auf eindrückliche Weise, dass im ganzen Land unzählige Standorte als aussergewöhnlich empf<strong>und</strong>en werden, als Orte also, an denen sich etwas zutiefst Menschliches abspielen kann. Die Kultur der Ruhebänke macht deutlich, dass der Schönheit einer Aus-Sicht etwas Mythisches anhaftet; die Ahnung, dass die von diesem Standort ausgehende Wahrnehmung nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen gerichtet sein könnte – man lässt die Aus-Sicht auf sich einwirken. Die Wirkungen am Ort des Verweilens auf der Ruhebank beschränken sich nicht auf das Visuelle allein. Auge <strong>und</strong> Nase bewirken, bewusst oder unbewusst, eine ganzheitliche Empfindung – ein Geniessen, ein Träumen, ein Entrückt-Sein. Das Rauschen der Wellen am Ufer des Sees, das Plätschern eines frei mäandrierenden Baches, das Gurgeln eines frei fliessenden Flusses, der harzige Geruch frisch gefällter Föhren, der betörende Duft blühender Waldreben können berauschen. Ganz zu schweigen von der ans Mythische grenzenden Wirkung eines unendlichen Sternenhimmels! Der Blick vom Egg Volketswil: Eine Aussicht, die auf den Menschen wirkt. Landschaftsqualität – ein fehlendes Entscheidungs- kriterium Wir wissen es: Landschaft, unabhängig von deren Qualität, wirkt auf Körper, Geist <strong>und</strong> Seele, sei dies bedrückend oder befreiend. Landschaft als der uns umgebende, irgendwie „möblierte“ Raum, gehört zu uns, so wie wir zu ihm gehören. Das wissen alle, auch die Immobilienbranche, wenn es darum geht, Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsort zu wählen; drei Parameter bestimmen den Wert <strong>und</strong> damit den Preis einer Immobilie: Lage, Lage, Lage 1) . Unter Lage fällt auch die Erreichbarkeit der Immobilie, sei es durch Strasse, Schiene <strong>und</strong> – für eine Weile noch – per Flugzeug: Verkehrsplanung heisst Gr<strong>und</strong>stückpreis- Politik. Unser existenzielles Paradoxon: Je leichter erreichbar ein Ort, desto wertvoller ist er im monetären Sinn, je unerreichbarer desto wertvoller für das körperliche <strong>und</strong> seelische Wohlbefinden: Unsere Erdöl getriebene Ge- sellschaft investiert Unsummen dafür, Orte des inneren Begehrens erreichbar zu machen, die – einmal erschlossen – bezüglich des erhofften, immateriellen Nutzens wertlos werden. Ein weiteres Beispiel von offensichtlichem Marktversagen, wie es sich z.B. auch in der Diskussion über eine allfällige Regulierung des Zweitwohnungsmarktes akut manifestiert. Noch konkreter erkennt man das Marktversagen daran, dass die Umzonungen von Parzellen aus dem Nicht-Baugebiet in das Baugebiet von Gemeindeparlamenten ohne Kostenfolge für die Begünstigten beschlossen werden 2) . Wollen jedoch dieselben Gemeindeparlamente Rückzonungen beschliessen, werden diese in der Regel durch un - bezahlbare „Schadenersatzforderungen“ ver- hindert; Landschaft als knappes Gut, das von der Öffentlichkeit zum Nulltarif an private <strong>und</strong> juristische Personen verschenkt wird. Im Rahmen der laufenden Diskussion zur Aktualisierung des Raumplanungsgesetzes plädiert der Autor dafür, mittels Landschafts- Kartierung, welche den anscheinend immateriellen Wert einer Landschaft endlich quantifiziert, Raumplanung als Raumgestaltung zu verstehen. Damit würde einsichtig, dass die intakte Landschaft eine Ressource ist, die nicht ungestraft aus der wirtschaftspolitischen Dis- natur <strong>und</strong> mensch 4-5 / 2008 Seite 37