50 Jahre „natur und mensch“ - Rheinaubund
50 Jahre „natur und mensch“ - Rheinaubund
50 Jahre „natur und mensch“ - Rheinaubund
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die rasante Zerstörung von Grünraum erzeugt zunehmenden<br />
emotionalen Leidensdruck, der zu unbewusstem oder<br />
verdrängtem Verlust an Lebensqualität führt. Es wird für<br />
eine Rückbesinnung auf die Gr<strong>und</strong>sätze der Nachhaltigkeit<br />
plädiert.<br />
von Jean-Pierre Jaccard<br />
Die Bank trägt das Signet VVV. Nicht die Vermögensverwaltung<br />
Volketswil ist gemeint;<br />
gemeint ist das „rote Bänkli“, das der Verschönerungsverein<br />
Volketswil an jenem Ort<br />
aufgebaut hat, wo die Aussicht – nach Ansicht<br />
der Initianten – eindrücklich, imposant,<br />
überwältigend oder erholsam ist, <strong>und</strong> Einblick<br />
in eine „Seelenlandschaft“ gewährt, in<br />
der Einkehr möglich erscheint.<br />
Die Bank<br />
Die Kultur der Ruhebänke belegt auf eindrückliche<br />
Weise, dass im ganzen Land unzählige<br />
Standorte als aussergewöhnlich<br />
empf<strong>und</strong>en werden, als Orte also, an denen<br />
sich etwas zutiefst Menschliches abspielen<br />
kann. Die Kultur der Ruhebänke macht deutlich,<br />
dass der Schönheit einer Aus-Sicht etwas<br />
Mythisches anhaftet; die Ahnung, dass<br />
die von diesem Standort ausgehende Wahrnehmung<br />
nicht nur nach aussen, sondern<br />
auch nach innen gerichtet sein könnte –<br />
man lässt die Aus-Sicht auf sich einwirken.<br />
Die Wirkungen am Ort des Verweilens auf<br />
der Ruhebank beschränken sich nicht auf<br />
das Visuelle allein. Auge <strong>und</strong> Nase bewirken,<br />
bewusst oder unbewusst, eine ganzheitliche<br />
Empfindung – ein Geniessen, ein Träumen,<br />
ein Entrückt-Sein. Das Rauschen der<br />
Wellen am Ufer des Sees, das Plätschern<br />
eines frei mäandrierenden Baches, das Gurgeln<br />
eines frei fliessenden Flusses, der harzige<br />
Geruch frisch gefällter Föhren, der<br />
betörende Duft blühender Waldreben können<br />
berauschen. Ganz zu schweigen von<br />
der ans Mythische grenzenden Wirkung<br />
eines unendlichen Sternenhimmels!<br />
Der Blick vom Egg Volketswil:<br />
Eine Aussicht, die auf den<br />
Menschen wirkt.<br />
Landschaftsqualität –<br />
ein fehlendes Entscheidungs-<br />
kriterium<br />
Wir wissen es: Landschaft, unabhängig von<br />
deren Qualität, wirkt auf Körper, Geist <strong>und</strong><br />
Seele, sei dies bedrückend oder befreiend.<br />
Landschaft als der uns umgebende, irgendwie<br />
„möblierte“ Raum, gehört zu uns, so wie<br />
wir zu ihm gehören. Das wissen alle, auch die<br />
Immobilienbranche, wenn es darum geht,<br />
Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsort zu wählen; drei Parameter<br />
bestimmen den Wert <strong>und</strong> damit den<br />
Preis einer Immobilie: Lage, Lage, Lage 1) .<br />
Unter Lage fällt auch die Erreichbarkeit<br />
der Immobilie, sei es durch Strasse, Schiene<br />
<strong>und</strong> – für eine Weile noch – per Flugzeug:<br />
Verkehrsplanung heisst Gr<strong>und</strong>stückpreis-<br />
Politik.<br />
Unser existenzielles Paradoxon: Je leichter<br />
erreichbar ein Ort, desto wertvoller ist er im<br />
monetären Sinn, je unerreichbarer desto<br />
wertvoller für das körperliche <strong>und</strong> seelische<br />
Wohlbefinden: Unsere Erdöl getriebene Ge-<br />
sellschaft investiert Unsummen dafür, Orte<br />
des inneren Begehrens erreichbar zu machen,<br />
die – einmal erschlossen – bezüglich<br />
des erhofften, immateriellen Nutzens wertlos<br />
werden. Ein weiteres Beispiel von offensichtlichem<br />
Marktversagen, wie es sich z.B.<br />
auch in der Diskussion über eine allfällige<br />
Regulierung des Zweitwohnungsmarktes<br />
akut manifestiert.<br />
Noch konkreter erkennt man das Marktversagen<br />
daran, dass die Umzonungen von<br />
Parzellen aus dem Nicht-Baugebiet in das<br />
Baugebiet von Gemeindeparlamenten ohne<br />
Kostenfolge für die Begünstigten beschlossen<br />
werden 2) . Wollen jedoch dieselben Gemeindeparlamente<br />
Rückzonungen beschliessen,<br />
werden diese in der Regel durch un -<br />
bezahlbare „Schadenersatzforderungen“ ver-<br />
hindert; Landschaft als knappes Gut, das von<br />
der Öffentlichkeit zum Nulltarif an private<br />
<strong>und</strong> juristische Personen verschenkt wird.<br />
Im Rahmen der laufenden Diskussion zur<br />
Aktualisierung des Raumplanungsgesetzes<br />
plädiert der Autor dafür, mittels Landschafts-<br />
Kartierung, welche den anscheinend immateriellen<br />
Wert einer Landschaft endlich<br />
quantifiziert, Raumplanung als Raumgestaltung<br />
zu verstehen.<br />
Damit würde einsichtig, dass die intakte<br />
Landschaft eine Ressource ist, die nicht ungestraft<br />
aus der wirtschaftspolitischen Dis-<br />
natur <strong>und</strong> mensch 4-5 / 2008<br />
Seite 37