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Das Argument 99 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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744 Gert Mattenklott<br />

rich Gundolfs <strong>für</strong> die Favorisierung geistiger Produktivität vor aller<br />

materiellen und die Verklärung des Künstlerberufs besonders geschärfter<br />

Sinn hat da<strong>für</strong> einmal die Wendung vom Weltgeist als<br />

hypostasiertem Schriftsteller gefunden. In der Forschungsliteratur<br />

ist der Ableitungszusammenhang von Schlegels Subjekt-Begriff mit<br />

Fichtes Philosophie der Freiheit vielfach dargestellt worden. Nur<br />

soviel sei hier daraus angeführt, daß Schlegel darin die Intention<br />

Fichtes teilt, daß er eine über-empirische, vom Kantischen Reich der<br />

Sinnlichkeit unabhängige Ich-Vernunft zu denken versucht, eine<br />

geschichtliche Situation interpretierend, in der mit der Französischen<br />

Revolution die menschliche Vernunft ihre Wirklichkeit unter Beweis<br />

gestellt zu haben schien. Fichtes Ich ist los „von den Feßeln der Dinge<br />

an sich" (so in einem von Heinz Hamm in seinem Buch über den<br />

.Theoretiker Goethe' zitierten Brief von 1795) 2 und darin <strong>für</strong> Schlegel<br />

eine wahre Analogie zur Revolution wie zu Goethes .Meister'.<br />

Dieses Ich, das Schlegel — im Unterschied zu Fichte — mit dem empirischen<br />

in engsten Zusammenhang bringt, ist ihm die einzige<br />

Realität. Es vergewissert sich ironischerweise durch die Darstellung<br />

dessen seiner selbst, was es nicht ist. Es findet sich durch Einbildungskraft<br />

in jeder Wirklichkeit, ohne als reflektierendes Prinzip<br />

mit dem Reflektierten je identisch zu werden.<br />

Vergleichbar ist damit das Denken Goethes vor allem aufgrund<br />

verwandter Impulse und Denkmotive; doch das gilt <strong>für</strong> die nachrevolutionäre<br />

bzw. nachthermidorianische Kunst- und Geschichtsphilosophie<br />

generell. Gänzlich anders als von Schlegel antizipiert,<br />

funktioniert Ironie in den späten Werken Goethes. Dessen Überzeugung<br />

von der Erfahrbarkeit des Unbedingten in allen Manifestationen<br />

des Lebens entsprechend und dies, wie Hamm — von Hegel abgrenzend<br />

— ausführlich gezeigt hat 3 , im Behaupten gleicher Würde<br />

<strong>für</strong> Geist und Materie, ideelle und natürliche Wirklichkeit, kann er<br />

eine die Substantialität alles in der Reflexion Gegenständlichen<br />

dementierende Ironie gar nicht akzeptieren. Konsequenterweise ergreift<br />

diese auch nicht die verwendeten Formen und gestalteten<br />

Gehalte insgesamt, konstituiert sie also nicht als Formen, sondern<br />

kommt vor allem <strong>für</strong> die Schlußpartien der in Frage stehenden<br />

Werke gerade in dem Sinn zur Anwendung, in dem Lukäcs und Metscher<br />

sie dort gesehen haben, nämlich dem einer geschichtsphilosophischen<br />

Relativierung des erfüllten Augenblicks.<br />

Schlegels Ironie als konstituierendes Prinzip macht hinsichtlich der<br />

in ihrer Form präsentierten Gehalte keinen Unterschied. <strong>Das</strong> prädisponiert<br />

sie — abgelöst von ihrer Genesis in Fichtes Freiheitsphilosophie<br />

— <strong>für</strong> poetische Praxis und <strong>Theorie</strong> einer Literatur, der<br />

angesichts der nachrevolutionären Praxis der bürgerlichen, Klasse<br />

nicht nur die Überzeugimg Fichtes von der Wirklichkeit gewordenen<br />

2 Heinz Hamm: Der Theoretiker Goethe. Kronberg 1976 (= Literatur<br />

im historischen Prozeß 5; hrsg. v. Gert Mattenklott und Klaus R. Scherpe),<br />

S. 147. (Hamms Buch erschien nach Metschers Essay.)<br />

3 Hamm I.e., S. 155 f.<br />

DAS ARGUMENT <strong>99</strong>/1976 ©

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