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Das Argument 99 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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758 Gerhart Pickerodt<br />

gisch versinnlicht (Plutus), als Verschwendung, Poesie, d. h. als Allegorie<br />

ideellen Reichtums (Knabe Wagenlenker) sowie als Allegorie<br />

materiellen Besitzes (Geiz) auf. Die Antithetik des gesamten Aktes<br />

beruht auf den unterschiedlichen Aneignungsweisen des Reichtums.<br />

Gegenüber stehen sich mit Verschwendung und Geiz zunächst die<br />

Realisationsformen der Reichtums-Momente. Erfüllt sich das Wesen<br />

des ideellen Reichtums aufgrund seiner Unerschöpflichkeit in Verschwendung,<br />

so das des materiellen Besitzes im Zusammenhalten<br />

des Vorhandenen, im Geiz. Was sich in den Szenen, die der Mummenschanz<br />

folgen, d. h. Lustgarten bis Rittersaal, vollzieht, ist die<br />

wechselweise verkehrte gesellschaftliche Aneignung. Materieller<br />

Reichtum wird in der Form des Papiergeldes als leerer Schein zum<br />

Zweck der Konsumtion (Verschwendung) adaptiert, während andererseits<br />

ideeller Reichtum, der sein Wesen in Bild und Schein hat,<br />

im heraufbeschworenen Bild antiker Schönheit (Helena und Paris)<br />

<strong>für</strong> materiell existent gehalten und damit vernichtet wird. Fragt<br />

man sich also nach der Position der Faust-Dichtung gegenüber feudalistischer<br />

und bürgerlicher Gesellschaftsformation und nach der<br />

Funktion des Papiergeldes im Feudalismus, so ist zu beachten, daß<br />

innerhalb des Motivkomplexes Reichtum das Thema Papiergeld nur<br />

als ein Moment entwickelt wird, dem als sein anderes das der<br />

Ästhetik, des schönen Scheins gegenübertritt. In methodischer Verallgemeinerung<br />

bedeutet dies, daß Ökonomie und Geschichte, will<br />

man sich ihres Sinns im Faust versichern, nicht isoliert werden dürfen.<br />

Metscher, der nach Art des sezierenden Anatomen den Komplex<br />

Ökonomie freilegen möchte und die auf ihn verweisenden Bilder als<br />

gleichsam absolute Chiffren deutet, verfehlt ihn, weil er den strukturellen<br />

Antithesen, den „wiederholten Spiegelungen" 14 der Motive,<br />

ihrem Ineinandergreifen keine Beachtung schenkt 15 .<br />

14 „Wiederholte Spiegelungen" heißt der Titel eines kurzen Aufsatzes<br />

von 1823, in dem Goethe das physikalische Phänomen der Spiegelung als<br />

ein geschichtliches Symbol deutet: „Bedenkt man nun, daß wiederholte<br />

sittliche Spiegelungen das Vergangene nicht allein lebendig erhalten, sondern<br />

sogar zu einem höheren Leben emporsteigern, so wird man der<br />

entoptischen Erscheinungen gedenken, welche gleichfalls von Spiegel zu<br />

Spiegel nicht etwa verbleichen, sondern sich erst recht entzünden, und<br />

man wird ein Symbol gewinnen dessen, was in der Geschichte der Künste<br />

und Wissenschaften, der Kirche, auch wohl der politischen Welt sich mehrmals<br />

wiederholt hat und noch täglich wiederholt." (HA Bd. 12, S. 323.)<br />

15 Ähnlich verfahren Thomas Höhle und Heinz Hamm, die 'nach einer<br />

inhaltlichen Analyse den Formaspekt des von ihnen als „Gipfelwerk"<br />

gerühmten Faust-Dramas so beurteilen: „In diesem Werk wird besonders<br />

deutlich, in wie hohem Maße die symbolisierende Darstellungsweise geeignet<br />

war, große Menschheitsprobleme, große Epochenzusammenhänge zu<br />

gestalten, in unvergeßlichen Bildern und Gestalten, wenn auch auf Kosten<br />

gelegentlich einer gewissen Schärfe und Deutlichkeit." (Thomas Höhle,<br />

Heinz Hamm. Faust. Der Tragödie zweiter Teil. In: Weimarer Beiträge<br />

6/1976, S. 87.) <strong>Das</strong> Rühmen der „unvergeßlichen Bilder und Gestalten"<br />

vermag nicht zu verdecken, daß auch hier die Autoren die Form als der<br />

dargestellten Sache äußerlich ansehen.<br />

DAS A R G U M E N T <strong>99</strong>/1976 ©

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