Das Argument 99 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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766 Gerhart Pickerodt<br />
nicht! Verworren, scheckig, wild / Umdrängt uns hier ein fratzenhaft<br />
Gebild. / Nur wo du klar ins holde Klare schaust, / Dir angehörst<br />
und dir allein vertraust, / Dorthin, wo Schönes, Gutes nur gefällt, /<br />
Zur Einsamkeit! — Da schaffe deine Welt." (V. 5691—96) Solcher<br />
eskapistische Rückzug in die allein Autonomie verbürgende Einsamkeit<br />
bezieht sich keineswegs mehr nur, wie Metscher meint, auf die<br />
„Rolle einer bereits bürgerlichen Kunst innerhalb einer noch vorwiegend<br />
aristokratischen Kultur" (101), richtet sich vielmehr mit<br />
aller Schärfe gegen das „fratzenhaft Gebild" einer formlosen Menge,<br />
die „verworren, scheckig, wild" — ungeformt, unkonturiert, ungezähmt<br />
also — aufrührerische Massen verkörpert.<br />
Den Massen gegenüber verbindet sich Plutus sogar mit dem Herold.<br />
Von diesem unter Anspielung auf die Maskerade dazu aufgefordert<br />
(„Vermummter Plutus, Maskenheld, / Schlag dieses Volk<br />
mir aus dem Feld." [V. 5737—38]), Ordnung zu schaffen, übernimmt<br />
Plutus den Heroldsstab, taucht ihn in die bewegte Glut des dauernd<br />
schmelzenden und sich umschmelzenden Goldes, Symbol eben jener<br />
Fülle, die er allegorisch verkörpert, und zieht um den Reichtum<br />
herum einen magischen Kreis: „Schon ist der Kreis zurückgedrängt, /<br />
Und niemand, glaub' ich, ist versengt. / Die Menge weicht, / Sie ist<br />
verscheucht. — / Doch solcher Ordnung Unterpfand / Zieh' ich ein<br />
unsichtbares Band." (V. 5757—62)<br />
Daß der Gott des Reichtums seine symbolische Präsenz vor der<br />
dem „dumpfen Wahn" des Tatsächlichen ergebenen Menge mit Hilfe<br />
des Heroldsstabes, Symbol feudalabsolutistischer Macht, schützt, ja<br />
daß dieser Stab erst in der Verbindung mit „Sud und Glut" (V. 5741)<br />
den Bannkreis zieht, symbolisiert die Koalition von ungebrochenem<br />
Reichtum und Staatsmacht gegen das andrängende, besitzgierige<br />
Volk. Umgekehrt ist aus diesem Vorgang jedoch nicht zu folgern,<br />
daß das Volk vom Reichtum fernzuhalten ist, um diesen <strong>für</strong> die<br />
Aristokraten zu sichern. Reichtum in seiner hier explizierten allegorisch-symbolischen<br />
Existenz wird vielmehr prinzipiell gegen Aneignung,<br />
Besitz und Konsumtion gesetzt, er ist, verabsolutiert, ein<br />
mystischer Wert, genußvoll denen, die ihn betrachten, gefährlich<br />
hingegen <strong>für</strong> diejenigen, die sich ihm besitzergreifend nähern.<br />
Besitz hingegen, durchaus nicht mit Reichtum identisch, sondern<br />
seine moderne Verkümmerungsform, hat seine allegorische Existenzweise<br />
im Geiz. Dieser ist nicht Fülle, sondern ihr Gegenteil: „Da<br />
droben auf dem Viergespann / <strong>Das</strong> ist gewiß ein Scharlatan; / Gekauzt<br />
da hintendrauf Hanswurst, / Doch abgezehrt von Hunger und<br />
Durst, / Wie man ihn niemals noch erblickt; / Er fühlt wohl nicht,<br />
wenn man ihn zwickt." (V. 5640—45), so jedenfalls wird er im<br />
Weibergeklatsch präsentiert. Im Gegensatz aber zur mittelalterlichen<br />
Laster-Allegorie ist der Geiz hier eine geschichtliche Notwendigkeit,<br />
gerichtet gegen jede Form materieller Verschwendung, gegen übermäßige<br />
Konsumtion. Deswegen gehen die Weiber in Masse handgreiflich<br />
und mit komischer Schimpfgebärde gegen ihn vor. Entscheidend<br />
ist, daß der Geiz sich in der häuslich-bürgerlichen Sphäre<br />
artikuliert: Er realisiert sich im Haushalten, Beisammenhalten,<br />
DAS A R G U M E N T <strong>99</strong>/1976 ©