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Das Argument 99 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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776 Heinz Schlaffer<br />

geschick verschwiegen abtun 7 — sie „stolpert über Grabes Tür"<br />

(V. 11537). Um an Kommereil zu erinnern: „Die Weltvernutzung bezahlt<br />

man schließlich mit der Abnutzung der >noble machine«."<br />

Im Tod fällt das äußere Ende von Fausts Person mit der inneren<br />

Negativität seiner Welt zusammen. Der Tod setzt die subjektive und<br />

objektive Wirklichkeit gegen den falschen Schein der Utopie durch 8 .<br />

Die Fallhöhe zwischen Fausts weitgespannten Worten und ihrem<br />

abrupten Schluß nützt Mephisto mit Recht zur Parodie: „Vorbei und<br />

reines Nicht, vollkommnes Einerlei!" (V. 11597). Eben weil Faust im<br />

5. Akt die bürgerliche Ökonomie nicht „überschreitet", sondern nur<br />

immer tiefer in ihre Widersprüche hineinschreitet und in ihnen endet,<br />

ohne den Grund der „Vernichtung" zu begreifen, eben deshalb<br />

sind <strong>für</strong> Goethe die beiden folgenden und letzten Szenen, Grablegung<br />

und Bergschluchten, notwendig geworden. Metscher bereitet<br />

dieser religiös-metaphysisch eingekleidete Schluß der Tragödie offensichtlich<br />

Verlegenheit. Denn gemäß seiner optimistischen Auffassung<br />

von Fausts letzter Rede, die sich doch so gut zum verheißungslosen<br />

Schluß geeignet hätte, muß er den Rest <strong>für</strong> überflüssig halten.<br />

Durch die Andeutung, es handle sich um eine Allegorie der Entwicklung<br />

und des Fortschritts schlechthin, sucht er sein Konzept halbwegs<br />

zu retten. — <strong>Das</strong>. Leitwort der Schlußszene heißt jedoch „Liebe"; in<br />

den Bergschluchten steht es zwölfmal; von nichts anderem wird gesprochen.<br />

Der vollendeten Lieblosigkeit von Fausts letzter irdischer<br />

Welt stellt Goethe — vielleicht mehr verzweifelt als hoffend — die<br />

Liturgie der Liebe und die Apotheose des Ewig-Weiblichen entgegen.<br />

7 Diese Verdrängung des Todes aus dem bürgerlichen Arbeits- und<br />

Lebenszusammenhang im 18. Jahrhundert beschreibt eindringlich Bernhard<br />

Groethuysen, L'Eglise et la Bourgeoisie, Paris 1927 (deutsche Fassung<br />

unter dem Titel: Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung<br />

in Frankreich, 2 Bde., Halle 1927—30).<br />

8 Bereits in „Wilhelm Meisters Lehrjahren" hat Goethe die Illusion<br />

utopischen Denkens ironisch vorgeführt. Während Wilhelm Meister von<br />

der scheinhaften Höhe seines Lebens- und Liebesglücks zu Mariane redet,<br />

steht <strong>für</strong> sie, die heimlich an einen anderen Mann gebunden ist, das nahe<br />

Ende diesen Glücks schon fest. Wegen der auffälligen strukturellen, inhaltlichen<br />

und wörtlichen Ubereinstimmungen mit Fausts >Schlußvision<<br />

zitiere ich die ganze Passage von Wilhelm Meisters >Anfangsillusion

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