Das Argument 99 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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736 Gert Mattenklott<br />
stil<strong>kritische</strong> Aufmerksamkeit verdient auch Metschers häufige Verwendung<br />
des Adjektivs konstitutiv. Fast stets stünde richtiger das<br />
der Logik der Dichtung besser entsprechende Partizip Präsens konstituierend;<br />
im Unterschied zu dem entsprechenden Adjektiv drückt<br />
es die Unabgeschlossenheit des logischen Fundierungsverhältnisses<br />
aus. Bedenklicher als die linguistische Verwechselung scheint mir<br />
aber die Suggestion von terminologischer Prägnanz in einer sachlichen<br />
Verlegenheit zu sein, deren Benennung den Autor wie seine<br />
Leser hätte weiterbringen können. In welchem Sinne Metscher Abhängigkeitsverhältnisse<br />
Konstitutionsverhältnisse nennt, bleibt nicht<br />
nur am zitierten Ort unerklärt. Die Klimax des zitierten Satzes<br />
(„Verstärkung" des „konstitutiven Charakters" bis zur „Herausschälung"<br />
des „determinierenden" Sinns ökonomischer Kategorien) legt<br />
einen quantitativen Unterschied von konstituieren und determinieren<br />
nahe, was mir gar keinen Sinn zu ergeben scheint. <strong>Das</strong> Heranziehen<br />
der explizierenden Interpretation des 5. Akts bringt keine Hilfe, sondern<br />
Zunahme der Verwirrung: „In diesem letzten Akt tritt das<br />
ideelle Substrat des Handlungsvorgangs zutage. Die <strong>für</strong> den Akt<br />
konstitutiven Kategorien sind Ökonomie und Kultur" (50). Welcher<br />
Gedanke verbirgt sich in der Unterscheidung von „ideellem Substrat"<br />
der Gesamthandlung und der hier offenbar nur <strong>für</strong> den 5. Akt<br />
supponierten „konstitutiven" Funktion der Kategorien „Ökonomie<br />
und Kultur"? Wer ist jeweils das Subjekt des Konstitutionsverhältnisses,<br />
und welchen dichtungslogischen Status hat das „ideelle Substrat"<br />
in qualitativer Differenz zu den konstituierenden Kategorien?<br />
Ich möchte noch ein weiteres Beispiel anführen, auch auf die Gefahr<br />
hin, daß die Lektüre dieser Kritik so beschwerlich wird wie<br />
meiner Behauptung zufolge die des kritisierten Essays. Meine erklärte<br />
Absicht ist dazu aufzufordern, Texten der zitierten Art, von<br />
denen niemand sich einreden oder einreden lassen sollte, daß er sie<br />
wirklich verstünde, die Gefolgschaft zu verweigern. Die marxistische<br />
Literaturwissenschaft in der BRD ist in einer Kampf situation; sie<br />
kann schwerlich glaubwürdig vertreten, was sie selbst nicht versteht.<br />
Die trügerische Evidenz von Formeln, deren Gehalt nicht mehr oder<br />
noch nicht gedacht ist, läßt aus potentiellen <strong>Argument</strong>en in der wissenschaftstheoretischen<br />
Auseinandersetzung Rohrkrepierer werden;<br />
den Gegner täuschen sie gewiß nicht.<br />
Metscher zitiert Friedrich Schlegels bekanntes Diktum von der<br />
Analogie zwischen Französischer Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre<br />
und Goethes ,Meister' (37). Er findet in ihm sicherlich zutreffend<br />
Hegels Gedanken präfiguriert, daß die klassische deutsche Dichtung<br />
und Philosophie die Revolution „in der Form des Gedankens<br />
ausgesprochen" sei. Die folgenden Sätze sind von diesem Hinweis<br />
durch einen Absatz geschieden; ihr Wortlaut: „Die komplexe Struktur<br />
der modernen bürgerlichen Literatur ist notwendiges Resultat<br />
der ökonomischen Formbestimmtheit der entfalteten bürgerlichkapitalistischen<br />
Gesellschaft. Bereits Schiller hat die ästhetischen<br />
Probleme der bürgerlichen Dichtung aus der gesellschaftlichen Verfassung<br />
des .modernen Zeitalters' zu erklären versucht, dessen<br />
DAS ARGUMENT <strong>99</strong>/1976 ©