14.01.2013 Aufrufe

Das Argument 98 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 98 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 98 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

724 Besprechungen<br />

Demokratie (151): „<strong>Das</strong> nach heutigen Maßstäben gestaltete demokratische<br />

Verfahren enthält das geringste Risiko der Verletzung<br />

überpositiver Maßstäbe."<br />

Dieser „Aufgabe des Rechts", die menschliche Entfaltung nach<br />

überpositiven Maßstäben zu fördern, unterstellt Ryffel nun die<br />

„eigentliche" Rechtssoziologie (im Gegensatz zur weiteren <strong>für</strong> Recht<br />

relevanten Soziologie, z. B. Familiensoziologie). Von hier aus gesehen,<br />

gibt es drei rechtssoziologische Hauptprobleme (170 ff.): (1) Effektivität<br />

von Rechtsnormen, (2) Verzerrungen der Richtigkeit des<br />

Rechts durch soziale Faktoren und (3) die Systematik möglicher Gesellschaftsformen<br />

und zugehöriger Rechtsstrukturen. Diese dritte<br />

Aufgabe, an der Luhmann seine Evolutionstheorie bewährt, behandelt<br />

Ryffel jedoch nicht näher. <strong>Das</strong> ist wohl kein Zufall, denn sein<br />

Interesse gilt der Verwirklichung augenblicklich geltender überpositiver<br />

Rechtsprinzipien.<br />

Ryffel bestreitet der Soziologie die Möglichkeit, das Normative im<br />

Recht angemessen zu fassen. Deshalb unterstellt er die Rechtssoziologie<br />

dem Erkenntnisinteresse des (Luhmann würde sagen: alteuropäischen)<br />

Rechtsphilosophen. <strong>Das</strong> wäre immanent stimmig, wenn<br />

Ryffel Soziologie mit normlosem Positivismus oder Funktionalismus<br />

gleichsetzte. <strong>Das</strong> tut er nun aber gerade nicht. In einer sehr gelungenen<br />

Skizze der heutigen Soziologie (181 ff.) fordert er eine <strong>kritische</strong>,<br />

verstehend-nachkonstruierende Soziologie, die gesellschaftliche<br />

Tatsachen zur Förderung des guten Lebens untersucht und deshalb<br />

in Sozialphilosophie übergehen muß (196). Damit spricht sich Ryffel<br />

<strong>für</strong> eine Rechtssoziologie in weitläufiger Verwandtschaft zur Frankfurter<br />

Schule aus. Gleich danach entmündigt er diese Soziologie<br />

aber, indem er ihr die Selbstauffassung des Rechts von seiner Aufgabe<br />

als Maßstab oktroyiert. Luhmann (a.a.O., S. 11) würde hier mit<br />

Dürkheim erwidern, daß der Soziologe, der Moral analysiert, nicht<br />

deren Normorientierung teilen darf: Sonst erfährt er statt der Wirklichkeit<br />

der Moral nur, wie sich der Moralist die Moral vorstellt. —<br />

Nicht nur die Kulturwissenschaft hat eine „phänomenologische, kritisch-reflektierende<br />

Sicht" (131), aus der Ryffel ihren Führungsanspruch<br />

begründet. Die von ihm selbst geforderte <strong>kritische</strong> Soziologie<br />

hat einen eigenen Zugang zu der von Ryffel mit Recht geforderten<br />

Rechts- und Sozialwissenschaft überwölbenden allgemeinen<br />

„Philosophie des Politischen" (147).<br />

Unnötig und <strong>für</strong> Soziologie gefährlich ist Ryffels an Scheler gemahnende<br />

Konstruktion, die das Soziale nicht als Konstituierung,<br />

sondern nur als Beschränkung und Verzerrung an sich existenter<br />

idealer Sachgehalte sieht. Die schichtbedingte Chancenungleichheit<br />

im Recht ist dann nicht dessen (korrekturbedürftige) soziale Realität,<br />

sondern die Verzerrung des „wahren" Rechts (394). Damit wird eine<br />

der sozialen Realität übergeordnete Rechtsillusion aufgebaut, die<br />

schlecht zu Ryffels Einsicht paßt, daß Recht nur Politik in verfestigtem<br />

Aggregatzustand ist (222, 224). Ist die Chancenungleichheit der<br />

Schichten in der Politik auch nur eine Verzerrung der „wahren"<br />

Politik?<br />

DAS A R G U M E N T <strong>98</strong>/1976 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!