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Das Argument 98 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Taktik oder „neuer" Kommunismus? 585<br />

ausgetragene Diskussion zur Intervention in Prag; es folgte die<br />

erstaunlich offene Debatte um Solschenizyn; es folgte das gemeinsame<br />

Programm mit der PSF. Wie kam es dazu?<br />

Ähnlich wie die PCI haben seit 1974 die militanten französischen<br />

Kommunisten zum erstenmal seit langem wieder die berechtigte<br />

Hoffnung auf eine Machtbeteiligung. Möglich freilich nur auf parlamentarischem<br />

Weg, auf dem Weg, der von den Franzosen nicht ohne<br />

Ironie „électoralisme" genannt wird. Die Frage bleibt: Wieviele<br />

Grundlagen müssen zu diesem Zweck geopfert werden? Wie glaubwürdig<br />

wirkt auch hier eine Partei, die bislang dem sozialistischen<br />

Koalitionspartner gegenüber ihr Alleinanspruchsrecht als Revolutionspartei<br />

vertrat? Die Sozialistische Partei — so noch immer die<br />

Kritik der PCF — zeige unter der Führung Mitterands eine „reformistische"<br />

Gesinnung; im übrigen zeige ihre ganze Geschichte nicht<br />

bloß eine lange Praxis der Zusammenarbeit mit den Rechten, die<br />

ihre Gewohnheiten geprägt hätten; ihre ganze Geschichte sei geprägt<br />

durch einen Mangel an theoretischem Zusammenhang.<br />

Es sind keine ganz aus der Luft gegriffenen, unberechtigten Vorwürfe.<br />

Wichtiger bleibt die unverhohlene Distanzierung von der Einschränkung<br />

persönlicher Freiheiten in der Sowjetunion, die — wie<br />

sidi Marchais in seiner Rede vor den 1700 Delegierten ausdrückte —<br />

die „kommunistischen Ideale beflecken". Schon vor der Eröffnung<br />

hatte Marchais gesagt: „Wir stehen im Jahre 1976 ...; die Kommunistische<br />

Partei ist nicht erstarrt. Sie ist nicht dogmatisch. Sie weiß<br />

sich den Verhältnissen ihrer Zeit anzupassen. Und heute entspricht<br />

das Wort Diktatur nicht mehr dem, was wir wollen. Es ist eine<br />

unerträgliche Bedeutung, entgegen unseren Zielen, unseren Thesen.<br />

Selbst das Wort .Proletariat' paßt nicht mehr, denn wir wollen mit<br />

der Arbeiterklasse die Mehrheit der Lohn- und Gehaltsempfänger<br />

zusammenfassen. Es bedeutet jedoch nicht, daß wir unser eigentliches<br />

Ziel aufgeben: den „Sozialismus in den Farben Frankreichs" 7 .<br />

Man mag in der Absage an die „Diktatur des Proletariats" eine<br />

raffinierte Camouflage sehen; manche Sozialdemokraten und selbst<br />

Sozialisten vermuten, es handle sich um eine Komödie mit verteilten<br />

Rollen, deren Schauspieler und genialer Regisseur sich einander<br />

nach dem Erfolg des Stückes brüderlich in die Arme sinken werden! s<br />

Es handelt sich, so meine These, um eine „Modernisierung", und<br />

zwar um eine irreversible, die notwendigerweise einen konsequenten<br />

Reformismus beinhaltet. Saint-Quen als das Godesberg der PCF?<br />

Diktatur des Proletariats und Klassenanalyse<br />

Ich habe bisher im wesentlichen politische Linien nachgezeichnet<br />

und kommentiert. Korrekterweise wird neuerdings die Frage der<br />

Bündnispolitik auf dem Hintergrund von Klassenanalysen diskutiert.<br />

Ich kann hier diesen Punkt nur streifen. Die „lohnabhängigen<br />

7 Zit. nach FAZ vom 13. 1. 1976.<br />

8 Zit. nach FAZ vom 13. 1. 1976.<br />

DAS A R G U M E N T <strong>98</strong>/1976 ©

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