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Wo die Schweiz baden geht - VCS Verkehrs-Club der Schweiz

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Mittelland Zürich–Bern in 33 Stunden<br />

Die Sehnsucht nach Bern ist<br />

gross, und aller Anfang ist<br />

schwer. In Zürich ist es noch fast<br />

dunkel. Es regnet. Nach dem<br />

westlichen Vorort Uitikon-Waldegg<br />

muss man sich durch eine Agglomeration<br />

von Einfamilienhäuschen<br />

schlagen. Auf <strong>der</strong> nahen<br />

Strasse dröhnt <strong>der</strong> Pendlerverkehr.<br />

Im Bett bleiben wäre gescheiter<br />

gewesen, denke ich. Nach<br />

Bremgarten, in den Reuss-Auen,<br />

lösen sich <strong>die</strong> Zweifel auf. In <strong>der</strong><br />

Klosterkirche Muri AG zünde ich<br />

eine Weihekerze an und bin mit<br />

<strong>der</strong> Welt versöhnt. In Hitzkirch<br />

fragt ein Jasser in <strong>der</strong> Beiz, woher<br />

ich komme. Ich sage: «Von Zürich.»<br />

Er fragt: «Wie lange hast du<br />

gebraucht?» Ich: «Zehn Stunden.»<br />

Er: «Mit dem Subaru mache ich’s<br />

in vierzig Minuten.» Eben. Er<br />

wendet sich wie<strong>der</strong> seinen Jasspartnern<br />

zu.<br />

Zum Erlosen hinauf. Da haben<br />

sie einen Wan<strong>der</strong>weg durch den<br />

Wald gebaut und einen Brunnen<br />

hingestellt. Die Ausschil<strong>der</strong>ung ist<br />

perfekt. Nur: Für wen? Zum fünften<br />

Mal bin ich unterwegs, und<br />

noch nie habe ich einen an<strong>der</strong>en<br />

Intercity-Wan<strong>der</strong>er angetroffen.<br />

Im Nebel sind <strong>die</strong> Farbunterschiede<br />

abgeschwächt, <strong>die</strong> Landschaft<br />

ist wie chinesische Tuschmalerei.<br />

Dann Beromünster. Das Gasthaus<br />

Hirschen steht mächtig wie ein<br />

Ozeandampfer, darüber thront<br />

auf dem Hügel <strong>die</strong> Stiftskirche mit<br />

ihren Nebengebäuden. Der Wan<strong>der</strong>weg<br />

führt mitten durch. Rechts<br />

eine Sonnenuhr mit dem Spruch<br />

omnis vulnerat, ultima necat – jede<br />

Stunde verwundet dich, <strong>die</strong><br />

letzte tötet dich. Da kommt man<br />

ins Grübeln. Wie gesagt: per Eisenbahn<br />

eine Stunde, auf Schuhsohlen<br />

dreiunddreissig Stunden.<br />

Es ist eine Reise durch Raum und<br />

Zeit. Die Zeit erhält durch <strong>die</strong><br />

Langsamkeit eine neue Qualität,<br />

ist nicht mehr nur linear, bekommt<br />

Tiefe. Zürich–Bern zu Fuss.<br />

Immer mehr stellt sich <strong>die</strong> verrückte<br />

Idee als eine Entdeckungsreise<br />

durch <strong>die</strong> Aussenwelt heraus,<br />

aber auch durch das eigene Innere.<br />

Gehen ist so reich und so einfach.<br />

Man sieht <strong>die</strong> schönen Dinge<br />

am Wegrand, dem Wan<strong>der</strong>er<br />

wird es wohl an Körper und Seele.<br />

Essen und Trinken schmecken<br />

ihm doppelt so gut, und er schläft<br />

wie ein Murmeltier zehn Stunden<br />

lang.<br />

Noch ein paar Stunden bis<br />

Bern. In Lützelflüh erwartet mich<br />

eine Freundin, <strong>die</strong> auf dem letzten<br />

Stück mitwan<strong>der</strong>n will. Die Gasthäuser<br />

am Wegrand sind so<br />

schön, dass es noch ein paar Stunden<br />

mehr werden. Beim Most er-<br />

zähle ich <strong>der</strong> Freundin vom Aargau,<br />

vom Luzernischen, und sie<br />

glaubt, ich spreche von fernen<br />

Kontinenten. Der vorletzte Hügel<br />

hat den langen Namen Diepolds -<br />

husenegg, dann kommt noch <strong>die</strong><br />

kleine Steigung auf den Dentenberg<br />

hinauf. Der Schluss gleicht<br />

dem Anfang. Die Agglomeration<br />

dröhnt, rauscht, hämmert fleissig,<br />

mischt Beton, deckt Dächer und<br />

asphaltiert Strassen. Wir nehmen<br />

<strong>die</strong> letzten Treppen hinunter zum<br />

Bärengraben. Dort steht ein Brun-<br />

Neuenburger Jura Von <strong>der</strong> Table d’hôte auf <strong>die</strong> Tablettes<br />

Bahnhofbuffets von altem Schrot<br />

und Korn sind Kulturgut, ein<br />

Stück Heimat. Wie gut tut es <strong>der</strong><br />

Bahnfahrerseele, an solchem Ort<br />

<strong>die</strong> Vorfreude auf eine Wan<strong>der</strong>ung<br />

auszukosten! Zum Beispiel<br />

in Chambrelien, da, wo <strong>der</strong> Zug<br />

zwischen Neuenburg und La<br />

Chaux-de-Fonds halten muss, um<br />

<strong>die</strong> von <strong>der</strong> Topografie gefor<strong>der</strong>te<br />

Spitzkehre zu vollziehen. Ohne je-<br />

den Schnickschnack präsentiert<br />

sich <strong>die</strong> kleine Gaststube mit ihren<br />

kaum 30 Sitzplätzen: Nullachtfünfzehn-Mobiliar<br />

auf einem<br />

gut gealterten rötlichen Fliesenboden,<br />

doch <strong>der</strong> angeborene<br />

Charme überstrahlt alles. Draussen<br />

eine Veranda mit einem<br />

Hauch Western-Stil, vor allem<br />

aber: mit Seeblick.<br />

Die Vorfreude, <strong>die</strong> womöglich<br />

© swiss-image<br />

Intercity-Reise mit Halt auf Verlangen in Bremgarten AG.<br />

fast kein Ende nehmen will, gilt<br />

dem Tablettes-Felsen, einer von<br />

<strong>der</strong> Natur geschaffenen Aussichtsplattform<br />

zwei Wan<strong>der</strong>stunden<br />

weiter oben. Wie ein Wächter<br />

über dem Eingang zum Val de<br />

Travers steht er da. Und gewährt<br />

einen phantastischen Blick auf<br />

den unteren Teil des Neuenburgersees,<br />

<strong>die</strong>sen unschweizerisch<br />

grosszügigen blauen Teppich in-<br />

WANDERN<br />

<strong>Schweiz</strong><br />

nen. Wir ziehen <strong>die</strong> Schuhe und<br />

<strong>die</strong> Socken aus, wir strecken <strong>die</strong><br />

Füsse ins eiskalte Wasser und sagen<br />

kein <strong>Wo</strong>rt. Dres Balmer<br />

Kurzinfo<br />

Viertägige Weitwan<strong>der</strong>ung in hügeligem<br />

Gelände und etwa zur Hälfte auf<br />

verkehrsarmen Asphaltsträsschen, am<br />

Weg viel Gastronomie und Kultur. Man<br />

orientiert sich zuverlässig an den gelben<br />

regionalen Wegweisern. Details<br />

auf www.verkehrsclub.ch/magazin<br />

mitten von gewelltem Grün. Dahinter<br />

ein Strich Murten- und ein<br />

Fleck Bielersee, davor <strong>die</strong> Windungen<br />

<strong>der</strong> Areuse-Schlucht, am<br />

Horizont im Idealfall das volle<br />

Programm vom Säntis bis über<br />

den Mont Blanc hinaus.<br />

Während das erste Wegstück<br />

bis zum Dörfchen Rochefort ideal<br />

zum Warmlaufen ist, for<strong>der</strong>t <strong>die</strong><br />

zweite Hälfte <strong>der</strong> rund 600 Hö-<br />

<strong>VCS</strong> MAGAZIN / JUNI 2008 33

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