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AA Tivoli Echo #09-1213 - Alemannia Aachen

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Immer wieder TSV...<br />

über das tägliche Leben<br />

mit <strong>Alemannia</strong><br />

Sascha Theisen ist Alemanne – 24<br />

Stunden am Tag. Das macht sein<br />

Leben nicht unbedingt einfacher,<br />

aber er will es auch nicht anders.<br />

Wie <strong>Alemannia</strong> seinen Alltag beherrscht,<br />

erzählt er regelmäßig im<br />

<strong>Tivoli</strong> <strong>Echo</strong>. Nebenher organisiert<br />

Theisen die mittlerweile zum Kult<br />

aufgestiegene Fußball-Lesung<br />

TORWORT. In seinem neuen Buch<br />

„Marmor, Stein und Eisen: Geschichten<br />

rund um den <strong>Aachen</strong>er<br />

<strong>Tivoli</strong>“, kann man die besten<br />

seiner Kolumnen sowie einige<br />

längere, bisher unveröffentlichte<br />

<strong>Aachen</strong>-Geschichten nachlesen.<br />

www.torwort.de<br />

am rande des erträglichen<br />

Als Fan von <strong>Alemannia</strong> musste man schon einiges bewältigen: Fußballer, die eher an Flipper-Automaten<br />

als an Profifußball erinnerten, Torhüter, die erschreckende Parallelen zu Bewegungsabläufen<br />

handelsüblicher Pylonen aufwiesen und Weltmeister-Trainer, die den Vornamen ihrer Spieler<br />

genauso wenig kannten, wie den viereckigen bulgarischen Torschützenkönig, den sie für viel Geld<br />

verpflichteten. Dazu kamen Dopingvorwürfe an kleine glatzköpfige Stürmer, die aber schnell wieder<br />

verworfen wurden, virtuelle Schraubenwürfe, die in Geisterspiele mündeten und türkische Lichtgestalten,<br />

die auf einmal für so viel Pyrotechnik am <strong>Tivoli</strong> sorgten, dass heute selbst Johannes B.<br />

Kerner beim Anblick des bengalischen Spektakels erröten würde.<br />

Keine Frage: Die Liste der sportlichen Verfehlungen, provinziellen Skandälchen und daraus<br />

resultierenden Anekdoten ist lang, unglaublich, dafür aber immer amüsant – übrigens, etwas, das<br />

<strong>Alemannia</strong> für mich immer so besonders machte. Denn eines war <strong>Alemannia</strong> nie: aalglatt oder langweilig.<br />

Dafür war sie immer wild und gefährlich. Vor allem deswegen fiel es mir letzten Endes doch<br />

immer leicht, mit diesen kleinen Fehltritten auf und außerhalb des Platzes klar zu kommen. Denn<br />

hier ging es meistens um den Sport selbst. Und wie dieser zelebriert wird am <strong>Tivoli</strong>, darüber kann<br />

der gemeine Alemanne an sich immer noch mehr debil als verzweifelt schmunzeln. Etwas so ernst<br />

nehmen, dass man darüber lachen kann – das ging und geht am <strong>Tivoli</strong> oft besser als anderswo.<br />

Eine Fähigkeit zudem, die bisweilen vom Fußballgott höchst selbst belohnt wird – nicht anders ist<br />

es zu erklären, dass der Klub erst vor ein paar Jahren noch im DFB-Pokal Finale, im UEFA Cup und<br />

in der Bundesliga spielte und alle drei Veranstaltungen nach Kräften derart aufmischte, dass man<br />

sich glatt hätte daran gewöhnen können. Genau das taten wir aber nicht – denn jeder, der damals<br />

dabei war, wusste: Das hier ist nichts für die Ewigkeit, das wird endlich sein – also lasst es uns<br />

genießen so lange es geht.<br />

Diese grundsätzlich ebenso realistische wie positive Haltung gegenüber dem, was sportlich auf<br />

so einzigartige Weise erreicht wurde, bewahrte sich allerdings leider nur die Basis des Vereins –<br />

die, die jedes Wochenende mit Schal, Trikot und Mütze zur Krefelder pilgern und dort bei Bratwurst<br />

und Bier die Aufstellung und nicht den Größenwahn diskutieren. Leider taten gerade letzteres verstärkt<br />

sich selbst überschätzende Provinzfürsten – die verloren den Boden unter den Füßen, denn sie<br />

hatten offenbar nie verstanden, was <strong>Alemannia</strong> so besonders macht. Nicht anders ist es zu erklären,<br />

dass ein viel zu großes seelenloses Stadion gegen ein Identitätsstiftendes, genau richtiges, eingetauscht<br />

wurde – womit wir bei den außersportlichen Erlebnissen wären, die auch der gemeine <strong>Alemannia</strong>-Fan<br />

nicht so leicht weg steckt. Wer die Atmosphäre beim letzten Heimspiel gegen Wehen<br />

Wiesbaden miterlebte, weiß, was ich meine – auch wenn der Gegner zugegebenermaßen die Stahlkraft<br />

einer Kläranlage hatte. Verzweifelte Versuche einen irgendwie anständigen Support auf die<br />

Reihe zu bekommen, scheiterten ebenso schnell wie verständlich. Selten plätscherte ein Spiel so<br />

dahin wie dieses. Verständlich, denn wie kann man etwas mit bedingungslosem Herzblut unterstützen,<br />

von dem man nicht weiß, ob es am nächsten Tag überhaupt noch existent ist. Da schlägt<br />

die Trauer die Hoffnung haushoch.<br />

Dennoch: Im Internet – speziell in den eingängigen sozialen Netzwerken – bewältigten viele<br />

ihren Schmerz, suchte sich Unverständnis, Zorn und Ratlosigkeit ob der katastrophalen Lage, in<br />

der sich der Verein derzeit befindet, seinen Raum. Traurige Abgesänge auf ein Leben mit <strong>Alemannia</strong><br />

brachten und bringen mich um den Schlaf und die Hoffnung auf bessere Zeiten. Andererseits trösten<br />

sie mich auch, zeigen sie doch, dass ich nicht alleine bin mit meiner Trauer, meiner Wut. Ein<br />

Spendenaufruf eines befreundeten Fans war der Versuch selbst etwas zu tun, das Schicksal des<br />

Vereins selbst in die Hand zu nehmen – das zu retten, was man liebt. Natürlich war mir klar: Die<br />

paar Euro, die ich überwies, würden nicht reichen, um sechs Jahre Verfehlungen wieder zu reparieren<br />

– trotzdem tat es gut, irgendetwas tun zu können. So wie damals, als die Fans des Vereins und<br />

die Spieler, die später im UEFA Pokal auflaufen sollten, mit Sammelbüchsen durch die Stadt liefen<br />

und ich als Student eine Party gab für die ich Eintritt verlangte, den ich nachher ebenso spendete,<br />

wie die Kollekte, die auf dem Küchentisch neben dem Bierfass stand. Damals hat es genutzt, was<br />

mich wieder daran erinnert, dass es schon mal so Scheiße war. Was wird diesmal? Ich habe keine<br />

Ahnung, schmunzeln kann ich jedenfalls nicht darüber. Das würde ich aber gerne mal wieder tun –<br />

über Flipperautomaten, Pylonen und bulgarische Torschützenkönige. Ist lange her!<br />

Kolumne<br />

23

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