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November 2012 - Zerb

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Erbrechtspraxis<br />

290<br />

Grenzen der Pfl ichtteilsbeeinfl ussung 1<br />

Wege zur Gleichbehandlung von Sozialleistungsbeziehern bei letztwilligen Zuwendungen<br />

Roland Wendt, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe<br />

„Gebt dem Sozialrecht, was des Sozialrechts ist, und gebt dem Zivilrecht, was des Zivilrechts ist.“<br />

Rosa Maria Wendt, 20. Mai 2011<br />

ZErb 11/<strong>2012</strong><br />

Der Verfasser geht angesichts der anhaltenden Diskussion um Pfl ichtteilsvermeidungsstrategien der Frage nach, ob die Gesetzeslage<br />

etwas dafür hergibt, dass Eltern bedürftiger Abkömmlinge mit Sozialleistungsbezug bei letztwilligen Verfügungen in erster<br />

Linie nicht das Kindes- und Familienwohl berücksichtigen dürfen, sondern das Gemeinwohl im Blick haben müssen. Im ersten<br />

Teil wird in einer Bestandsaufnahme der aktuelle Gestaltungsdiskurs aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre mit dem Ziel<br />

„Pfl ichtteilsreduzierung“ und die – übereinstimmende – Generallinie der drei maßgeblichen Gerichtsbarkeiten (BGH, OVG,<br />

LSG) zur Sittenwidrigkeitsgrenze dargelegt. Im zweiten Teil schließt sich eine ausführliche Erörterung der vom Erbrechtssenat des<br />

Bundesgerichtshofs in gut zwei Dekaden geprüften Wege an, die dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf letztwillige Zuwendungen<br />

an behinderte und bedürftige Abkömmlinge versperren sollen. Dadurch wird zugleich der Blick erweitert auf Gestaltungsmöglichkeiten<br />

von Erblassern und Erben, die noch nicht auf dem Prüfstand des Bundesgerichtshofs das ausdrückliche Eignungstestat<br />

erhalten haben.<br />

Teil 1 – aktueller Diskurs in Rechtsprechung und Literatur<br />

I. Generelle Beeinfl ussungsstrategien<br />

1. Gestaltungsrahmen<br />

Das Pfl ichtteilsrecht hat im forensischen und wissenschaftlichen<br />

Diskurs anhaltend Hochkonjunktur mit Schwerpunkt<br />

Pfl ichtteilsreduzierung und das, obwohl<br />

• das Pfl ichtteilsrecht zwingend und damit von Natur aus<br />

gestaltungsfeindlich ausgebildet ist und<br />

• das Bundesverfassungsgericht durch die Ausstattung des<br />

Pfl ichtteils über die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1<br />

Satz 1 GG iVm Art. 6 Abs. 1 GG mit Grundrechtsschutz<br />

die Position Enterbter weiter gestärkt hat. 2<br />

An dieser auch noch öff entlich eingestandenen Suche nach<br />

Wegen zur Pfl ichtteilsminimierung haben sich Gesetzgeber,<br />

Forensiker und Lehre gleichermaßen mit unterschiedlichen<br />

Erfolgen beteiligt. Das hat kürzlich sehr instruktiv Gabriele<br />

Müller – Erbrechtschefi n des Instituts für Notarrecht an der<br />

Universität Würzburg – aufgezeigt, als sie „Innovative Wege<br />

zur Pfl ichtteilsminimierung“ auf ihre Eignung testete, inwieweit<br />

das anvisierte Ziel auf ihnen zu erreichen ist. 3 Nach ihren<br />

Untersuchungsergebnissen spielt – und darauf kommt es hier<br />

an – die Absicht, in der Möglichkeiten von Pfl ichtteilssenkungen<br />

nachgespürt wird, für das Eignungstestat letztlich keine<br />

entscheidende Rolle. Dazu jetzt ein paar Fundstücke der drei<br />

genannten Suchtrupps:<br />

2. Gestaltungswege des Gesetzgebers<br />

a) § 2315 Abs. 1 Satz 4 BGB-E 4<br />

Den vom Gesetzgeber mit § 2315 Abs. 1 Satz 4 BGB-E eingeschlagenen<br />

Reduzierungsweg über<br />

„nachträgliche Pfl ichtteilsanrechnungen von Todes wegen“<br />

insbesondere, weil die Erfahrung lehre, dass Erblasser sich<br />

im Zeitpunkt der Zuwendung nur selten über bestandsfeste<br />

Anrechnungsanordnungen Gedanken machen, hat der Rechtsausschuss,<br />

hauptsächlich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten<br />

des Zuwendungsempfängers, jäh versperrt. Das sollte indes<br />

nicht entmutigen, Verbesserungen bei der Verteilungsgerechtigkeit<br />

de lege ferenda weiter nachzugehen.<br />

b) § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB (nF) – Pro-rata-Regelung<br />

Die in § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB eingeführte Pro-rata-Regelung<br />

bei der Pfl ichtteilsergänzung durch Reduzierung des<br />

Schenkungswerts in Höhe von 1/10 pro Jahr ist hingegen ein<br />

gelungenes Beispiel für eine gerechter erscheinende Pfl ichtteilsminimierung<br />

anstelle des vorherigen<br />

„Alles-oder-nichts-Prinzips“<br />

Da davon auch gemeinnützige Organisationen und Stiftungen<br />

profi tieren können, soweit eine wirkliche Leistung des Erblassers<br />

erfolgt, wäre unsere große Entscheidung zur Dresdner<br />

Frauenkirche, die nach einer Millionenspende als Beschenkte<br />

der Pfl ichtteilsergänzung gemäß § 2329 BGB – auch in Millionenhöhe<br />

– unterlag, heute anders ausgefallen. 5<br />

c) § 2333 BGB (nF) – Pfl ichtteilsentziehung<br />

Auch die Neuregelung zur Pfl ichtteilsentziehung gehört mit der<br />

radikalsten Reduzierung auf null in den Kreis der Pfl ichtteilsminimierungsinstrumente.<br />

6 Die Erweiterung des geschützten<br />

Personenkreises (Lebensgefährte, Stief- und Pfl egekind) und<br />

1) Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser auf dem Symposium der<br />

Westfälischen Notarkammer am 24. Mai <strong>2012</strong> gehalten hat, der seinerseits auf<br />

seinen Abhandlungen zu der Th ematik in ZNotP 2011, 362 und ErbR <strong>2012</strong>,<br />

66 aufbaut.<br />

2) BVerfGE 112, 332.<br />

3) Notar 2011, 315; die Autorin ist Leiterin des Referats für Erb- und Familienrecht<br />

am DNotI in Würzburg; zum Gestaltungsrahmen generell: Wendt, ErbR<br />

<strong>2012</strong>, 66; ZNotP 2008, 2; 2010, 362.<br />

4) BT-Drucks. 16/8954 S. 19 ff ; Muscheler, ZEV 2008, 105; Spall, ZErb 2007,<br />

232 ff .<br />

5) Müller, Notar 2011, 316; MüKo-BGB/Lange, 5. Aufl ., § 2325 Rn 60; BGH<br />

NJW 2004, 1382 (Dresdner Frauenkirche); BGHZ 125, 395 (Nutzungsvorbehalt);<br />

Röthel, ZEV 2008, 112.<br />

6) Müller, Notar 2011, 316 f; kritisch: Muscheler, Das neue Recht der Pfl ichtteilsentziehung,<br />

in: Bayer/Koch (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Erbrechts 2010, S. 39 ff .<br />

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