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November 2012 - Zerb

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Erbrechtspraxis<br />

willig erworbenes Vermögen zur Hälfte herauszugeben. 33 Dem<br />

– einem Sittenwidrigkeitsvorwurf vergleichbaren – Vorwurf<br />

einer Gesetzesumgehung begegnet der Senat so:<br />

„Die dadurch für den Schuldner bestehende Möglichkeit, den<br />

Halbteilungsgrundsatz zu umgehen, indem er das Vermächtnis<br />

erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode annimmt, muss in<br />

Kauf genommen werden. Macht der Schuldner den Pfl ichtteil<br />

erst nach diesem Zeitpunkt geltend, tritt diese Folge ebenfalls<br />

ein.“ 34<br />

d) Auftragssenat<br />

Das aktuellste Beispiel liefert schließlich der III. (Auftrags-)Senat<br />

des Bundesgerichtshofs. 35 Dieser verneint die Sittenwidrigkeit<br />

einer Treuhandabrede, mit der das Vermögen des Treugebers – es<br />

war ein Sparguthaben der Großmutter zugunsten eines Enkels<br />

in ihrem Todesfall – vor dem Sozialleistungsträger verheimlicht<br />

werden sollte. Hat dieses Vermögen auf die Bewilligung oder<br />

die laufende Gewährung der in Rede stehenden Sozialleistung<br />

für den körperbehinderten Enkel in einem Rehazentrum einer<br />

behindertengerechten kaufmännischen Ausbildung keinen<br />

Einfl uss, scheidet Sittenwidrigkeit aus. Der Senat nimmt dabei<br />

genau die sozialrechtlichen Leistungsregelungen in den Blick und<br />

stützt darauf die Ablehnung der geltend gemachten Sittenwidrigkeit.<br />

Eine Abwälzung privater Lasten auf die Allgemeinheit<br />

insbesondere durch Schaff ung erst der Voraussetzungen für den<br />

Leistungsbezug war dem Sozialrecht gerade nicht zu entnehmen.<br />

Einmal mehr greift die Eingangsformel über die Trennung<br />

von Sozialrecht und Zivilrecht. Die Generallinie des Bundesgerichtshofs<br />

ist damit eindeutig: Die Verdrängung von – auch<br />

öff entlichen – Gläubigern reicht allein nicht, um die Kombination<br />

gesetzlicher Gestaltungsinstrumente zu beschränken.<br />

2. Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

a) Sittenwidrige Zugriff ssperre durch Testamentsvoll -<br />

streckung?<br />

Die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte folgt einhellig<br />

dieser Generallinie. 36<br />

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht 37 lässt es an Deutlichkeit<br />

nicht fehlen, wenn es im Leitsatz ausspricht: Eine Erbschaft steht<br />

nicht als einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1<br />

BSHG zur Verfügung, wenn dem Erblasserwillen zu entnehmen<br />

ist, dass der Nachlass nicht für die Bestreitung der allgemeinen<br />

Unterbringungskosten eines im Heim lebenden Behinderten<br />

verwendet werden soll. Darin erkennt es ausdrücklich an, dass<br />

die Zugriff ssperre durch Testamentsvollstreckung nicht sittenwidrig<br />

ist, vielmehr anerkennenswerten Zielen folgt.<br />

Exemplarisch sei ferner das OVG Saarland 38 vom März 2006<br />

angeführt. Die Erblasserin hatte ihre behinderte Enkelin durch<br />

notarielles Testament zur Alleinerbin eingesetzt und Dauertestamentsvollstreckung<br />

angeordnet, die die lebzeitige rechtliche<br />

Verwertbarkeit des ererbten Vermögens hinderte. Erst das<br />

Oberverwaltungsgericht setzte dem Streben des Sozialhilfeträgers,<br />

nach dem Tod der Großmutter die Eingliederungshilfe in<br />

Form der Übernahme der Kosten ihrer vollstationären Heimunterbringung<br />

zu unterbinden, ein Ende.<br />

b) Nachlassumfang als Sittenwidrigkeitsgrenze<br />

Bei der nicht abschließend geklärten Frage, ab welchem Nach-<br />

294<br />

ZErb 11/<strong>2012</strong><br />

lassumfang die Sittenwidrigkeitsgrenze erreicht sein könnte, ist<br />

gegenüber den Ausführungen dieses Oberverwaltungsgerichts<br />

allerdings kritische Distanz geboten: Es hat, obiter dicta, erwogen,<br />

dass dies der Fall sein könne, wenn der Wert des Nachlasses<br />

eindeutig ausreiche, sowohl die Kosten der Heimunterbringung<br />

als auch die dem Behinderten zugedachten Vorteile bei<br />

normaler Lebenserwartung sowie die Testamentsvollstreckervergütung<br />

aufzubringen.<br />

§ 138 BGB greift indes nicht schon, wenn – gleichsam buchhalterisch<br />

festzustellen – der Gesamtkostenaufwand aus Heimunterbringung<br />

plus Zusatzvorteilen den Nachlasswert erreicht.<br />

Erst bei einem deutlichen Missverhältnis zwischen den von der<br />

Familie durch die Behinderung über möglicherweise eine lange<br />

Zeit insgesamt zu schulternden Lasten und dem abzuschirmenden<br />

Familienvermögen wird die von § 138 BGB abstrakt gezogene<br />

Grenze erkennbar.<br />

Der Senat brauchte sich noch nicht konkret damit zu befassen,<br />

ab welchem Nachlassvolumen der Ausübung erbrechtlicher<br />

Gestaltungsrechte Grenzen gesetzt sein könnten. Der Grundsatzentscheidung<br />

von 1993 lässt sich aber zumindest entnehmen,<br />

dass diese Grenze nicht schon dann erreicht ist, wenn die<br />

Versorgung der behinderten Person allein mit dem Pfl ichtteil<br />

auf Lebenszeit gerade mal sichergestellt wäre. 39 Die Schwelle<br />

dürfte unter der Regie des § 138 BGB erheblich darüber liegen.<br />

3. Sozialgerichtsbarkeit<br />

Bei der aktuellen in der Literatur geführten Diskussion über<br />

die Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf die Gruppe der<br />

sogenannten wirtschaftlich Behinderten oder Bedürftigen wird<br />

das maßgebliche Judikat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg<br />

aus dem Jahr 2007 gern übersehen. 40 Nach umfangreicher<br />

Auseinandersetzung mit der Sittenwidrigkeitsproblematik<br />

kommt dieses Gericht zu dem Ergebnis, dass ein unter Testamentsvollstreckung<br />

stehendes Geldvermächtnis zugunsten<br />

eines ALG-II-Berechtigten nicht gegen § 138 BGB verstößt.<br />

Dieses Vermächtnis stelle kein verwertbares Vermögen für die<br />

Finanzierung des allgemeinen Lebensunterhalts dar im Sinne<br />

von § 12 Abs. 1 SGB II. Sittenwidrigkeit der Testamentsbestimmung<br />

zulasten des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende<br />

scheide aus, weil damit einer sittlichen Verpfl ichtung<br />

des Erblassers betreff end das Wohl seines Kindes genügt werde.<br />

Es sei grundsätzlich nicht zu missbilligen, wenn der Erblasser<br />

dem Nachranggrundsatz nicht unter allen Umständen Geltung<br />

verschaff e.<br />

Dem steht die Entwicklung in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts<br />

nicht entgegen. Sie unterscheidet zwar zwischen<br />

Erbschaft und Vermächtnis. 41 Eine Erbschaft gilt als Vermögen,<br />

33) Beschluss vom 10. März 2011 – IX ZB 168/09 – Rn 6; zur Veröff entlichung<br />

vorgesehen.<br />

34) BGH, Beschluss vom16. Juli 2009 – IX ZB 72/09 – ZinsO 2009, 1831 Rn 10.<br />

35) Urteil vom 2. Februar <strong>2012</strong> – III ZR 60/11 – FamRZ <strong>2012</strong>, 539.<br />

36) OVG Saarland, Urteil vom 17. März 2006 – 3 R 2/05 – ZErb 2006, 275;<br />

Hamburgisches OVG, Urteil vom 2. Mai 1997 – Bf IV 33/96 – juris; Sächsisches<br />

OVG, Beschluss vom 2. Mai 1997 – 2 S 682/96 – ZEV 1997, 344; Hamburgisches<br />

OVG, Urteil vom 2. Mai 1997 – Bf IV 33/96 – juris.<br />

37) Ebenda.<br />

38) Ebenda.<br />

39) BGHZ 123, 368, 371.<br />

40) LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Oktober 2007 – L 7 AS 3528/07 –<br />

ZEV 2008, 147.<br />

41) Urteil vom 24. Februar 2011, FamRZ 2011, 1055 = ZEV 2011, 358.<br />

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