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WIR 180 - Das WIR-Magazin im Gerauer Land

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aus der Geschichtswerkstatt (45)<br />

Der Maler Althe<strong>im</strong><br />

und sein Bär<br />

Neben Prälat Wilhelm Diehl ist der Maler<br />

Wilhelm Althe<strong>im</strong> der zweite gebürtige<br />

Groß-<strong>Gerauer</strong>, der weit über<br />

die hessischen Grenzen hinaus Bekanntheit<br />

erlangte. Beide wurden 1871 in der<br />

Mainzer Straße geboren. Während der am<br />

10. Januar 1871 geborene Wilhelm Diehl in<br />

einem gut situierten Elternhaus aufwuchs,<br />

kam Wilhelm Althe<strong>im</strong> einige Häuser weiter<br />

am 07.08.1871 in ärmlichen Verhältnissen<br />

zur Welt. Der Vater, der Schneidermeister<br />

Daniel Althe<strong>im</strong>, betrieb eine kleine<br />

Werkstatt, die wenig einbrachte. Die taubstumme<br />

Mutter war künstlerisch veranlagt.<br />

Sie schien diese Begabung ihren drei<br />

Kindern vererbt zu haben, denn Wilhelm<br />

Althe<strong>im</strong>s älterer Bruder Georg beschäftigte<br />

sich ebenfalls erfolgreich mit der Malerei.<br />

Entsprechendes Talent soll auch die jüngere<br />

Schwester besessen haben. Wilhelm<br />

begann bereits in jungen Jahren mit dem<br />

Zeichnen. Motive fand er reichlich in den<br />

umliegenden Gehöften und <strong>im</strong> regen Treiben<br />

auf den Groß-<strong>Gerauer</strong> Straßen. Diese<br />

Szenen des bäuerlichen Lebens mit Tieren,<br />

vor allem Pferde, aber auch Esel, Militär,<br />

Fuhrwerken, arbeitenden, geselligen und<br />

umherziehenden Menschen ließen ihn nie<br />

mehr los und flossen später <strong>im</strong>mer wieder<br />

in seine Werke ein.<br />

Der Vater konnte mit den Neigungen<br />

seiner Kinder wenig anfangen. Georg begann<br />

eine Karriere <strong>im</strong> öffentlichen Dienst<br />

und Wilhelm fing eine kaufmännische<br />

Ausbildung bei<br />

dem Kaufleuten<br />

und Ölfabrikanten<br />

Georg und Julius<br />

Wolff an. Letztgenannter<br />

erkannte<br />

das Potential seines<br />

Lehrlings und<br />

Peter Schneider ist<br />

Leiter der Groß-<strong>Gerauer</strong>Geschichtswerkstatt,<br />

Verein für<br />

Geschichte, He<strong>im</strong>atund<br />

Volkskunde;<br />

Tel.: 0175-5225163<br />

förderte ihn großzügig. Wolff war selbst ein<br />

kreativer Kopf, der sich neben seinen Aufgaben<br />

<strong>im</strong> Betrieb erfolgreich verschiedene<br />

Erfindungen austüftelte, die er patentieren<br />

ließ und sogar vermarkten konnte. Durch<br />

Julius Wolff erhielt Wilhelm Althe<strong>im</strong> ein<br />

Stipendium für die Städelsche Kunstschule<br />

in Frankfurt und begann <strong>im</strong> Frühjahr<br />

1886 dort sein Studium. Ein weiteres Stipendium<br />

ermöglichte ihm <strong>im</strong> Jahre 1894<br />

einen Studienaufenthalt in Paris, bevor er<br />

1895 seine Ausbildung <strong>im</strong> Städel beendete.<br />

Danach bezog er mit seinem Freund und<br />

künstlerischen Konkurrenten Fritz Boehle<br />

ein Atelier. Nach der Heirat mit Marie<br />

Teichmann wohnte er von 1897 bis 1908 in<br />

Eschershe<strong>im</strong> - für ihn wohl der schönste<br />

Lebensabschnitt. Er genoss exzentrisch<br />

das freie Leben als Künstler und bestätigte<br />

alle damit verbundenen Klischees. Er fuhr<br />

beispielsweise mit einer eselbespannten<br />

Kutsche durch Frankfurt, ritt auf Eseln<br />

umher (zuweilen <strong>im</strong> Frack) und kehrte<br />

auch hoch zu Esel in Wirtschaften ein.<br />

Wilhelm Althe<strong>im</strong> hielt auch einen Bären,<br />

mit dem er spazieren ging und zur<br />

Gaudi der Frankfurter Bevölkerung Straßenbahn<br />

fuhr. Oftmals kleidete er sich<br />

nach Cowboyart, wenn er auf Motivsuche<br />

<strong>im</strong> Eschershe<strong>im</strong>er Umland unterwegs war.<br />

Sehr oft führte er dabei einen großen Revolver<br />

mit. <strong>Das</strong> Lokal „Zur Stadt Frankfurt“<br />

war Wohnz<strong>im</strong>mer und Atelier zugleich.<br />

Mitten <strong>im</strong> Trubel der lauten Kneipe<br />

fertigte er Skizzen und Zeichnungen an.<br />

Nicht selten musste er aus Geldmangel<br />

anschreiben lassen. Zum Arbeiten kehrte<br />

er aber <strong>im</strong>mer wieder ins <strong>Gerauer</strong> <strong>Land</strong><br />

zurück.<br />

Nach verschiedenen Auslandsaufenthalten<br />

und gescheiterter Ehe ließ sich Althe<strong>im</strong><br />

1912 in Rödelhe<strong>im</strong> nieder. Er heiratete<br />

<strong>im</strong> Frühjahr 1914 nochmals. Bis zum<br />

Kriegsausbruch <strong>im</strong> August 1914 war Wilhelm<br />

Althe<strong>im</strong> durch sein unstetes Leben<br />

ein kranker Mann geworden. <strong>Das</strong> mit dem<br />

Krieg verbundene Elend, die angegriffene<br />

Gesundheit, der fehlende künstlerische<br />

Erfolg und die damit verbundene desolate<br />

finanzielle Lage ließen ihn verzweifeln. Er<br />

soll noch nicht einmal mehr in der Lage<br />

gewesen sein, Weihnachtsgeschenke für<br />

seine Kinder kaufen zu können. In dieser<br />

depressiven Phase erschoss sich Wilhelm<br />

Althe<strong>im</strong> am 1. Weihnachtsfeiertag 1914.

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