4 - Kulturnews
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62 platten // Pop, Rock + Dance<br />
Platte des Monats<br />
Chris Isaak<br />
Beyond the Sun<br />
RETROPOP<br />
Warner<br />
Chris Isaaks Killerfeature war bisher die<br />
Mimikry. Er sah aus wie den frühen späten<br />
50ern entsprungen, und so klangen auch<br />
seine selbstkomponierten Retrosongs. Das<br />
war auf genialische Weise epigonal – und<br />
erforderte zwangsläufig irgendwann einmal<br />
ein Coveralbum, auf dem er sich die<br />
Klassiker aus Papas Plattenkiste zur Brust<br />
nimmt, die ihn überhaupt erst auf diesen<br />
Nostalgietrip schickten. Dieser Aufgabe<br />
des Coverns widmet sich der Kalifornier<br />
nun auf „Beyond the Sun“: Er singt, croont,<br />
schmalzt, seufzt und jault sich durch die<br />
Werke Elvis Presleys, Johnny Cashs, Jerry<br />
Lee Lewis’ oder Roy Orbisons. Üppige 28<br />
Songs sind drauf, sie bilden nicht nur das<br />
Destillat seiner Einflüsse, sondern des modernen<br />
Pop schlechthin. Isaak imitiert die<br />
patinöse Klangästhetik der 50er bis ins<br />
Detail, zugleich verleiht die Produktion<br />
Songs wie „Pretty Woman“ oder „It’s now<br />
or never“ eine derart glatte Oberfläche, dass<br />
Isaak sich darin spiegeln und den Sitz seiner<br />
gegelten Tolle überprüfen kann. Ein<br />
perfektes Album – und das ist auch sein<br />
einziges Manko. (mw)<br />
The Maccabees<br />
Given to the Wild<br />
BRITROCK<br />
Universal<br />
Warum werden The Maccabees eigentlich<br />
hierzulande immer noch als durchschnittliche<br />
Britrockband unterschätzt? Zugegeben, das<br />
Debüt „Colour it in“ lieferte konventionellen<br />
Indierock, doch schon auf „Wall of Arms“ ließen sie sich auf Innovationen à la Arcade<br />
Fire ein. Mit dem dritten Album ist das Quintett aus London jetzt ein Meisterwerk<br />
gelungen. Auf „Listen to the Wild“ wagen sie psychedelische Experimente, legen die<br />
Kompositionen epischer an, kontrastieren akustische Freisteller mit größtmöglichem<br />
Bombast – und finden doch immer den Weg zurück zu eingängigen Melodien und<br />
großen Popgesten. Als Referenzen gehen Talk Talk, Grizzly Bear und die versponnene<br />
Phase von Bowie durch, und damit ist zumindest eins ganz klar: Hier geht es<br />
längst nicht mehr um das nächste große Ding, hier geht es um ein Album, das man<br />
vermutlich auch in zehn Jahren noch auflegt. (cs)<br />
-Bewertung<br />
Crippled Black Phoenix<br />
(Mankind) The crafty Ape<br />
INDIEROCK<br />
Rough<br />
Trade<br />
5//<br />
1=grausig bis 6= genial<br />
4// 4//<br />
Da hat wohl jemand etwas mehr zu sagen:<br />
Von Crippled Black Phoenix ist man schnelles<br />
Nachlegen bei den Alben gewöhnt,<br />
und auch seit der Veröffentlichung ihres<br />
Werkes „I, Vigilante“ sind nur 16 Monate<br />
vergangen. Diesmal musste es sogar gleich<br />
eine Doppelscheibe sein. Bandkopf Justin<br />
Greaves versammelte erneut eine veritable<br />
Musikermischung um sich, um seine Songideen<br />
zu verwirklichen – wobei „Songs“<br />
ja durchaus ein in die Irre führender Begriff<br />
ist. Die Stärke von Crippled Black<br />
Phoenix liegt schließlich weniger in eingängigen<br />
Refrains oder besonders philosophischen<br />
Texten – vielmehr frickeln sich<br />
die fünf Briten durch das komplette Material,<br />
das der Indierock zu bieten hat: Postund<br />
Folkrock spielen Ringelpiez mit progressiven<br />
Gitarren, kuscheln sich an satte<br />
Streicher- und Bläserarrangements, drehen<br />
eine Runde um die Synthesizer und trudeln<br />
zum Schluss langsam in sphärischen<br />
Klangwelten aus. Nicht radiotauglich –<br />
dafür ein Sonntagsbraten für die Ohren. (es)<br />
Ben Howard hält die Tradition des Britfolk am Leben. Auf seinem Debüt „Every Kingdom“ (Universal)<br />
singt er in der Tonlage James Blunts versonnene Songperlen mit gebremstem Popappeal.<br />
kulturnews 2/12<br />
Cœur De Pirate<br />
Blonde<br />
CHANSON<br />
Groove<br />
Attack<br />
Mit 19 saß Béatrice Martin ganz brav<br />
am Klavier, um fürs Netz ein paar selbstgeschriebene<br />
Songs einzuspielen – und<br />
schon kurz darauf wurde sie unter dem<br />
Künstlernamen Cœur De Pirate als neuer<br />
Star der Chansonszene gefeiert. Vielleicht<br />
sind es die vielen Tattoos, die ihre Kompositionen<br />
vor allem für ganz junge Fans<br />
interessant machen, denn vor den Chansons<br />
hatte auch Martin ihre wilde Rebellenzeit,<br />
in der sie mit Punkbands unterwegs<br />
war. Mit dem zweiten Album will<br />
Martin jetzt nicht nur in den chansonaffinen<br />
Ländern an die Chartspitze; deshalb<br />
erweitert sie ihr Repertoire um liebreizenden<br />
Pop, der sich an den 60ern orientiert.<br />
Bleibt abzuwarten, ob ihr das Hipsterpublikum<br />
auch in den Zuckerwattehimmel<br />
folgt. Mit Songs wie „Danse et danse“ und<br />
allen voran „Verseau“ hat sie jedenfalls<br />
ziemlich gute Karten, zur Vanessa Paradis<br />
des 21. Jahrhunderts zu werden. (cs)<br />
Deichkind<br />
Befehl von ganz unten<br />
ELEKTROHOP<br />
Universal<br />
Deichkind scheint es egal zu sein, dass<br />
sie längst durch die Mehrzweckhallen<br />
ziehen, um vor Tausenden von Prolls zu<br />
spielen, gegen die sie einst angetreten<br />
waren. „Befehl von ganz unten“ ist genau<br />
die Platte, die sich das „Remmi Demmi“-<br />
Publikum gewünscht hat. Natürlich beherrschen<br />
die Hamburger den aggressiven,<br />
räudigen Elektrorap wie niemand sonst;<br />
nur inhaltlich hakt es inzwischen sehr.<br />
Die Krise der Musikindustrie lösen sie,<br />
indem sie Metallica-Schlagzeuger Lars Ulrich<br />
zum Kacken aufs Dixieklo schicken;<br />
die schönsten Schuhe werden von kleinen<br />
Kinderhänden genäht, aber neue<br />
Sneakers sind nun mal leider geil. Und<br />
dann gibt es auch noch „Bück dich<br />
hoch“, eine ironische Umkehrung von<br />
Tocotronics „Sag alles ab“. Zwei Drittel<br />
ihrer Fans werden diese Ironie zwar nicht<br />
verstehen – doch Deichkind können sich<br />
ja mit den Einnahmen trösten. (cs)<br />
Die Türen<br />
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ<br />
SOULROCK<br />
Rough<br />
Trade<br />
4// 4//<br />
2//<br />
Die Türen veröffentlichen ihr weißes Album,<br />
aber natürlich denken sie die Beatles<br />
weiter. Beigelegt ist ein Aufkleberset mit<br />
allen Buchstaben des Alphabets und popkulturellen<br />
Symbolen von der Velvet-Underground-Banane<br />
bis zum Facebook-Daumen;<br />
damit können die Fans das Cover<br />
der vierten Türen-Platte selbst gestalten.<br />
Doch nicht nur in Sachen Design reagieren<br />
sie auf die Ära des Internets und der<br />
grenzenlosen Beliebigkeit. Zwar arbeiten sie<br />
sich zurück durch die Popgeschichte, kombinieren<br />
ihre krautigen 70er-Rocksongs<br />
aber mit so lustigen wie intelligenten Texten<br />
zum Überleben in prekären Zeiten. Damit<br />
löst Türen-Sänger Maurice Summen mit der<br />
eigenen Band ein, was er auch als Chef des<br />
mittlerweile wohl wichtigsten deutschen<br />
Indielabels Staatsakt vorantreibt: politische<br />
Positionierung. Zudem konnte er als Labelmacher<br />
auch spielend personelle Probleme<br />
lösen: Für den ausgestiegenen Gitarristen<br />
Gunter Osburg ist Andreas Spechtl<br />
(Ja, Panik) dabei, und am Schlagzeug sitzt<br />
jetzt Chris Imler, der sonst für Jens Friebe<br />
trommelt. Vereint geben sie in „Leben oder<br />
streben“ die Parole für 2012 aus: „Ich will<br />
keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe,<br />
ich will auch kein Grundgehalt, ich<br />
will nur einen Grund zum Frieden.“ (cs)<br />
Diverse<br />
Chimes of Freedom<br />
FOLKPOP<br />
Universal<br />
5//<br />
Entgegen landläufiger Meinung hat Bob<br />
Dylan diverse definitive Versionen seiner<br />
Songs aufgenommen. Wie etwa sollte man<br />
„Like a rolling Stone“ je toppen? Andere<br />
waren kaum mehr als Skizzen und erblühten<br />
erst in der Fremde (etwa „Mighty<br />
Quinn“). Gecovert aber wurde Dylan immer<br />
– unter der Ägide der Hilfsorganisation<br />
Amnesty International, die ebenso lange<br />
aktiv ist wie Dylan auf der Bühne, nämlich<br />
50 Jahre, entstand nun ein weiterer<br />
Sampler, ein Monster. 75 Songs auf vier<br />
CDs, über 80 beteiligte Künstler aus allen<br />
Generationen, von Pete Seeger bis Ke$ha: