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Mittwoch, 27. Juli 2011 ALLTAG 7<br />
Durch Afrika in die<br />
Vergangenheit radeln<br />
SERIE Das «Tagblatt» erzählt in den Ferien von eindrucksvollen Sommererlebnissen.<br />
Heute: Vize-Mister-Schweiz Stefan Tobler durchquert Afrika mit dem Velo.<br />
VON CLARISSA ROHRBACH<br />
Der Teer glüht unter ihm, links und<br />
rechts erheben sich Pyramiden. Stefan<br />
Tobler ist mit dem Fahrrad von Kairo<br />
Richtung Kapstadt losgefahren. Er<br />
nimmt am längsten Bikerennen der<br />
Welt teil. Eine saubere, schwarze Linie<br />
führt ihn durch die Wüste Ägyptens.<br />
Willkommen in der Hölle, denkt<br />
der 24-Jährige nur noch, als er im Sudan<br />
ankommt. Tagsüber erreicht die<br />
Temperatur über 40 Grad, nachts<br />
fällt sie auf knapp über null. Dort<br />
gibt es keine Strassen mehr. Mitten<br />
in den Dünen versucht der Extremsportler,<br />
kompakten Boden zu fnden.<br />
Er bestimmt selber seinen Pfad,<br />
orientiert sich mit dem Kompass.<br />
Manchmal sackt er im Sand ein und<br />
muss das Velo unter der brennenden<br />
Sonne schieben. Vor ihm kämpft sich<br />
ein anderer Velofahrer durchs Tal,<br />
ein winziger, dunkler Punkt am Horizont.<br />
Weitere vier Monate stehen<br />
ihm bevor, bis er im Sommer 2005 in<br />
Südafrika eintrefen wird.<br />
Trotz kaputter Hüfte losgefahren<br />
Mit dem Velo nach Südafrika zu fahren,<br />
war sein grösster Traum. Der Vize-Mis-<br />
DER SOMMER MEINES LEBENS<br />
Erinnern Sie die heissen Sommermonate<br />
an die Ferien als Kind? Konnten<br />
Sie eine Romanze am Meer nie vergessen?<br />
Schauen Sie ab und zu die alten<br />
Fotos Ihrer Traumreise an? Erzählen<br />
Sie dem «Tagblatt» vom Sommer Ihres<br />
Lebens. Schreiben Sie uns eine Mail<br />
an:text@tagblattzuerich.ch<br />
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ter-Schweiz 2010 wuchs bis zu seinem<br />
sechsten Lebensjahr in Johannesburg<br />
auf und vermisste später das Land. Bald<br />
entdeckte er das Fahrrad. Wegen einer<br />
Deformation des Hüftkopfs riet ihm der<br />
Arzt, einen Sport zu treiben, der runde<br />
Bewegungen verlangt. So begann Tobler<br />
schon mit zwölf Jahren, seine ersten<br />
Schweizer Touren zu bestreiten. Später<br />
arbeitete er als Velokurier. Jahrelang studierte<br />
er die Landkarte des Schwarzen<br />
Kontinents und zeichnete im Geist die<br />
Route. «Als ich dann einen Bericht im<br />
«Tagblatt» über die Tour d`Afrique las,<br />
wusste ich: Auf diese Chance habe ich<br />
gewartet», sagt der heute 30-Jährige.<br />
Trotz defekter Hüfte bestand Tobler<br />
den Gesundheitscheck. Er fog nach<br />
Kairo, ohne seinen Bekannten etwas<br />
vom Projekt zu erzäh-<br />
len. Vorher hatte er<br />
noch eine grosse Neujahrspartygeschmissen<br />
und sich innerlich<br />
von Freunden verabschiedet. «Ich wusste,<br />
wenn ich mein Vorhaben allen erzähle,<br />
verliert es an Wichtigkeit, ich wollte<br />
es für mich behalten.» Und so ging er<br />
los, mit nur wenigen Kleidern, einem<br />
Zelt und einem Tagebuch im Gepäck.<br />
«Mir war egal, ob ich gewinne oder ausscheide,<br />
ich wollte einfach mit dem Velo<br />
meine Geburtsstadt erreichen.»<br />
Von frechen Affen ausgeraubt<br />
Jeden Morgen steht der gelernte Feinmechaniker<br />
um 5.30 Uhr auf. Nach<br />
dem Frühstück steigt er in den Sattel.<br />
Stundenlang tritt er in die Pedale. Wenn<br />
die Strecke über längere Zeit geradeaus<br />
verläuft, fällt er in eine Art von Trance.<br />
Er fxiert einen Punkt, sein Kopf ist leer.<br />
«Ab einem gewissen Zeitpunkt spürt<br />
man die Müdigkeit nicht mehr», Tag für<br />
UF<br />
Das Porträt:<br />
Stefan Tobler<br />
Tag legt er im Durchschnitt 120 Kilometer<br />
zurück.<br />
In Äthiopien wechselt die Landschaft.<br />
Das Land ist reich an Vegetation,<br />
saftiges Grün steht auf rotem Boden.<br />
Dort ist Regenzeit, zehn Tage lang radelt<br />
Tobler im Feuchten. In den Regenwäldern<br />
im Süden muss er auf die frechen<br />
Afen aufpassen. Im Bruchteil<br />
einer Sekunde können diese den Tachometer<br />
oder den Helm klauen und damit<br />
in den Bäumen verschwinden.<br />
Während die 45 Teilnehmer ihre Route<br />
abfahren, steuern zwei Lastwagen<br />
vollgeladen mit Habseligkeiten und<br />
Ausrüstung zum jeweiligen Camp. Die<br />
Fahrer sind gleichzeitig auch die Köche.<br />
Um die Gruppe zu verpfegen, müssen<br />
sie zum Teil ein ganzes Dorf leerkaufen.<br />
Manchmal sind die<br />
Brunnen mit Trinkwasser<br />
trocken. Dann<br />
müssen die Sportler<br />
auf die täglichen<br />
75 Milliliter für die Körperpfege verzichten.<br />
Das vorhandene Wasser wird<br />
fürs Trinken gespart. Wenn man so viel<br />
schwitzt, muss man mindestens sieben<br />
Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen,<br />
um nicht zu dehydrieren.<br />
Um 16 Uhr kommen die Fahrer jeweils<br />
im Camp an. Zuerst isst Tobler ein<br />
Zvieri, dann wäscht er seine Kleider<br />
und baut das Zelt auf. Vor dem Abendessen<br />
um 18 Uhr liest er, hört Musik<br />
oder schnitzt Hölzer. Um 19.30 ist es<br />
dunkel und Bettzeit. Er braucht zehn<br />
Stunden Schlaf. Doch im Freien kann<br />
er sich kaum entspannen: Elefantenherden<br />
trampeln am Zelt vorbei, Löwen<br />
brüllen in der Nähe.<br />
Am Vorabend bespricht das Team die<br />
Route. Für den Fall, dass sich jemand<br />
verliert, müssen alle ein paar Dutzend<br />
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«Polizei», «Krankenhaus» und «Hilfe»<br />
sind ein Muss. Wenn die bunten Velofahrer<br />
mit ihren Hightechbikes, Velocomputern<br />
und trendigen Sonnenbrillen<br />
in einer Siedlung eintrefen, sind sie<br />
die Attraktion des Tages. Die Einheimischen<br />
mustern sie und stellen Fragen.<br />
«Obwohl sie in Lehmhütten wohnten,<br />
luden sie uns immer zum Tee ein, wir<br />
waren für sie die einzige Möglichkeit,<br />
etwas aus dem Ausland zu erfahren.»<br />
Trotz der Freude über die Gastfreundschaft<br />
bekümmert ihn die Armut.<br />
In Namibia übermannt ihn die Vorfreude:<br />
Er hat die Strecke fast geschaft.<br />
Die Anstrengung hat sich bemerkbar<br />
gemacht. Irgendwo schmerzt es immer,<br />
und die Beine brennen andauernd.<br />
«Man lebt am existenziellen Minimum,<br />
ist reduziert aufs Vorwärtskommen, das<br />
Ziel wird zur einzigen Sorge», erklärt<br />
Tobler. Aber an gewissen Tagen macht<br />
der Körper schlapp. Tobler will einfach<br />
nicht mehr aufstehen, die Verlockung<br />
aufzugeben ist gross. «Fitness ist wichtig,<br />
aber die grösste Arbeit macht der<br />
Kopf, es braucht mentale Stärke um<br />
sich durchzukämpfen.»<br />
Gegen Ende kippt die Stimmung. In<br />
Südafrika ist es kalt und regnerisch. Tobler,<br />
müde und gereizt, muss im nassen<br />
Schlafsack schlafen. Nach 11 628 Kilometern<br />
erreicht er das Ziel in Kapstadt<br />
als Dritter. Er ist erleichtert, es überstanden<br />
zu haben. Doch seine Reise geht<br />
weiter nach Johannesburg. Dort sucht<br />
er die Strassen seiner Kindheit nach bekannten<br />
Stellen ab, lässt Erinnerungen<br />
hochkommen. Schliesslich steht er vor<br />
dem Haus, in dem er aufgewachsen ist.<br />
Er hat sein eigentliches Ziel endlich erreicht.<br />
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Video zu diesem<br />
Artikel auf:<br />
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ZürichTV.ch fragt diese Woche Zürcherinnen<br />
und Zürcher, welcher ihr<br />
schönster Sommer war.<br />
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