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Auf die sanfte Tour<br />
Gemeinschaftsschule in NRW<br />
Rettung des Gymnasiums oder der Weg zur einen Schule für alle?<br />
von Karl-Heinz Heinemann<br />
aus: Pädagogik 4/11<br />
Im nächsten Schuljahr sollen die<br />
ersten 17 Gemeinschaftsschulen<br />
in Nordrhein-Westfalen ihre<br />
Tore öffnen. Der neue Schultyp<br />
wird nur als Versuchsschule eingeführt.<br />
Ist die Gemeinschaftsschule<br />
wirklich ein Fortschritt in<br />
Richtung von längerem gemeinsamem<br />
Lernen oder nur eine<br />
Umetikettierung von Hauptschulen?<br />
Der 11. im elften - während in<br />
Köln vor dem Rathaus der<br />
Karneval ausgerufen wird,<br />
beschließt der Gemeinderat im<br />
benachbarten Bornheim, die<br />
einzige Hauptschule des Orts<br />
in einer Gemeinschaftsschule<br />
umzuwandeln. Diese für<br />
Nordrhein-Westfalen neue<br />
Schulform steht nicht im<br />
Schulgesetz. Deshalb wird sie<br />
zunächst nur auf Antrag des<br />
Schulträgers als Versuchsschule<br />
genehmigt. Außer den vier<br />
Mitgliedern der FDP-Fraktion<br />
stimmen alle Ratsmitglieder<br />
dafür. Dass Sozialdemokraten<br />
<strong>und</strong> Grüne dieses Projekt der<br />
von ihren Parteien getragenen<br />
Landesregierung unterstützen,<br />
ist kein W<strong>und</strong>er, aber auch die<br />
CDU, die stärkste Fraktion im<br />
Bornheimer Rat, stimmt für<br />
eine Schulform, die von ihrer<br />
Partei im Landtag immer noch<br />
heftig bekämpft wird. Zwei<br />
Punkte führt die CDU- Rats-<br />
BILDUNGSPOLITIK BILDUNGSPOLITIK<br />
vertreterin Gabriele Kretschmer<br />
zur Begründung an:<br />
Erstens leidet die einzige<br />
Hauptschule am Ort an ständiger<br />
Auszehrung. Die im<br />
letzten Jahr abgelöste CDU-<br />
FDP-Landesregierung habe<br />
alles unternommen, um diese<br />
Schulform aufzuwerten, doch<br />
es habe nichts genützt. Und<br />
zweitens suchten Eltern heute<br />
nach den besten Ausgangspositionen<br />
ihrer Kinder. Darauf<br />
muss sie sich heftige Vorwürfe<br />
ihres FDP-Kollegen anhören:<br />
Es sei »wirklich spannend, hier<br />
zu erleben, wie schnell Überzeugungen<br />
völlig erodieren<br />
können.« Die erste genehmigte<br />
Gemeinschaftsschule in Nordrhein-<br />
Westfalen steht in Ascheberg<br />
- auch hier war es ein<br />
CDU-Bürgermeister, der schon<br />
zu Zeiten der Vorgängerregierung<br />
von CDU <strong>und</strong> FDP dieses<br />
Modell vorangetrieben hatte. In<br />
der Bornheimer CDU-Fraktion<br />
ging es heftig her, da habe sie<br />
sich schon einige Blessuren<br />
geholt, meint Gabriele Kretschmer.<br />
Man versah den Antrag<br />
mit einer Präambel, in der<br />
beteuert wird, dass sich das<br />
gegliederte Schulsystem bewährt<br />
habe <strong>und</strong> das Ganze<br />
keinesfalls als Angriff auf das<br />
Gymnasium zu verstehen sei.<br />
Damit wird noch einmal<br />
deutlich gemacht: es geht in<br />
Bornheim nicht um »eine<br />
Schule für alle «, sondern<br />
bestenfalls um ein Zwei-Säu-<br />
<strong>SEITE</strong> 4<br />
lenmodell. Dafür heben dann<br />
auch die grünen Ratsmitglieder<br />
ihre Hand. Er hätte das nicht so<br />
geschrieben, beteuert Markus<br />
Schnapka, der grüne Beigeordnete,<br />
der für die Schulen<br />
zuständig ist. Es ist eine besondere<br />
Konstellation in Bornheim,<br />
der Stadt zwischen Köln<br />
<strong>und</strong> Bonn mit etwa 50 000<br />
Einwohnern, verstreut auf 14<br />
Gemeinden. Der Bürgermeister<br />
ist Sozialdemokrat, aber im Rat<br />
bildet die CDU die größte<br />
Fraktion, <strong>und</strong> sie regiert zusammen<br />
mit den Grünen.<br />
Doch die Schulprobleme der<br />
Gemeinde sind typisch für das<br />
Land. In der Stadt gibt es ein<br />
Gymnasium, eine kleine<br />
Hauptschule mit rückläufigen<br />
Schülerzahlen <strong>und</strong> eine Gesamtschule<br />
mit 1 500 Schülern,<br />
aber keine öffentliche Realschule,<br />
Viele Kinder müssen in<br />
Schulen der benachbarten<br />
Städte auspendeln. Die Europaschule,<br />
so nennt sich die<br />
Gesamtschule am Ort, nimmt<br />
jedes Jahr r<strong>und</strong> 180 Schüler<br />
auf, doch ebenso viele Eltern<br />
<strong>und</strong> Kinder müssen wegen<br />
fehlender Plätze abgewiesen<br />
werden. Im ganzen Land<br />
Nordrhein-Westfalen waren es<br />
im letzten Schuljahr knapp<br />
15000 Kinder, die vergeblich<br />
einen Platz an einer Gesamtschule<br />
nachsuchten. Die<br />
einzige Hauptschule in Bornheim<br />
macht einen guten<br />
Eindruck: Das neue Gebäude<br />
wirkt sauber <strong>und</strong> belebt. Das<br />
Kollegium hat ein überzeugendes<br />
pädagogisches Konzept<br />
- Berufsorientierung, musische<br />
Bildung, Ganztagsbetreuung<br />
- daran könnte sich manche<br />
andere Schule ein Beispiel<br />
nehmen. Doch es nützt nichts<br />
- diese Schule bekommt nur<br />
noch die Schüler, die von<br />
anderen Schulen abgelehnt<br />
wurden oder nach der sechsten<br />
Klasse von dort zurückgeschickt<br />
werden. Sie in eine<br />
Gemeinschaftsschule umzuwandeln<br />
ist der einzige Weg,<br />
ihr Überleben zu sichern. R<strong>und</strong><br />
die Hälfte der Hauptschulen in<br />
NRW bringt nicht mehr<br />
genügend Schüler zusammen,<br />
um den Betrieb weiter zu<br />
führen, gleiches gilt für 30<br />
Prozent der Realschulen <strong>und</strong><br />
15 Prozent der Gymnasien,<br />
stellte Renate Hendricks, die<br />
schulpolitische Sprecherin der<br />
SPD, im Düsseldorfer Landtag<br />
fest. Die Gemeinschaftsschule<br />
ist ein Kernelement der Schulpolitik<br />
der neuen Landesregierung.<br />
Kinder sollen nicht schon<br />
mit neun oder zehn Jahren, am<br />
Ende der Gr<strong>und</strong>schule auf<br />
verschiedene Schulformen<br />
aufgeteilt werden. Mindestens<br />
zwei Schulen - in der Regel<br />
eine Haupt- <strong>und</strong> eine Realschule,<br />
in der Theorie kann<br />
auch ein Gymnasium dabei<br />
sein, schließen sich zu einer<br />
Gemeinschaftsschule zusammen.<br />
Diese Voraussetzung ist<br />
in Bornheim<br />
eindeutig nicht<br />
erfüllt. Kann sie<br />
hier auch nicht,<br />
weil es am Ort<br />
keine Realschule<br />
gibt. Nur bei zehn<br />
der genehmigten<br />
17 Schulen ist auch<br />
eine Realschule mit<br />
dabei, von einem<br />
Gymnasium ganz<br />
zu schweigen. Nach<br />
einer Umfrage des Verbands<br />
Bildung <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> vom<br />
vergangenen Oktober trugen<br />
sich 83 Hauptschulen <strong>und</strong> 20<br />
Realschulen mit der Absicht,<br />
sich in eine Gemeinschaftsschule<br />
umzuwandeln. Ohne die<br />
Beteiligung einer zweiten Schule<br />
besteht die Gefahr, dass<br />
lediglich eine im Bestand<br />
bedrohte Hauptschule ihr<br />
Türschild auswechselt, um<br />
wieder attraktiver zu werden.<br />
Gerade in Nordrhein-Westfalen<br />
ist diese Befürchtung<br />
begründet, denn hier wird<br />
heute schon der Hauptschulabschluss<br />
nach der Klasse zehn<br />
vergeben, <strong>und</strong> an jeder Hauptschule<br />
können Schüler auch die<br />
Fachoberschulreife bekommen,<br />
<strong>und</strong> mit Qualifikationsvermerk<br />
führt sie schon heute bis zum<br />
Abitur, Was unterscheidet also<br />
die Gemeinschaftsschule von<br />
einer Hauptschule? Erstens,<br />
dass sie »gymnasiale Standards<br />
« einschließen soll. Konkret<br />
bedeutet das, dass ab Klasse<br />
<strong>SEITE</strong> 5<br />
sechs eine zweite Fremdsprache<br />
angeboten werden muss,<br />
dafür braucht die Schule auch<br />
Gymnasiallehrer. Die Lehrpläne<br />
<strong>und</strong> Bücher müssen von<br />
vornherein so angelegt sein,<br />
dass der mittlere Abschluss<br />
<strong>und</strong> das Abitur erreicht werden<br />
können — also muss der<br />
Unterricht anders aussehen als<br />
an einer Hauptschule. Aber<br />
wie? Die künftigen Lehrer<br />
bekommen erst mal eine<br />
Fortbildung. Niemand aus dem<br />
Kollegium möchte hier weg,<br />
um Lehrern von außen Platz zu<br />
machen. Kann so ein Neubeginn<br />
aussehen, wenn das alte<br />
Hauptschulkollegium weitermacht?<br />
Sie soll eine kleine<br />
Gesamtschule sein, meint<br />
Rainer Michaelis, der Projektleiter<br />
für die Gemeinschaftsschulen<br />
im Düsseldorfer<br />
Schulministerium: »Das<br />
Gr<strong>und</strong>konzept, längeres gemeinsames<br />
Lernen, Binnendifferenzierung,<br />
Orientierung an<br />
allen Bildungswegen, das sind