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Bochumer Linguistische Arbeitsberichte 7

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Zu hinterfragen ist jedoch, inwiefern dem Sprecher diese morphologischen<br />

Probleme bewusst waren. Warum wurde das System, wenn die<br />

Notwendigkeit aufgrund der Periphrase nicht mehr bestand, reanalysiert?<br />

Heute ist die synthetische Form, außer in wenigen Regionen, verschwunden<br />

(Pérez Saldanya/ Hualde 2003: 58). Interessant wäre es an dieser Stelle<br />

zu wissen, ob diese Entwicklung auch bei Tempuskonstruktionen mit<br />

unterschiedlichen Bedeutungen möglich wäre, zum Beispiel dem deutschen<br />

Perfekt in Konkurrenz zum Präteritum. Hier neigen die Sprecher<br />

zum erhöhten Gebrauch des Perfekts, gleichzeitig reanalysieren sie in vielen<br />

Fällen das Verbalparadigma des Präteritums, indem sie starke Verben<br />

als schwache konjugieren (vgl. Schirmunski 1962: 488-492). Für Steinkrüger<br />

liegt bei der Grammatikalisierung der katalanischen Vergangenheitsperiphrase<br />

keine morphologische Motivation vor (Steinkrüger 2004:<br />

151). Er betont stattdessen die Rolle der 1. Pers. Sg., die entweder zur<br />

schnellen Beisetzung des perfet perifràstic geführt oder sich gegenüber<br />

dem synthetischen perfet besonders resistent gezeigt hat und sieht die<br />

subjectivité 12 als Grund für die Entwicklung.<br />

Darüber hinaus spricht Steinkrüger (ebd 2004: 158) eine weitere Möglichkeit<br />

an. Er bezieht sich auf Fleischmann 13 , wenn er sagt, dass jeder Text<br />

seine eigene Grammatik besitzt. Vor diesem Hintergrund zeigt er auf, dass<br />

auch andere Verbalkategorien als Tempus, Aspekt und Modus grammatikalisiert<br />

werden können und dass in erzählerischen Texten die Notwendigkeit<br />

der „grammatischen Kategorialisierung“ besteht. Für das Katalanische<br />

nennt er hier den Quotativ 14 und den Evidential 15 . Nach Steinkrüger<br />

(2004: 171) kam der Periphrase die Funktion einer oralen<br />

Evidenzperiphrase im narrativen Präsenz zu, der Quotativ hingegen sei<br />

durch das perfet simple ausgedrückt worden.<br />

Vor allem die Verbreitung der ersten Person Singular und das gehäufte<br />

Vorkommen in Erzählsequenzen deutet darauf hin, daß hier die Form die<br />

evidentiale (bzw. mirative) Funktion hatte, das eigene Erleben und Handeln<br />

des Erzählers im Erzählten hervorzuheben und unerwartete Ereignisse<br />

12<br />

Steinkrüger bezieht sich hier auf: Benveniste, Émile (1958): De la subjectivité dans le langage. In:<br />

Journal de Psychologie. [Reprint in: ebd (1966), 258-266)]<br />

13<br />

Fleichmann, Suzanne (1990): Tense and Narrativity: From Medieval Performance to Modern Fiction.<br />

Austin: University Press.<br />

14<br />

«Satzmodus, der den Satzinhalt als vom Hörensagen bekannt kennzeichnet und der daher den Sprecher<br />

von der Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des Gesagten entlastet (LexSprw. s.v. Quotativ)».<br />

Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3 zum Griceschen Kooperationsprinzip<br />

15<br />

(1) it shows the speaker has evidence for his claim; (2) source of evidence is its primary meaning, not<br />

just a contextual implication; (3) it is not the main prediction, but a reanalyzed and reduced form of the<br />

main verb; and (4) it never occurs as a derivational morpheme nor as an element in a compound. (Willet<br />

1988, zit. nach Steinkrüger 2004: 161) Für weitere Angaben zu den Kategorien des Evidential siehe<br />

Steinkrüger 2004: 160 f.<br />

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