Dieses Bild von Günter Zint ist Teil der ... - Politikorange.de
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22<br />
gegenwärtig<br />
Erst waren es nur einige wenige,<br />
und sie hatten eine Vision. Spirituelle<br />
Werte, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Glaube an Frie<strong>de</strong>n,<br />
Liebe und absolute individuelle Freiheit,<br />
fan<strong>de</strong>n über junge Leute mit<br />
Blumen im Haar plötzlich <strong>de</strong>n Weg<br />
in eine wohlstandsorientierte und<br />
vor Sicherheits<strong>de</strong>nken blin<strong>de</strong> Gesellschaft.<br />
Die sogenannten Hippies<br />
propagierten ein <strong>von</strong> bürgerlichen<br />
Tabus befreites Leben. Gemeinsam<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> 68er-Bewegung war ihnen<br />
das Auflehnen gegen die bürgerlichspießigen<br />
Strukturen. Im Vergleich zu<br />
ihren revolutionsorientierten Altersgenossen<br />
dominierten dabei stärker individual<strong>ist</strong>ische<br />
Selbstverwirklichung<br />
als gesellschaftspolitische Konzepte.<br />
Gemeinsam hatten Hippies und 68er<br />
<strong>de</strong>nnoch viel. Die Jugend suchte sich<br />
selbst in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bewusstseinserweiterung<br />
und ihr Glück in <strong><strong>de</strong>r</strong> freien Liebe. Und<br />
wie das eben <strong>ist</strong> mit Menschen, die<br />
1968. 1988. 2008.<br />
Irgendwie verrückt. Alle feiern 68.<br />
Genau 40 Jahre danach, und das,<br />
obwohl richtige Jubiläen erst nach 50<br />
Jahren begangen wer<strong>de</strong>n. Und wie sehr<br />
68 heroisiert wird! „Unser Kampf“ tönt<br />
da beispielsweise <strong><strong>de</strong>r</strong> damals 21-jährige<br />
Götz Aly <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Bestsellerl<strong>ist</strong>en – die<br />
Titel-Anlehnung an „Mein Kampf“<br />
<strong>von</strong> 1924 <strong>ist</strong> bewusst unglücklich<br />
gewählt. Sicher, das war schon was:<br />
„Unser erfolgreicher Kampf“ gegen<br />
<strong>de</strong>n Vietnamkrieg, <strong>de</strong>n Schah <strong>von</strong><br />
Persien, gegen Spießbürgerlichkeit,<br />
Altnazis, BILD und sexuelle Verklemmtheit.<br />
Scha<strong>de</strong> nur, dass es <strong>Bild</strong><br />
immer noch so meinungsmanipulativ<br />
wie damals gibt. Und auch Spießbürgerlichkeit<br />
<strong>ist</strong>, sogar unter Alt-68ern,<br />
nicht ausgestorben. Von Alt- sowie<br />
Neunazis ganz zu schweigen.<br />
Irgendwo muss aber ein Sinn liegen,<br />
dass so viele Medien <strong><strong>de</strong>r</strong>zeit einem<br />
Hype erliegen, eine Generation zu<br />
feiern, die justamente das Pensionsalter<br />
<strong>de</strong>n Mut haben, neue Wege zu gehen,<br />
sie ziehen an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Menschen gera<strong>de</strong>zu<br />
magisch an. Wenn eine Bewegung <strong>de</strong>n<br />
Hedonismus zum Lebensinhalt erklärt<br />
und sexuelle Tabus zu einem Tabu,<br />
dann muss sie nicht lange warten,<br />
bis sie Zulauf fin<strong>de</strong>t. Denn wer sehnt<br />
sich nicht – damals wie heute – nach<br />
einem Leben ohne Begrenzung und<br />
Druck, nach Selbstverwirklichung<br />
und persönlicher Akzeptanz? So wird<br />
aus einem überschaubaren sozialen<br />
Experiment schon nach kurzer Zeit<br />
eine Massenbewegung.<br />
Doch schon zeigt sich die Kehrseite<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Medaille: Traumtänzer und<br />
Drogensüchtige wan<strong>de</strong>ln in bunten<br />
Gewän<strong><strong>de</strong>r</strong>n durch die Städte. Der<br />
Aufruf zu mehr Solidarität und gegenseitiger<br />
Unterstützung mutiert zur<br />
plumpen Ausre<strong>de</strong>, um die mangeln<strong>de</strong><br />
Bereitschaft, sich selbst produktiv in<br />
die Gemeinschaft einzubringen, zu<br />
erreicht. Das muss man diesen Alten<br />
lassen: ihre Selbstvermarktung <strong>ist</strong> hemmungslos.<br />
Welche an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Generation<br />
danach hat ähnliches vollbracht?<br />
Rechnen wir nach. Als am 11.<br />
April 1968 in Berlin die drei fatalen<br />
Schüsse auf Rudi Dutschke abgegeben<br />
wur<strong>de</strong>n, war <strong><strong>de</strong>r</strong> 1940 geborene<br />
Stu<strong>de</strong>ntenführer gera<strong>de</strong> 28 Jahre alt<br />
und die, die ihm in Hörsälen und auf<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Straße folgten, so zwischen 17<br />
und 30. Und wer regierte die Straße<br />
20 Jahre später, also 1988 in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
„next generation“? Richtig: keiner.<br />
O<strong><strong>de</strong>r</strong> doch: Zumin<strong>de</strong>st im Osten<br />
war die Bürgerrechtsbewegung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
DDR gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Weg, mal eben<br />
die friedliche Revolution 89 zu vollbringen,<br />
aber im Westen interessierte<br />
das nachhaltig wenig. Dort gab ein<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>er ab dieser Zeit <strong>de</strong>n Ton auf<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Straße an: Matthias Roeingh.<br />
Der damals 29-Jährige wuchs aus<br />
<strong>de</strong>m Nichts zum Straßenkämpfer für<br />
mythos68 | April 2008<br />
WENN SUBKULTUR ZUM MAINSTREAM WIRD<br />
40 Jahre nach 68 <strong>ist</strong> die Subkultur in <strong><strong>de</strong>r</strong> Masse aufgegangen.<br />
Aus einem überschaubaren sozialen Experiment wird eine<br />
Massenbewegung. Viele <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen I<strong>de</strong>ale scheinen verloren<br />
Trotz<strong>de</strong>m gibt’s ein fettes Dankeschön an 68.<br />
Von Sybille Pfeffer<br />
vertuschen. Was die Visionäre zuvor<br />
noch in letzter Konsequenz versuchen<br />
umzusetzen, verkommt immer mehr<br />
zu einem oberflächlichen Medienspektakel<br />
unreifer Teenager. Die Musikindustrie<br />
nutzt ihre Chance und nutzt<br />
professionelle Marketinginstrumente<br />
und ausgeklügelte PR-Strategien,<br />
um die Idole <strong><strong>de</strong>r</strong> Generation noch<br />
gewinnbringen<strong><strong>de</strong>r</strong> zu vermarkten. So<br />
<strong>ist</strong> anzunehmen, dass es nicht immer<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Ausdruck innerer Überzeugung<br />
<strong>ist</strong>, wie sich die Bands und Lie<strong><strong>de</strong>r</strong>macher<br />
präsentierten. Es <strong>ist</strong> oftmals<br />
nichts an<strong><strong>de</strong>r</strong>es als knallhartes Marketing<br />
– o<strong><strong>de</strong>r</strong> Corporate I<strong>de</strong>ntity, wie<br />
wir heute sagen – mit <strong>de</strong>m einzigen<br />
Ziel, die Verkaufszahlen noch weiter<br />
zu steigern.<br />
Am 6. Oktober 1967 – also schon<br />
zwei Jahre vor <strong>de</strong>m legendären Woodstock-Festival<br />
– wur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Hippie und<br />
seine Kultur in einem riesigen Sarg<br />
symbolisch zu Grabe getragen. Der<br />
festliche Umzug durch Haight-Ashbury<br />
in San Francisco, <strong><strong>de</strong>r</strong> Keimzelle<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Flower-Power-Subkultur, war ein<br />
Auflehnen gegen ihre immer stärkere<br />
Kommerzialisierung und Fehlinterpretation.<br />
Who‘s next? Ein Zwischenruf. Von Holger Kulick<br />
alle, die 1960 und später das Licht<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt erblickten. Er führte im Juli<br />
1989 als „Dr. Motte“ getarnt die erste<br />
„Lovepara<strong>de</strong>“ über <strong>de</strong>n Ku‘damm.<br />
Zunächst nur mit 150 Techno-<br />
Getreuen, später mit zwei Millionen.<br />
Seine „Tanzbewegung“ applaudierte<br />
je<strong>de</strong>s Jahr <strong>de</strong>n abgehobenen Re<strong>de</strong>n<br />
ihres Gurus, <strong><strong>de</strong>r</strong> zu Füßen <strong><strong>de</strong>r</strong> Berliner<br />
Siegessäule ernsthaft „Frie<strong>de</strong>, Freu<strong>de</strong>,<br />
Eierkuchen“ postulierte und nebenher<br />
<strong>de</strong>m Demonstrationsrecht ein neues<br />
Gesicht verlieh: Seine markenrechtlich<br />
geschützte Kommerz-“Lovepara<strong>de</strong>“<br />
wur<strong>de</strong> als politische Demonstration<br />
anerkannt. Durch wen? Wahrscheinlich<br />
Alt-68er, die als Jur<strong>ist</strong>en in <strong>de</strong>n<br />
zuständigen Institutionen saßen.<br />
Aber Roeingh und sein Ruhm sind<br />
trotz<strong>de</strong>m verpufft, und die Alt-68er<br />
können umso stolzer zeigen: „Ätsch,<br />
wir sind immer noch da!“ Doch: for<br />
what? Denn was <strong>ist</strong> heute? Stellt sich<br />
<strong>de</strong>nen 40 Jahre später niemand ent-<br />
Fatal<strong>ist</strong>en mögen behaupten, das<br />
alternative Lebensmo<strong>de</strong>ll <strong><strong>de</strong>r</strong> 68er-<br />
Generation sei gescheitert und in<br />
einer Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> freien Marktwirtschaft<br />
schlicht nicht praktikabel. Im neuen<br />
Jahrtausend fin<strong>de</strong>n wir uns in einer<br />
globalen Gesellschaft wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, die sich<br />
mehr <strong>de</strong>nn je an <strong>de</strong>n Maximen <strong>de</strong>s<br />
Profits ausrichtet, sinnlose Kriege führt<br />
und vor sozialer Ungleichheit strotzt.<br />
Vielleicht <strong>ist</strong> ein Zusammenleben in<br />
Frie<strong>de</strong>n und Solidarität tatsächlich<br />
(noch) nicht massentauglich.<br />
Doch mitunter haben wir es dieser<br />
Generation <strong>von</strong> Visionären zu verdanken,<br />
dass wir heute als einzelne<br />
Individuen die Wahl haben, wie wir<br />
in dieser kapital<strong>ist</strong>ischen Welt leben<br />
wollen. Ob mono- o<strong><strong>de</strong>r</strong> polygam, lesbisch,<br />
schwul, mit Fetisch o<strong><strong>de</strong>r</strong> ohne,<br />
meditierend, betend, athe<strong>ist</strong>isch: Die<br />
Allgemeinheit <strong>ist</strong> toleranter gewor<strong>de</strong>n,<br />
offener, vielleicht sogar menschlicher.<br />
Gescheitert o<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht, eines steht<br />
je<strong>de</strong>nfalls fest: Die Blumenkin<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
haben <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Horizont<br />
erweitert. Und dafür haben sie ein<br />
dickes fettes Dankeschön verdient!<br />
gegen und setzt überfällige Impulse<br />
für die kommen<strong>de</strong> Zeit? Wo <strong>ist</strong> anno<br />
2008 die eigene Generation versteckt?<br />
Genießt sie ganz einfach nur jene<br />
Freiheit, die 68er für sie eroberten?<br />
Und wenn ja, wie füllt sie diese<br />
aus? Mit Komasaufen, freundlichen<br />
G8-Besuchen, Konsumterror und<br />
Endlos-Chatten im Netz? Ein Lichtblick<br />
verspricht das Jugendfestival<br />
Berlin 08 zu wer<strong>de</strong>n. Mehrere Tausend<br />
junger Leute treffen sich ein Wochenen<strong>de</strong><br />
lang in <strong><strong>de</strong>r</strong> Berliner Wuhlhei<strong>de</strong>,<br />
um über Politik und Gesellschaft<br />
zu diskutieren. Wer weiß: Vielleicht<br />
treten sie eine neue Jugendbewegung<br />
in Gang. Denn es <strong>ist</strong> nicht mehr 1968.<br />
Es <strong>ist</strong> 2008. Es <strong>ist</strong> an <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit.<br />
Ausführliche Informationen über Berlin 08 unter<br />
http://www.du-machst.<strong>de</strong>/berlin08