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Dieses Bild von Günter Zint ist Teil der ... - Politikorange.de

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08<br />

alltäglich<br />

IMMER MÜSSEN WIR MACHEN, WAS WIR WOLLEN!<br />

„Deutschlands unartigste Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>“<br />

nannte ein Magazin vor 40 Jahren<br />

diese kleinen Rabauken aus <strong>de</strong>n Berliner<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n. Alles war erlaubt,<br />

was in Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gärten streng verboten<br />

wur<strong>de</strong>: Wän<strong>de</strong> bemalen, aus <strong>de</strong>m<br />

Fenster klettern, mit <strong>de</strong>m Essen<br />

spielen. Der Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n sollte die<br />

APO <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gartenwelt wer<strong>de</strong>n.<br />

Der dort praktizierte antiautoritäre<br />

Erziehungsstil sorgte in bürgerlichen<br />

Kreisen für Entsetzen.<br />

Die ersten Berliner Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>n auf Initiative <strong>de</strong>s „Aktionsrates<br />

zur Befreiung <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau“ 1968 gegrün<strong>de</strong>t.<br />

Sie sollten die Mütter entlasten<br />

und so ihre politische Arbeit im SDS<br />

för<strong><strong>de</strong>r</strong>n.<br />

„Bei uns war es immer laut und<br />

für Außenstehen<strong>de</strong> wahrscheinlich<br />

fürchterlich chaotisch“, erzählt Heike,<br />

die 1969 selbst in einem Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n<br />

in Wilmersdorf war. Sie erinnert sich<br />

an das Mao-Poster und die „Chinablätter“<br />

<strong>de</strong>s Vaters.<br />

Im Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n ging es nicht<br />

gera<strong>de</strong> zimperlich zu. „Bei uns hat es<br />

erstmal geknallt, und dann hat man<br />

vielleicht darüber gesprochen“, erklärt<br />

Heike. Die Gemeinschaft stand immer<br />

im Mittelpunkt. Man war ständig<br />

zusammen, lieferte sich mit an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

Gruppen Rangeleien und ging mit <strong>de</strong>n<br />

Eltern auf je<strong>de</strong> Demonstration.<br />

Rückblickend sieht Heike die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>nzeit<br />

als das Experiment einer<br />

neuen Ordnung. Der neue Mensch<br />

sollte geschaffen wer<strong>de</strong>n, und da<br />

begannen die Väter und Mütter <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Stu<strong>de</strong>ntenrevolte gleich mal bei ihren<br />

eigenen Sprösslingen.<br />

Doch was <strong>ist</strong> <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>nbewegung<br />

geblieben?<br />

Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Suche nach einer Antwort<br />

habe ich <strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n „Frischlinge“<br />

besucht. Ein kleiner, gemütlicher<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n im Berliner Wedding.<br />

13 Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>, zwei Betreuerinnen – ein<br />

Luxus, <strong>de</strong>n heute nicht je<strong>de</strong>s Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gartenkind<br />

genießen kann.<br />

Nach<strong>de</strong>m ich mich im Spielraum<br />

auf <strong>de</strong>m Antirutsch-Teppich nie<strong><strong>de</strong>r</strong>gelassen<br />

habe, bin ich in kürzester Zeit<br />

<strong>von</strong> Eisenbahnschienen umzingelt.<br />

Drei kleine Jungs lassen ihre Lok<br />

stürmisch um mich kreisen.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Betreuerinnen Ines und<br />

Silke sind seit 15 Jahren dabei. Was<br />

ihnen gefalle, frage ich sie: „Im Kila <strong>ist</strong><br />

man für sich selbst verantwortlich. Es<br />

<strong>ist</strong> familiärer, kleiner, und man kennt<br />

die Eltern viel besser.“<br />

Je<strong><strong>de</strong>r</strong> Tag beginnt mit einem Morgenkreis,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Ruhe in <strong>de</strong>n Tag bringen<br />

soll. Danach kann munter gespielt,<br />

gebastelt und getobt wer<strong>de</strong>n. „Uns <strong>ist</strong><br />

die individuelle Betreuung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

sehr wichtig“, betont Silke. Doch was<br />

<strong>ist</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>m antiautoritären Konzept<br />

<strong>von</strong> damals geblieben? „Es gibt<br />

gewisse Regeln und Strukturen, ganz<br />

klar. Aber wir folgen keinem striktem<br />

Tagesablauf.“<br />

Heute organisieren die bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>n größtenteils selbst. Vor<br />

15 Jahren war das noch ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>s.<br />

Damals übernahmen die Eltern die<br />

Organisation: putzen, kochen, einkaufen.<br />

Heute kommt <strong>von</strong> montags<br />

bis donnerstags ein Bio-Lieferservice,<br />

manchmal gibt es auch Fleisch – in<br />

dieser Hinsicht <strong>ist</strong> man nicht mehr so<br />

strikt wie früher. Freitags kochen die<br />

Eltern noch selbst. Ein wenig Tradition<br />

muss auch gewahrt wer<strong>de</strong>n.<br />

Viele Eltern suchen heute zwar<br />

immer noch die Alternative zu Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gärten,<br />

möchten aber nicht mehr<br />

so stark einbezogen wer<strong>de</strong>n wie früher.<br />

Als 2002 immer weniger Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> kamen<br />

und die Kila vor <strong>de</strong>m finanziellen Aus<br />

stand, spürten Ines und Silke, dass sich<br />

das alte Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>la<strong>de</strong>nsystem irgendwie<br />

mythos68 | April 2008<br />

Die Wän<strong>de</strong> sind mit dicken roten Pinselstrichen beschmiert. Ein kleiner Junge drückt seine grünbemalten Hän<strong>de</strong> gegen die weiße<br />

Tür. Drei Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> rennen grölend einem schwarzen Kater hinterher und wirbeln dabei mit Puppen und Teddybären durch die Luft. Ein<br />

kleines, zottelhaariges Mädchen verschwin<strong>de</strong>t mit ihrem Kopf in einem großen Nu<strong>de</strong>ltopf Von Kathrin Friedrich<br />

DIE REVOLTE IN DER REVOLTE<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> me<strong>ist</strong> <strong>von</strong> Männern geführten<br />

Debatte über 68 tauchen Frauen höchstens<br />

am Ran<strong>de</strong> auf. Ihre Rolle und Kritik an <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Bewegung wird nur selten erwähnt. Doch<br />

was wäre 68 ohne die Frauen gewesen?<br />

Von Ulrike Schulz<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Lektüre:<br />

Ute Kätzel: Die 68erinnen. Berlin, 2002.<br />

„Tatsächlich waren wir selbst Akteurinnen<br />

und nicht etwa die Anhängsel<br />

<strong>von</strong> irgendwem“, sagt die ehemalige<br />

Hochschulreferentin <strong>de</strong>s SDS, Susanne<br />

Schunter-Kleemann. Die Frauen beteiligten<br />

sich nicht nur an <strong>de</strong>n Demos,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n übernahmen eigene Aufgaben<br />

und bald auch das Wort. Eine kleine<br />

Auswahl: Annette Schwarzenau war<br />

Delegierte im „Zentralrat <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n“<br />

und am Kacke-Attentat auf<br />

die Stern-Redaktion 1969 beteiligt.<br />

Sigrid Fronius war 1968 Vorsitzen<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s AStA und Mitbegrün<strong><strong>de</strong>r</strong>in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Kritischen Universität. Sigrid Rüger<br />

war seit 1965 stu<strong>de</strong>ntische Sprecherin<br />

im Aka<strong>de</strong>mischen Senat und zu <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Zeit an <strong><strong>de</strong>r</strong> FU bekannter als Rudi<br />

Dutschke.<br />

Die I<strong>de</strong>e zur Gründung <strong>von</strong> Kommunen<br />

in Berlin hatte nicht Dieter<br />

Kunzelmann, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Gretchen<br />

Dutschke-Klotz, die über Versuche in<br />

<strong>de</strong>n USA gelesen hatte. Das Ergebnis<br />

gefiel ihr aber nicht mehr, als Kunzelmann<br />

offene Beziehungsstrukturen<br />

for<strong><strong>de</strong>r</strong>te. Denn nun „sollte freie<br />

Sexualität be<strong>de</strong>uten, dass die Frauen<br />

<strong>de</strong>n Männern immer zur Verfügung<br />

stehen.“ Nur wenige Frauen, wie<br />

Dagmar Pryztulla, wohnten fest in<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kommune. Viele litten dort, weil<br />

sie an <strong>de</strong>m Partner hingen, mit <strong>de</strong>m<br />

sie eingezogen waren. Eifersucht galt<br />

aber als bürgerliches Relikt, das zu<br />

überwin<strong>de</strong>n sei. Außer<strong>de</strong>m konnten<br />

die Frauen die freie Liebe nicht im<br />

gleichen Maße leben, weil die Männer,<br />

die ihnen gefielen, wegen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Dominanz <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommunar<strong>de</strong>n dort<br />

keinen Platz hatten. Mit <strong>de</strong>n Folgen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> freien Liebe, sprich einer ungewollten<br />

Schwangerschaft, mussten sie<br />

auch me<strong>ist</strong> allein fertig wer<strong>de</strong>n. Den<br />

größten Diskussionsbedarf gab es aber<br />

– wie in einer Kleinfamilie – über die<br />

alltäglichen Pflichten <strong>de</strong>s Haushaltes,<br />

<strong>de</strong>nn die Kommunar<strong>de</strong>n beteiligten<br />

sich nur ungern an Abwasch und<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>versorgung.<br />

Das Hauptproblem <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauen mit<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n war <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeitmangel. Helke<br />

ausgelebt hatte. „Wir haben gemerkt,<br />

dass die Eltern einfach keine Zeit<br />

mehr hatten, soviel Eigeninitiative in<br />

<strong>de</strong>n Kila zu stecken“, erklärt Ines. So<br />

ließen sich die bei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Vorstand<br />

wählen und reduzierten die Pflichten<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Eltern. Seit<strong>de</strong>m läuft es bei <strong>de</strong>n<br />

„Frischlingen“ wie<strong><strong>de</strong>r</strong> rund. Silke<br />

glaubt, dass man sich langsam wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

auf die alten Werte zurückbesinne. Die<br />

Eltern treffen sich auch mal nach 16<br />

Uhr im Kila, um zusammenzusitzen,<br />

sich auszutauschen und ihren Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

beim Spielen zuzuschauen.<br />

Seit die ersten Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n ihre<br />

Türen öffneten, hat sich viel verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t.<br />

Die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> sollen immer noch zu<br />

einem selbstbestimmten Leben herangeführt<br />

wer<strong>de</strong>n, jedoch behutsamer als<br />

noch vor 40 Jahren.<br />

Mag <strong><strong>de</strong>r</strong> Begriff „antiautoritär“<br />

heute auch überholt sein, die Revolte<br />

in <strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gärten hat eine freiere<br />

Pädagogik hervorgebracht.<br />

Die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n <strong>von</strong> heute sind<br />

nicht mehr nur das „Experiment einer<br />

neuen Ordnung“, sie haben sich ihren<br />

Platz in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>gartenlandschaft<br />

erkämpft und sind dort nicht mehr<br />

wegzu<strong>de</strong>nken.<br />

San<strong><strong>de</strong>r</strong> grün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n „Aktionsrat<br />

zur Befreiung <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauen“, aus <strong>de</strong>m<br />

die ersten Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>lä<strong>de</strong>n hervorgingen.<br />

Die Frauen wollten abwechselnd auf<br />

die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> aufpassen, um mehr Zeit<br />

für Politik zu haben.<br />

Mehr und mehr wur<strong>de</strong> ihnen ihre<br />

eigene Unterdrückung bewusst. So<br />

for<strong><strong>de</strong>r</strong>te San<strong><strong>de</strong>r</strong> eine Diskussion im<br />

SDS über ihre Situation. Der SDS war<br />

zwar männerdominiert, und Gretchen<br />

Dutschke-Klotz beschreibt, dass die<br />

me<strong>ist</strong>en Frauen ausgelacht wur<strong>de</strong>n,<br />

wenn sie sich zu Wort mel<strong>de</strong>ten,<br />

<strong>de</strong>nnoch war er ein Stück egalitärer<br />

als <strong><strong>de</strong>r</strong> Rest <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesellschaft. Wenn<br />

sich etwas am Geschlechterverhältnis<br />

än<strong><strong>de</strong>r</strong>n konnte, dann hier. Als die<br />

„Genossen“ sich aber auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Frankfurter<br />

Delegiertenkonferenz im Herbst 68<br />

weigerten, darüber zu re<strong>de</strong>n, hagelte<br />

es ein Tomaten. Die wüten<strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>ntinnen<br />

grün<strong>de</strong>ten Frauengruppen.<br />

Manche sagen, es sei das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s SDS<br />

gewesen. Für die Frauenbewegung war<br />

es je<strong>de</strong>nfalls ein Anfang.

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