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Dieses Bild von Günter Zint ist Teil der ... - Politikorange.de

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04<br />

informierend<br />

NATION SUCHT MYTHOS<br />

Geschichte wird gemacht.<br />

Mythen auch. Nicht erst zum<br />

40. Jubiläum <strong>ist</strong> 68 mediales<br />

Lieblingsthema. Längst <strong>ist</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Mythosbegriff zum geflügelten<br />

Wort gewor<strong>de</strong>n.<br />

Von Robert Claus<br />

Gründungsakte und Traditionen<br />

verewigen sich in Mythen. Sie erhalten<br />

Deutungshoheit über die Geschichte<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> eigenen Gemeinschaft und bestimmen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>en aktuelles Selbstverständnis.<br />

In Deutschland jedoch verbietet es<br />

sich aufgrund <strong><strong>de</strong>r</strong> nationalsozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Verbrechen, eine ausschließlich<br />

positive nationale Tradition zu<br />

schreiben.<br />

Die „kulturelle Revolution“ <strong><strong>de</strong>r</strong> 68er<br />

arbeitete die NS-Vergangenheit ihrer<br />

Elterngeneration auf und brach mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>en Überlieferungen, ihren Mythen.<br />

Durch <strong>de</strong>n <strong>von</strong> Rudi Dutschke ausgerufenen<br />

„Marsch durch die Institutionen“<br />

gelangten viele <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen<br />

Protagon<strong>ist</strong>en über die Jahre in höhere<br />

Positionen. Die ehemalige Stu<strong>de</strong>ntenbewegung<br />

erhielt Macht und Einfluss<br />

in Medien, Kultur und Politik.<br />

Das Jahr 1968 be<strong>de</strong>utet für linksliberale<br />

Kreise die Überwindung <strong>de</strong>s<br />

postfasch<strong>ist</strong>ischen Miefs. Bis heute<br />

zehren Politiker dieser Generation<br />

vom Mythos, eine kulturell <strong>de</strong>mokratische<br />

Gesellschaft in <strong><strong>de</strong>r</strong> BRD<br />

gegrün<strong>de</strong>t zu haben.<br />

Doch <strong>ist</strong> dieser Gründungsmythos<br />

seither stark umkämpft. Denn Konservative<br />

beschuldigen die 68er, heute wie<br />

damals, traditionelle Werte im Namen<br />

„femin<strong>ist</strong>ischer Kuschelpädagogik“ zu<br />

verwahrlosen. Aus Parolen wie „High<br />

sein, frei sein, Terror muss dabei sein“<br />

spräche blanker Realitätsverlust. Der<br />

hart erarbeitete Wohlstand <strong>de</strong>s Wirtschaftsbooms<br />

in <strong>de</strong>n 50ern sei <strong>de</strong>n<br />

Stu<strong>de</strong>nten zu Kopf gestiegen, heißt<br />

es heute oft.<br />

Deutschland sucht seine Mythen –<br />

bei<strong>de</strong> Seiten bringen ihre h<strong>ist</strong>orischen<br />

Erfolge in Stellung. Was <strong>de</strong>n einen 68,<br />

<strong>ist</strong> <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en ihr Wirtschaftswun<strong><strong>de</strong>r</strong>.<br />

Verteufelung und Glorifizierung<br />

beherrschen die Diskussion. Verhan<strong>de</strong>lt<br />

wird nicht weniger als die Grundlage<br />

eines zeitgemäßen nationalen<br />

Selbstverständnisses. Solange jedoch<br />

keine <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Seiten nachgibt, wird<br />

es kaum differenziertere Darstellungen<br />

geben.<br />

mythos68 | April 2008<br />

STUDENTENREVOLTE ZUM ANGUCKEN<br />

Zahlreiche Ausstellungen über 68 sprießen dieser Tage aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Mit zweien da<strong>von</strong> haben wir<br />

uns ausführlich auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>gesetzt. Von Bea Marer und Mimoza Troni<br />

Das Amerika Haus 2008: Zur Ausstellungseröffnung, wenige Wochen später nach einer Farbbeutelattacke<br />

„Achtung, Achtung! Räumen Sie<br />

unverzüglich die Straße!“, dröhnt es<br />

aus <strong>de</strong>n Lautsprechern <strong>de</strong>s Wasserwerfers.<br />

Vor <strong>de</strong>m Amerika Haus am<br />

Bahnhof Zoo wer<strong>de</strong>n Passanten ins<br />

Jahr 1968 versetzt. Anfang 2008 hat<br />

hier die Bun<strong>de</strong>szentrale für politische<br />

<strong>Bild</strong>ung /bpb ihre Ausstellung „’68<br />

– Brennpunkt Berlin“ eröffnet. Ein<br />

halbes Jahr lang empfängt das h<strong>ist</strong>orische<br />

Polizeifahrzeug nun die Besucher.<br />

Kernstück <strong><strong>de</strong>r</strong> Ausstellung <strong>ist</strong> eine<br />

Werkschau <strong>de</strong>s Fotografen <strong>Günter</strong><br />

<strong>Zint</strong>; das wissenschaftliche Konzept<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Ausstellung stammt <strong>von</strong> Dr. Jürgen<br />

Reiche vom Haus <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.<br />

Für die Ausstellung <strong>ist</strong> das Amerika<br />

Haus ein h<strong>ist</strong>orischer Ort. Es wur<strong>de</strong><br />

einst eingerichtet, um <strong>de</strong>n Nachkriegs<strong>de</strong>utschen<br />

die US-amerikanische<br />

Kultur näherzubringen. 1968 fan<strong>de</strong>n<br />

vor <strong>de</strong>m zentral gelegenen Gebäu<strong>de</strong><br />

Proteste gegen <strong>de</strong>n Vietnamkrieg statt,<br />

Steine flogen gegen die Fenster. Heute<br />

hängen an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n Schwarz-<br />

Weiß-Photographien, Vi<strong>de</strong>os laufen,<br />

auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n <strong>ist</strong> eine Zeitle<strong>ist</strong>e mit<br />

<strong>de</strong>n relevanten Ereignissen und Daten<br />

gedruckt, und Helme und Knüppel<br />

<strong>von</strong> damals sind Ausstellungsstücke<br />

innerhalb <strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>s statt Kampfarsenal<br />

auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Straße davor. Schnell wird<br />

klar, dass diese Bewegung vielseitig<br />

gewesen sein muss. Die Einführung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Antibabypille verän<strong><strong>de</strong>r</strong>te das<br />

konservative Familienbild und die<br />

damaligen Moralvorstellungen. Und<br />

über <strong>de</strong>m Ausgang steht „Wer zweimal<br />

mit <strong><strong>de</strong>r</strong>selben pennt, gehört schon<br />

zum Establishment“ – ein Spruch aus<br />

<strong>de</strong>n damaligen Kommunen.<br />

Vor allem Schulklassen und Stu<strong>de</strong>nten-Gruppen<br />

besuchen die Ausstellung.<br />

Heute sind auch Andrea Szatmary<br />

und Claudia Rücker dort. Sie<br />

interessieren sich <strong><strong>de</strong>r</strong>zeit beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s für<br />

das Thema 1968, <strong>de</strong>nn sie planen für<br />

die zweite Jahreshälfte eine eigene Aus-<br />

stellung, die in Zusammenarbeit mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Humboldt-Universität zu Berlin<br />

und <strong><strong>de</strong>r</strong> Fachhochschule Potsdam im<br />

Ephraim-Palais stattfin<strong>de</strong>t. Auftraggeber<br />

<strong>ist</strong> die Stiftung Stadtmuseum.<br />

Noch eine Ausstellung zum Thema<br />

68? Klar, in <strong><strong>de</strong>r</strong> 68er-Revolte gibt es<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> h<strong>ist</strong>orische Wegmarken,<br />

auf die kein Rückblick, keine<br />

Ausstellung verzichten darf: Der<br />

Besuch <strong>de</strong>s Schahs, <strong><strong>de</strong>r</strong> Schuss auf<br />

Benno Ohnesorg, die Kampagne <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Springer-Presse. Und doch: Immer<br />

wie<strong><strong>de</strong>r</strong> gelingt es, unterschiedliche<br />

Schwerpunkte zu setzen. Eine Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>heit<br />

bei Andrea Szatmary und<br />

Claudia Rücker <strong>ist</strong> das <strong><strong>de</strong>r</strong> Bezug zur<br />

Polizei: Einzelne Poliz<strong>ist</strong>en etablierten<br />

damals schon erste Formen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Deeskalations-Strategie.<br />

Ob Amerika Haus o<strong><strong>de</strong>r</strong> Ephraim-<br />

Palais: Damit ein h<strong>ist</strong>orisches Ereignis<br />

zu einer lebendigen Ausstellung wird,<br />

muss eine Menge vorbereitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Am Anfang recherchierten Andrea<br />

Szatmary und Claudia Rücker im<br />

Internet, dann in diversen Archiven.<br />

Die bei<strong>de</strong>n arbeiteten sich durch Berge<br />

<strong>von</strong> Dokumenten. „Wir durchstöberten<br />

das APO-Archiv, das Hamburger<br />

Institut für Sozialforschung, das<br />

Archiv <strong><strong>de</strong>r</strong> Polizeih<strong>ist</strong>orischen Sammlungen<br />

und das Stadtmuseum Berlin“,<br />

erinnert sich Andrea Szatmary. „Und<br />

wir führten Interviews mit ehemaligen<br />

Stu<strong>de</strong>nten und mit bekannten Personen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit, zum Bespiel mit <strong>de</strong>m<br />

Grünen-Politiker Ströbele über <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>von</strong> Benno Ohnesorg.“<br />

Bis ein Ausstellungskonzept steht,<br />

vergeht viel Zeit. „Das <strong>ist</strong> vergleichbar<br />

mit einem Regisseur, <strong><strong>de</strong>r</strong> ein Drehbuch<br />

schreibt“, sagt Szatmary. Mit Hilfe <strong>von</strong><br />

Designern, Grafikern, <strong><strong>de</strong>r</strong> Stiftung und<br />

in enger Zusammenarbeit mit Stu<strong>de</strong>nten<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Humboldt-Universität wer<strong>de</strong>n<br />

ihre Pläne dann umgesetzt.<br />

Während Andrea Szatmary und<br />

Claudia Rücker noch in <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorbe-<br />

reitung stecken, <strong>ist</strong> bei <strong><strong>de</strong>r</strong> bpb ein<br />

begleiten<strong>de</strong>s Veranstaltungsprogramm<br />

bereits in vollem Gange. Eine Filmreihe<br />

zum Vietnamkrieg im Rahmen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Berlinale, zwei Wochenen<strong>de</strong>n mit<br />

Filmen aus <strong>de</strong>n späten 60er Jahren<br />

sowie eine Vielzahl <strong>von</strong> Podien- und<br />

Zeitzeugengesprächen, allesamt in<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Jahreshälfte, rahmen die<br />

Ausstellung und vertiefen die Auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzung<br />

mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte.<br />

Neben Debatten über weiterhin<br />

strittige Aspekte <strong><strong>de</strong>r</strong> h<strong>ist</strong>orischen<br />

Ereignisse selbst bietet die Frage nach<br />

<strong>de</strong>n Langzeitfolgen <strong><strong>de</strong>r</strong> 68er-Revolte<br />

zentralen Diskussionsstoff. Die Entwicklung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Geschlechterbeziehungen<br />

seit 1968 wird in <strong><strong>de</strong>r</strong> Podienfolge<br />

ebenso in <strong>de</strong>n Blick genommen wie<br />

die Auswirkungen <strong>von</strong> 68 auf Theater<br />

und Künste o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zusammenhang<br />

zwischen 68 und <strong>de</strong>n Neuen Sozialen<br />

Bewegungen <strong><strong>de</strong>r</strong> 70er und 80er. Und<br />

auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Besucher darf mitre<strong>de</strong>n.<br />

Die Frage, ob die Auswirkungen <strong>von</strong><br />

68 auch heute noch zu spüren sind,<br />

kann per Knopfdruck beantwortet<br />

wer<strong>de</strong>n: Ja, Nein, Weiß nicht. So wird<br />

Geschichte auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht.<br />

Ausstellungsinfos<br />

68 – Brennpunkt Berlin<br />

Amerika Haus<br />

Har<strong>de</strong>nbergstraße 22-24, 10623 Berlin<br />

31. Januar bis 31. Mai 2008<br />

Gruppen ab 10 Personen haben die Möglichkeit,<br />

sich für eine Führung anzumel<strong>de</strong>n. Für Schüler-<br />

und Jugendgruppen kostenfrei, für alle an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

2,00 Euro pro Person.<br />

berlin68 – Sichten einer Revolte<br />

Ephraim-Palais<br />

Poststr. 16, 10178 Berlin<br />

9. Juni bis 2. November 2008<br />

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis<br />

18 Uhr, Mittwoch 12 bis 20 Uhr, montags<br />

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