Evonik Magazin 4/2007 - Evonik Industries AG
Evonik Magazin 4/2007 - Evonik Industries AG
Evonik Magazin 4/2007 - Evonik Industries AG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
62 LEBEN EVONIK-M<strong>AG</strong>AZIN 4/<strong>2007</strong><br />
Beseelte Maschinen?<br />
TOM SCHIMMECK über Maschinen, die heute schon<br />
spielen, staubsaugen und erste Gefühle zeigen<br />
können. Doch der Weg der Robotik ist noch weit<br />
WARUM LIEBEN JAPANER ROBOTER? Es sei wohl der<br />
Buddhismus, erklärte mir einst Professor Atsuo Takanishi, der in<br />
Tokio seit Jahrzehnten nichts anderes tut, als künstlichen Wesen<br />
Leben einzuhauchen. „Und vor dem Buddhismus hatten wir einen<br />
Animismus, der allen Dingen im Universum eine Seele gab“,<br />
sagt der Professor von der Tokioter Waseda-Universität. Wenn<br />
seine Großmutter einen Stein auf der Straße fand, der eine Art<br />
Gesicht hatte, hob sie ihn auf, nahm ihn mit zum Schrein und<br />
betete. Organisch, anorganisch? Das ist keine Grenzlinie in Japan.<br />
Die Roboter sind weit gekommen. Doch Industrieroboter, die in<br />
den Fabrikhallen schleppen, schweißen und schrauben, machen<br />
bis heute den größten Anteil aus. 95 Prozent der japanischen<br />
Ro boterproduktion (Jahresvolumen: rund 4,75 Milliarden Dollar)<br />
gehen noch immer an die Industrie. Gewiss, es gibt sie schon:<br />
die Spieltiere, die antworten und Kunststückchen machen können,<br />
die schlauen Staubsauger, die ganz autonom durch die Wohnung<br />
surren und den Dreck einsammeln. Enon, ein Roboter der Firma<br />
Fujitsu, arbeitet seit letztem Jahr als Assistent in Läden und Museen.<br />
Militärs bereiten erste Großaufträge vor, hoffen auf unantast bare<br />
Krieger und Kundschafter, die ihre Gestalt verändern und sich<br />
durch kleinste Ritzen zwängen können. In Taiwan ist bereits<br />
SeQ-1 im Einsatz, ein neuer Sicherheitsroboter, 140 Zentimeter<br />
hoch und 130 Kilogramm schwer, mit wendigem Schädel und<br />
leuchtenden LED-Augen. Ein in den USA entwickelter Roboter<br />
namens da Vinci operiert schon seit Jahren Patienten weltweit.<br />
„Aber er ist immer noch ferngesteuert“, wirft Atsuo Takanishi<br />
ein. „Da ist nahezu null Intelligenz.“ Behandeln oder operieren<br />
kann noch lange kein Roboter.<br />
Er hat Roboter gebaut, die laufen, lächeln und Flöte spielen können.<br />
„Wir sind sehr viel weiter gekommen“, meint der Robotik-Professor,<br />
„aber es gibt noch viele Probleme zu lösen, noch einen Haufen<br />
Arbeit zu erledigen.“ Sein Lehrer Ichiro Kato baute in Tokio in den<br />
70er Jahren frühe Kunstwesen. Als, viel später, der erste humanoide<br />
Roboter fertig war, trugen sie ihn stolz an Meister Katos Grab.<br />
Was sind die Herausforderungen heute? „Menschliche Intelligenz<br />
ist so großartig, gerade im Vergleich mit der künstlichen“, hat<br />
Takanishi erkannt. Und zeigt so eine Demut, die im großspecheri -<br />
schen Metier der künstlichen Intelligenz selten anzutreffen ist. Beim<br />
RoboCup, der alljährlichen Fußball-WM der Roboter, treten immer<br />
imposantere Geschöpfe an. Doch die Sache bleibt vertrackt.<br />
Tom Schimmeck (48) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“,<br />
den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition.<br />
An jeder läppischen Bewegung muss eine Schar von Top-Experten<br />
ewig tüfteln. Was die Forscher zuweilen nervt. Wo doch selbst<br />
Würmer sich so wunderbar vielseitig bewegen können. Fie berhaft<br />
wird nach simplen Grund formeln gesucht, die elegante Be wegungen<br />
hervorbringen. Eleganz ist überhaupt das Zauberwort.<br />
Atsuo Takanishi konzentriert sich auf praktische Anwendungen.<br />
Mit der Firma Japan Robotech entwickelt er Bausätze, mit denen<br />
Lernende von der Grundschule bis zur Universität an Robotern<br />
tüfteln können. Mit seinem Kollegen Akitoshi Katsumata von der<br />
Asahi-Universität hat er den WAO-1 gebaut, den Waseda Asahi<br />
Oral Rehabilitation Robot. WAO-1 kann Mund- und Kiefer-<br />
Probleme behandeln. Seine zwei Arme massieren ein Gesicht mit<br />
exakt programmiertem Druck aus fein justiertem Winkel. So<br />
soll die Speichelbildung stimuliert und etwa Kiefergelenkarthritis<br />
behandelt werden. Sicherheitssysteme sorgen dafür, dass die<br />
Arme niemals zu viel Druck ausüben können. Sicherheit ist ein<br />
Riesenthema. Auch im technologiebegeisterten Japan. Die<br />
Behörden seien extrem streng bei der Zulassung medizinischer<br />
Gerätschaften, meint Takanishi, viel strikter noch als zum Beispiel<br />
in Deutschland. Natürlich wäre es auch ein Desaster für die<br />
Roboterpioniere, wenn durch ihre Geschöpfe spielende Kinder<br />
oder Patienten zu Schaden kämen.<br />
Im Japan, wo es prozentual mehr alte Menschen gibt als sonst<br />
irgendwo auf der Welt – die Lebenserwartung geht auf 83 zu –,<br />
fühlen sich Forscher angespornt, auch die heraufziehenden<br />
Betreuungs- und Versorgungsprobleme mit maschineller Hilfe zu lösen,<br />
Roboter zu bauen, die der wachsenden Zahl der Alten Helfer<br />
und Gefährte sein können. Vor kurzem sei sein Vater gestorben,<br />
erzählt Takanishi, 51, da habe er viel über das Altern und das<br />
Sterben nachgedacht. „Manchmal bin ich sehr müde“, sagt er<br />
lachend. „Medizin- und Pflegeroboter werden mich immer mehr<br />
beschäftigen.“ Er konstruiert sozusagen für die eigene Zukunft.<br />
An der Waseda-Universität geht man mit 70 in Rente. „Dann<br />
brauche ich eine Menge Hilfe“, meint der Professor. Sicher sollen<br />
sich auch die Jungen weiter um die Alten kümmern. „Aber ich<br />
will nicht, dass meine Kinder sich groß um meine Gesundheit<br />
scheren müssen. Ich möchte nicht gern um Hilfe bitten, nicht<br />
meine Familie, nicht mal eine Krankenschwester. Ich wäre gerne<br />
unabhängig und möchte einfach den Roboter fragen.“ Männlich<br />
oder weiblich? „Hoffentlich weiblich“, sagt Takanishi. <<br />
ILLUSTRATION: DIGITAL VISION