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Josef Hoffmann<br />
Hocker für die Kücheneinrichtung<br />
des Landhauses »Bergerhöhe«<br />
für Paul Wittgenstein, 1898<br />
MAK-Sammlung Möbel<br />
© Fritz Simak/MAK<br />
den späten 1890er-Jahren bis um 1900 zu<br />
verfolgende Entwicklung zu einem anfänglich<br />
in die Fläche übersetzten kurvilinearen Stil,<br />
der schließlich zugunsten eines vom Biedermeier<br />
inspirierten geometrisch-reduzierten<br />
Stils völlig aufgegeben wurde.<br />
Der zweite und mittlere Saal präsentiert<br />
ausschließlich das Ergebnis des von den<br />
Secessionisten und somit auch von den<br />
Professoren der Kunstgewerbeschule vorgegebenen<br />
Wegs zur Etablierung eines modernen<br />
»<strong>Wien</strong>er Stils«. Nach 1900 einsetzend, <strong>wird</strong><br />
er über die Gründung der <strong>Wien</strong>er Werkstätte<br />
1903 bis zu den Jahren des Ersten Weltkriegs<br />
verfolgt. Der von den Secessionisten<br />
als erneuernde Kraft gegen den Historismus<br />
postulierte künstlerische Individualismus<br />
entfaltete in diesen Jahren seine ganze<br />
Kreativität und Vielfalt. Neben den Professoren<br />
Josef Hoffmann und Koloman Moser<br />
war es vor allem die nächste Generation der<br />
Kunstgewerbeschüler, die dem neuen Stil auf<br />
dem Gebiet der österreichisch-ungarischen<br />
Monarchie und Deutschlands zur Verbreitung<br />
verhalf. Der Kampf gegen den Historismus<br />
war gewonnen, und ein auf dem damaligen<br />
Weltmarkt unverwechselbarer <strong>Wien</strong>er Stil hatte<br />
sich etabliert. Seine stilistische Bandbreite<br />
reichte von den frühen, auf Provokation als<br />
Überzeugungsmittel ausgerichteten Formen<br />
der <strong>Wien</strong>er Werkstätte über die durch nationale<br />
Überlegungen an der Volkskunst und am<br />
Biedermeier genährten dekorativen Produkte<br />
bis hin zu tektonisch zweideutigen, am Klassizismus<br />
und Rokoko inspirierten Formen. Dominiert<br />
<strong>wird</strong> der Saal von Klimts Kartons für<br />
den Mosaikfries im Speisesaal des Brüsseler<br />
Palais Stoclet, von in der oder für die <strong>Wien</strong>er<br />
Werkstätte hergestellten Arbeiten sowie einer<br />
Fülle von bereits in ihrer Entstehungszeit<br />
vom Museum für mustergültig empfundenen<br />
und im Rahmen des sogenannten Wanderinventars<br />
als Vorlagen für die Fachschulen der<br />
Monarchie angekauften Gegenständen.<br />
Der dritte und letzte Saal hat schließlich die<br />
Entwicklung vom <strong>Wien</strong>er Stil <strong>zum</strong> Internationalen<br />
Stil <strong>zum</strong> Thema. Damit <strong>wird</strong> ein<br />
inhaltlicher Kreis geschlossen und aufgezeigt,<br />
wohin die im ersten Saal angesprochene<br />
Suche nach einem modernen Stil in <strong>Wien</strong><br />
führte. Hier <strong>wird</strong> deutlich, welcher Zugang –<br />
jener der Secessionisten oder jener des Einzelkämpfers<br />
Loos – den Weg für die Moderne<br />
bereitete. Die Besucher sehen sich mit zwei<br />
gegensätzlichen Welten konfrontiert: jener,<br />
die der Überzeugung eines Josef Hoffmann<br />
und seiner Schüler verpflichtet war, und<br />
jener, die den Ansichten eines Adolf Loos beziehungsweise<br />
der internationalen Moderne<br />
nahestand. Obwohl formal unterschiedlich,<br />
standen beide Welten in der <strong>Wien</strong>er Tradition<br />
der exklusiven handwerklichen Fertigung und<br />
stellten sich nur vereinzelt den gesellschaftlichen<br />
Lösungsansätzen der internationalen<br />
Moderne. So entstanden für <strong>Wien</strong> typische,<br />
inhaltlich zweideutige Lösungsansätze für<br />
den modernen Gebrauchsgegenstand, wie<br />
sie unter anderen von Josef Frank und Oskar<br />
Strnad angeboten wurden. Zeitlich umfassen<br />
die Ausstellungsstücke die Jahrzehnte vom<br />
Ersten Weltkrieg bis zur Machtergreifung der<br />
Nationalsozialisten in Österreich. Sie wurden<br />
geprägt von enormen gesellschaftlichen und<br />
wirtschaftlichen Umbrüchen, die auch in<br />
der Produktgestaltung ein neues soziales<br />
Gewissen entstehen ließen. Wie schon im<br />
ersten Saal werden den <strong>Wien</strong>er Produkten<br />
als internationale Orientierungshilfe Objekte<br />
der De-Stijl-Bewegung und des Bauhauses<br />
gegenübergestellt.<br />
Prinzipielles Ziel der Präsentation ist es, ein<br />
ausgewogenes Verhältnis zwischen historischer<br />
und sinnlicher Information zu vermitteln:<br />
Die Formensprache der ausgestellten<br />
Objekte soll in derselben Lautstärke vernommen<br />
werden wie die didaktischen Wandtexte.<br />
Christian Witt-Dörring hat in <strong>Wien</strong> Kunstgeschichte und Archäologie<br />
studiert. Er war von 1979 bis 2004 Leiter der Möbelsammlung<br />
des MAK <strong>Wien</strong>. Derzeit arbeitet er als selbstständiger<br />
Kunsthistoriker in <strong>Wien</strong> und als Kurator an der Neuen Galerie in<br />
New York.<br />
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