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Vergleich der Jugendhilfesysteme - Landschaftsverband Rheinland

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<strong>Vergleich</strong> <strong>der</strong><br />

Ministerie van Justitie<br />

Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming<br />

Landesjugendamt<br />

<strong>Rheinland</strong><br />

<strong>Jugendhilfesysteme</strong><br />

Deutschsprachige Gemeinschaft<br />

Belgiens<br />

Nie<strong>der</strong>lande<br />

Deutschland


Impressum<br />

<strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong><br />

Landesjugendamt<br />

Amt für Verwaltung und erzieherische Hilfen<br />

50663 Köln<br />

Redaktion und Gestaltung<br />

Brigitte Vöpel<br />

Tel. : +49 (0)221/809-6770<br />

Fax : +49 (0)221/8284-1337<br />

E-Mail : brigitte.voepel@lvr.de<br />

September 2007<br />

Dieses Projekt wird von <strong>der</strong> Europäischen Union kofinanziert.


1<br />

Gesamtinhaltsübersicht<br />

Seite<br />

Län<strong>der</strong>bericht Deutschland 3<br />

Län<strong>der</strong>bericht <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens 51<br />

Län<strong>der</strong>bericht <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande 105<br />

(Rechts-) Grundlagen grenzüberschreiten<strong>der</strong> Jugendhilfe 153<br />

Ansprechpartner, Adressen 155


Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />

3<br />

Län<strong>der</strong>bericht Deutschland<br />

Vorwort<br />

so nah und doch so fern!<br />

Sind die Grenzen <strong>der</strong> Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Jugendhilfe zwischen den belgischen,<br />

nie<strong>der</strong>ländischen und deutschen Fachkräften im Dreilän<strong>der</strong>eck <strong>der</strong> Euregio Maas-<br />

Rhein immer weniger spürbar, bauen sich doch im Verständnis <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Partner Hürden auf.<br />

Dies liegt nicht nur an den zwei verwendeten Sprachen, son<strong>der</strong>n ist auch darin begründet,<br />

dass zurzeit sehr viele Reformansätze in den Län<strong>der</strong>n umgesetzt werden.<br />

Mitunter ist schon <strong>der</strong> Blick auf den eigenen Codex schwierig genug.<br />

Mit dieser Broschüre wollen wir diese Lücke, auf die wir immer wie<strong>der</strong> von Fachkräften<br />

in den vielen gemeinsamen Veranstaltungen <strong>der</strong> letzten Jahre hingewiesen wurden,<br />

schließen. Es geht hier nicht um die Frage eines systematischen <strong>Vergleich</strong>s des Jugendrechtes<br />

<strong>der</strong> drei Län<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n um konkret an <strong>der</strong> Praxis orientierte Län<strong>der</strong>vergleiche,<br />

die den Fachkräften vor allen Dingen eine lesbare Zusammenfassung bietet.<br />

Damit wollen wir das gegenseitige Verständnis <strong>der</strong> Grundlagen von sozialer Arbeit in<br />

den drei Län<strong>der</strong>n för<strong>der</strong>n und den Blick dafür weiten, die Grundlagen <strong>der</strong> Unterschiede<br />

zu verstehen und zu akzeptieren.<br />

Der mit dieser Broschüre erschiene Flyer für die Bürgerinnen und Bürger <strong>der</strong> Euregio<br />

Maas-Rhein ist ein weiteres Produkt dieses Projektes, wo gezielt über die Ansprechpartner<br />

für Familien und <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> in den drei Län<strong>der</strong>n informiert wird. Damit ist <strong>der</strong><br />

Bürgerbezug auch in diesem Projekt hergestellt. Letztendlich wird <strong>der</strong> Mehrwert für die<br />

Bürgerinnen und Bürger jedoch über ein verbessertes Wissen über die rechtlichen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Fachkräfte untereinan<strong>der</strong> entstehen.<br />

Diese Broschüre wird das gegenseitige Verstehen <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> in den an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />

arbeitenden Fachkräfte verbessern und die Kooperation wie<strong>der</strong> ein Stück voranbringen.<br />

Die Kooperationspartner Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming<br />

Maastricht, Bureau Jeugdzorg Roermond, Jugendämter Kreis Heinsberg<br />

und Stadt Herzogenrath sowie <strong>der</strong> <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong>/ Landesjugendamt<br />

haben das Vorhaben initiiert und voran getragen sowie materiell wie auch<br />

ideell unterstützt.<br />

Die Euregio Maas-Rhein sowie die Provinz Limburg/Nie<strong>der</strong>lande haben durch die Mittragung<br />

<strong>der</strong> finanziellen Last dieses Projektes wesentlich zum Gelingen beigetragen.<br />

An dieser Stelle sei dafür ausdrücklich gedankt.<br />

Die Fachhochschule Köln hat durch die fachliche Begleitung von Frau Prof. Kötter und<br />

Frau Prof. Oberloskamp erst die Erstellung dieser Broschüre ermöglicht.<br />

Frau Handelmann und Herr Prof. Roggendorf haben durch ihr Engagement unser Anliegen<br />

vorangebracht.<br />

Ich wünsche Ihnen bei Ihren Bemühungen, die Kooperation <strong>der</strong> Jugendhilfe in <strong>der</strong> Euregio<br />

Maas-Rhein weiter wachsen zu lassen alles erdenklich Gute.<br />

Michael Mertens<br />

(Leiter des Dezernates Schulen, Jugend im <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong>)


5<br />

Län<strong>der</strong>bericht Deutschland<br />

Die Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen<br />

Prof. Dr. Helga Oberloskamp, Köln<br />

Inhaltsübersicht<br />

A. Begriff und Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe 9<br />

1. Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe 9<br />

2. Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe 9<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen 10<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 10<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 11<br />

1. Supranationale Rechtsquellen 11<br />

2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen 12<br />

3. Staatsvertragliche bilaterale Rechtsquellen 12<br />

4. Nur die Staaten verpflichtende Übereinkommen 13<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 13<br />

1. KJHG / SGB VIII 13<br />

2. AdVermiG 13<br />

3. Ausführungsgesetze <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> 13<br />

IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaats 14<br />

1. Allgemeines 14<br />

2. Die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen 14<br />

an sie o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

2.1 Mutterschaftsgeld (§§ 19 195 ff. RVO, MuSchG) 14<br />

2.2 Kin<strong>der</strong>geld (BKGG, EStG 14<br />

2.3 Erziehungsgeld (bis 2006) bzw. Elterngeld (ab 2007) (BErzGG, BEEG) 14<br />

2.4 Unterhaltsvorschuss 15<br />

2.5 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen 15<br />

3. Das Bildungssystem 15<br />

C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe 19<br />

I. Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe 19<br />

1. Eltern 19<br />

2. Kind 19


6<br />

3. Elterliche Sorge 20<br />

3.1 Entstehung und Inhalt <strong>der</strong> elterlichen Sorge 20<br />

3.2 Die elterliche Sorge im Konfliktfall 22<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> staatlichen Verwaltung 23<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur 23<br />

1.1 Rechtsetzung 23<br />

1.2 Verwaltung 24<br />

2. Jugendämter 24<br />

2.1 Jugendhilfe als Selbstverwaltungsaufgabe 24<br />

2.2 Organisation <strong>der</strong> Jugendämter 24<br />

3. Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe 25<br />

3.1 Allgemeines 25<br />

3.2 Staatliches Wächteramt 26<br />

3.3 Leistungserbringung 26<br />

D. Leistungsrecht 27<br />

I. Rechtsanspruch o<strong>der</strong> objektives Recht (Reflexrecht ) 27<br />

II. Arten von Leistungen 27<br />

1. Standardleistungen 27<br />

1.1 Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit (§§ 11, 12 SGB VIII) 27<br />

1.2 Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) 28<br />

1.3 Erzieherischer Jugendschutz (§ 14 SGB VIII) 28<br />

1.4 För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erziehung in <strong>der</strong> Familie (§§ 16 – 21 SGB VIII) 29<br />

1.5 Tageseinrichtungen und Tagespflege (§§ 22 – 26 SGB VIII) 29<br />

1.6 Hilfe zur Erziehung (§§ 27 – 35, 36 – 40 SGB VIII) 30<br />

1.6.1 Allgemeines 30<br />

1.6.2 Ambulante Hilfen 31<br />

1.6.3 Stationäre Hilfen 33<br />

1.7 Adoptionsvermittlung 35<br />

2. Hilfen für beson<strong>der</strong>e Personengruppen 36<br />

2.1 Einglie<strong>der</strong>ungshilfe für seelisch behin<strong>der</strong>te Min<strong>der</strong>jährige 36<br />

(§ 35 a SGB VIII)<br />

2.2 Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) 37<br />

3. Finanzierung <strong>der</strong> Leistungen 37


7<br />

III. Verfahren und gerichtliche Kontrolle 38<br />

4. Behördliches Verfahren 38<br />

5. Fehlende Mitwirkungsbereitschaft 38<br />

6. Örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes 38<br />

7. Verwaltungsgerichtliches Verfahren 39<br />

IV. Leistungserbringungsrecht 39<br />

8. Gewährleistung <strong>der</strong> Infrastruktur 39<br />

9. Zulassung von freien Trägern 40<br />

10. Beteiligung an<strong>der</strong>er als öffentlicher Träger an <strong>der</strong> Erbringung von Leistungen 40<br />

E. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe 41<br />

I. Allgemeines 41<br />

II. Intervention bei Gefährdung 42<br />

1. Einordnung 42<br />

2. Abschätzung des Gefährdungsrisikos 42<br />

3. Inobhutnahme 43<br />

III. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte 45<br />

1. Allgemeines 45<br />

2. Vormundschafts- und Familiengerichtshilfe 45<br />

3. Jugendgerichtshilfe 45<br />

IV. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige (Beistandschaft, Pflegschaft, Vormundschaft) 47<br />

1. Grundsatz: elterliche Sorge 47<br />

2. Ausnahme: staatliche Rechtsfürsorge 47<br />

3. Eintritt <strong>der</strong> Rechtsfürsorge 47<br />

4. Abgrenzung Vormundschaft – Pflegschaft 47<br />

5. Inhalt von Vormundschaft und Pflegschaft 48<br />

6. Person des Vormunds o<strong>der</strong> Pflegers 48<br />

7. Beistandschaft 48


A. Begriff und Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

9<br />

Eine gesetzliche Definition von Jugendhilfe gibt es nicht. Es ist <strong>der</strong> Praxis überlassen<br />

festzulegen, was zur Jugendhilfe gehört und was sie folglich ist. § 1 III SGB VIII beschäftigt<br />

sich allerdings mit <strong>der</strong> Frage, wozu Jugendhilfe „beitragen soll“ und § 2 I SGB<br />

VIII mit <strong>der</strong> Frage, was sie „umfasst“. Die Fachliteratur und die Praxis <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

benutzen daher Umschreibungen, einmal<br />

- um sich überhaupt verständlich zu machen und zum an<strong>der</strong>en<br />

- um eine Abgrenzung von an<strong>der</strong>en mehr o<strong>der</strong> weniger verwandten Bereichen zu ermöglichen.<br />

Letzteres hat rechtliche Auswirkungen auf die sachliche Zuständigkeit von<br />

Behörden (§§ 85 ff. SGB VIII).<br />

Unstreitig ist, dass <strong>der</strong> Begriff Jugendhilfe insofern unscharf ist, als er nicht nur jungen<br />

Menschen von 14 bis 18 Jahren meint, son<strong>der</strong>n auch Kin<strong>der</strong> bis 14 und junge Volljährige<br />

bis 21, in Ausnahmefällen sogar bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 7<br />

SGB VIII).<br />

Hinsichtlich des Begriffs unterscheidet z.B. Wiesner 1 zwischen einem formellen und<br />

einen materiellen Begriff von Jugendhilfe. Der formelle Begriff meint, was <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

des SGB VIII als Jugendhilfe bezeichnet o<strong>der</strong> erkennbar diesem Gebiet zuordnet.<br />

Demnach ist Jugendhilfe die Summe <strong>der</strong> Aufgaben, die das SGB VIII den Trägern<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe zuweist. Der materielle Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe findet sich<br />

ansatzweise in § 1 III SGB VIII. Demnach sind die Charakteristika von Jugendhilfe<br />

- die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

- die Unterstützung, Herstellung o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> elterlichen Erziehungsverantwortung<br />

(§§ 1626 ff. BGB) und die Achtung des elterlichen Erziehungsprimats<br />

bis zur Grenze missbräuchlichen und kindeswohlschädigenden Verhaltens (§ 1666<br />

BGB)<br />

- <strong>der</strong> Schutz von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl<br />

- <strong>der</strong> Beitrag zum Erhalt o<strong>der</strong> zur Schaffung positiver Lebensbedingungen sowie<br />

einer kin<strong>der</strong>- und familienfreundlichen Umwelt.<br />

Wenn man den Begriff Jugendhilfe weniger abstrakt umschreiben will, so kann man<br />

sagen, dass er ein Sammelbegriff ist für Hilfe- und För<strong>der</strong>ungsmaßnahmen in Erziehungsfel<strong>der</strong>n<br />

außerhalb von Familie, Schule und Berufsbildung sowie innerhalb von<br />

Familie, Schule und Berufsbildung zu <strong>der</strong>en Unterstützung 2 .<br />

2. Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe ergeben sich aus dem Jugendhilfegesetz, dessen wichtigster<br />

Bestandteil das SGB VIII ist, sowie aus den dazu gehörigen Nebengesetzen (die<br />

bedeutendsten: Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG) und die Ausführungsgesetze<br />

<strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong>) 3 . Demnach ist gem. § 2 SGB VIII zwischen sog. „Leistungen“<br />

und „an<strong>der</strong>en Aufgaben“ zu unterscheiden.<br />

Leistungen sind Vorteile, die ein Leistungsträger einer Privatperson zur Verwirklichung<br />

von sozialen Rechten zukommen lässt. Ihre Inanspruchnahme ist freiwillig. Man unterscheidet<br />

Anspruchs- („muss“, „hat zu“, „hat ein Recht auf“) und Ermessensleistungen<br />

(„kann“). Erstere kann <strong>der</strong> Bürger einklagen, wenn er die gesetzlichen<br />

1 Einleitung Rn. 42 ff.<br />

2 Oberloskamp/ Adams S. 6<br />

3 die Nebengesetze von NRW finden sich unten unter 3.4


10<br />

Voraussetzungen erfüllt. Bei den Letzteren hat die Behörde einen Spielraum für ihre<br />

Entscheidung, so dass es in <strong>der</strong> Regel mehrere richtige behördliche Reaktionen gibt,<br />

<strong>der</strong>en Wahl gerichtlich nicht überprüft und geän<strong>der</strong>t werden kann. Zwischen diesen<br />

beiden Kategorien gibt es die Soll-Leistungen, die im Regelfall den Charakter von<br />

Muss-Leistungen haben.<br />

Die an<strong>der</strong>en Aufgaben stellen eine „Restkategorie“ dar. Sie haben keine gemeinsamen<br />

Merkmale. Historisch betrachtet haben sie eine Art polizeilichen Charakter. Sie lassen<br />

sich heute dem „staatlichen Wächteramt (Art. 6 III GG) zuordnen. Auf ihre Erfüllung hat<br />

<strong>der</strong> betroffene Bürger keinen direkten Einfluss.<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

In <strong>der</strong> deutschen Verfassung, dem Grundgesetz (GG), kommt we<strong>der</strong> das Wort Jugendhilfe<br />

vor noch ist das Kind o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche in einem eigenen Artikel des Gesetzes<br />

geregelt. Daraus den Schluss zu ziehen, dass <strong>der</strong> deutsche Gesetzgeber an<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen kein Interesse habe, wäre jedoch mehr als voreilig. Die<br />

Norm, in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> u. a. vorkommen, ist Art 6 GG. Er lautet in den für die betroffenen<br />

Bereiche einschlägigen Absätzen folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

(1) Ehe und Familie stehen unter dem beson<strong>der</strong>en Schutz <strong>der</strong> staatlichen Ordnung.<br />

(2) 1. Pflege und Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> sind das natürliche Recht <strong>der</strong> Eltern und die zuvör<strong>der</strong>st<br />

ihnen obliegende Pflicht. 2. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.<br />

(3) Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten dürfen Kin<strong>der</strong> nur auf Grund eines Gesetzes<br />

von <strong>der</strong> Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen <strong>der</strong> wenn<br />

die Kin<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen zu verwahrlosen drohen.<br />

Inhaltlich wirklich verstehen kann man diese Vorschriften nur auf dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

deutschen Geschichte. Im sog. „Dritten Reich“ hatten die staatlichen Behörden und<br />

nicht die Eltern Vorrang bei <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung. Die Kin<strong>der</strong> wurden quasi „dem Führer<br />

geschenkt“, und dieser gab sie den Eltern nur treuhän<strong>der</strong>isch zurück. Aus diesen Erfahrungen<br />

wollte <strong>der</strong> deutsche Verfassungsgeber von 1949 Lehren ziehen. So etwas<br />

sollte nie wie<strong>der</strong> möglich sein. Folglich wurde die Stellung <strong>der</strong> Eltern sehr stark gestaltet,<br />

allerdings keineswegs zum Nachteil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />

Grundaussage ist, dass vorrangig die Eltern für ihre Kin<strong>der</strong> verantwortlich sind. Sie<br />

sind die primären Erziehungsträger. Solange die Kin<strong>der</strong> durch das elterliche Erzieherverhalten<br />

nicht gefährdet werden, kann <strong>der</strong> Staat nur för<strong>der</strong>nde Hilfe anbieten. Wird sie<br />

nicht in Anspruch genommen, kann <strong>der</strong> Staat nicht eingreifen. Keinesfalls kann er, sofern<br />

Kin<strong>der</strong> bei ihren eigenen Eltern nicht optimal aufwachsen, sich einmischen und<br />

bessere o<strong>der</strong> gar die besten Eltern für diese Kin<strong>der</strong> suchen. Allerdings ist <strong>der</strong> Staat<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, darüber zu „wachen“, wie Eltern ihre Kin<strong>der</strong> erziehen. Werden Kin<strong>der</strong><br />

durch elterliches Fehlverhalten (aktiv durch Missbrauch ihrer Rechtsmacht, passiv<br />

durch Vernachlässigung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>) in ihrem Wohl gefährdet, dann ist die Schwelle<br />

erreicht, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Staat das elterliche Verhalten nicht mehr tolerieren kann und eingreifen<br />

muss. Der Staat ist nur ein „Wächter“. Man spricht daher vom „Staatlichen<br />

Wächteramt“. Wer dieses Wächteramt konkret ausübt, ist in <strong>der</strong> Verfassung nicht gesagt.<br />

Es ist aber klar, dass dies primär die Jugendämter sowie die Familien- und Vormundschaftsgerichte<br />

sind. Darüber hinaus müssen es auch an<strong>der</strong>e Behörden sein, die<br />

mit Kin<strong>der</strong>n zu tun haben, wie z.B. die Schule, die Polizei, die Gesundheitsämter. Neuerdings<br />

hat <strong>der</strong> Gesetzgeber ausdrücklich klar gestellt, dass dies in <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

auch die freien Träger sind. Für private Schulen fehlt bisher eine entsprechende Verpflichtung.


11<br />

Aus <strong>der</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> Staat über Wohl und Wehe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wachen muss, wird<br />

hergeleitet, dass er auch schon präventiv dafür Sorge tragen muss, dass eine Kindesgefährdung<br />

erst gar nicht eintritt. Er muss daher im Vorfeld För<strong>der</strong>maßnahmen und<br />

Hilfen anbieten. Dies ist die vorrangige Aufgabe von Jugendämtern. Diese sind primär<br />

Leistungs- und nur nachrangig Eingriffsbehörden.<br />

Aus Art. 6 II GG hat das Kind also das Recht auf För<strong>der</strong>ung und Schutz. Daneben hat<br />

es auch die Rechte, die jedem Menschen in Deutschland zustehen. Es hat daher das<br />

Recht auf Schutz seiner Menschenwürde (Art. 1 GG), auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit<br />

(Art.1 I GG) und auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz, unabhängig von<br />

seinem Geschlecht, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat<br />

und Herkunft, seinem Glauben, seiner religiösen und politischen Anschauung sowie<br />

seiner Behin<strong>der</strong>ung (Art.3 GG).<br />

Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen gehört auch die gerichtliche Durchsetzung<br />

<strong>der</strong> verfassungsmäßigen Rechte. Eine Verletzung dieser Rechte kann vor den Gerichten<br />

geltend gemacht werden. Hier stehen dem Kind zunächst die Fachgerichte (alle<br />

Gerichte unterhalb des Verfassungsgerichts), sodann auch <strong>der</strong> Weg zum Bundesverfassungsgericht<br />

(BVerfG) offen. Nach Erschöpfung des Rechtswegs bei den Fachgerichten<br />

kann es Verfassungsbeschwerde einlegen. Das BVerfG kann dann feststellen,<br />

dass das Kind durch einen staatlichen Akt in seinen Grundrechten verletzt ist.<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Im internationalen Sektor sind verschiedene Rechtsquellen von Jugendhilfe zu unterscheiden:<br />

- die supranationalen<br />

- die multilateralen staatsvertraglichen<br />

- die bilateralen staatsvertraglichen.<br />

Keine Rechtsquelle sind solche internationale Verträge, die nur die Vertragsstaaten<br />

verpflichten, ihr nationales Recht entsprechend zu gestalten.<br />

1. Supranationale Rechtsquellen<br />

In dieser ersten Kategorie gibt es unterschiedliche Normtypen. Zum ersten Normtyp<br />

gehört die Konvention zum Schutz <strong>der</strong> Menschenrechte und Grundfreiheiten 4 . Sie enthält<br />

materielles Recht, das für alle Bürger Deutschlands unmittelbar gilt und auf das<br />

diese sich (nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs) vor dem Europäischen Gerichtshof<br />

für Menschenrechte berufen können. Für den Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe spielt<br />

vor allem Art. 8 EMRK eine Rolle. Er schützt das Familienleben und lässt einen behördlichen<br />

Eingriff nur zu, soweit <strong>der</strong> Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen<br />

Gesellschaft notwenig ist.<br />

Zum zweiten Normtyp zählt zwar auch unmittelbar geltendes Recht, das allerdings nur<br />

Fälle mit Auslandsberührung betrifft, für die früher Staatverträge o<strong>der</strong> das autonome<br />

deutsche Recht die Rechtsgrundlage darstellten. Hier sind für die Jugendhilfe zwei EG-<br />

Verordnungen bedeutsam. Durch die<br />

- VO (EG) Nr. 1347/ 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und<br />

Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche<br />

Verantwortung für die gemeinsamen Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ehegatten vom 29.5.2000 5<br />

(Sprachgebrauch: „Brüssel II“), bereits weitgehend abgelöst durch die - VO (EG) Nr.<br />

4 i.d.F. <strong>der</strong> Bekanntmachung v. 17.5.2002 (BGBl. II S.1055)<br />

5 ABl. EG 2000, Nr. L 160, S. 19


12<br />

2201/ 2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung<br />

von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung<br />

und zur Aufhebung <strong>der</strong> VO (EG) Nr. 1347/ 2000 vom 27.11.2003 6 (Sprachgebrauch:<br />

„Brüssel II a“) wird neben Ehesachen (die natürlich keine Jugendhilfe sind)<br />

das ganze Spektrum <strong>der</strong> jugendhilferechtlichen Hilfs- und Schutzmaßnahmen einbezogen<br />

(Art.1 Brüssel II a). Dass diese VO nicht nur Gerichte, son<strong>der</strong>n auch Behörden mit<br />

ihren Entscheidungen betrifft, ergibt sich aus Art. 2 Nr.1 Brüssel II a.<br />

2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen<br />

In <strong>der</strong> zweiten Kategorie findet sich eine große Menge von Abkommen, die ebenfalls<br />

kein materielles Jugendhilferecht, jedoch für Fälle mit Auslandsberührung Regeln in<br />

allen rechtlich relevanten Bereichen (internationale Zuständigkeit, Anerkennung, anzuwendendes<br />

Recht, Vollstreckung, internationale Kooperation) enthalten. Hierzu gehören<br />

u. a., wobei nicht präzisiert werden soll, für welche <strong>der</strong> genannten Bereiche sie<br />

Geltung besitzen, folgende Übereinkommen 7 :<br />

- Haager Vormundschaftsabkommen vom 12.06.1902<br />

- Deutsch-iranisches Nie<strong>der</strong>lassungsabkommen vom 17.02.1929<br />

- Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11.12.1953<br />

- Haager Unterhaltsstatutabkommen (UStA) vom 24.10.1956<br />

- Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommen (UVA) vom 15.04.1958<br />

- CIEC-Vaterschaftsübereinkommen (CIEC-VatÜ) vom 14.09.1961<br />

- CIEC-Mutterschaftsübereinkommen (CIEC-MutÜ) vom 12.09.1962<br />

- EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (GVÜ) vom 27.09.1968<br />

- Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommen (UVA) vom 02.10.1973<br />

- Haager Unterhaltsstatutabkommen (UStA) vom 02.10.1973<br />

- Europäisches Sorgerechtsübereinkommen vom 20.05.1980<br />

- Haager Kindesentführungsübereinkommen vom 25.10.1980<br />

- Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) vom 19.12.1986<br />

- Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (LugÜ) vom 16.9.1988 -<br />

Haager Adoptionsübereinkommen (AdÜb) vom 29.05.1993<br />

- Haager Kin<strong>der</strong>schutzübereinkommen (KSÜ) vom 19.10.1996<br />

3. Staatsvertragliche bilaterale Rechtsquellen<br />

Die staatsvertraglichen bilateralen Rechtsquellen sollen nicht alle aufgeführt werden,<br />

weil sie in <strong>der</strong> Jugendhilfe keine wesentliche Rolle spielen. Sie gelten mit zwei Ausnahmen<br />

vor allem für das Unterhaltsrecht, sind aber durch das supranationale Recht<br />

und die multilateralen Abkommen sowieso weitgehend bedeutungslos geworden. Sie<br />

sind nachzulesen in Jayme/ Hausmann.<br />

Als gerade für die Jugendhilfe eventuell relevant sollen benannt werden:<br />

- Deutsch-österreichisches Vormundschaftsabkommen vom 05.02.1927<br />

- Deutsch-österreichisches Fürsorgeabkommen vom 17.01.1966<br />

6 ABl. EG 2003, Nr. L 338, S.1<br />

7 Fundstellen in Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 13.<br />

Aufl. 2006


13<br />

4. Nur die Staaten verpflichtende Übereinkommen<br />

In diesem Sektor ist das wichtigste Übereinkommen<br />

- die UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention vom 20.11.1989 8 .<br />

An ihr muss je<strong>der</strong> nationale Gesetzgeber sein autonomes Recht messen und es ggfs.<br />

den Normen <strong>der</strong> Konvention anpassen. Der einzelne Bürger kann sich nicht auf die<br />

Bestimmungen <strong>der</strong> Konvention berufen und sie erst recht nicht einklagen.<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. KJHG/ SGB VIII<br />

Die Jugendhilfe im engen Sinn ist geregelt im Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz (KJHG)<br />

vom 26.6.1990 9 . Dieses besteht wie fast alle mo<strong>der</strong>nen Gesetze aus einer Reihe von<br />

Artikeln, von denen Art. 1 das Sozialgesetzbuch VIII ist, das das vorher geltende Jugendwohlfahrtsgesetz<br />

(JWG) abgelöst hat. Das SGB VIII ist also Teil des Sozialgesetzbuches,<br />

das inzwischen (es wächst noch) 12 Bücher umfasst.<br />

Da die Jugendhilfe somit im Sozialgesetzbuch geregelt ist, gelten für das SGB VIII die<br />

sog. allgemeinen Teile des SGB, also SGB I mit seine verwaltungsmäßigen Grundlagen<br />

und SGB X mit seinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen.<br />

2. AdVermiG<br />

Teil <strong>der</strong> Jugendhilfe ist weiterhin das Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG). In <strong>der</strong><br />

Rechtsgeschichte sollte es mehrmals in das Jugendhilfegesetz integriert werden. Dies<br />

scheiterte jedoch bisher aus unterschiedlichsten Gründen. So ist es jetzt so, dass es<br />

aufgrund eines Verweises des KJHG (Art.2 Nr.3) bis zur Einordnung in das SGB als<br />

beson<strong>der</strong>er Teil des Sozialgesetzbuches gilt.<br />

3. Ausführungsgesetze <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

Zur Jugendhilfe gehört ferner das Landesrecht, das aufgrund einer Reihe von Einzelermächtigungen<br />

des SGB VIII von den 16 Bundeslän<strong>der</strong>n erlassen worden ist. Für<br />

NRW ist es - Erstes Gesetz zur Ausführung des KJHG (AG KJHG NW) (Organisationsgesetz)<br />

vom 12. 12.1990 10<br />

- Zweites Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zur Neuordnung des Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilferechts<br />

(Gesetz über Tageseinrichtungen für Kin<strong>der</strong> - GTK) vom 29.10.1991,<br />

zuletzt geän<strong>der</strong>t durch Gesetz vom 27.01.2004 11<br />

- Drittes Gesetz zur Ausführung des KJHG; Gesetz zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendarbeit,<br />

<strong>der</strong> Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutzes (Kin<strong>der</strong>-<br />

und Jugendför<strong>der</strong>ungsgesetz - 3. AG-KJHG - KJFöG) v. 12.10.2004 12 .<br />

8 BGBl. 1992 II S. 990, Vertragsgesetz v. 21.2.1992 - BGBl. II S. 121<br />

9 BGBl. I S. 1163<br />

10 GV.NRW S. 498<br />

11 GV.NRW S. 380 und GV.NRW S.30<br />

12 GV.NRW S.572


14<br />

IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaats<br />

1. Allgemeines<br />

Die deutsche Jugendhilfe ist eine Art Vollzug des Jugendhilferechts. Das Recht grenzt<br />

sich ab von <strong>der</strong> Politik, die entwe<strong>der</strong> als Reaktion auf gesellschaftliche Bedürfnisse<br />

o<strong>der</strong> als Umsetzung einer Rechtsidee Einfluss auf die Legislative nimmt. Die in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft vorhandenen Bereiche und Begriffe von Recht und Politik decken sich nur<br />

teilweise. Im Sprachgebrauch steht dem Jugendhilferecht keine Jugendhilfepolitik gegenüber.<br />

Vielmehr ist letztere Teil <strong>der</strong> Jugendpolitik, die neben dem Jugendhilferecht<br />

an<strong>der</strong>e Bereiche umfasst wie z.B. das Jugendstrafrecht und das Jugendschutzrecht.<br />

Das Jugendstrafrecht wird allerdings auch von <strong>der</strong> Rechtspolitik, die sich mit Strafrecht<br />

befasst, beansprucht, ebenso wie das Jugendschutzrecht, soweit es den Jugendarbeitsschutz<br />

betrifft, von <strong>der</strong> Arbeits- und Sozialpolitik beansprucht wird. Umgekehrt<br />

richtet die Sozialpolitik ihr Augenmerk nicht sehr auf das Jugendhilferecht, bei dem<br />

finanzielle Leistungen weniger im Vor<strong>der</strong>grund stehen als bei sonstigen Sozialleistungen.<br />

Allerdings befasst sie sich mit sonstigen finanziellen Leistungen für o<strong>der</strong> durch<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, wie z.B. Kin<strong>der</strong>geld, Elterngeld, Ausbildungsför<strong>der</strong>ung. Auch<br />

<strong>der</strong> Unterhaltsvorschuss könnte hierhin gehören, ist aber gesetzlich den Jugendämtern<br />

zugewiesen, auch wenn er nicht im SGB VIII geregelt ist. Die Ausbildungsför<strong>der</strong>ung<br />

umgekehrt, die ohne weiteres Teil von Jugendpolitik sein kann, lässt sich natürlich<br />

auch dem Schul- und Bildungsbereich zurechnen, auch wenn sie während <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Schulpflicht noch nicht zum Einsatz kommt. Die Familienpolitik schließlich hat<br />

mit dem Familienrecht fast gar nichts zu tun, da sie sich nicht vorrangig auf die zivilrechtliche<br />

Rechtsstellung von Kin<strong>der</strong>n und ihren Eltern, son<strong>der</strong>n auf die För<strong>der</strong>ung von<br />

Familie insgesamt, d.h. primär auf Sozialleistungen im öffentlichen Recht bezieht.<br />

2. Die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen<br />

an sie o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

2.1 Mutterschaftsgeld (§§ 195 ff. RVO, MuSchG)<br />

Für die Zeit des Mutterschutzes (6 Wochen vor und 8 Wochen nach <strong>der</strong> Geburt) gibt es<br />

Mutterschaftsgeld. Dieses beträgt bei gesetzlich Krankenversicherten genauso viel wie<br />

ihr bisheriger Nettoverdienst. Bis zu 13 € pro Tag trägt die Krankenkasse o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Bund, den Rest <strong>der</strong> Arbeitgeber. Bei privat Krankenversicherten erbringt <strong>der</strong>en private<br />

Versicherung vergleichbare Leistungen, die ebenfalls durch den Arbeitgeber ergänzt<br />

werden.<br />

2.2 Kin<strong>der</strong>geld (BKGG, EStG)<br />

Das Kin<strong>der</strong>geld (nach BKGG) bzw. <strong>der</strong> steuerliche Kin<strong>der</strong>freibetrag (nach EStG) dienen<br />

im Rahmen des Familienlastenausgleichs <strong>der</strong> steuerlichen Freistellung des Existenzminimums<br />

für Kin<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Einkommenssteuer. Die Höhe des Kin<strong>der</strong>geldes ist<br />

nach <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl gestaffelt. Es beträgt zurzeit für das erste bis dritte Kind jeweils<br />

154 €, für jedes weitere Kind 179 €.<br />

2.3 Erziehungsgeld (bis 2006) bzw. Elterngeld (ab 2007) (BErzGG, BEEG)<br />

2.3.1 Das Erziehungsgeld war (und ist für die „Altfälle“) eine familienpolitische Leistung<br />

an Eltern für die persönliche Betreuung ihres Kindes in den ersten beiden Lebensjahren,<br />

die unabhängig von <strong>der</strong> Erwerbsbeteiligung <strong>der</strong> Eltern gezahlt wurde. Das Erziehungsgeld<br />

wurde in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes als Pauschalbetrag<br />

(450 €) und ab dem siebenten Lebensmonat bis zum 24. Lebensmonat einkommensabhängig<br />

(300 €) gezahlt.


15<br />

2.3.2 Das Elterngeld, auf das für Kin<strong>der</strong>, die ab dem 1.1.2007 geboren sind, Anspruch<br />

besteht, wird in Höhe von 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit gezahlt, das in<br />

den 12 Kalen<strong>der</strong>monaten vor dem Monat <strong>der</strong> Geburt des Kindes monatlich durchschnittlich<br />

erzielt worden ist. Es beträgt höchstens 1.800 € und mindestens 300 € pro<br />

Monat. Um Personen mit geringem Einkommen besser zu stellen, gilt für sie die Geringverdiener-Komponente,<br />

aufgrund <strong>der</strong>er sie mehr als 67 % des vorherigen Verdienstes<br />

erhalten. Einen Geschwisterbonus gibt es, wenn neben dem neuen Kind mindestens<br />

ein Geschwisterkind unter 3 Jahren o<strong>der</strong> 2 Geschwisterkin<strong>der</strong> unter 6 Jahren vorhanden<br />

sind. Er beträgt 10 % des Elterngeldes, mindestens jedoch 75 €.<br />

2.4 Unterhaltsvorschuss (UVG)<br />

Das Unterhaltsvorschussgesetz unterstützt Alleinerziehende (ledig, verwitwet, geschieden,<br />

dauernd getrennt lebend) und ihre Kin<strong>der</strong>, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Elternteil, bei<br />

dem das Kind nicht lebt,<br />

- sich seiner Unterhaltspflicht ganz o<strong>der</strong> teilweise entzieht o<strong>der</strong><br />

- zur Unterhaltsleistung nicht o<strong>der</strong> nicht hinreichend imstande ist o<strong>der</strong><br />

- verstorben ist.<br />

Den Anspruch haben Kin<strong>der</strong> unter 12 Jahren. Er beläuft sich für Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> ersten Altersstufe<br />

(bis 6 Jahre) bis 30.6.2007 (danach regelmäßige zweijährliche Erhöhung) auf<br />

204 €, für Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> zweiten Altersstufe (bis 12 Jahre) auf 247 €. Die Leistung kann<br />

längstens 72 Monate in Anspruch genommen werden. Unterhaltszahlungen und Waisenbezüge<br />

werden auf den Anspruch angerechnet.<br />

2.5 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen<br />

Darüber hinaus werden Kin<strong>der</strong> in allen Sozialleistungsgesetzen, bei denen es um Geld<br />

o<strong>der</strong> geldwerte Leistungen geht (Wohngeld, Wohnberechtigungsschein, Beratungs-<br />

und Prozesskostenhilfe, Leistungen bei Krankheit, Arbeitslosengeld, Grundsicherung,<br />

Sozialhilfe, Arbeitsför<strong>der</strong>ung, Ausbildungsför<strong>der</strong>ung) geht, leistungssteigernd berücksichtigt.<br />

Auch im Steuerrecht (Kin<strong>der</strong>freibetrag, Haushaltsfreibetrag, Außergewöhnliche Belastung,<br />

Pflege-Pauschbetrag, Kin<strong>der</strong>betreuungskosten, Hausgehilfin, Kirchensteuer,<br />

Ausbildungsfreibetrag, Pauschbetrag für Körperbehin<strong>der</strong>ung) spielen sie eine wichtige<br />

Rolle.<br />

3. Bildungssystem 13<br />

Kin<strong>der</strong>gärten<br />

Kin<strong>der</strong>gärten besuchen Kin<strong>der</strong> vom 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt ganztags o<strong>der</strong><br />

für einen Teil des Tages. Der Besuch ist freiwillig. Die Aufgabe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>gärten umfasst<br />

die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Es soll die Entwicklung des<br />

Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geför<strong>der</strong>t<br />

werden. In einigen Län<strong>der</strong>n existieren auch an<strong>der</strong>e Einrichtungen des Übergangs<br />

in die Grundschule wie Vorklassen und Schulkin<strong>der</strong>gärten.<br />

Grundschulen<br />

Die Grundschulen umfassen die ersten vier Schuljahre, in Berlin und Brandenburg existiert<br />

die sechsjährige Grundschule. Grundschulen werden von allen Kin<strong>der</strong>n besucht<br />

und bereiten durch die Vermittlung von Grundkenntnissen auf den Besuch weiterführ-<br />

13<br />

Herausgegeben vom: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Referat Publikationen;<br />

Internetredaktion, 11055 Berlin


16<br />

en<strong>der</strong> Schulen vor. Der Unterricht umfasst in <strong>der</strong> Regel die Fächer Deutsch, Mathematik,<br />

Sachunterricht, Kunst, Musik und Sport. Angebote zum Fremdsprachenunterricht<br />

werden in allen Län<strong>der</strong>n erweitert.<br />

Orientierungsstufe<br />

Die Orientierungsstufe ist die Zusammenfassung <strong>der</strong> Klassenstufen 5 und 6, die entwe<strong>der</strong><br />

den weiterführenden Schulen zugeordnet (schulartabhängige Orientierungsstufe)<br />

o<strong>der</strong> von ihnen getrennt (schulartunabhängige Orientierungsstufe) sind. Sie dient<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung und Orientierung <strong>der</strong> Schüler auf die weitere Schullaufbahn.<br />

Hauptschulen<br />

Die Hauptschulen sind Pflichtschulen für alle Schüler, die nach dem Besuch <strong>der</strong><br />

Grundschulen nicht auf eine an<strong>der</strong>e weiterführende Schule gehen. Sie endet mit <strong>der</strong> 9.,<br />

in einigen Län<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> 10. Klassenstufe. In <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> wird ein freiwilliges<br />

10. Hauptschuljahr angeboten. Rund 30% <strong>der</strong> Hauptschüler besuchen das 10.<br />

Schuljahr. Die Hauptschule vermittelt eine allgemeine Bildung als Grundlage für eine<br />

praktische Berufsausbildung.<br />

Realschulen<br />

Weiterführende Schulen mit den Klassenstufen 5 bzw. 7 bis 10. Das Abschlusszeugnis<br />

<strong>der</strong> Realschulen bietet im Allgemeinen die Grundlage für gehobene Berufe aller Art<br />

und berechtigt zum Besuch <strong>der</strong> Fachoberschule, des Fachgymnasiums o<strong>der</strong> zum<br />

Übergag auf ein Gymnasium in Aufbauform. Die Realschule vermittelt eine erweiterte<br />

allgemeine Bildung.<br />

Gymnasien<br />

Weiterführende, allgemein bildende Schulen, die im Regelfall9 o<strong>der</strong> 8 (Klassenstufe 5<br />

bis 13 bzw. 12) bzw. 7 (Klassenstufen 7 bis 13) Klassenstufen umfassen. Fast alle<br />

Län<strong>der</strong> bieten mittlerweile die Möglichkeit an o<strong>der</strong> planen sie, bereits nach 12 Jahren<br />

das Abitur abzulegen. Es gibt außerdem„Gymnasien in Aufbauform“, <strong>der</strong>en Besuch im<br />

Allgemeinen den Realschulabschluss voraussetzt. Das Abschlusszeugnis des Gymnasiums<br />

(= allgemeine Hochschulreife) gilt als Befähigungsnachweis zum Studium an<br />

allen Hochschulen.<br />

Gesamtschulen<br />

In dieser Schulform sind die verschiedenen weiterführenden Schularten in unterschiedlicher<br />

organisatorischer und inhaltlicher Form zusammengefasst. Es werden integrierte<br />

Gesamtschulen (gemeinsamer Unterricht aller Schüler) sowie additive und kooperative<br />

Gesamtschulen (verschiedene Schularten <strong>der</strong> Sekundarstufe I in einer gemeinsamen<br />

Schulanlage) unterschieden.<br />

Fachgymnasien<br />

Berufsbezogene Gymnasien, die auf einem Realschulabschluss o<strong>der</strong> einem gleichwertigen<br />

Abschluss aufbauen. Sie vermitteln nach 3 Jahren (Klassenstufen 11 bis 13) den<br />

Befähigungsnachweis für das Studium an allen Hochschulen (= allgemeine Hochschulreife).<br />

Son<strong>der</strong>schulen<br />

An Son<strong>der</strong>schulen wird durch spezielle pädagogische Konzepte und För<strong>der</strong>ungsmaßnahmen<br />

den beson<strong>der</strong>en Belangen von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen mit Behin<strong>der</strong>ungen<br />

Rechnung getragen. Diese Schulen sind jeweils auf die unterschiedlichen Behin<strong>der</strong>ungsarten<br />

ausgerichtet und erteilen Unterricht von <strong>der</strong> Primar- bis zur Sekundarstufe II<br />

(z. T. auch mit Internat).


17<br />

Ziel ist es, neben <strong>der</strong> Vermittlung von Bildungsinhalten auch lebenspraktische und sozial<br />

integrative Hilfen zu geben. Entsprechende Einrichtungen bestehen auch im Bereich<br />

von Realschulen, Gymnasien und bei den beruflichen Schulen.<br />

Abendschulen und Kollegs<br />

Einrichtungen, an denen Erwachsene auf dem „Zweiten Bildungsweg“ den Hauptschulabschluss,<br />

den Realschulabschluss o<strong>der</strong> die allgemeine Hochschulreife erwerben<br />

können. Dazu gehören die Abendhauptschule, die Abendrealschule und das Abendgymnasium.<br />

Der Unterricht findet abends statt; die Teilnehmer sind in den ersten Jahren<br />

berufstätig. An Kollegs wird die allgemeine Hochschulreife erworben; sie sind Vollzeitschulen,<br />

<strong>der</strong>en Schüler nicht berufstätig sind.<br />

Berufsgrundbildungsjahr<br />

Den Teilnehmern wird durch Vollzeit- und Teilzeitunterricht eine allgemeine o<strong>der</strong> auf<br />

ein Berufsfeld bezogene berufliche Grundbildung vermittelt.<br />

Duale Berufsausbildung<br />

Das System heißt „dual“, weil die Ausbildung an zwei Lernorten durchgeführt wird: im<br />

Betrieb und in <strong>der</strong> Berufsschule. Es ist <strong>der</strong> Kernbereich <strong>der</strong> Berufsausbildung in<br />

Deutschland; mehr als 60% eines Altersjahrganges absolvieren eine Berufsausbildung<br />

in diesem System. Die Ausbildung in den einzelnen Berufen erfolgt auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

von Ausbildungsordnungen (= Rechtsverordnungen des Bundes). Zurzeit gibt es rund<br />

350 aufgrund von Ausbildungsordnungen anerkannte Ausbildungsberufe.<br />

Fachoberschulen<br />

Sie bauen auf dem Realschulabschuss o<strong>der</strong> einem als gleichwertig anerkannten Abschluss<br />

auf. Der Schulbesuch dauert bei Vollzeitunterricht mindestens 1 Jahr, bei Teilzeitunterricht<br />

bis zu 3 Jahren. Das Abschlusszeugnis gilt als Zugangsberechtigung zum<br />

Studium an Fachhochschulen.<br />

Berufsfachschulen<br />

Berufsfachschulen sind Vollzeitschulen, die mindestens für die Dauer eines Jahres<br />

besucht werden. Sie können in <strong>der</strong> Regel freiwillig nach Erfüllung <strong>der</strong> Vollzeitschulpflicht<br />

zur Berufsvorbereitung o<strong>der</strong> zur vollen Berufsausbildung ohne vorherige praktische<br />

Berufsausbildung besucht werden. Sie schließen mit einer Abschlussprüfung ab;<br />

<strong>der</strong> Abschluss nach zweijährigem Schulbesuch entspricht <strong>der</strong> dem Realschulabschluss<br />

gleichgestellten Fachschulreife. Absolventen können einen Abschluss in einem anerkannten<br />

dualen Ausbildungsberuf erreichen.<br />

Berufsaufbauschulen<br />

Berufsaufbauschulen werden von Jugendlichen besucht, die eine Berufsausbildung<br />

absolvieren o<strong>der</strong> eine Berufstätigkeit ausüben. Sie können nach mindestens einem<br />

halbjährigen Besuch einer Berufsschule neben dieser o<strong>der</strong> nach erfüllter Berufsschulpflicht<br />

besucht werden. Sie sind meist nach Fachrichtungen geglie<strong>der</strong>t. Die Unterrichtsdauer<br />

beträgt bei Vollzeitschulen 1 bis 1 1/2, bei Teilzeitschulen 3 bis 3 1/2 Jahre.<br />

Der erfolgreiche Abschluss vermittelt die dem Realschulabschluss vergleichbare Fachschulreife.<br />

Schulen des Gesundheitswesens<br />

An ihnen erfolgt die Ausbildung für nichtakademische Berufe des Gesundheitswesens<br />

wie z. B. Kranken- und Kin<strong>der</strong>krankenpfleger/in, Hebammen/Entbindungshelfer, Masseur/in,<br />

Beschäftigungstherapeuten/-therapeutin. Viele dieser Schulen sind organisatorisch<br />

und räumlich mit Krankenhäusern verbunden, an denen sowohl die theoretische<br />

als auch die praktische Ausbildung stattfinden.


18<br />

Fachschulen<br />

Fachschulen werden freiwillig nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung<br />

und praktischen Berufserfahrungen, teilweise auch nach langjähriger praktischer Berufserfahrung<br />

o<strong>der</strong> aufgrund des Nachweises einer fachspezifischen Begabung besucht.<br />

Sie vermitteln eine weitergehende fachliche Ausbildung im Beruf (z. B. Meisterschulen,<br />

Technikerschulen). Der Schulbesuch dauert bei Vollzeitunterricht zwischen<br />

einem halben Jahr und drei Jahren, bei Teilzeitunterricht in <strong>der</strong> Regel 6 bis 8 Halbjahre.<br />

Universitäten (Technische Universitäten, Technische Hochschulen)<br />

Sie sind die traditionellen Hochschultypen in Deutschland. An ihnen wird das breite<br />

Spektrum <strong>der</strong> Studienfächer angeboten. Sie verbinden die Aufgaben Lehre und Forschung.<br />

Sie haben das Promotionsrecht.<br />

Kunst-, Musik-, Theologische und Pädagogische Hochschulen<br />

An Kunst- und Musikhochschulen werden Studierende in den bildenden, gestalterischen<br />

und darstellenden Künsten bzw. in musikalischen Fächern ausgebildet. An<br />

Theologischen Hochschulen werden Theologen ausgebildet. An den Pädagogischen<br />

Hochschulen (zurzeit nur noch in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-<br />

Holstein und Thüringen) werden Grund-, Haupt- und Realschullehrer, teilweise auch<br />

Lehrer für Son<strong>der</strong>schulen, ausgebildet. In den übrigen Län<strong>der</strong>n findet die Ausbildung<br />

von Lehrern an Universitäten, Technischen Universitäten/ Hochschulen, Gesamthochschulen<br />

bzw. Kunst- und Musikhochschulen statt.<br />

Gesamthochschulen<br />

Gesamthochschulen (nur in Hessen und Nordrhein-Westfalen) verbinden die Aufgaben<br />

in Forschung, Lehre und Studium, die sonst von Universitäten, Pädagogischen Hochschulen,<br />

Fachhochschulen und zum Teil auch von Kunst- und Musikhochschulen<br />

wahrgenommen werden. Kennzeichnend für sie sind integrierte Studiengänge. Die<br />

Gesamthochschulen führen die Bezeichnung „Universität-Gesamthochschulen“.<br />

Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen<br />

Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen haben die Aufgabe, durch eine<br />

stark anwendungsbezogene Ausbildung auf berufliche Tätigkeiten vorzubereiten, die<br />

die Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse und Methoden o<strong>der</strong> die Fähigkeit zur<br />

künstlerischen Gestaltung erfor<strong>der</strong>n. Sie bieten Studiengänge vor allem im Ingenieurwesen<br />

und in den Bereichen Wirtschaft, Sozialwesen, Landwirtschaft und Gestaltung<br />

an. An den Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

werden Beamte für die Laufbahn des gehobenen Dienstes in <strong>der</strong> öffentlichen Verwaltung<br />

ausgebildet.<br />

Weiterbildung<br />

Weiterbildung ist die Fortsetzung o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahme je<strong>der</strong> Art des Lernens (auch<br />

des informellen) nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten Bildungsphase in<br />

Kindheit und Jugend. Unterschieden werden die beiden Hauptbereiche allgemeine und<br />

berufliche Weiterbildung. Die Bereiche <strong>der</strong> politischen und kulturellen Weiterbildung<br />

sind schwerpunktmäßig <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung zugeordnet. Für beide Weiterbildungsbereiche<br />

gibt es Angebote <strong>der</strong> Hochschulen und freien Träger zur wissenschaftlichen<br />

Weiterbildung sowie Fernunterrichtsangebote. Geprägt wird <strong>der</strong> Weiterbildungsbereich<br />

durch die Freiwilligkeit <strong>der</strong> Teilnahme, Vielfalt <strong>der</strong> Angebote und Pluralität<br />

<strong>der</strong> Träger sowie die subsidiäre Rolle des Staates.


C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

I. Die Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n 14 im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Eltern<br />

19<br />

Obwohl es bei <strong>der</strong> Jugendhilfe um die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen geht,<br />

ist das deutsche Jugendhilferecht in Anlehnung an Art. 6 GG so konzipiert, dass Inhaber<br />

des Anspruchs auf Leistungen nach dem KJHG in <strong>der</strong> Regel die Eltern sind. Sie<br />

treten daher nicht als gesetzliche Vertreter des Kindes auf, son<strong>der</strong>n im eigenen Namen.<br />

Ihr Anspruch geht dahin, sie instand zu setzen, die Aufgaben <strong>der</strong> Erziehung erfüllen<br />

zu können, bzw. dahin, dem Kind Leistungen zu erbringen, die sie selber nicht<br />

erbringen können (Vertrag zu Gunsten Dritter,<br />

§ 328 BGB).<br />

2. Kind<br />

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Kind nur Objekt elterlichen bzw. staatlichen Handelns<br />

ist. Vielmehr wird das Kind in vielfältiger Weise an <strong>der</strong> Entscheidungsfindung und<br />

Umsetzung beteiligt. Dabei kann die Rechtsstellung des Kindes im Gefüge <strong>der</strong> Gewährung<br />

von Jugendhilfe nicht schlechter sein als bei <strong>der</strong> Ausübung elterlicher Sorge.<br />

Im Recht <strong>der</strong> elterlichen Sorge ist den Eltern aufgegeben, bei <strong>der</strong> Pflege und Erziehung<br />

ihres Kindes dessen wachsende Fähigkeit und sein wachsendes Bedürfnis zu selbständigem<br />

verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen (§ 1626 Abs.2<br />

BGB). Im Jugendhilferecht betont § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VIII, dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen sind. § 9 Nr.2 SGB VIII hebt hervor, dass<br />

die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes o<strong>der</strong> des Jugendlichen<br />

zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen<br />

beson<strong>der</strong>en sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und<br />

ihrer Familien zu berücksichtigen sind. Diese Pflicht <strong>der</strong> Eltern, die umgekehrt eine<br />

Berechtigung des Min<strong>der</strong>jährigen beinhaltet (die er aber allenfalls über § 1666 BGB<br />

gerichtlich einfor<strong>der</strong>n kann), ist ein nicht formalisiertes Beteiligungsrecht. Daneben gibt<br />

es eine ganze Reihe formalisierter Berechtigungen auf Beteiligung.<br />

Diese Beteiligungsrechte finden sich an den unterschiedlichsten Stellen des Gesetzes<br />

15 .<br />

- Kin<strong>der</strong> und Jugendliche haben das Recht, sich in allen Angelegenheiten <strong>der</strong> Erziehung<br />

und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden (§ 8 Abs.2 SGB VIII).<br />

- Sie sind vor einer Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe zu beraten<br />

und auf die möglichen Folgen hinzuweisen (§ 36 Abs.1 Satz 1 SGB VIII).<br />

- Sie sind an <strong>der</strong> Aufstellung des Hilfeplans zu beteiligen (§ 36 Abs.2 Satz 2 SGB<br />

VIII).<br />

- Sie sind berechtigt, um Inobhutnahme zu bitten (§ 42 Abs.1 Nr. 1 SGB VIII).<br />

- Sie sind bei Inobhutnahme berechtigt, eine Person ihres Vertrauens zuzuziehen<br />

(§ 42 Abs.2 Satz 2 SGB VIII).<br />

14 Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es 2004 82.501275 Einwohner<br />

in Deutschland, davon 14.939.736 Min<strong>der</strong>jährige, d.h. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Das sind 18,1% <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung.<br />

15 Zusammenstellung nach Oberloskamp (2005) S.54 f.


20<br />

- Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im<br />

Verfahren vor dem Familiengericht, dem Vormundschaftsgericht und dem Verwaltungsgericht<br />

hinzuweisen (§ 8 Abs.1 Satz 2 SGB VIII).<br />

- In den familienrechtlichen Verfahren Erwachsener, von denen Kin<strong>der</strong> betroffen sind<br />

(z.B. Scheidung, Umgangsrecht, Sorgerechtseingriffe, Konflikte zwischen Pflegeeltern<br />

und leiblichen Eltern, Konflikte zwischen Stiefeltern und leiblichen Eltern), sind<br />

Kin<strong>der</strong> vom Familiengericht anzuhören (§ 50b FGG). Die Nichtanhörung des Kindes<br />

ist ein Verfahrensfehler.<br />

- In den vormundschaftsgerichtlichen Verfahren (Adoption sowie Bestellung und Abberufung<br />

von Vormün<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Pflegern) sind sie ebenfalls anzuhören (§§ 50b,<br />

55c FGG). Auch hier ist die Unterlassung <strong>der</strong> Anhörung ein Verfahrensfehler.<br />

- In allen Entscheidungen, in denen sie gerichtlich angehört werden müssen, haben<br />

Kin<strong>der</strong> über 14 Jahren ein selbständiges Beschwer<strong>der</strong>echt (§ 59 FGG).<br />

- Damit es dem Familien- und dem Vormundschaftsgericht eher möglich ist, eine<br />

dem Kindeswohl dienende Entscheidung zu treffen, hat es die Fachbehörde Jugendamt<br />

anzuhören (§§ 49, 49a FGG). Das Unterlassen <strong>der</strong> Anhörung ist ein Verfahrensfehler.<br />

- Das Jugendamt hat für die Anhörung (die meistens durch die Abgabe einer gutachtlichen<br />

Stellungnahme erfolgt) mit dem jungen Menschen Kontakt aufzunehmen<br />

(Anamnese, Exploration, Verhaltensbeobachtung ...), die Erkenntnisse fachlich zu<br />

bewerten und dem Richter in <strong>der</strong> Regel einen Entscheidungsvorschlag zu machen<br />

(entwickelt aus § 50 II SGB VIII).<br />

- Wenn sich <strong>der</strong> gesetzliche Vertreter des Kindes bei den beiden zuvor genannten<br />

Verfahrenstypen in einem Interessenkonflikt befindet, kann <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige einen<br />

völlig unabhängigen nur dem Kind verpflichteten Verfahrenspfleger („Anwalt des<br />

Kindes“) erhalten (§ 50 FGG).<br />

- Im Jugendstrafverfahren wird obligatorisch die Jugendgerichtshilfe (§ 52 SGB VIII i.<br />

V. m. §§ 38, 50 Abs.3 Satz 2 JGG) tätig, und diese muss sich primär mit dem jungen<br />

Menschen beschäftigen (mehr als eine Anhörung). Im Jugendstrafverfahren ist<br />

<strong>der</strong> junge Mensch Angeklagter, und er wird als strafmündig angesehen (§ 3 JGG).<br />

Er hat daher alle Rechte, die ein erwachsener Angeklagter hat, d.h. er kann selbständig<br />

Rechtsmittel einlegen und bekommt in schwierigen Fällen einen Pflichtverteidiger<br />

beigeordnet.<br />

Der nicht volljährige junge Mensch ist somit im deutschen Recht <strong>der</strong> Jugendhilfe zwar<br />

noch kein volles Rechtssubjekt, aber immerhin ein Wesen, dessen Subjektwerdung<br />

bereits respektiert wird.<br />

3. Elterliche Sorge<br />

3.1 Entstehung und Inhalt <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

Die Regelungen zur elterlichen Sorge im deutschen Recht finden sich in den §§ 1626 –<br />

1698b BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).<br />

Im Übrigen stellt sich die Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kind als Schutzbeziehung<br />

dar, <strong>der</strong>en Hauptaspekte die Abstammung, die elterliche Sorge, <strong>der</strong> Name, <strong>der</strong><br />

Unterhalt und das Erbrecht sind. Für die Jugendhilfe spielt vor allem die elterliche Sorge<br />

eine Rolle. Diese kann auf dreierlei Weisen entstehen:<br />

- kraft Gesetzes<br />

- kraft privatautonomer Willenserklärung<br />

- kraft richterlicher Anordnung.


21<br />

Kraft Gesetzes ist die elterliche Sorge als gemeinsame Sorge vorhanden, wenn die<br />

Eltern zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Geburt des Kindes verheiratet sind (§ 1626a I BGB im Umkehrschluss)<br />

o<strong>der</strong> als alleinige Sorge <strong>der</strong> Mutter, wenn diese im Zeitpunkt <strong>der</strong> Geburt<br />

ledig ist (§ 1626a II BGB). Sie ist in Form <strong>der</strong> Vormundschaft des Jugendamtes vorhanden,<br />

wenn das Kind von einer ledigen min<strong>der</strong>jährigen Mutter im Inland geboren<br />

wird und wenn <strong>der</strong> volljährige rechtliche Vater des Kindes und seine Mutter keine Sorgeerklärung<br />

abgegeben haben (§ 1791c BGB). Als Vormundschaft des Jugendamtes<br />

ist sie ebenfalls vorhanden, wenn Eltern in die Adoption ihres Kindes einwilligen<br />

(§ 1747 BGB) o<strong>der</strong> ihre Einwilligung gerichtlich ersetzt worden ist (§ 1748 BGB)<br />

(§ 1751 I 2 BGB). Schließlich kann sie eine Beistandschaft sein zur Feststellung <strong>der</strong><br />

Vaterschaft und zur Klärung des Unterhalts sein (§§ 1712 BGB).<br />

Kraft privatautonomer Willenserklärung in Form <strong>der</strong> gemeinsamen Sorge ist sie vorhanden,<br />

wenn die Mutter und <strong>der</strong> rechtliche Vater (Vaterschaftsanerkenntnis o<strong>der</strong> gerichtliche<br />

Feststellung <strong>der</strong> Vaterschaft, § 1592 Nr.2 und 3 BGB) Sorgeerklärungen abgeben<br />

(§§ 1626b ff. BGB).<br />

Kraft richterlicher Anordnung schließlich findet sich Alleinsorge, gemeinsame Sorge,<br />

Vormundschaft (das gesamte Sorgerecht, §§ 1773, 1793 BGB), Pflegschaft (Teile des<br />

Sorgerechts, § 1909 BGB) in den verschiedensten Gestalten. Sie können durch Antrag<br />

<strong>der</strong> Betroffenen (z.B. Sorgerechtsregelung bei Scheidung, § 1671 BGB) o<strong>der</strong> von Amts<br />

wegen (z.B. Sorgerechtseingriffe + Bestellung eines Vormunds o<strong>der</strong> Pflegers, § 1666<br />

BGB) herbeigeführt werden.<br />

Inhaltlich umfasst die elterliche Sorge die Personen- und Vermögenssorge (§ 1626<br />

BGB), die beide aus einem tatsächlichen und aus einem rechtlichen = Vertretungsteil<br />

(§§ 1626, 1629 BGB) bestehen. Als Beispiele für die Personensorge nennt das Gesetz<br />

Pflege, Erziehung, Aufsicht, Aufenthaltsbestimmung (§ 1631 I BGB). Zur Methode <strong>der</strong><br />

Erziehung sagt das Gesetz nichts, außer dass die elterliche Sorge gewaltfrei (§ 1631 II<br />

BGB) ausgeübt werden muss. Zum Ziel <strong>der</strong> Erziehung wird im BGB ebenfalls so gut


22<br />

wie nichts gesagt. Jedoch hilft das KJHG, wo in § 1 I SGB VIII die Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit<br />

und Gemeinschaftsfähigkeit genannt wird. In die elterliche Sorge<br />

kann das Familiengericht eingreifen, wenn es das Kindeswohl erfor<strong>der</strong>t, d.h. wenn das<br />

Kind gefährdet ist (siehe z.B. § 1666 o<strong>der</strong> § 1632 IV BGB).<br />

3.2 Die elterliche Sorge im Konfliktfall 16<br />

Wenn Eltern verheiratet sind, so steht die elterliche Sorge für ein Kind beiden Eltern<br />

gemeinsam zu (§ 1626a I BGB im Umkehrschluss). Dies gilt auch für den Fall, dass die<br />

Eltern sich trennen o<strong>der</strong> geschieden werden (§ 1671 I BGB im Umkehrschluss). Nur auf<br />

Antrag eines Elternteils kann ihm die elterliche Sorge bzw. ein Teil <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

allein von einem Gericht übertragen werden. Leben die Eltern getrennt und haben beide<br />

weiterhin die gemeinsame Sorge, so hat gem. § 1687 BGB <strong>der</strong> Elternteil, bei dem sich<br />

das Kind mit Einwilligung des an<strong>der</strong>en Elternteils o<strong>der</strong> auf Grund einer gerichtlichen<br />

Entscheidung befindet, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in allen Angelegenheiten<br />

des täglichen Lebens. Entscheidungen, die grundsätzliche Bedeutung für das Leben<br />

des Kindes haben (z. B. betreffend Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge,<br />

wesentliche Schulentscheidungen, religiöse Erziehung), können die Eltern,<br />

auch wenn sie getrennt leben, nur gemeinsam treffen.<br />

Kommt ein Kind zur Welt, dessen Eltern nicht verheiratet sind, so steht zunächst <strong>der</strong><br />

Mutter allein die elterliche Sorge zu (§ 1626a II BGB). Die Eltern können aber gem.<br />

§ 1626a I BGB seit 1998 eine gemeinsame Sorgeerklärung abgeben. Zuständig für die<br />

Abgabe <strong>der</strong> Erklärung ist die Urkundsstelle des Jugendamtes o<strong>der</strong> ein Notar.<br />

Auch ein Elternteil, dem nicht die elterliche Sorge zusteht, hat ein Recht (und die Pflicht)<br />

zum Umgang mit dem Kind gem. § 1684 BGB. Umgekehrt hat das Kind ein Recht auf<br />

Umgang mit jedem Elternteil. Soweit es dem Wohl des Kindes dient, haben auch an<strong>der</strong>e<br />

Personen (Großeltern, Geschwister, Pflegepersonen o<strong>der</strong> Stiefelternteile) Recht auf<br />

Umgang mit dem Kind (§ 1685 II BGB).<br />

Besteht gemeinsame elterliche Sorge <strong>der</strong> Eltern (kraft Heirat o<strong>der</strong> Sorgeerklärung) und<br />

leben diese mit dem Kind als Familie zusammen, so entscheidet das Gericht im Streit<br />

<strong>der</strong> Eltern (z.B. über die Schulwahl) auf Antrag nach den Maßstäben des § 1628 BGB,<br />

indem es einem Elternteil allein die Entscheidungsbefugnis überträgt. Leben die Eltern<br />

dauerhaft getrennt und streiten sie sich (z.B. darüber, bei wem das Kind leben soll), so<br />

ist Maßstab § 1671 BGB. Die elterliche Sorge o<strong>der</strong> Teile davon sind dann auf Antrag auf<br />

einen <strong>der</strong> beiden Elternteile zu übertragen, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Elternteil dem entwe<strong>der</strong><br />

zustimmt o<strong>der</strong> wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung <strong>der</strong> gemeinsamen elterlichen<br />

Sorge und die Übertragung auf den Antrag stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes<br />

am besten entspricht. Ist das betreffende Kind 14 Jahre alt und begehrt ein Elternteil die<br />

Aufhebung <strong>der</strong> gemeinsamen Sorge, hat das Kind ab dem 14. Lebensjahr eine Art Wi<strong>der</strong>spruchsrecht,<br />

das allerdings nicht als Veto zu verstehen ist; <strong>der</strong> Richter kann also<br />

auch die gemeinsame elterliche Sorge aufheben, wenn das Kind nicht damit einverstanden<br />

ist. Die Entscheidung ist dem Kind über 14 Jahren persönlich zuzustellen.<br />

Besteht bei nicht verheirateten Eltern die Alleinsorge <strong>der</strong> Mutter, so gibt es bisher keine<br />

Möglichkeit des nicht verheirateten Vaters, gegen den Willen <strong>der</strong> Mutter an <strong>der</strong> elterlichen<br />

Sorge beteiligt zu werden (gemeinsame Sorge: § 1626a I BGB) o<strong>der</strong> die elterliche<br />

Sorge auf sich übertragen zu lassen (§ 1672 BGB). Nur für den Fall, dass <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>mutter<br />

die elterliche Sorge gem. den Voraussetzungen <strong>der</strong> §§ 1666 ff. BGB zu entziehen<br />

ist, kann <strong>der</strong> nicht verheiratete Vater, wenn er seinerseits geeignet ist die elterliche<br />

16 Dieser Abschnitt wurde von RAin Ruth Handelmann bearbeitet


23<br />

Sorge zu übernehmen, die elterliche Sorge für dieses Kind übertragen erhalten (§ 1680<br />

BGB). Leben die nicht miteinan<strong>der</strong> verheirateten Eltern getrennt und steht <strong>der</strong> Mutter<br />

die alleinige elterliche Sorge zu, kann <strong>der</strong> Vater mit Zustimmung <strong>der</strong> Mutter nach § 1672<br />

BGB beantragen, dass das Familiengericht ihm die elterliche Sorge o<strong>der</strong> einen Teil <strong>der</strong><br />

elterlichen Sorge betreffend das Kind alleine überträgt.<br />

Für das Kind ist in den Fällen, in denen die Eltern o<strong>der</strong> ein Elternteil wegen einer Interessenkollision<br />

an <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> elterlichen Sorge für das Kind gehin<strong>der</strong>t ist,<br />

z.B. wenn eine Erbengemeinschaft eines Elternteil mit dem Kind zusammen besteht,<br />

vom Vormundschaftsgericht ein Ergänzungspfleger zu bestellen (§ 1909 BGB) . Hierfür<br />

gelten die Vorschriften §§ 1773 ff. BGB.<br />

Hat das Familiengericht einmal eine Entscheidung über die Übertragung <strong>der</strong> elterlichen<br />

Sorge auf nur einen Elternteil getroffen, so ist Maßstab für die Abän<strong>der</strong>ung dieser Entscheidung<br />

<strong>der</strong> § 1696 BGB: Nur wenn es aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig<br />

berührenden Gründen angezeigt ist, soll von <strong>der</strong> ursprünglichen Entscheidung abgewichen<br />

werden.<br />

Ist ein Elternteil z. B. auf Grund einer (z.B. psychischen) Krankheit nicht in <strong>der</strong> Lage, die<br />

elterliche Sorge auszuüben, so kann <strong>der</strong>en Ruhen gerichtlich festgestellt werden<br />

(§ 1674 BGB). Werden dem Familiengericht Umstände bekannt, die auf eine massive<br />

Gefährdung des Kindeswohls durch seine Eltern bzw. den sorgeberechtigten Elternteil<br />

schließen lassen, so hat das Familiengericht von Amts wegen die notwendigen Maßnahmen<br />

zu erlassen (§ 1666 BGB). Es hat also z.B. Anordnungen zu treffen, d.h. Teile<br />

o<strong>der</strong> im Extremfall die ganze elterliche Sorge zu entziehen und einen Pfleger (bei Teilen<br />

des Sorgerechts) o<strong>der</strong> einen Vormund (beim ganzen Sorgerecht) zu bestellen, den Eltern<br />

Weisungen zu erteilen bzw. Maßnahmen zu treffen, bis hin zur Entfernung des Kindes<br />

aus dem Haushalt <strong>der</strong> Eltern (§ 1666a BGB). Hierfür bedarf es keines Antrages,<br />

son<strong>der</strong>n es reicht jegliche Anregung (durch Großeltern, Nachbarn, Lehrer, Jugendamt,<br />

Kin<strong>der</strong>arzt ...) dem Familiengericht gegenüber. Dies wird von den Familiengerichten<br />

selbst häufig an<strong>der</strong>s gesehen, obwohl vom Gesetz das Familiengericht von Amts wegen<br />

zur Handlung angehalten ist (§ 12 FGG).<br />

Hat <strong>der</strong> Familienrichter den Eindruck, dass von den sich streitenden Eltern die Interessen<br />

des Kindes nicht ausreichend berücksichtigt werden, o<strong>der</strong> geht es um die Entziehung<br />

<strong>der</strong> elterlichen Sorge (§ 1666 BGB) o<strong>der</strong> die Genehmigung <strong>der</strong> geschlossenen<br />

Unterbringung des Kindes (§ 1631b BGB), so kann, in den letzten beiden Fällen muss,<br />

<strong>der</strong> Richter für das Kind einen Verfahrenspfleger (Anwalt des Kindes) bestellen (§ 50<br />

FGG). In allen Sorgerechtsverfahren, bei denen die Neigungen, Bindungen o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Wille des Kindes eine Rolle spielen kann, hat – wenn eine Einigung <strong>der</strong> Parteien nicht<br />

möglich erscheint und <strong>der</strong> Richter entscheiden muss – eine Anhörung des Kindes zu<br />

erfolgen (§ 50b FGG). Im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk Köln wird eine solche Anhörung<br />

in <strong>der</strong> Regel ab dem 3. Lebensjahr des Kindes vom Familienrichter gefor<strong>der</strong>t,<br />

obwohl das Gesetz keine Altersgrenze enthält.<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> staatlichen Verwaltung<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur<br />

1.1 Rechtsetzung<br />

Gesetzgebungskörperschaften gibt es in Deutschland auf Ebene des Bundes (Bundestag<br />

und Bundesrat), <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (Landtage) und <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Kommunen (z.B. Stadtrat,<br />

Kreistag). Bundes- und Län<strong>der</strong>parlamente verabschieden Gesetze und ermächtigen<br />

die Exekutive, Verordnungen zu erlassen. Die Gesetzgebungsbefugnis <strong>der</strong> Gemeinden<br />

ist landesrechtlich geregelt. In NRW geschieht dies durch die Gemeindeord-


24<br />

nung (GO). § 4 I 1 GO bestimmt, dass die Gemeinden ihre Angelegenheiten durch<br />

Satzung regeln, soweit Gesetze nichts an<strong>der</strong>es bestimmen. Daneben gibt es Verwaltungsvorschriften<br />

entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> übergeordneten an nachgeordnete Behörden o<strong>der</strong> von<br />

Dienstvorgesetzten an unterstellte Bedienstete. Sie tragen die unterschiedlichsten Namen,<br />

u. a. Richtlinie, Run<strong>der</strong>lass, Rundverfügung, Allgemeine Verwaltungsverfügung,<br />

Durchführungsbestimmung, Dienstanweisung, Geschäftsverteilungsplan etc.<br />

1.2 Verwaltung<br />

Verwaltung spielt sich in Deutschland als Selbstverwaltung (garantiert in Art. 28 GG)<br />

o<strong>der</strong> als Staatsverwaltung ab. Die Staatsverwaltung ist „von oben nach unten“ geglie<strong>der</strong>t,<br />

die Selbstverwaltung „von unten nach oben“.<br />

Kommunen (= Körperschaften <strong>der</strong> Selbstverwaltung) gibt es als kreisfreie Städte, das<br />

sind die großen Kommunen (z.B. Köln), und als Kreise, das ist ein Zusammenschluss<br />

kleiner Kommunen, sog. kreisangehörige Gemeinden (z.B. <strong>der</strong> Rhein-Sieg-Kreis). In<br />

manchen Bundeslän<strong>der</strong>n bildet ein Zusammenschluss von Kommunen (Städte und<br />

Kreise) eine weitere kommunale Verwaltungseinheit (in NW die Landschaftsverbände<br />

<strong>Rheinland</strong> in Köln und Westfalen-Lippe in Münster).<br />

Zudem sind die Angelegenheiten des Bundes, <strong>der</strong> 16 Bundeslän<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Kommunen<br />

zu unterscheiden. Wer wofür zuständig ist, ergibt sich aus dem Grundgesetz (Art.<br />

28, 74-76 GG).<br />

2. Jugendämter<br />

2.1 Jugendhilfe als Selbstverwaltung<br />

Jugendämter erfüllen Selbstverwaltungsaufgaben 17 und kommen als Stadtjugendämter<br />

o<strong>der</strong> als Kreisjugendämter vor. Zulässig ist auch die Schaffung von Jugendämtern<br />

durch kreisangehörige Gemeinden (§ 69 II SGB VIII). Die Kreise und kreisfreien Städte<br />

sind sog. örtliche Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe (§ 69 I SGB VIII). Weiter gibt es die überörtlichen<br />

Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe. Wer das ist, bestimmt Landesrecht (§ 69 III SGB VIII). In<br />

NRW sind dies die beiden Landschaftsverbände <strong>Rheinland</strong> und Westfalen-Lippe. -<br />

Darüber hinaus nimmt auch die Staatsverwaltung Jugendhilfeaufgaben wahr, die durch<br />

Jugendministerien <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> und das Bundesjugendministerium erledigt werden.<br />

- Die Aufgaben <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>ministerien (§ 82 SGB VIII) und des Bundesministeriums<br />

(§§ 83, 84 SGB VIII) sind vom Gesetz nur ganz grob umrissen und daher weitgehend<br />

vom jeweiligen jugendpolitischen Bedarf abhängig. Wichtig ist allerdings <strong>der</strong> Jugendbericht<br />

(§ 84 SGB VIII), den die Bundesregierung dem Bundestag in je<strong>der</strong> Legislaturperiode<br />

vorzulegen hat.<br />

Die Träger <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe erbringen im Zusammenwirken mit den Trägern<br />

<strong>der</strong> freien Jugendhilfe Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe (§ 3 Abs.2 S.1 SGB VIII). Wer freier<br />

Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe sein kann, legt das Gesetz nicht fest. Erst wenn eine Gruppierung<br />

eine Anerkennung als freier Träger (§ 75 SGB VIII) o<strong>der</strong> gar eine För<strong>der</strong>ung<br />

(§ 74 SGB VIII) beantragt, muss sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.<br />

2.2 Organisation <strong>der</strong> Jugendämter und Landesjugendämter<br />

Die Behörde Jugendamt ist „zweigliedrig“ organisiert. Sie besteht aus dem Jugendhilfeausschuss<br />

und <strong>der</strong> Verwaltung des Jugendamtes (§ 70 Abs.1 SGB VIII).<br />

17 Das bedeutet, dass die Kommune sachlich und finanziell in eigener Verantwortung<br />

handelt und dass sie nur <strong>der</strong> allgemeinen Rechts-, nicht <strong>der</strong> Fachaufsicht <strong>der</strong> staatlichen<br />

Aufsichtbehörde (in NRW: <strong>der</strong> Regierungspräsident bzw. Oberkreisdirektor) untersteht.<br />

Verwaltungsakte, die sie erlässt, werden von <strong>der</strong> erlassenden Behörde selber<br />

(also vom Jugendamt), nicht von <strong>der</strong> übergeordneten Behörde überprüft.


25<br />

Die Verwaltung des Jugendamtes erledigt die Geschäfte <strong>der</strong> laufenden Verwaltung<br />

(§ 70 Abs.3 SGB VIII), <strong>der</strong> Jugendhilfeausschuss dagegen trifft die grundsätzlichen<br />

Entscheidungen (§ 71 Abs.2 und 3 SGB VIII). Der Jugendhilfeausschuss ist ein parlamentarischer<br />

Ausschuss des kommunalen Parlaments, <strong>der</strong> obligatorisch ist, und <strong>der</strong> -<br />

an<strong>der</strong>s als an<strong>der</strong>e parlamentarische Ausschüsse - zu Zweidritteln aus Mitglie<strong>der</strong>n besteht,<br />

die nicht gleichzeitig Abgeordnete sind, son<strong>der</strong>n Repräsentanten von (anerkannten)<br />

freien Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe. Diese werden vom Kommunalparlament gewählt<br />

(§ 71 Abs.1 Nr.2 SGB VIII). Der Jugendhilfeausschuss macht sozusagen die kommunale<br />

Jugendpolitik.<br />

Auch das Landesjugendamt ist eine zweigliedrige Behörde, die aus <strong>der</strong> Verwaltung des<br />

Landesjugendamtes und dem Landesjugendhilfeausschuss besteht (§ 70 Abs.3 SGB<br />

VIII). Die Strukturen entsprechen denen des Jugendamtes (§ 71 Abs.4 und 5 SGB VI-<br />

II).<br />

Die Landesjugendämter sind nicht Kontrollbehörden <strong>der</strong> Jugendämter. Die rechtliche<br />

Kontrolle <strong>der</strong> Jugendämter wird vom Regierungspräsidenten durchgeführt, <strong>der</strong> zur untersten<br />

Stufe <strong>der</strong> Staatsverwaltung gehört.<br />

3. Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

3.1 Allgemeines<br />

Die Jugendhilfe hat in Deutschland die Aufgabe, das Recht eines jeden jungen Menschen<br />

auf För<strong>der</strong>ung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen<br />

und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 1 Abs.3 SGB VIII) in Kooperation mit<br />

den vorrangig hierfür zuständigen Eltern (Art.6 Abs.2 S.1 GG, § 1 Abs.2 SGB VIII) zu<br />

verwirklichen (§ 1 Abs.3 SGB VIII).<br />

Jugendhilfe ist soziale För<strong>der</strong>ung und als solche Teil des Sozialrechts. Deswegen ist<br />

die Jugendhilfe in Buch VIII des SGB geregelt. Ihre Hauptfunktion ist die Herstellung<br />

von Chancengleichheit. Sie soll die Erziehungs- und Entwicklungsbedingungen von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen verbessern und etwa vorhandene strukturelle o<strong>der</strong> individuelle<br />

Defizite ausgleichen sowie dem Entstehen von solchen Defiziten vorbeugen.<br />

Dies geschieht auf verschiedene Arten, die vom bis 1990 geltenden Jugendwohlfahrtsgesetz<br />

(JWG) als Jugendpflege und Jugendfürsorge bezeichnet wurden. Das KJHG<br />

kategorisiert die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe an<strong>der</strong>s, nämlich als „Leistungen“ und „an<strong>der</strong>e<br />

Aufgaben“ (§ 2 SGB VIII), wobei die gesamte Jugendpflege sowie Teile <strong>der</strong> Jugendfürsorge<br />

zu den Leistungen und <strong>der</strong> restliche Teil <strong>der</strong> Jugendfürsorge zu den an<strong>der</strong>en<br />

Aufgaben gehört. Die Leistungen sind echte Sozialleistungen im Sinne des SGB. Bei<br />

Erfüllung <strong>der</strong> Voraussetzungen besteht ein Rechtsanspruch auf sie, <strong>der</strong> allerdings in<br />

<strong>der</strong> Regel geltend gemacht werden muss. Die an<strong>der</strong>en Aufgaben sind rechtsdogmatisch<br />

betrachtet keine Sozialleistungen, weil sie notfalls auch gegen den Willen von<br />

Eltern und Kin<strong>der</strong>n erfüllt werden. Rechtsgeschichtlich sind sie polizeiliche Aufgaben,<br />

die sich seit Geltung des Grundgesetzes als Ausübung des Staatlichen Wächteramtes<br />

(Art. 6 Abs.2 S.2, Abs.3 GG) darstellen. Auch wenn diese an<strong>der</strong>en Aufgaben nicht leisten,<br />

son<strong>der</strong>n eingreifen, geschieht <strong>der</strong> Eingriff nicht mit den Mitteln <strong>der</strong> Polizei, son<strong>der</strong>n<br />

denen <strong>der</strong> sozialen För<strong>der</strong>ung. Das rechtfertigt es, sie auch im SGB anzusiedeln. In<br />

jedem Fall ist das Jugendamt insoweit keine Eingriffsbehörde, als je<strong>der</strong> Eingriff vorher,<br />

ausnahmsweise wenigstens nachher, durch das Familiengericht legitimiert werden<br />

muss.<br />

Das Jugendstrafrecht, geregelt im Jugendgerichtsgesetz (JGG), beinhaltet keine Sozialleistungen<br />

und ist auch kein Teil des Sozialrechts. Es reagiert auf Verhaltensweisen,<br />

die bei Erwachsenen als „strafbare Handlungen“ bezeichnet werden und im<br />

Strafgesetzbuch (StGB) beschrieben sind. Das JGG antwortet aber nicht mit Strafen,<br />

son<strong>der</strong>n mit Erziehungsmaßnahmen und steht daher zwischen dem Jugendhilferecht


26<br />

als Sozialrecht und dem Strafrecht. Seine Sanktionen sind Erziehungsmaßregeln (§§<br />

9-12 JGG), Zuchtmittel (§§ 13-16 JGG) und die Jugendstrafe (§§ 17-18 JGG). Selbst<br />

die Jugendstrafe, die eine echte Strafe ist, ist pädagogisch ausgestaltet und daher eine<br />

Erziehungsmaßnahme. In jedem Jugendstrafverfahren muss die sog. Jugendgerichtshilfe<br />

tätig werden. Diese soll dem Richter dabei helfen, die richtige pädagogische<br />

Sanktion zu finden. Die Jugendgerichtshilfe ist Jugendhilfe und steht deshalb<br />

auch im KJHG (§ 52 SGB VIII, §§ 38, 50 JGG).<br />

Die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe, die von Jugendämtern und Landesjugendämtern<br />

durchzuführen sind, sind im Jugendhilfegesetz genau <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Behörde<br />

zugeordnet (§ 85 SGB VIII). Vereinfacht gesagt machen die Jugendämter die konkrete<br />

Jugendhilfe vor Ort (Abs.1), während die Landesjugendämter mehr planend, för<strong>der</strong>nd,<br />

unterstützend, finanzierend und in wenigen Fällen auch kontrollierend tätig werden<br />

(Abs.2).<br />

3.2 Staatliches Wächteramt<br />

Wie schon erwähnt, erbringen die Jugendämter nicht nur Leistungen, die auf freiwilliger<br />

Basis entgegen genommen werden. Sie sind auch - in Ausführung des Auftrags des<br />

Grundgesetzes - verpflichtet, das staatliche Wächteramt auszuüben. Das SGB VIII<br />

formuliert dies in § 1 III Nr.3, in dem es heißt: „Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des<br />

Rechts nach Abs.1 ... Kin<strong>der</strong> und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen ...“.<br />

Dieser Auftrag steht über dem ganzen SGB VIII. Die wichtigsten Vorschriften in diesem<br />

Bereich sind<br />

- § 8 III (Beratung des Kindes in Krisensituationen ohne Wissen <strong>der</strong> Eltern),<br />

- § 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, insbeson<strong>der</strong>e Anrufung des Familiengerichts<br />

und Einschaltung an<strong>der</strong>er Behörden) und<br />

- § 42 (Inobhutnahme des Min<strong>der</strong>jährigen).<br />

Im Rahmen dieses Auftrags kann sich das Jugendamt weitgehend über den Willen <strong>der</strong><br />

Eltern hinwegsetzen, muss aber in <strong>der</strong> Regel sein Handeln durch das Familiengericht<br />

überprüfen lassen. Die Einzelheiten werden weiter unten dargestellt.<br />

3.3 Leistungserbringung<br />

§ 3 II SGB VIII bestimmt, dass Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe von den Trägern <strong>der</strong> freien<br />

Jugendhilfe und von den Trägern <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe erbracht werden (Satz<br />

1). Leistungsverpflichtungen, die durch das SGB VIII begründet werden, richten sich<br />

aber nur an den Träger <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe (Satz 2), d.h., dass nur er verpflichtet<br />

ist, Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus können seit einigen Jahren auch<br />

sog. privatgewerbliche Träger einbezogen werden.<br />

Hieraus ergeben sich verschiedene rechtliche Konstellationen, je nachdem, ob <strong>der</strong><br />

öffentliche Träger selber o<strong>der</strong> ein freier o<strong>der</strong> ein privatgewerblicher Träger, den <strong>der</strong><br />

Leistungsempfänger bevorzugt, die Leistung erbringen soll. Grundsätzlich hat <strong>der</strong> Leistungsempfänger<br />

bezogen auf öffentliche und freie Träger ein sog. Wunsch- und Wahlrecht<br />

(§ 5 SGB VIII), dem nur in Ausnahmefällen nicht entsprochen werden kann. Einen<br />

privatgewerblichen Träger kann er sich immer suchen, wird ihn aber evtl. entsprechend<br />

teurer bezahlen müssen. Gleich, wer die Leistung im konkreten Fall erbringt<br />

(also Zweier- o<strong>der</strong> Dreierbeziehung), ist in <strong>der</strong> Jugendhilfe (an<strong>der</strong>s als in an<strong>der</strong>en sozialrechtlichen<br />

Beziehungen) zusätzlich das Kind zu berücksichtigen, zu dessen Gunsten<br />

die Leistung erbracht wird (Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB).<br />

Wenn also die Voraussetzungen für eine bestimme Leistung vorliegen, hat <strong>der</strong> Personensorgeberechtigte<br />

einen Anspruch gegen das Jugendamt. Mit diesem schließt es<br />

einen Leistungsvertrag zugunsten des Kindes ab, zu dem er in <strong>der</strong> Rechtsbeziehung<br />

eines Sorgerechtsinhabers als Eltern (§§ 1626 ff. BGB), als Vormund (§§ 1773, 1793<br />

ff. BGB) o<strong>der</strong> als Pfleger (§§ 1909, 1915, 1793 ff. BGB) steht.


27<br />

Erbringt das Jugendamt die Leistung nicht selber, son<strong>der</strong>n durch einen Dritten (freier<br />

o<strong>der</strong> privatgewerblicher Träger), so schließt <strong>der</strong> Personensorgeberechtigte den Vertrag<br />

mit diesem. Der freie o<strong>der</strong> privatgewerbliche Träger erwirbt dadurch einen Kostenerstattungsanspruch<br />

gegen das Jugendamt. Dieser Erwerb tritt aber in <strong>der</strong> Regel nur ein,<br />

wenn das Jugendamt mit dem jeweiligen Träger zuvor eine Leistungs- und Entgeltvereinbarung<br />

getroffen hatte, die auch eine Qualitätsvereinbarung einschließt (§§ 78a ff.<br />

SGB VIII für stationäre Hilfen und § 77 SGB VIII für ambulante Hilfen).<br />

D. Leistungsrecht<br />

I. Rechtsanspruch o<strong>der</strong> objektives Recht (Reflexrecht)<br />

Bei <strong>der</strong> Palette <strong>der</strong> Leistungen kommen verschiedene juristische Formen vor:<br />

- Muss-Leistungen (hat einen Anspruch: z.B. §§ 17, 18, 21, 24 I, 27-35, 35a SGB VIII).<br />

Diese Leistungen sind zu erbringen, wenn die Voraussetzungen, die das Gesetz aufzählt,<br />

erfüllt sind. Werden sie nicht erbracht, können sie eingeklagt werden.<br />

- Soll-Leistungen (z.B. §§ 13, 14, 16, 19, 20, 41 SGB VIII). Diese Leistungen sind im<br />

Regelfall Muss-Leistungen. Lediglich in Ausnahmefällen, die dann die Behörde darzulegen<br />

hat, brauchen sie nicht erbracht zu werden.<br />

- Reflexrechte (§§ 11 I, 24 III SGB VIII). Bei diesen Rechten ist die Behörde verpflichtet,<br />

etwas zu tun, <strong>der</strong> Bürger ist aber nicht berechtigt, es einzuklagen. Die Verpflichtung<br />

<strong>der</strong> Behörde kann durch die Aufsichtsbehörde kontrolliert werden. Darüber hinaus<br />

stehen dem Bürger politische Hilfsmittel zur Seite<br />

- Kann-Leistungen. Dieser Leistungstyp, <strong>der</strong> ansonsten im Sozialrecht sehr verbreitet<br />

ist, kommt im SGB VIII überhaupt nicht vor. Das Jugendamt hat also keinen Ermessensspielraum<br />

in <strong>der</strong> direkten Beziehung zum Bürger.<br />

II. Arten von Leistungen<br />

1. Standardleistungen<br />

1.1 Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit (§§ 11, 12 SGB VIII) 18<br />

§ 11 SGB VIII definiert zwar nicht, was Jugendarbeit ist. Er sagt jedoch,<br />

- was mit ihr erreicht werden soll (För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung durch Befähigung zur<br />

Selbstbestimmung, Hinführung zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem<br />

Engagement),<br />

- wer sie anbietet (Verbände, Gruppen, Initiativen, freie Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe, öffentliche<br />

Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe)<br />

- und in welchen Bereichen sie schwerpunktmäßig stattfindet (außerschulische Bildungsarbeit;<br />

Freizeitgestaltung; För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erziehungsfel<strong>der</strong> Familie, Schule,<br />

Arbeit; internationale Jugendbegegnung; Kin<strong>der</strong>- und Jugen<strong>der</strong>holung; Jugendberatung).<br />

§ 12 SGB VIII verpflichtet die Jugendämter, die Jugendverbandsarbeit, d.h. die Jugendarbeit<br />

freier Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe, zu för<strong>der</strong>n. Es wird auch beschrieben, wodurch<br />

sich Jugendverbandsarbeit auszeichnet: sie ist selbst organisiert, gemeinsam<br />

gestaltet und mitverantwortet. Ob sie sich irgendwie auf höherer Ebene zusammenschließt<br />

o<strong>der</strong> nicht, spielt keine Rolle. Die wichtigste Organisation <strong>der</strong> deutschen Jugendverbandsarbeit<br />

ist <strong>der</strong> Deutsche Bundesjugendring (DBJR) und die Landesjugendringe.<br />

18 Vgl. hierzu Wiesner / Struck §§ 11, 12; Kunkel / Steffan §§ 11, 12


28<br />

Weiter Details sind in den Landesgesetzen geregelt (§ 15 SGB VIII). In NRW ist dies<br />

vor allem das Gesetz zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendarbeit, <strong>der</strong> Jugendsozialarbeit und des<br />

erzieherischen Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutzes (Kin<strong>der</strong>- und Jugendför<strong>der</strong>ungsgesetz - 3.<br />

AG-KJHG - KJFöG) v. 12.10.2004 19 .<br />

1.2 Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) 20<br />

§ 13 SGB VIII verpflichtet die deutschen Jugendämter zur Jugendsozialarbeit, d.h. zu<br />

Angeboten, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen o<strong>der</strong> zur Überwindung individueller<br />

Beeinträchtigungen junger Menschen dienen und darauf abzielen, die schulische<br />

und berufliche Ausbildung sowie Einglie<strong>der</strong>ung in die Arbeitswelt dieses Personenkreises<br />

zu för<strong>der</strong>n. Hilfen in diesem Bereich stoßen sehr schnell auf ihre rechtlichen<br />

Grenzen, die sich aus den Kompetenzen <strong>der</strong> Arbeits- und <strong>der</strong> Schulverwaltung ergeben.<br />

Diese haben in jedem Fall Vorrang (§ 10 I SGB VIII). Trotzdem bleibt ein Restbereich,<br />

sowohl unter dem Blickwinkel des Personenkreises als auch unter dem von Arten<br />

<strong>der</strong> Hilfen. Junge Menschen, die nicht unter den Anwendungsbereich des SGB II<br />

(Grundsicherung) fallen, haben Anspruch nach § 13 SGB VIII. Es sind dies junge Menschen,<br />

die nicht erwerbsfähig sind, 25 Jahre alt sind o<strong>der</strong> aus dem Anwendungsbereich<br />

des SGB II ausgeschlossen sind, weil sie länger als 6 Monate stationär untergebracht,<br />

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen o<strong>der</strong> als Auslän<strong>der</strong><br />

keine Arbeiterlaubnis erhalten können. Eindeutig unter den Anwendungsbereich<br />

des § 13 fallen auch die gesamte Schulsozialarbeit und alle Hilfen zur schulischen<br />

Ausbildung.<br />

Die Aufgabe von Schulsozialarbeit ist es, die im schulischen Alltag ggfs. vernachlässigten<br />

persönlichen Stärken junger Menschen zur Geltung zu bringen, die Persönlichkeitsentwicklung<br />

im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung zu stärken, die sozialen<br />

Kompetenzen zu verbessern und den Bildungsprozess im engeren Sinne ergänzend<br />

zu för<strong>der</strong>n. Dies geschieht in Form von Gruppenarbeit, Beratung (auch von Eltern und<br />

Lehrpersonal, sozialpädagogischer Einzelfallhilfe und Elternarbeit in Projekten und<br />

offenen, gemeinwesenorientierten Angeboten. 21<br />

Wegen <strong>der</strong> Details kann wie<strong>der</strong> auf das Landesrecht verwiesen werden, in NRW auf<br />

das KJFöG 22 .<br />

1.3 Erzieherischer Jugendschutz (§ 14 SGB VIII) 23<br />

Im deutschen Recht wird zwischen erzieherischem und damit prophylaktischem Jugendschutz<br />

und repressivem Jugendschutz unterschieden. Ersterer ist in § 14 SGB VIII<br />

geregelt. Adressaten sind die jungen Menschen und die Erziehungsberechtigten. Es<br />

handelt sich um eine Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe. Der repressive Jugendschutz ist geregelt<br />

im JuSchG v. 23.7.2002 24 und ist eine polizeiliche Aufgabe. Er betrifft den Schutz<br />

<strong>der</strong> Jugend in <strong>der</strong> Öffentlichkeit und den Schutz <strong>der</strong> Jugend beim Gebrauch von Medien.<br />

In <strong>der</strong> Praxis wird im repressiven Jugendschutz oftmals eine Beteiligung <strong>der</strong> sozialen<br />

Arbeit an <strong>der</strong> polizeilichen Arbeit praktiziert, in- dem eine Polizeistreife und ein<br />

Sozialarbeiter gemeinsam abends durch die Zentren <strong>der</strong> Städte, Gaststätten, Discos<br />

etc. gehen.<br />

19 GV.NRW S.572<br />

20 Vgl. hierzu Wiesner / Struck § 13; Kunkel / Nonninger § 13<br />

21 Kunkel/ Nonninger § 13 Anm. 16 und 17<br />

22 S.o. FN 18<br />

23 Vgl. hierzu Wiesner / Struck § 14; Kunkel / Schwaab § 14<br />

24 BGBl. I S. 2730; 2003 S. 476; 2004 I, S. 1857, 2228, 2570, 2600


29<br />

Auch hier wird wegen <strong>der</strong> Einzelheiten auf das Landesrecht, in NRW auf das KJFöG 25<br />

verwiesen.<br />

1.4 För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erziehung in <strong>der</strong> Familie (§§ 16 - 21 SGB VIII) 26<br />

Das SGB VIII umfasst eine ganze Palette von Angeboten, die teils allgemeiner Natur<br />

(Bildungsarbeit, allgemeine Beratung, Familienfreizeit, Familienerholung, § 16), teils<br />

spezieller Natur, d.h. auf bestimme Problemsituationen zugeschnitten, sind (Konfliktbewältigung<br />

in <strong>der</strong> Familie, Trennung und Scheidung, § 17; Schwierigkeiten allein erziehen<strong>der</strong><br />

Elternteile, § 18; erziehungsunreife Elternteile, § 19; Betreuung und Versorgung<br />

von Kin<strong>der</strong>n in Notsituationen, § 20; Eltern mit ständigem berufsbedingtem Ortswechsel,<br />

§ 21). Vor allem die Beratung allein erziehen<strong>der</strong> Elternteile 27 und die Trennungs-<br />

und Scheidungsberatung nimmt in <strong>der</strong> Praxis einen großen Raum ein.<br />

Wenn bei Gericht ein Scheidungsantrag 28 eingegangen ist und das Ehepaar min<strong>der</strong>jährige<br />

Kin<strong>der</strong> hat, ist das Gericht verpflichtet, das Jugendamt zu informieren (§ 17 III<br />

SGB VIII). Dieses macht dann den Eltern ein Beratungsangebot. Das Ziel dieser Beratung<br />

besteht darin, dafür Sorge zu tragen, dass das Kind im Rechtstreit <strong>der</strong> Erwachsenen<br />

nicht übersehen wird. Unter angemessener Einbeziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> soll ein einvernehmliches<br />

Konzept für die Wahrnehmung <strong>der</strong> elterlichen Sorge erarbeitet werden<br />

(§ 17 II SGB VIII). Dies muss keine fortgesetzte gemeinsame Sorge <strong>der</strong> Eltern beinhalten,<br />

jedoch eine Regelung, die beide Eltern im Interesse des Kindes mittragen können.<br />

Bei <strong>der</strong> Beratung allein erziehen<strong>der</strong> Elternteile geht es oftmals um den Unterhalt, den<br />

<strong>der</strong> nicht Obhutberechtigte und damit bar unterhaltspflichtige Elternteil zu zahlen hat<br />

(§§ 1601 ff., 1612a BGB), o<strong>der</strong> um die Ausübung des Umgangsrechts (§ 1684 BGB).<br />

Obwohl die beiden Dinge rechtlich nichts miteinan<strong>der</strong> zu tun haben, sind die unterhaltsberechtigten<br />

Elternteile oftmals nicht bereit, Umgang ohne Unterhaltszahlungen zu<br />

gewähren, und die unterhaltspflichtigen Elternteile glauben, das Kind mit den Unterhaltszahlungen<br />

„gekauft“ zu haben.<br />

1.5 Tageseinrichtungen und Tagespflege (§§ 22-26 SGB VIII) 29<br />

Das KJHG nennt an Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen Kin<strong>der</strong>gärten und Horte ausdrücklich<br />

und spricht im Übrigen von „an<strong>der</strong>en Einrichtungen, in denen sich Kin<strong>der</strong> für einen Teil<br />

des Tages o<strong>der</strong> ganztags aufhalten“ (§ 22 SGB VIII). Mit an<strong>der</strong>en Einrichtungen sind<br />

insbeson<strong>der</strong>e Krippen (Säuglinge) und Krabbelstuben (Kin<strong>der</strong> bis 3 Jahre), aber genauso<br />

altersübergreifende Einrichtungen gemeint. - Gleichwertig neben den Tageseinrichtungen<br />

steht die Tagespflegeperson (§ 23 SGB VIII), die weiblich o<strong>der</strong> männlich<br />

sein kann, aber in <strong>der</strong> Praxis eher eine „Tagesmutter“ ist. Sie kann in eine an<strong>der</strong>e Familie<br />

gehen o<strong>der</strong> auch das Kind in ihrem eigenen Haushalt betreuen. Auf einen Kin<strong>der</strong>gartenplatz<br />

besteht ab dem vollendeten dritten Lebensjahr ein Rechtsanspruch (§ 24 I<br />

SGB VIII). Die Details in diesem Bereich regelt Landesrecht, das flächendeckend eigene<br />

Gesetze für diesen Sektor geschaffen hat, die teilweise <strong>der</strong> Jugendhilfe (z.B. NRW<br />

25 S.o. FN 18<br />

26 Vgl. hierzu Wiesner / Struck §§ 16-21; Kunkel / Kunkel / Mix-Strzoda §§ 16-21<br />

27 Nach dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes gab es 2003 von den insgesamt<br />

14.864 Mio. Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen unter 18 Jahren 2.178 Mio. Kin<strong>der</strong> (=<br />

14,65 %) mit allein erziehenden Elternteilen<br />

28 Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es 2005 207.700 Scheidungen<br />

und 388.451 Eheschließungen, somit eine Scheidungsrate von 51,9 %. Von den<br />

Scheidungen waren 156.389 Kin<strong>der</strong> betroffen.<br />

29 Vgl. hierzu Wiesner / Struck §§ 22-26; Kunkel / Klinger §§ 22-26


30<br />

mit seinem Zweiten Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zur Neuordnung des KJHG<br />

- Gesetz über Tageseinrichtungen für Kin<strong>der</strong> v. 29.10.1991 30 ), teilweise dem Bildungsbereich<br />

zuzuordnen sind (z.B. das Bayerische Kin<strong>der</strong>gartenG vom 25.7.1972, GVBl.<br />

S. 297). In NRW bahnt sich zurzeit eine Entwicklung an, bei <strong>der</strong> die Horte nach und<br />

nach verschwinden und durch Einrichtung sog. Offener Ganztagsschulen (OGS) ersetzt<br />

werden. Dies findet seine Rechtsgrundlage im Schulgesetz von NRW. Auf bundespolitischer<br />

Ebene wird zurzeit darum gerungen, die Anzahl <strong>der</strong> Tageseinrichtungsplätze<br />

für Kin<strong>der</strong> unter drei Jahren drastisch zu erhöhen.<br />

1.6 Hilfe zur Erziehung (§§ 27 - 35, 36 - 40 SGB VIII) 31<br />

1.6.1 Allgemeines<br />

Die Hilfe zur Erziehung umfasst ein breites Spektrum von ambulanten und stationären<br />

erzieherischen Hilfen, die nicht einmal abschließend (vgl. das Wort „insbeson<strong>der</strong>e“ in<br />

§ 27 Abs.2) vom SGB VIII aufgezählt sind. Das Gesetz listet sozusagen nur die „Prototypen“<br />

auf, die zum Standardrepertoire jedes Jugendamtes zu gehören haben. Abhängig<br />

ist die Gewährung aller Hilfen (§ 27 Abs.1) von<br />

- einem erzieherischen Defizit („eine dem Wohl des Kindes o<strong>der</strong> Jugendlichen entsprechende<br />

Erziehung ist nicht gewährleistet“-Umkehrschluss aus § 1 I SGB VIII),<br />

- <strong>der</strong> Geeignetheit und Notwendigkeit <strong>der</strong> Hilfe sowie<br />

- <strong>der</strong> Zustimmung des Personensorgeberechtigten (wobei diese ggfs. dadurch herbeigeführt<br />

werden kann, dass ein Personensorgeberechtigter vom Gericht -<br />

§ 1666 BGB - durch einen an<strong>der</strong>en Personensorgeberechtigten ersetzt wird).<br />

Als ambulante Hilfen nennt das SGB VIII<br />

- die Erziehungsberatung (§ 28)<br />

- die soziale Gruppenarbeit (§ 29)<br />

- die Erziehungsbeistandschaft und Betreuungshilfe (§ 30)<br />

- die sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31).<br />

- die Erziehung in einer Tagesgruppe o<strong>der</strong> Tagespflegestelle (§ 32) - auch als teilstationäre<br />

Hilfe bezeichnet.<br />

Als stationäre Hilfen sieht das SGB VIII vor<br />

- die Vollzeitpflege (§ 33)<br />

- die Erziehung in einer Einrichtung o<strong>der</strong> sonstigen betreuten Wohnform (§ 34)<br />

- die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35).<br />

Die Adoption ist zwar auch Jugendhilfe, aber keine Hilfe zur Erziehung, und ist auch<br />

nicht im SGB VIII, son<strong>der</strong>n in einem Nebengesetz, dem Adoptionsvermittlungsgesetz<br />

(AdVermiG) geregelt. Sie kommt aber im SGB VIII immer wie<strong>der</strong> vor, wenn es um die<br />

Überlegung geht, ob eine Fremdunterbringung die Situation des Kindes hinreichend<br />

verbessern kann o<strong>der</strong> ob „mehr“ geschehen muss. Sie wird daher separat unter 6.4<br />

behandelt.<br />

Das SGB VIII nennt in den §§ 28-35 keine Voraussetzungen (Indikationen) für die Wahl<br />

<strong>der</strong> einzelnen Hilfe, es beschreibt jedoch<br />

- die möglichen Adressaten <strong>der</strong> Hilfe,<br />

- die Ziele, die mit <strong>der</strong> Hilfe erreicht werden können und<br />

- methodische Aspekte <strong>der</strong> Hilfe.<br />

30 S.o. FN 11<br />

31 Vgl. hierzu Wiesner / Wiesner §§ 27-40; Kunkel / Nonninger / Götze §§ 27-40


31<br />

Bei <strong>der</strong> Hilfe in Form einer Fremdunterbringung ist<br />

- primäres Ziel die Rückführung des Kindes/ Jugendlichen<br />

- wenn dies nicht zu verwirklichen ist, die Adoption des Kindes/ Jugendlichen<br />

- wenn die nicht in Betracht kommt, die Dauerunterbringung in einer Pflegefamilie<br />

- äußerstenfalls die dauernde Unterbringung in einer Einrichtung, wobei familienähnliche<br />

Strukturen Vorrang haben<br />

Die Jugendämter sind verpflichtet, mit den leiblichen Eltern zu arbeiten, um diese (wie<strong>der</strong>)<br />

erziehungsfähig zu machen (§ 37 Abs.1 S. 2,3). Sie sind ebenso verpflichtet, Pflegefamilien<br />

zu werben, zu schulen und zu betreuen (§§ 2 Abs.2 Nr.4, 33). Ist ein Kind in<br />

einer Pflegefamilie untergebracht, kann diese - trotz zivilrechtlicher Unterhaltspflicht <strong>der</strong><br />

leiblichen Eltern, §§ 1601 ff. BGB - u. U. Pflegegeld erhalten (§ 39), das aus einem<br />

Unterhaltsteil für das Kind und einem Erziehungsbeitrag für die Pflegeeltern besteht.<br />

1.6.2 Ambulante Hilfen<br />

a) Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII) 32<br />

In <strong>der</strong> deutschen Jugendhilfe sprechen wir von funktionaler Erziehungsberatung, d.h.<br />

einer Beratung als Bestandteil aller erzieherischen Hilfen und Angebote, und institutioneller<br />

Erziehungsberatung auf <strong>der</strong> Grundlage des § 28 SGB VIII. Jedenfalls hat Erziehungsberatung<br />

die Aufgabe, bei Fragen, Konflikten und Krisen in <strong>der</strong> Erziehung von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen stabilisierend zu wirken und Gefährdungen und Störungen<br />

in <strong>der</strong> seelischen Entwicklung <strong>der</strong> jungen Menschen zu klären und zu behandeln. Sie<br />

ist auch schon präventiv als generell för<strong>der</strong>ndes Angebot einzusetzen (§ 16 SGB VIII).<br />

b) Soziale Gruppenarbeit (§ 29 SGB VIII ) 33<br />

Darunter verstehen wir unterschiedlichste gruppenpädagogische Angebote für ältere<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche wie z.B. soziale Trainingskurse, Übungs- und Erfahrungskurse,<br />

Erziehungskurse, Stützkurse usw. Methodisch inhaltlich wird hier mit verschiedenen<br />

Ansätzen gearbeitet, worunter vor allem <strong>der</strong> handlungs- und erlebnisorientierte und <strong>der</strong><br />

verbal-themenorientierte herausragen. Ziel ist <strong>der</strong> Erwerb größerer Selbständigkeit, die<br />

Reduzierung von Konflikten in Familie und Schule, die Überwindung von Verhaltensproblemen.<br />

c) Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII) 34<br />

Im SGB VIII meinen die beiden Begriffe, die aus unterschiedlichen Rechtsgebieten<br />

(JWG und JGG) stammen, dasselbe, nämlich einen pädagogischen Helfer, <strong>der</strong> einen<br />

jungen Menschen, ohne dass er sein familiales Umfeld verlassen muss, bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />

von Entwicklungsproblemen unterstützt und seine Verselbständigung för<strong>der</strong>t.<br />

An<strong>der</strong>s als die soziale Gruppenarbeit ist die Erziehungsbeistandschaft eher eine individuelle<br />

Hilfe, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Helfer in die Familie hinein geht. Die Familie und das sonstige<br />

soziale Umfeld wird somit in die Arbeit mit einbezogen. Ursprünglich kam diese Hilfe<br />

aus dem ehrenamtlichen Sektor, inzwischen wir sie jedoch fast nur noch von pädagogisch<br />

geschulten Fachkräften durchgeführt.<br />

32 Institutionelle Erziehungsberatung ist 2004 in 304.972 Fällen geleistet worden.<br />

33 Statistisch werden die Hilfe b) und c) als „Betreuung einzelner junger Menschen“<br />

zusammen gefasst. 2004 waren es 24.840 Fälle.<br />

34 S. Fußnote 27.


32<br />

d) Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII) 35<br />

Darunter versteht man eine Sozialleistung, bei <strong>der</strong> eine pädagogisch geschulte Person<br />

für eine bestimmte Zeit (z.B. ein halbes Jahr) regelmäßig (z.B. viermal die Woche vier<br />

Stunden) in die Familien geht und die Eltern bei <strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und beim<br />

Wirtschaften und Organisieren des Haushaltes systematisch anleitet. Primäres Ziel<br />

einer solchen Hilfe ist es, zu verhin<strong>der</strong>n, dass die Kin<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Familie herausgenommen<br />

werden müssen. Diese Art <strong>der</strong> Hilfe grenzt ihrer Intensität nach und wie sie<br />

von den Betroffenen empfunden wird schon stark an einen Eingriff. Umgekehrt darf bei<br />

den Betroffenen nicht <strong>der</strong> Eindruck entstehen, es handele sich um eine Haushaltshilfe.<br />

Vom Ansatz her kam diese Hilfe ursprünglich ehe für kin<strong>der</strong>reiche Familien in betracht.<br />

Inzwischen wird sie jedoch auch sehr häufig für allein erziehende Elternteile gewährt.<br />

e) Tagesgruppe/ Tagespflegestelle (§ 32 SGB VIII) 36<br />

Diese Art <strong>der</strong> Hilfe steht zwischen ambulanten und stationären Hilfen. Sie ist ein Zwitter.<br />

Sie ist eine Alternative zu Heim und Vollzeitpflege (§§ 33, 34 SGB VIII). Statt die<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen ganz aus den Familien herauszunehmen, bleiben sie grundsätzlich<br />

in ihren Familien und werden nur tagsüber von einer Einrichtung o<strong>der</strong> einer<br />

Pflegefamilie aus versorgt und pädagogisch betreut. Diese Hilfe weist eine gewisse<br />

Ähnlichkeit mit Tageseinrichtungen (§ 22 SGB VIII) und Tagespflege (§ 23 SGB VIII)<br />

auf, setzt aber - an<strong>der</strong>s als diese - bereits ein zumindest drohendes erzieherisches<br />

Defizit voraus, was mit intensiveren pädagogischen Mitteln, z.B. heilpädagogischen,<br />

bekämpft werden muss.<br />

§ 28<br />

Erziehungsberatung<br />

Adressat Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

Eltern<br />

an<strong>der</strong>e Erziehungsberechtigte<br />

Ziel Unterstützung<br />

- bei <strong>der</strong> Klärung und<br />

Bewältigung individueller<br />

und familienbezogener<br />

Probleme<br />

und <strong>der</strong> zugrundeliegenden<br />

Faktoren<br />

- bei Trennung und<br />

Scheidung<br />

Methode Zusammenwirken von<br />

Fachkräften<br />

Hilfen zur Erziehung<br />

1. Ambulante Hilfen<br />

außerhalb <strong>der</strong> Familie innerhalb <strong>der</strong> Familie<br />

§ 29<br />

Soziale Gruppenarbeit<br />

ältere Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

- Hilfe bei <strong>der</strong> Überwachung<br />

von Entwicklungsschwierigkeiten<br />

und Verhaltensproblemen<br />

- För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung<br />

gruppenpädagogische<br />

Konzepte; soziales<br />

Lernen in <strong>der</strong> Gruppe<br />

35 2004 ist in 27.413 Fällen SpFH geleistet worden.<br />

§ 30<br />

Erziehungsbeistand<br />

Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

- Unterstützung bei <strong>der</strong><br />

Bewältigung von Entwicklungsproblemen<br />

- För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verselbstständigung<br />

Einbeziehung des sozialen<br />

Umfelds;<br />

Erhaltung des Lebensbezugs<br />

zur Familie<br />

§ 31<br />

Sozialpädagogische<br />

Familienhilfe<br />

Familien<br />

- Unterstützung in den<br />

Erziehungsaufgaben,<br />

bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />

von Alltagsproblemen,<br />

bei <strong>der</strong> Lösung von<br />

Konflikten und Krisen,<br />

im Kontakt mit Ämtern<br />

und Institutionen<br />

- Befähigung zur<br />

Selbsthilfe<br />

längere Dauer;<br />

Mitarbeit <strong>der</strong> Familie<br />

36 Im Jahr 2004 erhielten 22.269 Min<strong>der</strong>jährige diese Hilfe, davon 20.810 in einer Einrichtung,<br />

die an<strong>der</strong>en in einer Familie.


1.6.3 Stationäre Hilfen<br />

a) Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) 37<br />

33<br />

Bei dieser Hilfe wird das Kind in einer fremden Familie untergebracht, wobei fremd<br />

meint, dass das Kind nicht bei o<strong>der</strong> mit leiblichen Elternteilen lebt. Daher ist handelt es<br />

sich auch bei Großeltern o<strong>der</strong> älteren Geschwistern um eine fremde Familie und somit<br />

eine Pflegefamilie. Es ist grundsätzlich nicht Voraussetzung, dass diese Familie spezielle<br />

pädagogische Qualitäten hat. Wenn jedoch für das Kind beson<strong>der</strong>er pädagogischer<br />

Bedarf besteht, so gibt es die Möglichkeit, es in eine spezielle Pflegefamilie zu<br />

geben. Solche Pflegefamilien tragen regional unterschiedliche Namen, z. B. heilpädagogische<br />

Pflegestellen, Erziehungsstellen, Erziehungsfamilien etc. In diesen hat zumindest<br />

einer <strong>der</strong> Elternteile eine pädagogische Ausbildung.<br />

b) Heim (§ 34 Alt.1 SGB VIII) 38<br />

Heime sind Institutionen, in denen Kin<strong>der</strong> und Jugendliche ihren Lebensmittelpunkt<br />

haben. Sie ersetzen in <strong>der</strong> Regel nur die Familie, nicht dagegen an<strong>der</strong>e Funktionen wie<br />

z.B. die Schule. Die Heimerziehung, die früher oft ein pädagogischer Horror war, verfolgt<br />

heute mo<strong>der</strong>ne Prinzipien, wozu u. a. gehören:<br />

- familienähnliche Strukturen hinsichtlich Größe, Alterszusammensetzung und Zuordnung<br />

zu Erziehern<br />

- neue Formen <strong>der</strong> Differenzierung (dezentrale Wohngruppen unterschiedlicher Größe<br />

in alltags- o<strong>der</strong> therapeutisch orientierten Settings)<br />

- Regionalisierung (Vermeidung räumlicher Distanz zwischen Einrichtung und Elternhaus)<br />

- Vernetzung stationärer und offener Angebote, Sozialraumorientierung<br />

- Vermeidung von Heimunterbringung bei Säuglingen und Kleinkin<strong>der</strong>n.<br />

Obwohl in <strong>der</strong> Regel die Unterbringung eines Kindes in einer Familie besser ist als die<br />

in einem Heim, wird es auch künftig Heime geben müssen, weil bestimmte Kin<strong>der</strong> nicht<br />

in fremden Familien untergebracht werden können (z.B. nicht familienfähig, nur vorübergehende<br />

Unterbringung etc.). Dies ist in <strong>der</strong> Fachwelt wohl unstreitig.<br />

Streitig ist dagegen, ob es eine geschlossene Unterbringung geben muss. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />

pädagogischer Ausrichtung <strong>der</strong> Heime wurde die freiheitsentziehende Unterbringung<br />

als pädagogische Kapitulation angesehen und vermieden. Inzwischen ist die<br />

Diskussion aber wie<strong>der</strong> neu entbrannt im Blick auf massenhaft Delikte begehende strafunmündige<br />

Kin<strong>der</strong> (also unter 14 Jahren) und im Blick auf extrem gewaltbereite junge<br />

Menschen. Wenn für letztere als Alternative nur Jugendstrafvollzug o<strong>der</strong> Jugendpsychiatrie<br />

droht, dann ist vielleicht geschlossene Unterbringung in Heimen die weniger<br />

schädliche Alternative.<br />

Die Diskussion ist in Deutschland noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber ist bei<br />

seiner bisherigen Position geblieben und verlangt für eine freiheitsentziehende Maßnahme<br />

weiterhin eine Genehmigung des Familiengerichts (§ 1631b BGB). Dies gilt<br />

allerdings nicht für dem Alter entsprechende Freiheitsbeschränkungen.<br />

37 2004 erhielten 58.134 Min<strong>der</strong>jährige diese Hilfe. 10.353 davon waren bei Großeltern<br />

o<strong>der</strong> sonstigen Verwandten, 47.781 in fremden Familien.<br />

38 2004 waren 90.202 junge Menschen in Heimerziehung.


34<br />

2. Stationäre Hilfen<br />

teilstationär stationär<br />

familial / instituti<br />

ll<br />

§ 32<br />

Tagesgruppe<br />

Familienpflege<br />

Adressat Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

Ziel - Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Entwicklung<br />

- Sicherung des<br />

Verbleibs in <strong>der</strong><br />

Familie<br />

Methode soziales Lernen<br />

in <strong>der</strong> Gruppe;<br />

Begleitung <strong>der</strong><br />

schulischen För<strong>der</strong>ung;<br />

Elternarbeit<br />

familial institutionell<br />

§ 33<br />

Vollzeitpflege<br />

Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

- zeitlich befristete<br />

Erziehungshilfe<br />

o<strong>der</strong><br />

- auf Dauer angelegte<br />

Lebensform<br />

Berücksichtigung<br />

von<br />

● Alter<br />

● Entwicklungsstand<br />

● persönlichen<br />

Bindungen<br />

● Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Verbesserung <strong>der</strong><br />

Erziehungsbedingungen<br />

in <strong>der</strong><br />

Herkunftsfamilie<br />

c) Sonstige betreute Wohnform (§ 34 Alt.2 SGB VIII) 39<br />

§ 34<br />

Heim, sonstige<br />

betreute Wohnform<br />

Kin<strong>der</strong><br />

Jugendliche<br />

- För<strong>der</strong>ung in Entwicklung<br />

- Zukunftsplanung<br />

● Anstreben <strong>der</strong> Rückkehr<br />

in die Familie<br />

o<strong>der</strong><br />

● Vorbereitung <strong>der</strong> Erziehung<br />

in an<strong>der</strong>er<br />

Familie<br />

o<strong>der</strong><br />

● Vorbereitung auf selbst<br />

ständiges Leben<br />

- Verbindung von Alltagserleben<br />

und pädagogischen<br />

und therapeutischen<br />

Angeboten<br />

- Berücksichtigung von<br />

● Alter<br />

● Entwicklungsstand<br />

● Möglichkeiten <strong>der</strong> Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Erziehungsbedingungen<br />

in<br />

<strong>der</strong> Herkunftsfamilie<br />

ambulant<br />

o<strong>der</strong> stationär<br />

§ 35<br />

Intensive<br />

sozialpädagogische<br />

Einzelbetreuung<br />

Jugendliche<br />

Unterstützung zur<br />

sozialen Integration<br />

und eigenverantwortlichen<br />

Lebensführung<br />

auf längere Dauer<br />

angelegt;<br />

Berücksichtigung von<br />

individuellen Bedürfnissen<br />

Der Begriff ist vom Gesetzgeber absichtlich offen gewählt, damit sich weitere Formen<br />

stationärer Unterbringung unbefangen darunter subsumieren lassen und sich weitere<br />

entwickeln können. In <strong>der</strong> deutschen „Jugendhilfelandschaft“ finden sich folgende Institutionen:<br />

- betreute selbständige Wohngemeinschaften (WG)<br />

- betreutes Einzelwohnen<br />

- Kin<strong>der</strong>- und Jugenddörfer<br />

- Kin<strong>der</strong>häuser<br />

- Kin<strong>der</strong>schutzzentren, soweit sie nicht <strong>der</strong> Krisenintervention dienen<br />

- evtl. Internate 40<br />

39<br />

2004 waren 11.729 junge Menschen in einer Wohngemeinschaft untergebracht und<br />

4.720 in einer eigenen Wohnung.<br />

40<br />

vgl. OVG Brandenburg JAmt 2001, 597; Schleswig-Holsteinisches VerwG, SchlHA<br />

2003, 173


d) Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) 41<br />

35<br />

Diese in Kurzform InspE genannte Hilfe soll <strong>der</strong> letzte Rettungsanker für die jungen<br />

Menschen sein, die sich durch keine <strong>der</strong> traditionellen Hilfsangebote mehr erreichen<br />

lassen. Es sind dies z.B. Jugendliche aus dem Drogen- und Prostituiertenmilieu, Trebegänger,<br />

Punks, obdachlose Jugendliche etc. Bei dieser Hilfe handelt es sich nicht<br />

um eine Form geschlossener Unterbringung, son<strong>der</strong>n um eine Alternative zu Freiheit<br />

entziehenden Maßnahmen und zur Unterbringung in Einrichtungen <strong>der</strong> Psychiatrie.<br />

Zur inhaltlichen Ausgestaltung sagt das Gesetz gar nichts. Wichtigstes Kriterium ist<br />

jedoch die Intensität. Dazu gehört u. a. 42 ein fundiertes Konzept, permanente Reflexion<br />

des Hilfeprozesses, Einbindung des Betreuers in eine kollegiale Leistung mit bewusst<br />

konzeptioneller und fachlicher Orientierung (Team, Fachberatung, Supervision) sowie<br />

gründliche Dokumentation. Hinsichtlich <strong>der</strong> äußeren Ausgestaltung lässt sich lediglich<br />

sagen, dass sie kaum im Elternhaus, an<strong>der</strong>erseits auch kaum in einer Notschlafstelle<br />

durchgeführt werden kann. Im Normalfall lebt <strong>der</strong> junge Mensch in angemietetem Zimmer<br />

ergänzt o<strong>der</strong> ersetzt durch erlebnispädagogische Maßnahmen. Die Hilfestellung ist<br />

lebenswelt- und ganzheitlich orientiert.<br />

43 44<br />

1.7 Adoptionsvermittlung<br />

Bei dem Rechtsinstitut <strong>der</strong> Adoption muss man den Vorgang <strong>der</strong> Adoptionsvermittlung<br />

von <strong>der</strong> zivilrechtlichen Statusän<strong>der</strong>ung unterscheiden. Die unter 1.1 – 1.6 aufgezählten<br />

Hilfen zur Erziehung haben keinen Statuswechsel zur Folge. Im extremsten Fall<br />

(Fremdunterbringung) ist mit ihnen zwar die Herausnahme des Kindes aus seiner Ursprungsfamilie<br />

verknüpft, aber die Zuordnung des Kindes zu seinen Eltern än<strong>der</strong>t sich<br />

nicht. An<strong>der</strong>s ist dies bei <strong>der</strong> Adoption, jedenfalls wenn es sich nicht um eine Stiefkindadoption<br />

handelt. Zivilrechtlich erhalten die Pflegepersonen o<strong>der</strong> Institutionen nur minimale<br />

Rechte („kleines Sorgerecht“: § 1688 BGB und evtl. Teile <strong>der</strong> elterlichen Sorge:<br />

§ 1630 III BGB sowie ein nachträgliches Umgangsrecht: § 1685 BGB)<br />

Bei <strong>der</strong> Stiefkindadoption wird ein Elternteil ausgewechselt. Da <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e leibliche<br />

Elternteil erhalten bleibt, ist keine Vermittlung durchzuführen. Ähnlich ist es mit Verwandtenadoptionen:<br />

da sich Verwandte als Eltern für das Kind anbieten, ist eine Vermittlungstätigkeit<br />

– jedenfalls eine im traditionellen Sinn, bei <strong>der</strong> man Eltern für ein Kind<br />

sucht – nicht nötig. In beiden Fällen geht es nur um die Statusän<strong>der</strong>ung, die allerdings<br />

- zumindest formal – mit einer gewissen Kontrolle im Interesse des Kindes durch das<br />

Gericht verknüpft ist.<br />

Wenn es sich dagegen um eine Fremdadoption handelt, ist die Vermittlung des Kindes<br />

eine echte Jugendhilfeleistung. Sie ist nicht im Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz, son<strong>der</strong>n<br />

in einem eigenständigen Gesetz, dem Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG) geregelt.<br />

Allerdings spricht das SGB VIII an verschiednen Stellen davon, dass in <strong>der</strong> Hilfeplanung<br />

in Betracht zu ziehen ist, dass eine Adoption für das Kind die beste Lösung<br />

sein könnte (z.B. § 36 I 2 und § 37 I 4). Die Adoptionsvermittlung ist den Jugendämtern<br />

und freien Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe vorbehalten, die Adoptionsvermittlungsstellen<br />

unterhalten, die bestimmten fachlichen Anfor<strong>der</strong>ungen entsprechen (§ 2 AdVermiG).<br />

Ihre Aufgabe besteht darin, für das Kind, das faktisch keine Eltern hat, die bestmögli-<br />

41<br />

2004 waren 4.618 Min<strong>der</strong>jährige in InspE<br />

42<br />

Wiesner § 35 Rn. 11<br />

43<br />

Hierzu Wiesner/ Oberloskamp Anhang III (Adoptionsvermittlungsgesetz)<br />

44 2004 sind 5.064 Adoptionen ausgesprochen worden (zum <strong>Vergleich</strong>: 10 Aufhebungen).<br />

In 377 Fällen (7 %) waren die Annehmenden mit dem Kind verwandt, in 2787<br />

Fällen war es eine Stiefkindadoption (55 %) und nur in 1900 Fällen (37,5 %) eine<br />

echte Fremdadoption (politisches Ziel <strong>der</strong> Adoption: elternlosen Kin<strong>der</strong>n Eltern zu<br />

verschaffen). Es waren am Jahresende 9.984 Adoptionsbewerber und 878 Min<strong>der</strong>jährige<br />

zur Adoption vorgemerkt, d.h. auf jedes Kind kamen 11 Bewerber.


36<br />

chen Eltern zu finden (nicht umgekehrt). Dies setzt voraus, dass die Bedürfnisse des<br />

Kindes und das, was die Bewerber zu bieten haben, verglichen werden und beide zusammen<br />

gebracht werden, wenn ihre Bedürfnisse kompatibel sind. In jedem Fall steht<br />

das Kindeswohl an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> zu verfolgenden Ziele (§ 1741 I 1 BGB). Das Erfüllen<br />

<strong>der</strong> zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine Adoption, die Status verän<strong>der</strong>nd ist, ist<br />

ein Bestandteil dieser Prüfung.<br />

Die zivilrechtlichen Voraussetzungen sind:<br />

- Mindestalter: Vollendung des 25. Lebensjahres, bei Ehepaaren des 25./21. Lebensjahres,<br />

bei Stiefkindadoptionen des 21. Lebensjahres (§ 1743 BGB)<br />

- Einwilligung des Kindes über 14 Jahren (§ 1746 I 1, 3 BGB)<br />

- Einwilligung des gesetzlichen Vertreters des Kindes (§ 1746 I 2, 3 BGB)<br />

- Einwilligung <strong>der</strong> Eltern des Kindes, gleichgültig ob sie noch das Sorgerecht haben,<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en durch das Gericht ersetzte Einwilligung (§§ 1747, 1748 BGB)<br />

- bei Stiefkindadoption: Einwilligung des leiblichen Elternteils (§ 1749 BGB)<br />

- Erfüllen <strong>der</strong> formalen Voraussetzungen (notarielle Beurkundung des Annahmeantrags<br />

und <strong>der</strong> Einwilligungen (§§ 1750 I 2, 1752 II 2 BGB)<br />

- Vorausgehen einer angemessenen Adoptionspflegezeit (§ 1744 BGB).<br />

Durch die Kindesannahme erhält das Kind die rechtliche Stellung eines leiblichen Kindes<br />

<strong>der</strong> Annehmenden bzw. des Annehmenden o<strong>der</strong> bei einer Stiefkindadoption des<br />

leiblichen Elternteils und des Annehmenden (§§ 1754 ff. BGB). Es handelt sich also um<br />

eine sog. Volladoption. Sie ist bis auf wenige Ausnahmefälle unauflöslich (§§ 1759 ff.<br />

BGB).<br />

2. Hilfen für beson<strong>der</strong>e Personengruppen<br />

2.1 Einglie<strong>der</strong>ungshilfe für seelisch behin<strong>der</strong>te Min<strong>der</strong>jährige (§ 35a SGB VIII) 45<br />

Als Leistung <strong>der</strong> Jugendhilfe ist nur die seelische Behin<strong>der</strong>ung ausgestaltet. Eine körperliche<br />

o<strong>der</strong> geistige Behin<strong>der</strong>ung untersteht dem 12. Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe).<br />

Dies hebt § 10 IV 2 SGB VIII noch einmal hervor, obwohl es sich bereits aus <strong>der</strong><br />

Vorschrift selber ergibt.<br />

Was seelische Behin<strong>der</strong>ung ist, sagt § 35a I 1 SGB VIII, <strong>der</strong> sich an § 2 I SGB IX (Rehabilitation<br />

und Teilhabe behin<strong>der</strong>ter Menschen) anlehnt. Dieser regelt den Behin<strong>der</strong>ungsbegriff<br />

für alle RehaLeistungen <strong>der</strong> verschiedenen RehaTräger in Anlehnung an<br />

WHO-Standards 46 verbindlich. § 35a benennt dafür zwei Kriterien, die kumulativ vorliegen<br />

müssen:<br />

- zum einen muss die Dauer <strong>der</strong> Abweichung von <strong>der</strong> seelischen Gesundheit mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit (Prognose) mehr als sechs Monate von dem für das Lebensalter<br />

typischen Entwicklungsstand betragen (Nr.1)<br />

- zum an<strong>der</strong>en muss die Teilhabe am Leben in <strong>der</strong> Gesellschaft beeinträchtigt sein<br />

o<strong>der</strong> eine solche Beeinträchtigung muss zu erwarten sein (Nr.2).<br />

Von einer seelischen Behin<strong>der</strong>ung bedroht sind Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, bei denen<br />

eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in <strong>der</strong> Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Abs.1 Satz 2).<br />

Das erste Tatbestandsmerkmal muss durch die Stellungnahme eines Arztes o<strong>der</strong> Psychotherapeuten<br />

nachgewiesen werden, <strong>der</strong> über beson<strong>der</strong>e Kenntnisse von seelischen<br />

Störungen bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen verfügt (detailliert in § 35 Ia 1Nr.1-3 SGB VI-<br />

II). Er muss nach internationalen Standards arbeiten Abs.1a Satz 2 und 3).<br />

Das zweite Tatbestandsmerkmal muss durch die Fachkräfte <strong>der</strong> Jugendhilfe festgestellt<br />

werden. Da sich auch dieses Merkmal an dem Begriff <strong>der</strong> WHO orientiert, muss<br />

die Jugendhilfe dies berücksichtigen und einen eigenen interdisziplinären inhaltlichen<br />

Zugang entwickeln 47 .<br />

45 Wiesner/ Fegert § 35a; Kunkel/ Vondung § 35a<br />

46 Zu Details s. Wiesner § 35a Rdnr.5<br />

47 Zu Einzelheiten s. Wiesner Rdnrn. 19-25.


37<br />

Steht fest, dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, so wird Hilfe geleistet, die<br />

sich an den Bedürfnissen des Einzelfalles orientiert. Sie kann ambulant, teilstationär<br />

o<strong>der</strong> stationär (Pflegeperson, Einrichtung) sein (§ 35a II SGB VIII). Ist gleichzeitig Hilfe<br />

zur Erziehung zu leisten, so sollen ebenfalls entsprechende geeignete Dienste und<br />

Einrichtungen gewählt werden (Abs.4).<br />

2.2 Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) 48<br />

Die jungen Menschen, die zwischen 18 und 21 Jahren sind und trotz somit vorhandener<br />

Volljährigkeit das Erziehungsziel des § 1 I SGB VIII, nämlich die Eigenverantwortlichkeit<br />

und Gemeinschaftsfähigkeit, noch nicht erreicht haben, können Hilfe für junge<br />

Volljährige bekommen. Das Gesetz enthält keine präziseren Voraussetzungen, stellt<br />

insbeson<strong>der</strong>e nicht darauf ab, dass eine Ausbildung begonnen und noch nicht beendet<br />

sein o<strong>der</strong> eine Hilfe zur Erziehung noch abgeschlossen werden muss. Das einzige,<br />

woran man sich orientieren kann, ist die Notwendigkeit <strong>der</strong> Hilfe und die Zweckbestimmung:<br />

zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortlichen Lebensführung.<br />

Das schließt allerdings ein, dass wenigstens eine gewisse Aussicht auf Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Situation besteht. Die Hilfe kann in <strong>der</strong> Regel bis Vollendung des 21. Lebensjahres<br />

gewährt werden, in begründeten Einzelfällen auch über diesen Zeitpunkt hinaus.<br />

Wegen <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> Hilfe wird auf die Vorschriften für Min<strong>der</strong>jährige und seelisch<br />

Behin<strong>der</strong>te verwiesen. Allerdings kommen spFH und Tagesgruppe nicht in Betracht.<br />

Praktisch ist die Mehrzahl <strong>der</strong> Hilfen Heimerziehung/ Erziehung in sonstiger<br />

betreuter Wohnform (§ 34 SGB VIII) und InspE (§ 35 SGB VIII). Nach Beendigung <strong>der</strong><br />

Hilfe soll dem jungen Menschen weiterhin Beratung und Unterstützung zuteil werden.<br />

3. Finanzierung <strong>der</strong> Leistungen<br />

Bei <strong>der</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Leistungen ist zwischen ambulanten Leistungen einerseits<br />

und stationären, teilstationären sowie vorläufigen Leistungen an<strong>der</strong>erseits zu unterscheiden.<br />

Für bestimmte ambulante Angebote, die in § 90 I 1 SGB VIII namentlich genannt sind,<br />

können pauschalierte gestaffelte Teilnahmebeiträge verlangt werden, bei denen verschiedene<br />

Kriterien (Einkommen, Kin<strong>der</strong>zahl etc.) eine Rolle spiele können. Dies muss<br />

das Landesrecht festlegen (Abs.1 Satz 2).<br />

Für die zweite Gruppe von Leistungen werden Kostenbeiträge erhoben (§ 91 I und II<br />

SGB VIII). An<strong>der</strong>s als in an<strong>der</strong>en Gebieten des Sozialrechts ist die Gewährung von<br />

<strong>der</strong>artigen Leistungen nach dem SGB VIII jedoch nicht davon abhängig, dass Einkommen<br />

und Vermögen des Hilfeempfängers eingesetzt werden. Dies ist deswegen an<strong>der</strong>s,<br />

weil das in <strong>der</strong> Jugendhilfe nicht die Eltern träfe, son<strong>der</strong>n das Kind. § 91 V SGB<br />

VIII bestimmt daher ausdrücklich, dass die Träger <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe die Kosten<br />

tragen unabhängig von <strong>der</strong> Erhebung eines Kostenbeitrags.<br />

Als Kostenschuldner für die Kostenbeiträge kommen die Eltern, Ehegatten und Lebenspartner,<br />

die Jugendlichen sowie die jungen Volljährigen in Betracht. Der Heranziehung<br />

unterliegt das Einkommen im Umfang des § 93 SGB VIII, das Vermögen nur<br />

bei jungen Volljährigen und volljährigen Leistungsberechtigten nach § 19 (Elternteile,<br />

die mit einem Kind in einer Einrichtung leben). Für die Festsetzung <strong>der</strong> Kostenbeiträge<br />

werden gestaffelte Pauschalbeträge gemäß einer Verordnung 49 zu Grunde gelegt. In<br />

<strong>der</strong> Regel (Ausnahme: bei vorrangig Leistungsverpflichteten Überleitung <strong>der</strong> Ansprüche<br />

gem. § 95 SGB VIII) erfolgt die Heranziehung durch Kostenbescheid.<br />

48 Wiesner § 41; Kunkel/ Kindle § 41<br />

49 VO zur Festsetzung <strong>der</strong> Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen<br />

in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung - KostenbeitragsV) vom<br />

1.10.2005 (BGBl. I S. 2907


38<br />

III. Verfahren und gerichtliche Kontrolle<br />

1. Behördliches Verfahren<br />

Das Verfahren <strong>der</strong> Gewährung von Leistungen setzt voraus, dass <strong>der</strong> Wunsch auf eine<br />

Leistung zumindest konkludent geäußert wird. Ein förmlicher Antrag muss nicht gestellt<br />

werden.<br />

Die Gewährung einer Leistung setzt ein bestimmtes methodisches Vorgehen voraus,<br />

nämlich die individuelle Hilfeplanung (Prozess), die ggfs. in einen fortzuschreibenden<br />

Hilfeplan (Ergebnis des Prozesses) (§ 36 SGB VIII) einmündet. An den Hilfeplangesprächen<br />

haben<br />

- <strong>der</strong> Personensorgeberechtigte,<br />

- <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige (§ 36 I 1 SGB VIII),<br />

- <strong>der</strong> zuständige Mitarbeiter des Jugendamtes sowie<br />

- ggfs. die übrigen Teammitglie<strong>der</strong> (§ 36 II 1 SGB VIII) und<br />

- alle für eine Entscheidung bedeutsamen Personen [z.B. Lehrer, bisheriger Beistand,<br />

evtl. künftiger Heimleiter (§ 36 II 3 SGB VIII), evtl. Richter etc.] teilzunehmen. Vor und<br />

während einer langfristig zu gewährenden Hilfe außerhalb <strong>der</strong> eigenen Familie ist zu<br />

prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt (§ 36 I 2 SGB VIII). Am Ende <strong>der</strong><br />

Hilfeplanung steht die Entscheidung des zuständigen Jugendamtsmitarbeiters, ob sie<br />

eine Hilfe o<strong>der</strong> die beantragte Hilfe gewähren. Soll sie gewährt werden, so erlässt das<br />

Jugendamt einen entsprechenden begünstigenden Verwaltungsakt (§ 31 S.1 SGB<br />

X). Es ist also nicht <strong>der</strong> Richter, <strong>der</strong> die erzieherische Hilfe anordnet, son<strong>der</strong>n es ist<br />

die Behörde, die die Hilfe gewährt. Im Anschluss daran schließt <strong>der</strong> Personensorgeberechtigte<br />

mit <strong>der</strong> Person o<strong>der</strong> Institution, die die Hilfe durchführt, einen Vertrag.<br />

2. Fehlende Mitwirkungsbereitschaft<br />

Kommt <strong>der</strong> Jugendamtsmitarbeiter zu dem Ergebnis, dass ein junger Mensch Hilfe<br />

braucht, <strong>der</strong> gesetzliche Vertreter jedoch nicht bereit ist, diese in Anspruch zu nehmen,<br />

so ist zu prüfen, ob <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige ohne die Hilfe gefährdet ist (§ 8a I SGB VIII).<br />

Trifft das zu, so kann ein Verfahren zur Einschränkung des Sorgerechts (§ 1666 BGB)<br />

eingeleitet werden, indem das Jugendamt das Familiengericht (FamG) „anruft“ (§ 8a III<br />

SGB VIII). Diese Anrufung ist eine Anregung an das Gericht, tätig zu werden. Das Jugendamt<br />

legt dem Gericht in einer gutachtlichen Stellungnahme (§ 50 SGB VIII, § 49a<br />

FGG) dar, warum es <strong>der</strong> Meinung ist, dass das Kind ohne Hilfe gefährdet ist. Zu den<br />

Details s. u. unter E.III. Das FamG prüft nun in eigener Verantwortung - es gilt <strong>der</strong><br />

Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12 FGG) -, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Hält<br />

es sie für gegeben, erlässt es entwe<strong>der</strong> eine einstweilige Anordnung (wenn es sehr<br />

dringend ist) o<strong>der</strong> einen Beschluss in einem normalen Verfahren, womit den Eltern<br />

Teile des Sorgerechts weggenommen werden (§ 1666 BGB: erfor<strong>der</strong>liche Maßnahme).<br />

Anstelle <strong>der</strong> Eltern wird in diesem Bereich ein Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB) eingesetzt.<br />

Dieser entscheidet nunmehr in eigener Verantwortung, ob die angebotene Hilfe<br />

für das Kind beantragt wird. Ggfs. bittet er um diese Hilfe.<br />

3. Örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes<br />

Die örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes für Leistungen ergibt sich aus den §§ 86 -<br />

86d SGB VIII. Das Grundprinzip ist eine Anlehnung an Art.6 GG, d.h. die Verknüpfung<br />

<strong>der</strong> Zuständigkeit mit dem gewöhnlichen Aufenthalt <strong>der</strong> Eltern. Dieses Prinzip funktioniert<br />

nicht, wenn die Eltern verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben. § 86 sieht<br />

daher zahlreiche Einzelkonstellationen und -reglungen vor, die sich dem Grundprinzip<br />

nicht fügen. Grundsätzlich än<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Umzug <strong>der</strong> Eltern nichts an <strong>der</strong> Zuständigkeit des<br />

bisherigen Jugendamtes (§ 86c SGB VIII). Die Unterbringung des Kindes außerhalb<br />

des Jugendamtsbezirks än<strong>der</strong>t auch nichts an <strong>der</strong> Zuständigkeit; nur bei <strong>der</strong> Unterbrin-


39<br />

gung in einer Pflegefamilie wird das Jugendamt am gewöhnlichen Aufenthalt <strong>der</strong><br />

Pflegeeltern nach zwei Jahren zuständig, wenn zu erwarten ist, dass <strong>der</strong> Verbleib des<br />

Kindes hier auf Dauer ist (§ 86 VI 1 SGB VIII). Spezielle Regelungen gibt es für junge<br />

Volljährige (§ 86a SGB VIII) und Väter/ Mütter, die gemeinsam mit Kin<strong>der</strong>n in einer<br />

Einrichtung wohnen (§ 86b SGB VIII). Bei ihnen kommt es auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt<br />

vor Beginn <strong>der</strong> Leistung an.<br />

4. Verwaltungsgerichtliches Verfahren<br />

Lehnt das Jugendamt die Gewährung <strong>der</strong> Hilfe ab o<strong>der</strong> will es die beantragte konkrete<br />

Hilfe nicht gewähren (z.B. die Eltern wollen eine ambulante Hilfe, das Jugendamt hält<br />

jedoch eine Fremdunterbringung für erfor<strong>der</strong>lich), so können sie gegen den Bescheid<br />

des Jugendamtes, <strong>der</strong> ein Verwaltungsakt ist, Wi<strong>der</strong>spruch einlegen (§ 62 SGB X,<br />

§§ 68-80b VwGO). Im Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren wird die Recht- und die Zweckmäßigkeit<br />

des Verwaltungsakts überprüft. Da es sich bei <strong>der</strong> Gewährung von Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

um eine Selbstverwaltungsangelegenheit handelt, überprüft die Behörde, die<br />

den Verwaltungsakt erlassen hat, also das Jugendamt selber, diesen. Es erhält somit<br />

eine Chance, sein Verwaltungshandeln zu korrigieren. Bleibt es bei seiner Entscheidung,<br />

kann <strong>der</strong> Berechtigte Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) vor dem zuständigen<br />

Verwaltungsgericht erheben.<br />

Das Verwaltungsgericht kann den Verwaltungsakt nur auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen.<br />

Die Entscheidung des Jugendamtes beruht im Wesentlichen auf einem Interaktionsprozess<br />

zwischen Leistungsempfänger und Fachkräften. Dieser Prozess kann vor<br />

dem Verwaltungsgericht nicht wie<strong>der</strong>holt werden. Außerdem än<strong>der</strong>t sich in <strong>der</strong> Regel<br />

die Sachlage fortwährend. Deswegen kann das Gericht z.B. bei § 27 SGB VIII zwar<br />

überprüfen, ob eine defizitäre Erziehungslage vorliegt und ob <strong>der</strong> Personensorgeberechtigte<br />

einverstanden ist, nicht aber ob die Hilfe geeignet und notwendig ist. In diesem<br />

Bereich hat nämlich das Jugendamt ein sog. Auswahlermessen 50 . Das Verwaltungsgericht<br />

kann das Jugendamt daher nur dazu verpflichten, unter Beachtung <strong>der</strong><br />

Rechtsauffassung des Gerichts zusammen mit dem Leistungsberechtigten und den<br />

weiteren Leistungsadressaten in einen neuen Klärungs- und Entscheidungsprozess<br />

einzutreten (§ 113 V 2 VwGO). Es überprüft die Ausübung des Ermessens nach Maßgabe<br />

des § 114 VwGO unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Auswahlmaßstabs des<br />

§ 27 II 2 SGB VIII, also des erzieherischen Bedarfs im Einzelfall 51 .<br />

Das Verwaltungsgericht 52 entscheidet durch Urteil. Dieses kann von <strong>der</strong> unterliegenden<br />

Partei mit <strong>der</strong> Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) 53 angegriffen werden.<br />

Dieses entscheidet ebenfalls durch Urteil und lässt ggfs. die Revision zum Bundesverwaltungsgericht<br />

(BVerwG) 54 zu.<br />

IV. Leistungserbringungsrecht<br />

1. Gewährleistung <strong>der</strong> Infrastruktur<br />

Die Träger <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung <strong>der</strong> Jugendhilfeaufgaben<br />

die Gesamtverantwortung. Dazu gehört auch die Planungsverantwortung (§ 79 I<br />

50<br />

Wiesner § 27 Rn. 55; Jans/ Happe/ Saurbier/ Maas § 36 Rn. 4; jedoch nicht unstreitig.<br />

51<br />

Zu den verschiedenen Meinungen in Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage<br />

vgl. Wiesner § 27 Rn. 64<br />

52<br />

Für das Gebiet des LJA Köln ist dies das VerwG Köln.<br />

53<br />

Für NRW ist dies Münster.<br />

54<br />

Dieses hat seinen Sitz in Leipzig.


40<br />

SGB VIII). Der öffentliche Träger soll gewährleisten, dass die zur Erfüllung <strong>der</strong> Jugendhilfeaufgaben<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen rechtzeitig<br />

und ausreichend zur Verfügung stehen (§ 79 II SGB VIII). Die verschiedenen<br />

Grundrichtungen <strong>der</strong> Erziehung (z.B. konfessionelle) sind dabei zu berücksichtigen.<br />

Auch für eine ausreichende Ausstattung <strong>der</strong> Jugendämter einschließlich ausreichenden<br />

Fachpersonals haben sie zu sorgen (§ 79 III SGB VIII).<br />

Zur Planungsverantwortung gehört gem. § 80 I SGB VIII:<br />

- die Feststellung des Bestands an Einrichtungen und Diensten<br />

- die Ermittlung des Bedarfs unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Wünsche, Bedürfnisse und<br />

Interessen <strong>der</strong> jungen Menschen und <strong>der</strong> Personensorgeberechtigten und zwar für<br />

einen mittelfristigen Zeitraum<br />

- die rechtzeitige Planung <strong>der</strong> nötigen Vorhaben.<br />

An <strong>der</strong> Planung hat <strong>der</strong> öffentliche Träger die anerkannten freien Träger rechtzeitig zu<br />

beteiligen (§ 80 III SGB VIII).<br />

Die Ergebnisse dieser Planung sind in dem sog. Jugendhilfeplan festzuhalten. Er ist<br />

regelmäßig fortzuschreiben.<br />

2. Zulassung von freien Trägern<br />

Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe dürfen grundsätzlich ohne Einschränkungen von freien<br />

Trägern erbracht werden (§ 3 II SGB VIII), auch wenn sich Leistungsverpflichtungen<br />

nur an die Träger öffentlicher Jugendhilfe richten. Freie Träger brauchen erst dann eine<br />

Art Zulassung, wenn sie dauerhaft geför<strong>der</strong>t werden wollen und wenn sie bestimmte<br />

Teilhaberechte haben wollen. Diese Zulassung heißt im SGB VIII Anerkennung als<br />

freier Träger (§ 75 SGB VIII).<br />

Voraussetzung für eine Anerkennung ist, dass<br />

1. <strong>der</strong> Träger auf dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendhilfe im Sinne des § 1 tätig ist<br />

2. gemeinnützige Ziele verfolgt<br />

3. aufgrund <strong>der</strong> fachlichen und personellen Voraussetzungen erwarten lässt, dass er<br />

einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe zu<br />

leisten im Stande ist<br />

4. die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetztes för<strong>der</strong>liche Arbeit bietet.<br />

Die Anerkennung als freier Träger hat zur Folge, dass <strong>der</strong> freie Träger dauerhaft geför<strong>der</strong>t<br />

werden kann und dass er bestimmte Rechte erwirbt, nämlich<br />

- seine Vertreter in den Jugendhilfeausschuss gewählt werden können<br />

- er an <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung beteiligt werden muss<br />

- er an <strong>der</strong> Wahrnehmung „an<strong>der</strong>er Aufgaben“ beteiligt werden kann.<br />

3. Beteiligung an<strong>der</strong>er als öffentlicher Träger an <strong>der</strong> Erbringung von<br />

Leistungen<br />

Wie schon dargestellt, können die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe von dem öffentlichen<br />

Träger selber, einem freien Träger, einem privat-gewerblichen Leistungserbringer und<br />

auch von Privatpersonen, die die Leistungsberechtigten sich selber suchen (z.B. Tagespflege,<br />

Dauerpflege), erbracht werden. Gemäß § 5 SGB VIII haben die Berechtigten<br />

ein Wunsch- und Wahlrecht. Ob dieses sich auf alle genannten potenziellen Leistungsbringer<br />

erstreckt, ist in Rechtsprechung, Literatur und Praxis streitig. Es gibt einige<br />

systematische Argumente, die dafür sprechen, dass sich das genannte Recht nur<br />

auf die freien Träger bezieht 55 . Allerdings sollte man die Frage nicht zu wichtig nehmen,<br />

weil den Trägern <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe eine Einflussnahme auf die Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Leistungsinhalte und die Höhe <strong>der</strong> Entgelte über den Abschluss von Vereinbarungen<br />

möglich ist 56 . Tatsache ist, dass die Leistungserbringer in <strong>der</strong> Regel ihren Aufwand<br />

nur dann vom öffentlichen Träger erstattet bekommen, wenn sie mit diesem eine<br />

55 Kunkel/ Kunkel § 79 Rn. 15; VG Minden DAVorm 1997, 812<br />

56 Wiesner/ Wiesner § 5 Rn.10


41<br />

Vereinbarung geschlossen haben. Zu unterscheiden ist hier allerdings die Erbringung<br />

ambulanter Leistungen (darunter insbeson<strong>der</strong>e ambulante erzieherische Hilfen und<br />

Tageseinrichtungen) und die stationärer Leistungen. Für erstere gilt § 77 SGB VIII, für<br />

letztere gelten die §§ 78b-g SGB VIII.<br />

Im ersten Fall betrifft die Vereinbarung nur<br />

- die Kosten.<br />

Im zweiten Fall umfasst die Vereinbarung<br />

- die Leistung (Inhalt, Umfang und Qualität),<br />

- das Entgelt (Leistungen und Investitionen),<br />

- die Qualitätsentwicklung (Bewertung <strong>der</strong> Qualität, Maßnahmen zur Gewährleistung<br />

von Qualität).<br />

Die Vereinbarungen für die stationären Leistungen sind relativ differenziert vom Gesetz<br />

geregelt. Sie gelten für einen bestimmten zu benennenden Zeitraum. Sie werden nicht<br />

einzeln ausgehandelt, son<strong>der</strong>n als sog. Rahmenverträge, die zwischen<br />

- den kommunalen Spitzenverbänden auf Landesebene einerseits<br />

- und den Verbänden <strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> freien Jugendhilfe und den Vereinigungen sonstiger<br />

Leistungserbringer auf Landesebene an<strong>der</strong>erseits<br />

geschlossen werden. Sie unterliegen <strong>der</strong> Schlichtung von sog. Schiedsstellen. Diese<br />

sind keine Gerichte, son<strong>der</strong>n Behörden. Sie sind paritätisch mit Vertretern <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Jugendhilfe und <strong>der</strong> Einrichtungen besetzt. Gegen die Entscheidungen <strong>der</strong><br />

Schiedsstellen ist <strong>der</strong> Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben. Landesrecht<br />

kann weitere Regelungen vorsehen.<br />

Träger, die keine Vereinbarungen mit dem öffentlichen Träger abgeschlossen haben,<br />

und einzelne Privatpersonen können ausnahmsweise dennoch ihre Kosten erstattet<br />

bekommen. Dies ist dann <strong>der</strong> Fall, wenn die Berechtigten sie im Rahmen ihres<br />

Wunsch- und Wahlrechts wählen und die Leistung durch diese Träger o<strong>der</strong> Personen<br />

im Hilfeplanverfahren als notwendig und geeignet festgestellt wird (§ 5 II 2 SGB VIII).<br />

Eine sog. Selbstbeschaffung ist jedoch in <strong>der</strong> Regel verboten (§ 36a I SGB VIII), jedenfalls<br />

soweit es sich um individuelle Hilfen handelt, bei denen eine fachliche Bedarfsprüfung<br />

durchzuführen ist. Sie ist allerdings zulässig bei sog. Systemversagen, d.h. wenn<br />

<strong>der</strong> öffentliche Träger trotz gesetzlicher Verpflichtung rechtswidrig eine Leistung nicht<br />

o<strong>der</strong> nicht rechtzeitig erbringt und <strong>der</strong> Leistungsberechtigte aufgrund <strong>der</strong> Art und Dringlichkeit<br />

des Hilfebedarfs zur Selbsthilfe greifen musste (§ 36a III<br />

SGB VIII).<br />

E. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

I. Allgemeines<br />

Wie schon oben angesprochen haben sich die „an<strong>der</strong>en Aufgaben“ aus den polizeilichen<br />

und kontrollierenden Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe entwickelt. Es war das Versorgen<br />

verwahrloster eltern- und heimatloser Kin<strong>der</strong> nach dem ersten Weltkrieg, das Schützen<br />

von Pflegekin<strong>der</strong>n, die als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden, die Unterstützung<br />

von ledigen Müttern mit Kin<strong>der</strong>n bei <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Vaterschaft und <strong>der</strong> Durchsetzung<br />

von Unterhaltsansprüchen. Von Anfang an ging es aber weniger darum, die „öffentliche<br />

Sicherheit und Ordnung wie<strong>der</strong>herzustellen“ (= Aufgabe <strong>der</strong> Polizei), son<strong>der</strong>n im Interesse<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen auf sie und ihre Umgebung pädagogisch einzuwirken,<br />

um sie zu rechtschaffenen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft zu machen. Als echte<br />

polizeiliche Aufgabe ist heute nur noch die Inobhutnahme übrig geblieben (s. unten<br />

2.2). Allerdings teilen alle weiteren „an<strong>der</strong>en Aufgaben“ das Schicksal <strong>der</strong> Inobhutnah-


42<br />

me, indem die Freiwilligkeit belanglos ist. Dies ist so mit Pflege- und Betriebserlaubnissen,<br />

Mitwirkung in Gerichtsverfahren, staatlicher Rechtsfürsorge (Vormundschaft,<br />

Pflegschaft, Beistandschaft) und urkundlicher Tätigkeit. Wenn man es vom Ergebnis<br />

her sieht, könnte man allerdings auch alle (freiwilligen) Hilfen, d.h. alle Leistungen <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe (D. II.), dazu rechnen, die gegen den Willen des Personensorgeberechtigten<br />

erbracht werden, nachdem diesem das Recht <strong>der</strong> Inanspruchnahme von Hilfe zur<br />

Erziehung (= Teil <strong>der</strong> elterlichen Sorge) gemäß § 1666 BGB entzogen und auf einen<br />

Pfleger (§ 1909 BGB) übertragen worden ist.<br />

Der Begriff des Staatlichen Wächteramts ist nur teilidentisch mit den „an<strong>der</strong>en Aufgaben“.<br />

Das Wächteramt ist weiter. Es wirkt auch bei <strong>der</strong> Gewährung von Hilfen, indem<br />

es beobachtet und Unterstützung anbietet. Es entfaltet sich auch schon vorbeugend<br />

und wartet nicht, bis „das Kind in den Brunnen gefallen ist“<br />

II. Intervention bei Gefährdung<br />

1. Einordnung<br />

Die staatliche Intervention bei Gefährdung eines Kindes ist die offensichtlichste Form<br />

des Staatlichen Wächteramts. Dieses ist nicht „an<strong>der</strong>e Aufgabe“, son<strong>der</strong>n permanenter<br />

und allseitiger Arbeitsauftrag aller staatlichen Behörden, die mit Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

zu tun haben. Es ist integraler Bestandteil aller sozialen Arbeit. Es ist daher folgerichtig<br />

im Allgemeinen Teil des SGB VIII (Erstes Kapitel: §§ 1-10 SGB VIII) geregelt,<br />

und hier in § 1 III Nr.3 und § 8a. Beide Paragrafen gehen davon aus, dass das Jugendamt<br />

- und nicht nur dieses - einen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung hat,<br />

<strong>der</strong> jegliche fachliche Tätigkeit begleitet. Wie an dem a-Paragrafen ersichtlich, ist dieser<br />

erst später eingefügt worden, und zwar 2005. Anlass war die traurige Tatsache,<br />

dass in den letzten Jahren immer wie<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu Tode kamen o<strong>der</strong> völlig verwahrlost<br />

aufgefunden wurden, obwohl die Familien oftmals mit dem Jugendamt Kontakt hatten.<br />

Er wurde deshalb, obwohl dieser Auftrag des Jugendamtes nach § 1 III Nr.3 schon<br />

immer existiert hatte, noch einmal in einer neuen Vorschrift hervorgehoben, um dem<br />

letzten Jugendamt und dem letzten Jugendamtsmitarbeiter deutlich zu machen, was<br />

für eine Verpflichtung er hat. Darüber hinaus hat <strong>der</strong> Gesetzgeber diese Novelle dazu<br />

genutzt, auch freien Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe diese Aufgabe aufzuerlegen und sich<br />

nicht hinter seiner Schweigepflicht (§ 203 StGB) verschanzen zu können.<br />

2. Abschätzung des Gefährdungsrisikos<br />

Im Einzelnen sieht § 8a Folgendes vor:<br />

- Werden dem Jugendamt wichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls<br />

eines Kindes o<strong>der</strong> Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken<br />

mehrerer Fachkräfte abzuschätzen.<br />

- Soweit <strong>der</strong> wirksame Schutz des Kindes o<strong>der</strong> Jugendlichen nicht in Frage gestellt<br />

wird, sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche einzubeziehen.<br />

- Hält das Jugendamt zur Abwendung <strong>der</strong> Gefährdung die Gewährung von Hilfen für<br />

geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten anzubieten<br />

(Abs.1).<br />

- Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erfor<strong>der</strong>lich, so hat es<br />

das Gericht anzurufen.<br />

- Das Gericht ist auch anzurufen, wenn die Personensorgeberechtigten nicht bereit<br />

o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage sind, bei <strong>der</strong> Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken.<br />

- Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet<br />

werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind o<strong>der</strong> den Jugendlichen<br />

in Obhut zu nehmen (Abs.3).


43<br />

Wann ein Kind o<strong>der</strong> ein Jugendlicher gefährdet ist, wird vom Gesetz nirgendwo präzisiert.<br />

Was nur ausgeführt wird, ist, dass die Gefährdung im körperlichen, geistigen und<br />

seelischen Bereich vorkommen kann. Der Begriff kommt in verschiedenen Rechtsnormen<br />

vor (wichtigste Vorschrift: § 1666 BGB) und wird dort sozusagen als bekannt<br />

vorausgesetzt. Das bedeutet aber lediglich, dass er immer neu ausgelegt und ermittelt<br />

werden muss. Eine Definition wäre überhaupt nicht möglich. Der Rechtsanwen<strong>der</strong>, sei<br />

es <strong>der</strong> Richter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozialarbeiter/ Sozialpädagoge muss in jedem Einzelfall auf<br />

<strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> individuellen Situation des Min<strong>der</strong>jährigen (Alter, Anlagen, soziale Umgebung)<br />

ermitteln, ob eine Gefährdung vorliegt. Das macht diese Aufgabe so schwierig.<br />

Oft besteht die Meinung, dass noch keine Gefährdung gegeben sei, wenn die<br />

Betreuungspersonen mit einer Hilfe einverstanden sind. Dass dies aber oft nur zur<br />

Verschleppung <strong>der</strong> nötigen Hilfe führt, wird nicht akzeptiert.<br />

Wenn die Einschätzung <strong>der</strong> Fachkräfte ergibt, dass ein Gefährdung vorliegt und dass<br />

es nicht ausreicht, wenn die Eltern sich mit einer Hilfe einverstanden erklären o<strong>der</strong> sich<br />

an <strong>der</strong> Feststellung <strong>der</strong> Gefährdung gar nicht beteiligen, dann ist sicher, dass etwas<br />

geschehen muss. Was, hängt nun davon ab, wie akut die Gefahr ist. Im „Normalfall“ ist<br />

das Jugendamt keine Eingriffsbehörde. Für Eingriffe ist primär das FamG zuständig.<br />

Wenn es also noch verantwortet werden kann, ist das FamG einzuschalten. Dieses<br />

hat - in solchen Fällen in <strong>der</strong> Regel auf <strong>der</strong> Basis des § 1666 BGB - zwei Instrumente<br />

zur Verfügung:<br />

- das normale gerichtliche Verfahren o<strong>der</strong><br />

- das sog. einstweilige Verfahren.<br />

Ein einstweiliges Verfahren führt, wenn <strong>der</strong> Antrag auf Eingriff in das Sorgerecht nicht<br />

abgelehnt wird, zu einer sog. einstweiligen Anordnung. Diese kann ergehen, wenn dem<br />

Gericht die Voraussetzungen des § 1666 BGB (Gefährdung des Kindeswohls; elterliches<br />

Fehlverhalten; Kausalität zwischen den beiden Voraussetzungen; Unfähigkeit<br />

o<strong>der</strong> Unwilligkeit <strong>der</strong> Eltern, die Gefahr abzuwenden) glaubhaft gemacht werden. Sie<br />

müssen nicht bewiesen sein. Deshalb kann die Anordnung sehr schnell ergehen,<br />

durchaus auch am Telefon.<br />

Der Antrag auf Durchführung eines normalen Verfahrens muss parallel dazu gestellt<br />

werden. In diesem müssen nun die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht nur glaubhaft,<br />

son<strong>der</strong>n bewiesen werden. Dazu ist oftmals die Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />

erfor<strong>der</strong>lich, was nicht selten sehr lange dauert. Mit <strong>der</strong> Entscheidung<br />

im Hauptverfahren (Beschluss) wird die einstweilige Anordnung hinfällig.<br />

Bevor das Jugendamt ein Kind o<strong>der</strong> einen Jugendlichen wegen einer Gefährdung selber<br />

in Obhut nimmt, müssen gedanklich die beiden Gerichtsverfahren als vorrangig<br />

ausgeschlossen werden können. Erst wenn die Situation so akut ist, dass nicht einmal<br />

eine einstweilige Anordnung in Betracht kommt, kann das Jugendamt den Min<strong>der</strong>jährigen<br />

in Obhut nehmen.<br />

3. Inobhutnahme<br />

Die Inobhutnahme ist eine „an<strong>der</strong>e Aufgabe“. Sie betrifft drei Sachverhaltskonstellationen,<br />

in denen das Gesetz (§ 42 SGB VIII) davon ausgeht, dass die Situation so dringlich<br />

ist, dass das Jugendamt ohne Einschaltung des Gerichts handeln können muss.<br />

1. Wenn ein Kind o<strong>der</strong> ein Jugendlicher um Obhut bittet<br />

2. wenn eine dringende Gefahr die Inobhutnahme erfor<strong>der</strong>t<br />

3. wenn ein ausländischer unbegleiteter (ohne Personensorgeberechtigten im Inland)<br />

Min<strong>der</strong>jähriger in Deutschland eintrifft.<br />

Das deutsche Rechtsinstitut <strong>der</strong> Inobhutnahme ist einerseits eine Reaktion auf die in<br />

jüngerer Zeit immer häufiger anzutreffenden Konflikte zwischen Eltern und älteren Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen und an<strong>der</strong>erseits eine Reaktion auf die Tatsache, dass


44<br />

Kin<strong>der</strong> sich oftmals in gefährlichen Situationen befinden, die von den Eltern verursacht<br />

sein, aber auch völlig ohne ihr Zutun entstanden sein können. Die Vorschrift des<br />

§ 42 SGB VIII sieht für alle drei Fallkonstellationen Lösungen <strong>der</strong> Jugendhilfe (nicht <strong>der</strong><br />

Polizei, die kann sowieso handeln) vor. Daneben bleiben selbstverständlich alle beschriebenen<br />

gerichtlichen Befugnisse bestehen.<br />

(1) Kommt ein Min<strong>der</strong>jähriger ins Jugendamt und macht glaubhaft, dass er nicht zu<br />

seinen Eltern zurückkehren wolle (sog. Selbstmel<strong>der</strong>), dann ist das Jugendamt zunächst<br />

verpflichtet, den Min<strong>der</strong>jährigen in Obhut zu nehmen (d.h. in einer Bereitschaftspflegestelle,<br />

einer Einrichtung o<strong>der</strong> einer sonstigen betreuten Wohnform vorläufig<br />

unterzubringen), bis die pädagogische und juristische Situation des jungen Menschen<br />

geklärt ist. In jedem Fall muss mit den Eltern Kontakt aufgenommen werden.<br />

Der „Fall“ kann sich nun in verschiedene Richtungen entwickeln.<br />

- Die schwierige Situation, die <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige behauptet, stellt sich als richtig heraus.<br />

Bei einer Rückkehr wäre er gefährdet. Die Eltern wi<strong>der</strong>sprechen einer Fremdunterbringung<br />

ihres Kindes nicht. Dann kann das Kind ohne Einschaltung des Gerichts<br />

untergebracht werden.<br />

- Wie im Fall vorher, jedoch die Eltern wi<strong>der</strong>sprechen. Dann muss das Gericht eingeschaltet<br />

und den Eltern zumindest ein Teil ihres Sorgerechts weggenommen<br />

werden. Anschließend kann das Kind unter Zustimmung eines Pflegers (§ 1909<br />

BGB) untergebracht werden.<br />

- Die schwierige Situation besteht nicht o<strong>der</strong> kann mit Zustimmung und Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Eltern beseitigt werden. Das Kind ist bereit zurückzugehen. Dann wird das Gericht<br />

nicht eingeschaltet.<br />

- Wie im Fall vorher, aber das Kind ist nicht bereit zurückzugehen. Die Eltern stimmen<br />

einer Unterbringung zu. Dann kann das Kind trotzdem nicht im Rahmen von<br />

Jugendhilfe untergebracht werden, weil es an einem erzieherischen Defizit fehlt.<br />

- Die Eltern sind gar nicht auffindbar. Dann ist das Gericht einzuschalten und hat<br />

über die Unterbringung und die elterliche Sorge zu entscheiden.<br />

(2) Das Kind o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche befindet sich an einem an<strong>der</strong>en Ort als das Jugendamt<br />

in dringen<strong>der</strong> Gefahr (z.B. Zehnjährige nachts um ein Uhr im Bahnhofsgelände<br />

einer Großstadt; Zweijährige unbeaufsichtigt im Elternhaus; Einjähriges in <strong>der</strong> Wohnung<br />

seiner völlig betrunkenen Mutter). Dann kann das Jugendamt (die Polizei sowieso),<br />

das eigentlich keine polizeilichen Kompetenzen hat, den Min<strong>der</strong>jährigen in Obhut<br />

nehmen, sofern die Eltern nicht wi<strong>der</strong>sprechen o<strong>der</strong> das FamG nicht erreichbar ist. Die<br />

vorher dargestellten Sachverhaltskonstellationen sind hier genauso zu behandeln.<br />

Im Normalfall hat das Jugendamt - wie schon dargestellt - keine Möglichkeiten in Elternrechte<br />

einzugreifen. Wenn es einen Eingriff für erfor<strong>der</strong>lich hält, muss es das Familiengericht<br />

einschalten. In den Fällen <strong>der</strong> Inobhutnahme hat das Jugendamt jedoch<br />

vorübergehend Eingriffskompetenzen. Es muss aber, wenn <strong>der</strong> Eingriff auf Dauer Bestand<br />

haben soll, nachträglich das Gericht einschalten und zwar „unverzüglich“ (Abs.3<br />

Satz 2 Nr. 2).<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Inobhutnahme hat das Jugendamt bestimmte Kompetenzen. Diese sind<br />

in Abs. 2 beschrieben. Es hat in gewisser Hinsicht Befugnisse wie Eltern. Dies gilt alles<br />

so lange bis endgültig geklärt ist, was mit dem Kind o<strong>der</strong> dem Jugendlichen geschehen<br />

wird.


III. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte<br />

1. Allgemeines<br />

45<br />

Sowohl die Vormundschafts- und Familiengerichte als auch die Jugend(straf)gerichte<br />

haben - neben den natürlich weiterhin in Einzelfällen notwendigen gerichtlichen Sachverständigen<br />

- einen einzigen Ansprechpartner, <strong>der</strong> ihnen hilft, psychosoziale Sachverhalte<br />

zu ermitteln und zu beurteilen, nämlich das Jugendamt (§§ 50-52 SGB VIII und<br />

die korrespondierenden Normen in den gerichtlichen Verfahrensgesetzen FGG und<br />

JGG). Dieses ist in den Verfahren vor den genannten Gerichten, sobald Min<strong>der</strong>jährige<br />

beteiligt sind, obligatorisch vom Gericht „anzuhören“. Ein Verstoß gegen diese Pflicht<br />

stellt die Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen dar und ist daher ein möglicher<br />

Anlass, eine ergangene Entscheidung aufzuheben. Für das Gericht bedeutet diese<br />

Regelung, dass es die Sachkunde des Jugendamtes anfor<strong>der</strong>n muss.<br />

Wie das Jugendamt darauf reagieren muss, ist nicht so klar. Immerhin sagt das Gesetz,<br />

dass das Jugendamt das Gericht „unterstützen“ muss. Aus <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

nur die Unterstützung als solche gefor<strong>der</strong>t wird, ist zu folgern, dass das „Wie“ <strong>der</strong> Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Fachlichkeit <strong>der</strong> Jugendbehörden überlassen ist. Jedenfalls besteht<br />

zwischen Gericht und Jugendamt keine Weisungsgebundenheit in <strong>der</strong> Weise, dass das<br />

Gericht dem Jugendamt vorschreiben könnte, was es zu tun hat. Vielmehr entscheidet<br />

dies das Jugendamt, das Teil <strong>der</strong> Exekutive ist, unabhängig von den Wünschen <strong>der</strong><br />

Gerichte, die <strong>der</strong> Jurisdiktion angehören.<br />

2. Vormundschafts- und Familiengerichtshilfe<br />

Allerdings enthält § 50 SGB VIII, <strong>der</strong> die Familien- und Vormundschaftsgerichtshilfe<br />

betrifft, durchaus einige „Eckpunkte“, mit denen auf <strong>der</strong> Basis des sozialarbeiterischen<br />

Fachwissens gewisse Standards erarbeitet werden können.<br />

(1) So ist es klar, dass eine gutachtliche Stellungnahme (sozialpädagogisches/ psychosoziales<br />

Gutachten) des Jugendamtes 57 auf Fakten beruhen muss, die sich in<br />

<strong>der</strong> sog. Vorgeschichte wie<strong>der</strong> finden.<br />

(2) Ferner sollten die Fakten zu einem Befund verarbeitet werden, <strong>der</strong> das relativ konstante<br />

Erleben und Verhalten <strong>der</strong> Beteiligten beschreibt.<br />

(3) Dieses sollte, soweit es abweichend ist, diagnostiziert, d.h. fachlich erklärt und<br />

kategorisiert werden.<br />

(4) Ferner sollte das im Befund Festgestellte in die Zukunft projiziert und darauf hin<br />

untersucht werden, wie es sich mutmaßlich mit und ohne Intervention des Gerichts<br />

entwickeln wird (Prognose).<br />

(5) Schließlich sollten diese Erkenntnisse unter die Rechtsnorm subsumiert werden,<br />

um die es in dem jeweiligen Verfahren geht (z.B. Sorgerechtsregelung bei Scheidung,<br />

Umgangsregelung, Eingriffe ins Sorgerecht, Adoption, Ersetzung <strong>der</strong> Einwilligung<br />

in eine Adoption) (Zusammenfassende Beurteilung)<br />

(6) und es sollte daraus ein Entscheidungsvorschlag für das Gericht gewonnen werden.<br />

Vereinfachend kann man sagen, dass es in den Verfahren vor dem Familien- und vor<br />

dem Vormundschaftsgericht im Wesentlichen um die Frage geht, ob etwas dem Kindeswohl<br />

dient, ihm wi<strong>der</strong>spricht, im Interesse des Kindeswohls erfor<strong>der</strong>lich ist etc.<br />

3. Jugendgerichtshilfe (JGH)<br />

Um an<strong>der</strong>es geht es in den Jugendstrafverfahren. Hier ist es das Ziel, dem Gericht<br />

einen fachlich qualifizierten Vorschlag hinsichtlich einer Sanktion zu machen. Inhaltlich<br />

57 Vgl. Hierzu Oberloskamp/ Balloff/ Fabian (2001), (2007 in Vorbereitung)


46<br />

ist dabei genau dasselbe zu tun wie bei den gutachtlichen Stellungnahmen für das<br />

Familien- und Vormundschaftsgericht.<br />

(1) Allerdings muss bei 14-18jährigen zunächst einmal erarbeitet werden, ob sie Verantwortungsreife<br />

besitzen (§ 3 JGG). Ist dies nicht <strong>der</strong> Fall, werden sie trotz<br />

<strong>der</strong> begangenen Straftaten wie Kin<strong>der</strong> behandelt und <strong>der</strong> Jugendhilfe mit ihren<br />

erzieherischen Hilfen überantwortet.<br />

(2) Bei den 18-21jährigen muss festgestellt werden, ob sie trotz Volljährigkeit etwa<br />

noch nicht eigenverantwortlich und gemeinschaftsfähig sind und somit nicht nach<br />

Erwachsenen-, son<strong>der</strong>n nach Min<strong>der</strong>jährigenstrafrecht behandelt werden (§ 105<br />

JGG).<br />

(3) Ist es klar, dass (1) o<strong>der</strong> (2) zutrifft, geht es um die Empfehlung einer Sanktion.<br />

Hier unterscheidet das Jugendstrafrecht zwischen Jugendstrafe, Zuchtmitteln und<br />

Erziehungsmaßregeln.<br />

- Nur die erstere ist eine echte Strafe und wird daher auch ins Strafregister eingetragen.<br />

Der Jugendliche ist dann vorbestraft.<br />

- Die Zuchtmittel dienen dazu, einen jungen Menschen „zur Raison zu rufen“. Sie<br />

sind <strong>der</strong> Paukenschlag, <strong>der</strong> sie wie<strong>der</strong> auf den richtigen Weg lenken soll.<br />

- Die Erziehungsmaßregeln schließlich dienen dazu, den „unerzogenen“ jungen<br />

Menschen zu erziehen. Sie sollen in gewisser Weise das nachholen, was die Eltern<br />

versäumt haben. Sie haben sehr viele Gemeinsamkeiten mit den Hilfen zur<br />

Erziehung des SGB VIII.<br />

Alle drei Kategorien von Sanktionen kommen stationär und ambulant vor. Die Jugendstrafe<br />

(§ 17 JGG), die in <strong>der</strong> Regel nicht länger als 10 Jahre dauern kann, kann verbüßt<br />

werden müssen o<strong>der</strong> zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Zuchtmittel können<br />

in Form von Arrest (so wie Eltern den Kin<strong>der</strong>n „Haus“- o<strong>der</strong> „Stuben-Arrest“ „aufbrummen“)<br />

(§ 16 JGG) o<strong>der</strong> als Auflagen o<strong>der</strong> Verwarnung verhängt werden. Die Erziehungsmaßregeln<br />

schließlich können als Heimerziehung o<strong>der</strong> als Weisungen (§ 10<br />

JGG) verschiedenster Art (z.B. Sozialstunden, Entschuldigung, Täter-Opfer-Ausgleich)<br />

verhängt werden.<br />

Denkbar ist es auch, dass bereits Staatsanwalt (§ 47 JGG) o<strong>der</strong> später Gericht (§ 47<br />

JGG) das Verfahren einstellen, weil <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige sich schon Hilfen des Jugendamtes<br />

unterstellt hat. Im Zusammenhang mit o<strong>der</strong> ohne eine Bewährungsstrafe kann<br />

<strong>der</strong> junge Mensch einen Bewährungshelfer bekommen, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Regel ein Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe ist.<br />

Stationäre und ambulante Sanktionen gemäß JGG<br />

Sanktion stationär ambulant<br />

Jugendstrafe<br />

Verhängung:<br />

Aussetzung<br />

zur Bewährung:<br />

§§ 17 ff. JGG<br />

§§ 17, 18 JGG<br />

§§ 21-26a JGG<br />

Straftat:<br />

Wi<strong>der</strong>ruf, § 26 JGG<br />

Zuchtmittel<br />

Jugendarrest:<br />

Verwarnung<br />

und Auflagen:<br />

§§ 13 ff. JGG<br />

§ 16 JGG<br />

§§ 14, 15 JGG<br />

Nichterfüllung:<br />

Jugendarrest,<br />

§ 15 III 2 JGG<br />

Erziehungsmaßregeln HzE in Einrichtung: HzE als ErzBeistandschaft<br />

und Weisungen:<br />

§§ 9 ff. JGG<br />

§ 12 Nr.2 i.V.m. § 34 SGB §§ 10, 12 Nr.1 JGG<br />

VIII<br />

i.V.m. § 30 SGB VIII<br />

Nicht Nachkommen:<br />

Jugendarrest,<br />

§ 11 III JGG


47<br />

IV. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige<br />

(Beistandschaft, Pflegschaft, Vormundschaft) 58<br />

1. Grundsatz: elterliche Sorge<br />

Im deutschen Recht ist mit rechtlicher Fürsorge die Fürsorge gemeint, die zum Ziel hat,<br />

die gesetzliche Vertretung des nicht volljährigen jungen Menschen sicher zu stellen,<br />

damit er am Rechtsleben teilhaben kann.<br />

Normalerweise steht ein Min<strong>der</strong>jähriger unter elterlicher Sorge (§ 1626 BGB), <strong>der</strong>en<br />

Bestandteil die gesetzliche Vertretung ist (1629 BGB) 59 . Aufgrund<br />

- tatsächlicher (Tod, Unerreichbarkeit, subjektiv empfundene Unfähigkeit) o<strong>der</strong><br />

- rechtlicher Ereignisse (Min<strong>der</strong>jährigkeit, Entzug des Sorgerechts, Geschäftsunfähig-<br />

keit, Interessenkonflikt)<br />

kann es sein, dass die Eltern ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Dann muss jemand<br />

an<strong>der</strong>s anstelle <strong>der</strong> Eltern diese Funktionen ausfüllen.<br />

2. Ausnahme: staatliche Rechtsfürsorge<br />

Das deutsche Recht kennt - unabhängig vom Alter des Min<strong>der</strong>jährigen - drei Rechtsfiguren,<br />

die dieses Ziel verfolgen:<br />

- den Vormund, <strong>der</strong> im Bereich <strong>der</strong> gesamten elterlichen Sorge gesetzlicher Vertreter<br />

ist (§ 1773 BGB),<br />

- den Pfleger, <strong>der</strong> in Teilbereichen anstelle <strong>der</strong> Eltern gesetzlicher Vertreter ist<br />

(§ 1909 BGB)<br />

- den Beistand, <strong>der</strong> den Elternteil nicht ersetzt, son<strong>der</strong>n neben ihm gesetzlicher Vertreter<br />

ist (§ 1712 BGB) und zwar nur in den Teilbereichen Vaterschaftsfeststellung<br />

und Unterhaltsgeltendmachung .<br />

3. Eintritt <strong>der</strong> Rechtsfürsorge<br />

Diese die Eltern ganz o<strong>der</strong> teilweise ersetzenden Personen können durch Entscheidung<br />

des Gerichts o<strong>der</strong> automatisch, das heißt kraft Gesetzes, in diese Funktionen<br />

gelangen. Den automatischen Eintritt staatlicher Rechtsfürsorge gibt es im Bereich <strong>der</strong><br />

Vormundschaft, wenn<br />

- eine nicht voll geschäftsfähige ledige Mutter ein Kind zur Welt bringt (§ 1791c BGB),<br />

- Eltern in die Adoption ihres Kindes eingewilligt haben o<strong>der</strong> ihre Einwilligung gerichtlich<br />

ersetzt worden ist (§ 1751 Abs.1 Satz 4 BGB) und<br />

- im Bereich Beistandschaft, wenn ein allein erziehen<strong>der</strong> Elternteil für die Aufgabenfel<strong>der</strong><br />

Vaterschaffeststellung o<strong>der</strong> Unterhalt einen Beistand anfor<strong>der</strong>t (§§ 1712, 1713<br />

BGB).<br />

Der Regelfall ist die gerichtliche Anordnung (§ 1774 BGB), die von Amts wegen zu<br />

erfolgen hat.<br />

4. Abgrenzung Vormundschaft - Pflegschaft<br />

Ob ein staatlicher Rechtsfürsorger Vormund o<strong>der</strong> Pfleger ist, richtet sich also nicht -<br />

wie in manchen Rechtsordnungen - nach dem Alter des Mündels/ Pfleglings, son<strong>der</strong>n<br />

nach <strong>der</strong> Größe seines Aufgabenkreises. In keinem Fall sind - wie<strong>der</strong>um wie in manchen<br />

Rechtsordnungen - Vormund o<strong>der</strong> Pfleger verpflichtet, mit dem Min<strong>der</strong>jährigen<br />

zusammen zu leben. Wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht Teil seiner Befugnisse<br />

ist, dann kann er entwe<strong>der</strong> mit dem Min<strong>der</strong>jährigen zusammen leben o<strong>der</strong> diesen z.B.<br />

58 Vgl. hierzu Wiesner / Wiesner §§ 52a-58a; Kunkel / Mollik / Opitz §§ 52a-58a<br />

59 Zu den Einzelheiten s. o. C.I.3


48<br />

in einem Internat, einem Erziehungsheim, einer Pflegefamilie, einer Wohngemeinschaft<br />

o<strong>der</strong> einem privaten Zimmer unterbringen.<br />

5. Inhalt von Vormundschaft- Pflegschaft<br />

Was den Inhalt <strong>der</strong> Befugnisse betrifft, so sind sie an die elterliche Sorge angelehnt<br />

(§ 1793, § 1915 BGB). Allerdings ist die Kontrolle über Vormund und Pfleger stärker<br />

als die von Eltern. Eltern werden in manchen Fällen insoweit kontrolliert, als sie eine<br />

Genehmigung des Vormundschaftsgerichts brauchen (z.B. § 1631b BGB). Für Vormün<strong>der</strong><br />

und Pfleger trifft dies in viel mehr Fällen zu (vgl. §§ 1822, 1823 BGB).<br />

6. Person des Vormunds 60 o<strong>der</strong> Pflegers 61<br />

Die „Person“, die die staatliche Rechtsfürsorge wahrnimmt, kann<br />

- eine natürliche Person o<strong>der</strong><br />

- ein anerkannter rechtsfähiger Verein (§ 1791a BGB) o<strong>der</strong><br />

- das Jugendamt (§ 1791b BGB)<br />

sein. Bei <strong>der</strong> richterlichen Bestellung eines staatlichen Rechtsfürsorgers stehen dem<br />

Richter im Rahmen des Grundsatzes <strong>der</strong> Subsidiarität alle drei Möglichkeiten zur Verfügung.<br />

Beim automatischen Eintritt <strong>der</strong> staatlichen Rechtsfürsorge dagegen kann es<br />

diese Wahl nicht geben. Hier ist es nur das Jugendamt, das kraft Gesetzes diese Funktion<br />

erhält. Allerdings kann es gemäß dem Grundsatz <strong>der</strong> Subsidiarität durch einen<br />

Verein o<strong>der</strong> eine Einzelperson abgelöst werden.<br />

Die staatliche Rechtsfürsorge ist immer Jugendhilfe, egal wer <strong>der</strong> Rechtsfürsorger ist.<br />

Selbst wenn das Jugendamt es nicht selber ist, hat es die Verpflichtung, das Gericht<br />

beim Finden von als staatlicher Rechtsfürsorger geeigneten Personen zu unterstützen<br />

und diesen nachher bei <strong>der</strong> Durchführung ihrer Arbeit Hilfestellung zu geben (§ 53<br />

SGB VIII). Die Werbung von Privatpersonen für die ehrenamtliche Arbeit als Vormund<br />

o<strong>der</strong> Pfleger ist sehr wichtig, wird aber von den Jugendämtern sehr häufig vernachlässigt.<br />

Dann bleibt am Ende dem Gericht nichts an<strong>der</strong>es übrig, als das Jugendamt zum<br />

Vormund o<strong>der</strong> Pfleger zu bestellen. Wenn in einem Jugendamtsbezirk eine größere<br />

Anzahl von Einzelvormün<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Einzelpflegern vorhanden ist, kann es sinnvoll sein,<br />

diese irgendwie zusammen zu führen. Man spricht von organisierter Einzelvormundschaft<br />

und Einzelpflegschaft. In diesen Gruppen können die Betroffenen ihre Erfahrungen<br />

austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Auch ist die Beratungs- und Unterstützungsarbeit<br />

durch das Jugendamt für eine Gruppe leichter zu leisten als wenn<br />

jede Einzelperson allein beraten werden muss. Möglich ist es auch, diese sog. Querschnittsarbeit<br />

den freien Trägern, die als Vereinsvormün<strong>der</strong> tätig sind, zu übertragen.<br />

7. Beistandschaft 62<br />

Die Beistandschaft ist ein spezielles Rechtsinstitut, das allein erziehenden Eltern helfen<br />

soll, zwei ganz bestimmte Probleme zu lösen:<br />

- die Vaterschaft für ein Kind<br />

- die Unterhaltszahlungen für ein Kind.<br />

Früher (bis 1998) hatte es in diesen Fällen für die Mütter nichtehelicher Kin<strong>der</strong> die sog.<br />

Amtspflegschaft gegeben, die automatisch mit <strong>der</strong> Geburt des Kindes eintrat, durch<br />

das Jugendamt ausgeübt wurde und erst wie<strong>der</strong> durch das Gericht aufgehoben werden<br />

konnte. Sie wurde, auch wenn sie an sich sehr hilfreich war, zunehmend als diskrimi-<br />

60<br />

Am Ende des Jahres 2004 gab es 9.554 gesetzliche Amtsvormundschaften und<br />

30.935 bestellte.<br />

61<br />

Ende 2004 gab es 26.049 (bestellte) Amtspflegschaften<br />

62<br />

Ende 2004 bestanden 684.062 Beistandschaften


49<br />

nierend empfunden. Der Gesetzgeber ersetzte daher die alte Amtspflegschaft durch<br />

die neue Beistandschaft. Der Unterschied ist, dass sie nicht automatisch eintritt, jedoch<br />

kraft Gesetzes, wenn <strong>der</strong> Elternteil es beim Jugendamt erklärt. Außerdem gilt die Beistandschaft<br />

für alle Elterntypen, wenn sie nur allein erziehend sind. Schließlich kann<br />

sie auch auf eine <strong>der</strong> beiden Aufgaben beschränkt werden. An<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong><br />

Amtspflegschaft ist mit ihr kein Verlust des Sorgerechts verbunden. Vielmehr steht <strong>der</strong><br />

Beistand neben den Eltern. Er ist zwar allein handlungsfähig, wenn <strong>der</strong> Elternteil ihn<br />

aber nicht mehr will, kann er dies dem Jugendamt kundtun, und die Angelegenheit ist<br />

erledigt.<br />

Da die Beistandschaft kraft Gesetzes eintritt, kann sie nur durch das Jugendamt ausgeübt<br />

werden. Es ist auch kein Subsidiaritätsprinzip vorgesehen, so dass es keine Ablösung<br />

durch eine Einzelperson gibt.<br />

Die Arbeit des Beistands ist primär darauf gerichtet, die Schwierigkeiten außergerichtlich<br />

zu lösen. Das bedeutet hinsichtlich <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Vaterschaft, dass er darauf<br />

hinwirkt, dass diese freiwillig anerkannt wird (§ 1592 Nr.2 BGB) 63 . Klappt das nicht,<br />

weil <strong>der</strong> Vater nicht bekannt ist, sich weigert o<strong>der</strong> weil die Mutter nicht zustimmt, dann<br />

muss prozessiert werden. In diesem Vaterschaftsfeststellungsverfahren 64 (§ 1592 Nr.3<br />

BGB) ist <strong>der</strong> Beistand allein (nicht neben <strong>der</strong> Mutter) klagebefugt.<br />

63 Im Jahr 2004 wurden 97.546 Vaterschaften freiwillig anerkannt. Wie viele davon aufgrund<br />

<strong>der</strong> Aktivitäten eines Beistands ist nicht bekannt.<br />

64 Auf diesem Wege wurden 2004 8.272 Vaterschaften geklärt.


Anhang<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

AB / EG Arbeitsblatt <strong>der</strong> Europäischen Union<br />

AdVermiG Adoptionsvermittlungsgesetz<br />

AG Ausführungsgesetz<br />

BEEG Bundeselterngeld und -elternzeitgeld<br />

BErzGG Bundeserziehungsgeldgesetz<br />

BGB Bürgerliches Gesetzbuch<br />

BGBl. Bundesgesetzblatt<br />

BKGG<br />

Bundeskin<strong>der</strong>geldgesetz<br />

BVerfG<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

EMRK<br />

Europäische Menschenrechtskonvention<br />

EStG Einkommenssteuergesetz<br />

FamG Familiengesetz<br />

FGG Gesetz über die Angelegenheiten <strong>der</strong> freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />

GG Grundgesetz<br />

GTK Gesetz über Tageseinrichtungen für Kin<strong>der</strong><br />

GV Bl / GV Gesetz- und Verordnungsblatt<br />

HzE<br />

Hilfe zur Erziehung<br />

Inspe<br />

Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung<br />

JGG<br />

Jugendgerichtsgesetz<br />

JuSchG<br />

Jugendschutzgesetz<br />

JWG Jugendwohlfahrtsgesetz<br />

KJFöG Kin<strong>der</strong>- und Jugendför<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

KJHG Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz<br />

LJA Landesjugendamt<br />

MuSchG Mutterschutzgesetz<br />

NW / NRW Nordrhein-Westfalen<br />

OVG<br />

Oberverwaltungsgericht<br />

Reha Rehabilitation<br />

RVO Reichsversicherungsordnung<br />

SGB<br />

Sozialgesetzbuch<br />

SpfH<br />

Sozialpädagogische Familienhilfe<br />

StGB Strafgesetzbuch<br />

VerWG Verwaltungsgericht<br />

VwGO Verwaltungsgerichtsordnung<br />

50


51<br />

Län<strong>der</strong>bericht Belgien<br />

Vorwort<br />

Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Mobilität innerhalb <strong>der</strong> Europäischen Union führen zu Familiengründungen<br />

über Kultur- und Län<strong>der</strong>grenzen hinweg. Somit kommt es vor, dass Familien<br />

o<strong>der</strong> einzelne Mitglie<strong>der</strong> einer Familie für eine bestimmte Zeit in einem an<strong>der</strong>en<br />

Land als ihrem Herkunftsland leben. In <strong>der</strong> Euregio Maas-Rhein beschäftigt diese Entwicklung<br />

in zunehmendem Masse auch die Praxis <strong>der</strong> Jugendhilfe. Der Umzug ins<br />

Nachbachland einer Pflegefamilie o<strong>der</strong> eines Elternteils nach einer Trennung, die Therapie<br />

in einer Klinik im Ausland.... sind nur einige Beispiele, mit denen die Fachkräfte in<br />

ihrer alltäglichen Arbeit umgehen müssen. Dabei ist die Kenntnis über die Jugendhilfestrukturen<br />

und die entsprechende Gesetzgebung <strong>der</strong> Nachbachregion erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Diese Mobilität kann bei fehlenden Absprachen und Kenntnis <strong>der</strong> grenznahen Behörden<br />

für die Betroffenen zu praktischen und auch rechtlichen Problemen führen. Zum<br />

an<strong>der</strong>en führt diese Mobilität jedoch auch dazu, dass auf wertvolles Fachwissen und<br />

Angebote an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> zurückgegriffen wird.<br />

Die Deutschsprachige Gemeinschaft als kleinster Gliedstaat in Belgien mit dennoch<br />

nicht unbedeutenden Befugnissen, greift gerne auf die Erfahrungen und das Fachwissen<br />

seiner innerbelgischen und euregionaler Kollegen zurück. Im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

besteht bereits ein enger Kontakt zwischen den grenznahen Diensten, sowie Vereinbarungen,<br />

die diese Zusammenarbeit strukturell för<strong>der</strong>n. Die persönlichen Kontakte<br />

zu den Kollegen im grenznahen Raum machen es im Alltag wesentlich einfacher auch<br />

für Einzellfall entsprechende Lösungen zu finden.<br />

Einige Vertreter <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Arbeitsgruppe, die durch eine Vereinbarung<br />

in 1999 ins Leben gerufen wurde, haben sich zur Aufgabe gestellt eine Gesamtübersicht<br />

<strong>der</strong> <strong>Jugendhilfesysteme</strong> in den drei grenznahen Regionen zu erstellen. Dies<br />

mit dem Ziel den Fachleuten eine Hilfe in <strong>der</strong> Bewältigung ihrer alltäglichen Arbeit zu<br />

geben. Ein anspruchsvolles aber sehr sinnvolles Unterfangen, das den Partnern großen<br />

Einsatz abverlangt hat.<br />

Ich bin <strong>der</strong> Überzeugung, dass auch dieses grenzüberschreitende Projekt ein weiterer<br />

Schritt ist, die Län<strong>der</strong>- und Kulturgrenzen virtuell abzubauen und die Zusammenarbeit<br />

zwischen den verschiedenen Behörden und Dienste zu för<strong>der</strong>n im Interesse eines jeden<br />

Hilfeantragstellers, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong> Mobilität Gebrauch macht.<br />

Für die Deutschsprachige Gemeinschaft<br />

Bernd Gentges<br />

Vize-Ministerpräsident,<br />

Minister für Ausbildung und Beschäftigung,<br />

Soziales und Tourismus


53<br />

Län<strong>der</strong>bericht<br />

Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens<br />

Michael Fryns, Eupen<br />

Inhaltsübersicht<br />

A. Begriff und Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe 57<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen <strong>der</strong> 57<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 57<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 58<br />

1. UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention 58<br />

2. Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes 59<br />

betreffend Kin<strong>der</strong>handel, Prostitution und Kin<strong>der</strong>pornografie<br />

3. Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, 59<br />

die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> elterlichen Verantwortung und <strong>der</strong> Maßnahmen zum Schutz von<br />

Kin<strong>der</strong>n vom 19.10.1996 (KSÜ)<br />

4. EG-Verordnung Nr. 2201/2003 59<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 60<br />

IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaates 61<br />

1. För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen an 61<br />

sie o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

1.1 Der Mutterschaftsurlaub 61<br />

1.2 Geburtsprämie und Familienzulagen 62<br />

1.3 Nach dem Mutterschaftsurlaub 63<br />

1.4 Steuerliche Regelung 64<br />

1.5 Unterhaltszahlung 64<br />

2. Das Bildungssystem 65<br />

2.1 Die Schulpflicht 65<br />

2.2 Die Schulnetze 65<br />

2.3 Die freie Schulwahl und Einschreibepflicht <strong>der</strong> Schulen 65<br />

2.4 Die Struktur des Unterrichts in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft 66<br />

2.5 Die PMS-Zentren 69<br />

2.6 Studienbeihilfen 70<br />

C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe 71<br />

I. Die Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe 71<br />

1. Die freiwillige Jugendhilfe 71<br />

2. Die gerichtliche Jugendhilfe 71


54<br />

3. Die elterliche Gewalt 72<br />

3.1 Allgemeines 72<br />

3.2 Was ist <strong>der</strong> Unterschied zwischen dem Hauptbeherbergungsrecht und 74<br />

dem Umgangsrecht?<br />

3.3 Bevorzugung <strong>der</strong> abwechselnden Beherbergung von Kin<strong>der</strong>n bei 74<br />

getrennt lebenden Eltern<br />

3.4 Nichteinhaltung von festgelegten o<strong>der</strong> vereinbarten Regelungen bezgl. 75<br />

<strong>der</strong> Beherbergung und des Umgangsrechts<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> Staatlichen Verwaltung 75<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur 75<br />

2. Jugendhilfedienst und Jugendgerichtsdienst 77<br />

2.1 Der Jugendhilfedienst 77<br />

2.2 Der Jugendgerichtsdienst 77<br />

3. Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe 78<br />

3.1 Allgemeines 78<br />

3.2 Staatliches Wächteramt/Eingriffsverwaltung 79<br />

3.3 Leistungserbringung 79<br />

D. Leistungsrecht 80<br />

I. Rechtsanspruch o<strong>der</strong> objektives Recht 80<br />

II. Arten von Leistungen 80<br />

1. Standardleistungen 80<br />

1.1 Hilfeleistungen im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen Erziehungshilfe 80<br />

1.2 Hilfeleistung im Rahmen <strong>der</strong> gerichtlichen Jugendhilfe 82<br />

1.3 Jugendschutzmaßnahmen 83<br />

1.4 Jugendhilfeleistung, die durch die privaten o<strong>der</strong> öffentlichen Träger 85<br />

in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft angeboten werden<br />

1.5 Kostenbeteiligung 87<br />

1.6 Adoption 88<br />

2. Hilfen für beson<strong>der</strong>e Personengruppen 89<br />

2.1 Rechtliche Grundlagen 89<br />

2.2 Leistungsvoraussetzungen 89<br />

2.3 Hilfen 90<br />

3. Hilfen für junge Volljährige 90<br />

3.1 Rechtliche Grundlagen 90<br />

3.2 Leistungsvoraussetzungen 90<br />

3.3 Ende <strong>der</strong> Maßnahme 90<br />

3.4 Kosten 90<br />

III. Verfahren und gerichtliche Kontrolle 91<br />

1. Antrag 91<br />

1.1 Freiwillige Jugendhilfe 91<br />

1.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe 91<br />

1.3 Jugendschutz 91


55<br />

2. Mitwirkung 92<br />

2.1 Freiwillige Jugendhilfe 92<br />

2.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe 93<br />

3. Datenschutz 93<br />

4. Örtliche und sachliche Zuständigkeit 94<br />

4.1 Freiwillige Jugendhilfe 94<br />

4.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe 95<br />

IV. Leistungserbringungsrecht 95<br />

1. Jugendhilfeplanung 95<br />

2. Zulassung von Leistungserbringern 95<br />

E. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe/Staatliches Wächteramt 96<br />

I. Intervention bei Gefährdung und Scheitern <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Jugendhilfe 96<br />

1. Voraussetzungen <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe 96<br />

1.1 Gefährdungssituation (allgemeine Anspruchsvoraussetzung <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe) 96<br />

1.2 Scheitern <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe 96<br />

1.3 Erfor<strong>der</strong>lichkeit 97<br />

II. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte 97<br />

1. Der Jugendhilfedienst 97<br />

2. Jugendgerichtshilfe und Jugendschutz 97<br />

III. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige 98<br />

1. Grundsatz: elterliche Gewalt (siehe C.I.3.) 98<br />

2. Ausnahme: Die Vormundschaft 98<br />

3. Zuständiger Friedensrichter 98<br />

4. Bezeichnung des Vormundes 98<br />

5. Der Gegenvormund 99<br />

6. Aufgaben des Vormundes 100<br />

7. Konflikte zwischen dem Min<strong>der</strong>jährigen und dem Vormund 101<br />

8. Informationsmöglichkeit des Friedensrichters 101<br />

9. Rechenschaftsablegung des Vormundes 101<br />

10. Klagemöglichkeit des Min<strong>der</strong>jährigen 101<br />

11. Mündigkeitserklärung des Min<strong>der</strong>jährigen 101


57<br />

A. Begriff und Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die Jugendhilfe ist eine spezialisierte Erziehungshilfe, die im Rahmen des Jugendhilfedekretes<br />

dem Jugendlichen gewährt wird, dessen physische o<strong>der</strong>/und psychische Integrität,<br />

dessen affektive, moralische, kognitive o<strong>der</strong> soziale Entwicklung o<strong>der</strong> dessen<br />

Erziehung durch sein eigenes Verhalten, das seiner Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong> Drittpersonen,<br />

durch seine Lebensumstände, durch Beziehungskonflikte o<strong>der</strong> durch beson<strong>der</strong>e<br />

Ereignisse gefährdet ist. Die Erziehungsberechtigten können die Jugendhilfe<br />

beanspruchen, wenn sie bei <strong>der</strong> Erziehung eines Kindes erhebliche Schwierigkeiten<br />

haben und wenn dies zur Folge hat, dass eine dem Wohl des Jugendlichen entsprechende<br />

Erziehung nicht mehr gewährleistet werden kann und eine Leistung <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

für seine Entwicklung sich als geeignet und notwendig erweist 65 .<br />

Die Maβnahmen im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe haben zum Ziel, den Erziehungsberechtigten<br />

Hilfe bei <strong>der</strong> Erziehung, und dem Jugendlichen Hilfe bei <strong>der</strong> Stärkung seines<br />

Verantwortungsbewusstseins sowie seiner sozialen und gegebenenfalls beruflichen<br />

Einglie<strong>der</strong>ung zu geben. Dabei werden die Erziehungsberechtigten in hohem Maße mit<br />

beteiligt.<br />

Der Vater und die Mutter sind gemäß <strong>der</strong> Zivilgesetzgebung in erster Linie für Unterhalt,<br />

Erziehung und Aufsicht des Jugendlichen verantwortlich. Jugendliche dürfen daher<br />

nur von den zuständigen Behörden in begründeten Fällen und im Rahmen einer<br />

nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zu ihrem<br />

Wohl von den Eltern getrennt werden 66 .<br />

Erst wenn alle Bemühungen ergebnislos sind, weil die Eltern nicht bereit o<strong>der</strong> nicht in<br />

<strong>der</strong> Lage sind, alleine o<strong>der</strong> mit Hilfestellung die Gefahr für den Jugendlichen abzuwenden,<br />

kann <strong>der</strong> Jugendliche vorübergehend o<strong>der</strong> langfristig aus seiner familiären Umgebung<br />

herausgelöst werden. Wird ein Jugendlicher aus seiner familiären Umgebung<br />

herausgelöst, behalten die Eltern die Rechte und Pflichten <strong>der</strong> elterlichen Gewalt.<br />

Durch die Herauslösung können diese lediglich nicht mehr in gleichem Maße und gleicher<br />

Form ausgeübt werden. Die Entscheidungsbefugnis bezüglich wesentlicher Fragen,<br />

die das Kind betreffen (Ausbildung, Ehe, chirurgische Eingriffe....) obliegt weiterhin<br />

den Eltern. Der Jugendrichter interveniert dann, wenn die Entscheidung <strong>der</strong> Eltern<br />

nicht im Interesse des Jugendlichen getroffen wurde.<br />

Die Jugendhilfe zielt zudem darauf ab, <strong>der</strong> Familie als Grundeinheit <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

und natürliche Umgebung für das Wachsen und Gedeihen all ihrer Mitglie<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, den erfor<strong>der</strong>lichen Schutz und Beistand zu gewähren damit sie<br />

ihre Aufgaben innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft erfüllen kann. 67<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugend-<br />

hilfe<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

In Belgien steht in <strong>der</strong> Normenhierarchie <strong>der</strong> nationalen Normen die Belgische Verfassung,<br />

koordiniert (bereinigt) am 17.02.1994 (nachfolgend B.V. genannt)an oberster<br />

65<br />

Artikel 2 des Dekretes vom 20.03.1995 über die Jugendhilfe<br />

66<br />

Artikel 4, §1 des Dekretentwurfes über die Jugendhilfe<br />

67<br />

Artikel 4, §1 des Dekretentwurfes über die Jugendhilfe


58<br />

Stelle. Mit einer Än<strong>der</strong>ung am 23.03.2000 wurde die Grundlage für die Kin<strong>der</strong>rechte<br />

(Art. 22bis) eingefügt.<br />

Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben gem. Art. 23 B.V. bestimmt das Sozialstaatsprinzip.<br />

Der nationale Gesetzgeber, die Gemeinschaften und die Regionen müssen<br />

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte garantieren, um diese Bestimmung<br />

<strong>der</strong> Verfassung umzusetzen. Das umfasst gem. Abs. 2 u. a. das Recht auf soziale Sicherheit,<br />

auf soziale und rechtliche Hilfe sowie auf soziale Entfaltung. Aus Art. 23 B.V.<br />

kann kein unmittelbarer Rechtsanspruch abgeleitet werden. Die Umsetzung <strong>der</strong> sozialen<br />

Grundrechte erfolgt durch die nationale, Gemeinschafts- und Regionalgesetzgebung.<br />

Das staatliche Wächteramt begründet sich in Art. 22bis B. V., denn „jedes Kind hat ein<br />

Recht auf Achtung seiner moralischen, körperlichen, geistigen und sexuellen Unversehrtheit.<br />

Das Gesetz, das Dekret o<strong>der</strong> die in Artikel 134 erwähnte Regel gewährleistet<br />

den Schutz dieses Rechtes.“ Das Privat- und Familienleben ist gem. Art. 22 B.V. geschützt,<br />

außer in den Fällen und unter den Bedingungen, die durch Gesetz festgelegt<br />

sind.<br />

Die Gesetze und Dekrete <strong>der</strong> Gemeinschaften müssen im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz<br />

(Art. 10 B.V.) und dem Diskriminierungsverbot (Art. 11 B.V.) stehen.<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

In Belgien geht das internationale und supranationale Recht, soweit es direkt gegenüber<br />

den Bürgern gilt, dem nationalen Recht vor. Dementsprechend genießt es auch<br />

Vorrang vor <strong>der</strong> B.V.. Wenn aus Dringlichkeitsgründen das ausländische Recht nicht<br />

geprüft werden kann, wird belgisches Recht angewandt.<br />

Der König schließt gem. Art. 167 <strong>der</strong> Verfassung internationale Verträge ab, die durch<br />

das fö<strong>der</strong>ale Parlament ratifiziert werden. Dies gilt nicht für Verträge in den Angelegenheiten,<br />

in denen die Gemeinschafts- und Regionalregierungen sachlich zuständig sind.<br />

Das Parlament <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft ist für die Zusammenarbeit zwischen<br />

den Gemeinschaften sowie die internationale Zusammenarbeit einschließlich<br />

des Abschlusses von Verträgen in personenbezogenen und kulturellen Angelegenheiten<br />

sowie im Bereich des Unterrichtswesens zuständig (Art. 130-§ 1 <strong>der</strong> Verfassung).<br />

1. UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention<br />

Belgien hat dem „Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989“ durch<br />

ein Gesetz vom 25.11.1991 (UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention) zugestimmt. Die Deutschsprachige<br />

Gemeinschaft hat den Vertrag mit einem Dekret vom 25.06.1991 gebilligt.<br />

Die Kin<strong>der</strong>rechtskonvention haben weltweit alle Län<strong>der</strong> außer den USA und Somalia<br />

ratifiziert. Das Übereinkommen ist kein bindendes, anwendbares Recht. Die Vertragspartner<br />

sind jedoch verpflichtet, ihr nationales Recht so zu gestalten, dass es den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Konvention entspricht.<br />

Auf Grund eines Kooperationsabkommens zwischen den Gemeinschaften und dem<br />

Fö<strong>der</strong>alstaat wurde in Belgien eine nationale Kommission für die Rechte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

eingesetzt.


59<br />

2. Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes<br />

betreffend Kin<strong>der</strong>handel, Prostitution und Kin<strong>der</strong>pornografie<br />

Das „Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend<br />

Kin<strong>der</strong>handel, Prostitution und Kin<strong>der</strong>pornografie“, ist am 25.05.2000 in Kraft getreten.<br />

Belgien hat das Zusatzprotokoll im September 2000 unterzeichnet. Es beinhaltet,<br />

dass die Vertragsstaaten ihre Maßnahmen ausweiten sollen, um einen Schutz des<br />

Kindes vor Kin<strong>der</strong>handel, Pornografie und Kin<strong>der</strong>prostitution zu gewährleisten.<br />

Die für diese Handlungen Verantwortlichen sollen aufgespürt werden und strafrechtlich<br />

verfolgt werden. Durch den Vertrag werden die Mitgliedsstaaten aufgefor<strong>der</strong>t, die Öffentlichkeit<br />

stärker zu sensibilisieren, um die Nachfrage zu vermin<strong>der</strong>n, die zu Kin<strong>der</strong>handel,<br />

Kin<strong>der</strong>prostitution und Kin<strong>der</strong>pornografie führt. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet,<br />

die Opfer zu informieren, zu schulen und zu unterstützen (Art. 8 und 9).<br />

In Belgien fallen diese Aufgaben in den unter die Befugnis des Fö<strong>der</strong>alstaates und<br />

<strong>der</strong> Gemeinschaften.<br />

3. Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die<br />

Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

elterlichen Verantwortung und <strong>der</strong> Maßnahmen zum Schutz von Kin<strong>der</strong>n<br />

vom 19.10.1996“ (KSÜ)<br />

Dieses Abkommen wurde im Namen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft durch einen<br />

Vertreter <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>alregierung am 01.04.2003 gezeichnet. Es ist davon auszugehen,<br />

dass es in den nächsten Jahren in Kraft treten wird.<br />

Das neue Übereinkommen soll eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Min<strong>der</strong>jährigenschutzabkommens<br />

(Übereinkommen über die Zuständigkeit <strong>der</strong> Behörden und<br />

das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Min<strong>der</strong>jährigen vom<br />

05.10.1961) sein und dieses ersetzen. Der Anwendungsbereich des Vertrages umfasst<br />

„Maßnahmen zum Schutz <strong>der</strong> Person o<strong>der</strong> des Vermögens des Kindes“ (Art. 1 I lit.a<br />

KSÜ). Es gilt für „Kin<strong>der</strong> von ihrer Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres“<br />

(Art. 2 KSÜ).<br />

Kern des Übereinkommens sind Regelungen <strong>der</strong> internationalen Zuständigkeit für die<br />

Anordnung von Schutzmaßnahmen, Schutzverhältnisse und das dementsprechend<br />

anzuwendende Recht (Art. 1 KSÜ). Grenzübergreifende Regelungen sind beispielsweise<br />

notwendig in Fällen von Dringlichkeit, <strong>der</strong> Sicherung des Kindeswohls von<br />

Flüchtlingskin<strong>der</strong>n, in Scheidungsverfahren, bei denen die Eltern und Kin<strong>der</strong> in unterschiedlichen<br />

Staaten wohnen. Die Zuständigkeit <strong>der</strong> Behörden richtet sich nach dem<br />

gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Art. 5 I, 8. 9 KSÜ). Bei <strong>der</strong> Ausübung ihrer Zuständigkeit<br />

wenden die Behörden auf Schutzmaßnahmen eigenes Sachenrecht an<br />

(Art. 15 I KSÜ). Schutzmaßnahmen müssen von allen Vertragsstaaten anerkannt und<br />

für vollstreckbar erklärt werden. Ein weiterer Aspekt des KSÜ ist die internationale Kooperation,<br />

die eine Koordination <strong>der</strong> Entscheidungen und Maßnahmen unter mehreren<br />

betroffenen Staaten ermöglicht. In <strong>der</strong> Praxis sind das beispielsweise die Übertragung,<br />

Einschränkung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Entzug <strong>der</strong> elterlichen Gewalt, Regelungen von Sorge- und<br />

Besuchsrecht o<strong>der</strong> Schutzmaßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls.<br />

4. EG-Verordnung Nr. 2201/2003<br />

Für Belgien gilt auch die „EG-Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und<br />

die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren<br />

betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung <strong>der</strong> Verordnung (EG)<br />

Nr. 1347/2000“ (EheGVO bzw. so genannte Brüssel IIbis-VO). Die Verordnung gilt nur<br />

für EU - Mitglie<strong>der</strong> mit Ausnahme Dänemarks. Die Verordnung erstreckt sich u. a. auf


60<br />

Verfahren über die elterliche Verantwortung, wobei nicht unterschieden wird, ob es sich<br />

um ein eheliches o<strong>der</strong> nicht-eheliches Kind handelt.<br />

Sie regelt die internationale Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von<br />

Entscheidungen sowie die internationale Kooperation, nicht aber das anzuwendende<br />

Recht.<br />

Der Anwendungsbereich <strong>der</strong> Brüssel IIbis-VO bezieht sich gemäß Art. 1 I lit.b auf „die<br />

Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige o<strong>der</strong> teilweise Entziehung<br />

<strong>der</strong> elterlichen Verantwortung.“ Dies betrifft beson<strong>der</strong>s Fremdunterbringungen,<br />

Vormundschaften, Pflegschaften, Beistandschaften und Schutzmaßnahmen im Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Verwaltung und Erhaltung des Kindesvermögens o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Verfügung darüber (Abs. 2). Zuständig ist in <strong>der</strong> Regel das Gericht am gewöhnlichen<br />

Aufenthaltsort des Kindes (Art. 8 I).<br />

Brüssel IIbis geht dem KSÜ vor, wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt<br />

im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat sowie in den Bereichen, die in beiden<br />

Verordnungen geregelt sind.<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Belgien ist ein Fö<strong>der</strong>alstaat. Demzufolge werden die Zuständigkeiten durch verschiedene<br />

Gebietskörperschaften ausgeübt. Bei den Gebietskörperschaften handelt es sich<br />

neben <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>alebene um die Gemeinschaften, die Regionen, die Provinzen und<br />

die Gemeinden.<br />

Die Fö<strong>der</strong>alebene übt ihre Zuständigkeiten in ganz Belgien aus. Die Gemeinschaften<br />

und Regionen hingegen nur für einen begrenzten Teil des Staatsgebietes. Die Rechtsnormen,<br />

die die Fö<strong>der</strong>alebene verabschiedet, nennen sich „Gesetze“ und <strong>der</strong>en Ausführungsbestimmungen<br />

„Königliche Erlasse“; die <strong>der</strong> Gemeinschaften nennen sich<br />

„Dekrete“ und <strong>der</strong>en Ausführungsbestimmungen „Regierungserlasse“. In <strong>der</strong> Normenhierarchie<br />

sind die Gesetze den Dekreten gleichgestellt und die Königlichen Erlasse<br />

den Regierungserlassen. Bei Zuständigkeitskonflikten entscheidet <strong>der</strong> Verfassungsgerichtshof.<br />

Für die Zuständigkeiten <strong>der</strong> verschiedenen Gebietskörperschaften verweisen<br />

wir auf C. II.1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur S. 24.<br />

Die Provinzen und Gemeinden sind untergeordnete Behörden, die im Prinzip unter<br />

Aufsicht <strong>der</strong> Regionen stehen. Deren Rechtsnormen stehen in <strong>der</strong> Normenhierarchie<br />

unter denen <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>alebene, <strong>der</strong> Gemeinschaften und <strong>der</strong> Regionen.<br />

Sowohl für die freiwillige als auch für die gerichtliche Jugendhilfe ist in <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft das Dekret vom 20.03.1995 über die Jugendhilfe die wesentliche<br />

Grundlage. Dieses Dekret sowie dessen Ausführungsbestimmungen werden bis<br />

Ende 2007 durch ein neues Dekret ersetzt. Vorliegen<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>bericht trägt bereits mit<br />

den Bestimmungen des neuen Dekretes Rechnung.<br />

Im Folgenden sind Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe aufgeführt:<br />

• Zivilgesetzbuch;<br />

• Gesetz über den Jugendschutz vom 08.04.1965 zuletzt abgeän<strong>der</strong>t durch die<br />

Gesetze vom 15. Mai 2006 und vom 13. Juni 2006 bezüglich des Jugendschutzes,<br />

<strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährigen, die eine als Straftat qualifizierte<br />

Handlung begangen haben und die Wie<strong>der</strong>gutmachung des durch diese Straftat<br />

entstandenen Schadens;<br />

• Dekret über die Jugendhilfe vom 20. März 1995;<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung über die Anerkennung, die Festlegung des Pflegegeldes<br />

und <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>zulagen für natürliche Personen bezüglich <strong>der</strong> Betreuung von<br />

untergebrachten Jugendlichen vom 09.01.1998;


61<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung zur Anerkennung und Bezuschussung von Personen<br />

und Einrichtungen zur Begleitung und Betreuung von Jugendlichen vom<br />

20.12.1995;<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung über die Anerkennung und die Bezuschussung von juristischen<br />

Personen, die Jugendliche stationär o<strong>der</strong> ambulant betreuen vom<br />

02.03.2001;<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung zur Beteiligung <strong>der</strong> unterhaltspflichtigen Personen an<br />

den durch die im Rahmen des Dekretes über die Jugendhilfe durchgeführten<br />

Unterbringungsmaßnahmen entstandenen Kosten vom 10.04.2003;<br />

• Dekret zur Adoption vom 21.12.2005;<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung zur Adoption vom 28.09.2006;<br />

• Erlass <strong>der</strong> Regierung zur Einsetzung <strong>der</strong> zentralen Behörde <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

für Adoption vom 19.10.2006;<br />

• Dekret zur Schaffung einer Dienststelle <strong>der</strong> Deutschsprachige Gemeinschaft<br />

für Personen mit einer Behin<strong>der</strong>ung vom 19.06.1990;<br />

• Dekret über die Öffentlichkeit von Verwaltungsdokumenten vom 16.10.1995;<br />

• Königlicher Erlass zur Ausführung des Gesetzes vom 08.12.1992 über den<br />

Schutz des Privatlebens hinsichtlich <strong>der</strong> Verarbeitung personenbezogener Daten.<br />

IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaates<br />

1. Die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen<br />

an sie o<strong>der</strong> ihre Eltern 68<br />

1.1 Der Mutterschaftsurlaub<br />

1.1.1 Allgemeines<br />

Der Mutterschaftsurlaub dauert im Normalfall 15 Wochen (also 105 Tage) und bei einer<br />

Mehrlingsgeburt 17 o<strong>der</strong> sogar 19 Wochen und wird in zwei Kategorien aufgeteilt:<br />

- den pränatalen Urlaub (vor <strong>der</strong> Entbindung)<br />

- den postnatalen Urlaub (nach <strong>der</strong> Entbindung)<br />

Generelles Prinzip:<br />

- Pränataler Urlaub: mindestens 1, höchstens 6 Wochen<br />

- Postnataler Urlaub: mindestens 9, höchstens 14 Wochen.<br />

1.1.2 Umwandlung des Mutterschaftsurlaubs in Vaterschaftsurlaub<br />

In beson<strong>der</strong>en Ausnahmefällen (Krankenhausaufenthalt o<strong>der</strong> Ableben <strong>der</strong> Mutter) darf<br />

<strong>der</strong> Vater den Teil des Mutterschaftsurlaubs beanspruchen, den die Mutter nicht in Anspruch<br />

nehmen konnte.<br />

Wenn die Mutter länger als 7 Tage nach <strong>der</strong> Entbindung im Krankenhaus bleiben muss<br />

und das Neugeborene bereits nach Hause darf, kann <strong>der</strong> Vater anstelle <strong>der</strong> Mutter das<br />

Kind in Empfang nehmen und solange den Vaterschaftsurlaub beanspruchen, bis die<br />

Mutter ihrerseits das Krankenhaus verlässt und den Mutterschaftsurlaub fortsetzt.<br />

68 Auszüge aus <strong>der</strong> Broschüre „Mutterschaft und Beruf, eine Broschüre des Dienstes<br />

für Kind und Familie <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft, Auflage 2006


62<br />

Hierbei dürfen natürlich die 15 Wochen Mutterschaftsurlaub (bzw. 17-19 Wochen bei<br />

einer Mehrlingsgeburt) nicht überschritten werden.<br />

Im Krankheitsfall <strong>der</strong> Mutter erhält sie weiterhin ihr Ersatzeinkommen durch die Krankenkasse<br />

und <strong>der</strong> Vater erhält 60% seines letzten Bruttogehalts für die Zeit des Vaterschaftsurlaubs,<br />

ebenfalls durch die Krankenkasse.<br />

1.1.3 Das Ersatzeinkommen (Krankengeld)<br />

Das Ersatzeinkommen während des Mutterschaftsurlaubs wird durch die Krankenkasse<br />

gezahlt (die Beamten im öffentlichen Dienst erhält eine Lohnfortzahlung) und beträgt:<br />

o Während <strong>der</strong> ersten 30 Tage: 82% des Bruttogehalts, ohne Höchstsatz<br />

o Ab dem 31. Tag: 75 % des Gehalts, berechnet auf den letzten Bruttolohn, mit<br />

einem Höchstsatz.<br />

o Nach den 15 bzw. 17-19 Wochen Mutterschaftsurlaub ist <strong>der</strong> Mutterschaftsurlaub<br />

beendet und die Mutter erhält im Krankheitsfall wie<strong>der</strong> 55 bzw. 60 % des Bruttogehalts<br />

mit einem Höchstsatz.<br />

o Arbeitssuchende: 79,5 % des letzten Bruttogehalts, mit einem Höchstsatz von<br />

87,10 € pro Tag. Ab dem 31. Tag nach <strong>der</strong> Entbindung 75% des letzten Bruttogehalts.<br />

1.2 Geburtsprämie und Familienzulagen 69<br />

Die gesetzlichen Bestimmungen sehen vor, dass <strong>der</strong> Elternteil mit dem vorteilhaftesten<br />

Erwerbsstatut die Familienzulagen erhält (z.B. wird die Arbeitnehmerin den Antrag stellen,<br />

wenn ihr Partner zur Zeit <strong>der</strong> Antragstellung arbeitslos war).<br />

Wenn Mann und Frau beide dasselbe Statut haben, muss <strong>der</strong> Mann den Antrag stellen.<br />

Ab dem 6. Schwangerschaftsmonat (180 Tage Schwangerschaft) und bis spätestens 3<br />

Jahre nach <strong>der</strong> Entbindung kann die Geburtsprämie bei <strong>der</strong> Familienzulagenkasse<br />

beantragt werden. Folgende Summen sind (Index zum 01. Oktober 2006) vorgesehen:<br />

- erstes Kind von Mutter o<strong>der</strong> Vater : 1.064,79 €<br />

- für jedes weitere Kind : 801,13 €<br />

- bei Mehrlingsgeburten : 1.064,79 €/Kind<br />

Neben <strong>der</strong> einmaligen Geburtsprämie erhält jede Mutter monatlich Familienzulagen (=<br />

Kin<strong>der</strong>geld). Der Grundbetrag <strong>der</strong> Familienzulage pro Monat ist:<br />

- für das erste Kind : 78,59 €<br />

- für das zweite Kind : 145,43 €<br />

- für das dritte und alle nachfolgenden : 217,13 €<br />

Zuzüglich zum Grundbetrag wird ein Alterszuschlag gewährt, und zwar für folgende<br />

Altersstufen:<br />

- von 6 bis 12 Jahre : 27,30 €<br />

- von 12 bis 18 Jahre : 41,72 €<br />

- ab 18 Jahre bis zum Ende des Anrechts : 53,05 €<br />

69 Wenn man von Familienbeihilfen o<strong>der</strong> Familienzulagen spricht, ist immer <strong>der</strong> im einfachen Sprach-<br />

gebrauch benutzte Begriff ‚Kin<strong>der</strong>geld’ gemeint.


63<br />

Das Anrecht endet in jedem Fall, wenn <strong>der</strong> Jugendliche 25 Jahren alt wird. Das Anrecht<br />

endet vorher, wenn <strong>der</strong> Jugendliche ein eigenes Einkommen bezieht.<br />

Die Berechnung <strong>der</strong> Familienzulage ist komplex und kann durch verschiedene Faktoren<br />

von den oben genannten Summen abweichen (Sozialzuschlag, Behin<strong>der</strong>ung, gekürzter<br />

Alterszuschlag, …).<br />

1.3 Nach dem Mutterschaftsurlaub<br />

Es gibt folgende verschiedene Urlaubsformen im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, die<br />

in Anspruch genommen werden können und die mittelbar o<strong>der</strong> unmittelbar mit <strong>der</strong> Geburt<br />

eines Kindes in Zusammenhang stehen:<br />

1.3.1 Der Elternurlaub<br />

Der Elternurlaub darf innerhalb von:<br />

o 4 Jahren nach <strong>der</strong> Entbindung beansprucht werden;<br />

o innerhalb von 8 Jahren, wenn das Kind zu 66% behin<strong>der</strong>t ist<br />

o innerhalb von 6 Jahren im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis.<br />

Den Elternurlaub kann man:<br />

a. während 3 Monaten vollzeitig beanspruchen<br />

b. o<strong>der</strong> während 6 Monaten teilzeitig beanspruchen<br />

c. o<strong>der</strong> während 15 Monaten zu 1/5 beanspruchen.<br />

Während des Elternurlaubs wird bei einer Vollzeitunterbrechung eine Entschädigung in<br />

Höhe von 615 €/Monat (Stand 2006) gezahlt.<br />

1.3.2 Laufbahnunterbrechung (Freistellung) wegen Krankenpflege<br />

Die Laufbahnunterbrechung wegen Krankenpflege (offiziell heißt diese Urlaubsform:<br />

LBU im Rahmen des medizinischen Beistands) erlaubt dem/<strong>der</strong> Arbeitsnehmer(in)<br />

seine/ihre Tätigkeit ganz o<strong>der</strong> teilweise einzustellen, um ein Mitglied des Haushalts<br />

(o<strong>der</strong> einen Verwandten bis zum zweiten Grad), <strong>der</strong> an einer „schweren Krankheit“<br />

leidet, zu pflegen.<br />

Diese LBU darf im Prinzip nicht verweigert werden.<br />

‚Schwere Krankheit’ bedeutet: medizinische Eingriffe, chronische o<strong>der</strong> längere Krankheiten,<br />

die eine familiäre und soziale Unterstützung erfor<strong>der</strong>n.<br />

Die Arbeit wird pro Antrag für mindestens 1 Monat und höchstens 3 Monate unterbrochen,<br />

die Gesamtdauer beträgt 12 Monate.<br />

Die vollständige Unterbrechung kann bis zu 24 Monaten betragen, wenn ein Kind, das<br />

den Beistand benötigt, unter 16 Jahre alt und man ist gleichzeitig allein stehend ist und<br />

das Kind steuerlich zu Lasten hat.<br />

Während <strong>der</strong> Laufbahnunterbrechung wird eine Entschädigung gezahlt, die bei einer<br />

Vollzeitunterbrechung bei 615 €/Monat (Stand 2006) liegt.


1.3.3 Die Zeitkredite<br />

64<br />

Am 01.01.2002 wurde die ehemalige Gesetzgebung über die gewöhnliche Laufbahnunterbrechung<br />

für die Arbeitnehmer im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis durch die<br />

Zeitkredit-Gesetzgebung ersetzt.<br />

Die Zeitkredite werden prinzipiell allen Arbeitnehmern (ob männlich o<strong>der</strong> weiblich) gewährt,<br />

aber die Bedingungen und die Dauer sind sehr unterschiedlich. Der Antrag kann<br />

für 3 Monate bis zu einem Jahr gestellt werden:<br />

Es gibt hier 3 Varianten:<br />

a. Die vollständige Unterbrechung (Zeitkredit zu 100%);<br />

b. Die Arbeitszeitreduzierung von 50% bis 75%;<br />

c. Die Arbeitszeitreduzierung um 1/5;<br />

Zur Beanspruchung eines Zeitkredites müssen <strong>der</strong>/die Betroffene in Belgien o<strong>der</strong> in<br />

einem Land <strong>der</strong> Europäischen Union wohnhaft sein. Die Personen dürfen nur in Ausnahmefällen<br />

eine Nebentätigkeit ausüben.<br />

Die Gesamtzeit aller Zeitkredite darf 60 Monate (5 Jahre) nicht übersteigen (Der Elternschaftsurlaub<br />

in Form einer Laufbahnunterbrechung o<strong>der</strong> die LBU wegen Krankenpflege<br />

sind keine Zeitkredite und werden demnach nicht zu den Zeitkrediten addiert).<br />

Die Entschädigung bei einem Zeitkredit zu 100% liegt bei 376 €/Monat bei weniger als<br />

5 Dienstjahren und bei 501 €/Monat bei mehr als 5 Dienstjahren (Stand 2006).<br />

1.4 Steuerliche Regelung<br />

Die Person, die eine o<strong>der</strong> mehrere Personen zu seinen Lasten hat, genießt einen<br />

steuerlichen Vorteil in Form einer Erhöhung des steuerbefreiten Einkommensanteils.<br />

Als Personen steuerlich zu Lasten können in Betracht gezogen werden (unter <strong>der</strong> Bedingung,<br />

dass das Einkommen <strong>der</strong> Betroffenen einen Höchstbetrag nicht überschreitet<br />

und dass die Betroffenen im gleichen Haushalt wohnen):<br />

• Die leiblichen Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Adoptivkin<strong>der</strong>, Enkel und Urenkel;<br />

• die Kin<strong>der</strong>, die einer Person anvertraut wurde und ausschließlich o<strong>der</strong> hauptsächlich<br />

zu seinen Lasten sind;<br />

• Die Eltern o<strong>der</strong> Großeltern usw.;<br />

• Die Geschwister;<br />

• diejenigen Personen, zu <strong>der</strong>en Lasten die Person in seiner Kindheit war.<br />

1.5 Unterhaltszahlung<br />

Der Betrag einer Unterhaltsrente o<strong>der</strong> einer Beteiligung an den Kosten für die Kin<strong>der</strong><br />

muss entsprechend den Möglichkeiten <strong>der</strong> beiden Parteien bestimmt werden. Wenn<br />

diese sich nicht einigen können, wird <strong>der</strong> Richter entscheiden. Eine Unterhaltsrente<br />

muss demjenigen, <strong>der</strong> sie bekommt, die Möglichkeit bieten, seine Existenz unter ähnlichen<br />

Umständen wie vorher zu sichern. Die Unterhaltsrente nach einer durch Verschulden<br />

ausgesprochenen Ehescheidung darf nicht mehr als ein Drittel des Nettoeinkommens<br />

des Schuldners betragen. Entsprechend <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong><br />

Parteien kann die Unterhaltsrente erhöht, verringert o<strong>der</strong> gestrichen werden. In Belgien


65<br />

gibt es kein verpflichtendes Rechenmodell zum Errechnen <strong>der</strong> Höhe des Unterhaltsgeldes.<br />

Betreiben von Unterhaltszahlungen:<br />

Der Dienst für Unterhaltsfor<strong>der</strong>ungen wurde gegründet, um geschuldete und rückständige<br />

Unterhaltsrenten bei den Schuldnern beizutreiben. Dieser Dienst nimmt im<br />

Verhältnis zu den Einkünften des Schuldners auch Zahlungen von Vorschüssen auf<br />

Unterhaltsrenten vor. Der Begünstigte muss we<strong>der</strong> selbst gerichtliche Schritte einleiten,<br />

noch die Gerichtskosten übernehmen. Er zahlt allerdings 5% des beigetriebenen Betrags.<br />

Die Bedingungen, um diesen Dienst in Anspruch nehmen zu können sind folgende:<br />

• Wohnsitz in Belgien;<br />

• dass eine Unterhaltsrente im Lauf <strong>der</strong> 12 Monate vor dem Antrag zweimal ganz<br />

o<strong>der</strong> teilweise unbezahlt geblieben ist;<br />

• dass <strong>der</strong> Betrag <strong>der</strong> Unterhaltsrente aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung<br />

o<strong>der</strong> in einer notariellen Urkunde festgesetzt wurde.<br />

2. Das Bildungssystem 70<br />

2.1 Die Schulpflicht<br />

Das Gesetz vom 29. Juni 1983 legt das Ende <strong>der</strong> Pflichtschulzeit (Vollzeit- und Teilzeitschulpflicht)<br />

auf das Alter von 18 Jahren (12 Schuljahre) fest. Diese Reform verfolgte<br />

das Ziel, den Schülern eine bessere Qualifizierung zu gewährleisten und ihnen somit<br />

einen leichteren Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Da dieses Gesetz den Eintritt<br />

in die Arbeitswelt verzögerte, trug es gleichsam dazu bei, die ständig ansteigende Zahl<br />

junger Arbeitsloser zu verringern. Die Teilzeitschulpflicht gilt ab 15 Jahren und ermöglicht<br />

es dem Jugendlichen, sich für eine alternierende Ausbildung entwe<strong>der</strong> im Handelsgewerbe<br />

und Industrie o<strong>der</strong> aber im Teilzeitunterricht zu entscheiden.<br />

Während <strong>der</strong> Pflichtschulzeit ist <strong>der</strong> Zugang zum Unterricht unentgeltlich. Es darf kein<br />

Schulgeld verlangt werden. Die Schulträger und das Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft übernehmen einen Teil <strong>der</strong> Kosten für die klassischen Lehrmittel.<br />

Beson<strong>der</strong>e Dienstleistungen können jedoch zu Lasten <strong>der</strong> Eltern gehen. Den schulpflichtigen<br />

Schülern, die zur nächstgelegenen Schule <strong>der</strong> freien Wahl per Bus eine<br />

gewisse Strecke fahren müssen, werden die Fahrtkosten zu einem Großteil erstattet.<br />

2.2 Die Schulnetze<br />

Die Deutschsprachige Gemeinschaft unterscheidet drei Schulnetze: das freie subventionierte<br />

Unterrichtswesen, das offizielle subventionierte Unterrichtswesen und das Gemeinschaftsunterrichtswesen.<br />

2.3 Die freie Schulwahl und Einschreibepflicht <strong>der</strong> Schulen<br />

Der Schulpakt sowie auch die Belgische Verfassung verpflichten die Gemeinschaften<br />

in Belgien zu gewährleisten, dass die Eltern die Unterrichtsart für ihre Kin<strong>der</strong> frei wählen<br />

können. Das Gesetz unterscheidet zwischen konfessionellen, nicht konfessionellen<br />

70<br />

Auszug au seiner Broschüre <strong>der</strong> Abteilung Unterrichtswesen des Ministeriums <strong>der</strong><br />

Deutschsprachigen Gemeinschaft


66<br />

und pluralistischen Schulen. Die Erziehungsberechtigten können eine <strong>der</strong> drei oben<br />

genannten Schularten frei wählen.<br />

Grundsätzlich nehmen die Gemeinschaftsschulen alle Schüler auf, während Gemeindeschulen<br />

nur dazu verpflichtet sind, die Kin<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> eigenen Gemeinde einzuschreiben<br />

und jene aus Nachbargemeinden, wenn die Schule für diese Schüler die<br />

nächstgelegene Schule ist.<br />

Freie subventionierte Schulen dürfen die Einschreibung eines Schülers nur verweigern,<br />

wenn die Erziehungsberechtigten des Schülers nicht bereit sind, dem Erziehungsprojekt<br />

des Schulträgers und dem Schulprojekt <strong>der</strong> Schule zuzustimmen.<br />

2.4 Die Struktur des Unterrichts in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

Je<strong>der</strong> Schüler durchläuft den Kin<strong>der</strong>garten (im Normalfall drei Jahre), dann die Primarschule<br />

(im Normalfall sechs Jahre) und schließlich die Sekundarschule (im Normalfall<br />

sechs Jahre im allgemeinbildenden Unterricht o<strong>der</strong> sieben Jahre im berufsbildenden<br />

Unterricht). Das erste und zweite Jahr im Sekundarunterricht sollen die spätere Orientierung<br />

in den allgemeinbildenden, technischen o<strong>der</strong> berufsbildenden Unterricht ermöglichen.<br />

In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft besteht nur eine eingeschränkte Möglichkeit,<br />

Hochschulstudien zu durchlaufen. Ein Studium kurzer Dauer wird in den Bereichen<br />

Lehramt (Kin<strong>der</strong>garten und Primarschule) und Krankenpflege angeboten. Um an<strong>der</strong>en<br />

Studiengängen zu folgen, müssen die Abiturienten sich ins belgische Landesinnere<br />

begeben o<strong>der</strong> ins Ausland gehen.<br />

2.4.1 Der Kin<strong>der</strong>garten<br />

Im Gegensatz zu vielen an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n ist <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>garten in Belgien<br />

fester Bestandteil des Unterrichtswesens. Alle Kin<strong>der</strong> haben ein uneingeschränktes<br />

Recht auf einen kostenlosen Kin<strong>der</strong>gartenplatz. Zum Kin<strong>der</strong>garten zugelassen werden<br />

die Kin<strong>der</strong>, die mindestens 3 Jahre alt sind o<strong>der</strong> dieses Alter bis zum 31. Dezember<br />

des laufenden Schuljahres erreichen. Obwohl keine Schulpflicht für diese Kin<strong>der</strong> besteht,<br />

geht aus statistischen Erhebungen hervor, dass rund 98% <strong>der</strong> dreijährigen Kin<strong>der</strong><br />

regelmäßig den Kin<strong>der</strong>garten besuchen.<br />

Dies bedeutet also, dass fast alle Kin<strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>garten durchschnittlich drei Jahre<br />

lang besuchen.<br />

Im Mittelpunkt <strong>der</strong> erzieherischen Arbeit im Kin<strong>der</strong>garten stehen die Sprachför<strong>der</strong>ung,<br />

die Sozialisation und die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes. Eine ausgewogene<br />

geistige, körperliche und psychomotorische Entwicklung und die Kreativität <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

sollen geför<strong>der</strong>t werden. Im Kin<strong>der</strong>garten soll <strong>der</strong> Reifeprozess angeregt, die Selbstständigkeit<br />

und das Verantwortungsbewusstsein <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> entwickelt werden. Die<br />

grundlegenden Lernprozesse zu Beginn <strong>der</strong> Primarschule sollen mit Hilfe <strong>der</strong> vorbereitenden<br />

Arbeit im Kin<strong>der</strong>garten erleichtert und die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> geför<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

2.4.2 Die Primarschule<br />

Die Schüler, die am 31. Dezember des laufenden Schuljahres mindestens 6 Jahre alt<br />

sind, dürfen die Primarschule besuchen. Im Normalfall besuchen die Schüler die Primarschule<br />

während sechs Jahren. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, einen<br />

Schüler ein Jahr früher bzw. ein Jahr später einzuschreiben.<br />

Diese Entscheidung liegt, auf <strong>der</strong> Grundlage eines Gutachtens des Klassenrates und<br />

des zuständigen PMS-Zentrums, im Ermessen <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten. Außerdem<br />

kann <strong>der</strong> Klassenrat beschließen, dass <strong>der</strong> Schüler während seiner Primarschulzeit<br />

einmal ein zusätzliches Jahr in einer Stufe verbleibt. Eine Verlängerung <strong>der</strong> Primarschulzeit<br />

um zwei Jahre kann in außergewöhnlichen Fällen von den Erziehungsberech-


67<br />

tigten auf Vorschlag des Klassenrates und auf Grundlage eines Gutachtens des zuständigen<br />

PMS-Zentrums beschlossen werden. Die Zertifizierung <strong>der</strong> Primarschulausbildung<br />

erfolgt mit dem Abschlusszeugnis <strong>der</strong> Grundschule.<br />

Laut Dekret vom 26. April 1999 über das Regelgrundschulwesen umfasst das Unterrichtsangebot<br />

<strong>der</strong> Primarschule verpflichtend folgende Fächer o<strong>der</strong> Fachbereiche:<br />

• Muttersprache;<br />

• Psychomotorik und Leibeserziehung;<br />

• Kunst und Handwerk;<br />

• Mathematik;<br />

• Weltorientierung;<br />

• erste Fremdsprache;<br />

• Religion beziehungsweise nichtkonfessionelle Sittenlehre.<br />

Und folgende fächerübergreifenden Bereiche:<br />

• Methodik des Lernens;<br />

• soziales Verhalten.<br />

In Belgien ist die Unterrichtssprache prinzipiell die des Sprachgebietes. Dementsprechend<br />

ist Deutsch die Unterrichtssprache in allen Schulen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft,<br />

außer in den Grundschulen, die zum Schutz <strong>der</strong> französischsprachigen<br />

Min<strong>der</strong>heit in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft eingerichtet worden sind.<br />

In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft ist per Gesetz festgelegt, dass die erste<br />

Fremdsprache Französisch ist. Dementsprechend ist Deutsch die erste Fremdsprache<br />

in den französischsprachigen Primarschulen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft.<br />

2.4.3 Sekundarausbildung<br />

In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft wird eine Sekundarausbildung angeboten, die<br />

administrativ in drei Stufen mit je zwei Jahrgängen geglie<strong>der</strong>t ist. Alle Schüler, die den<br />

Grundschulabschluss erhalten haben, besuchen den allgemeinbildenden Unterricht<br />

(gemeinsame 1. Stufe, A-Klassen), für die an<strong>der</strong>en besteht die Möglichkeit <strong>der</strong> B-<br />

Klassen (berufsbilden<strong>der</strong> Unterricht), oft auch Anpassungsklassen bzw. differenzierte<br />

Stufe genannt.<br />

Die erste Stufe, auch Beobachtungsstufe genannt, umfasst die beiden ersten Sekundarschuljahre<br />

und verfolgt im Beson<strong>der</strong>en das Ziel, allen Schülern eine breit gefächerte<br />

Grundbildung zu gewährleisten. In dieser Stufe können die Lehrer die Schüler beobachten,<br />

um ihre beson<strong>der</strong>en Fähigkeiten zu entdecken und zu för<strong>der</strong>n. Die Beobachtungsstufe<br />

soll zu einer bestmöglichen Orientierung <strong>der</strong> Schüler auf ihrem weiteren<br />

schulischen Weg führen. Da verschiedene Schüler jedoch schon zu Beginn beson<strong>der</strong>e<br />

Defizite in gewissen Bereichen aufweisen, ist es angebracht, sie in einer differenzierten<br />

ersten Stufe aufzunehmen, um sie besser und gezielter för<strong>der</strong>n zu können. Demnach<br />

unterscheiden wir in <strong>der</strong> ersten Stufe zum Ersten das 1. und 2. gemeinsame Jahr A<br />

und zum Zweiten die differenzierte erste Stufe mit dem 1. und dem 2. Jahr B des berufsbildenden<br />

Unterrichts.<br />

Die zweite Stufe (die Orientierungsstufe) sowie die dritte Stufe (die Bestimmungsstufe)<br />

können wie folgt aufgeteilt werden:<br />

- allgemeinbilden<strong>der</strong> Unterricht;<br />

- technischer Unterricht;<br />

- berufsbilden<strong>der</strong> Unterricht.


2.4.4 Alternativen zum Vollzeitsekundarunterricht bei Teilzeitschulpflicht<br />

68<br />

Im Normalfall führt <strong>der</strong> Schüler seine Studien nach Abschluss <strong>der</strong> beiden ersten Sekundarschuljahre<br />

(1. Stufe) weiter, meist an <strong>der</strong>selben Schule, manchmal aber auch an<br />

einer an<strong>der</strong>en Schule, je nach gewählter Studienrichtung o<strong>der</strong> Unterrichtsform zu Beginn<br />

<strong>der</strong> 2. Stufe.<br />

Es gibt aber auch verschiedene Möglichkeiten, <strong>der</strong> Schul- und Ausbildungspflicht bis<br />

zum 18. Lebensjahr Genüge zu leisten, indem man einem Teilzeitunterricht folgt, entwe<strong>der</strong><br />

in einem schulischen Teilzeitzentrum und ausgewählten Betrieben o<strong>der</strong> in einem<br />

Ausbildungszentrum für gewerbliche, industrielle und handwerkliche Berufe und einem<br />

Betrieb. Die mittelständische Ausbildung mittels eines Lehrvertrages ist nach dem Vollzeitunterricht<br />

die häufigste Ausbildungsform.<br />

2.4.5 Teilzeitunterricht (TZU)<br />

Nach einem Jahrzehnt experimentellen Unterrichts ist im Juni 1996 das Dekret zur<br />

Organisation des Teilzeitunterrichts vom Parlament <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

verabschiedet worden. Der Teilzeitunterricht ist eine <strong>der</strong> Möglichkeiten, die es<br />

dem nicht mehr vollzeitschulpflichtigen Schüler erlauben, seiner Schulpflicht bis zum<br />

18. Lebensjahr nachzukommen und gleichzeitig eine gewisse Berufsausbildung in einem<br />

Unternehmen zu erfahren.<br />

Diese Unterrichtsform erlaubt es Schülern ab 15 (wenn sie die beiden ersten Sekundarschuljahre<br />

besucht haben) o<strong>der</strong> ab 16 (wenn dies noch nicht <strong>der</strong> Fall ist), einem<br />

Unterricht zu folgen, <strong>der</strong> nur zwei Tage Ausbildung im Teilzeitunterrichtzentrum beinhaltet.<br />

Die an<strong>der</strong>en drei Tage erfolgt eine Ausbildung in Betrieben. Die Ausbildung im<br />

Zentrum umfasst Allgemeinbildung und berufsbezogenen Unterricht. Die Zahl <strong>der</strong><br />

Schüler im Teilzeitunterricht variiert häufig auch während eines Schuljahres, da <strong>der</strong><br />

TZU oftmals als Übergangslösung genutzt wird, um Schülern eine neue Orientierung<br />

zu geben, sei sie schulischer o<strong>der</strong> aber beruflicher Natur. Ziel ist es, dem Teilzeitschüler<br />

eine individuelle soziale und pädagogische Begleitung zu bieten, um so die Motivation<br />

zur weiteren Ausbildung wie<strong>der</strong> zu erlangen. Der Schüler wird mit den nötigen beruflichen<br />

aber auch sozialen Kompetenzen ausgestattet, um im späteren Berufsleben<br />

bestehen zu können. Auch Schülern bis zum 25. Lebensjahr, die eine neue berufliche<br />

und soziale Integration mit schulischer Hilfe erlangen möchten, steht dieser Unterricht<br />

offen.<br />

2.4.6 Lehrverträge <strong>der</strong> mittelständischen Ausbildung<br />

Die duale Ausbildung in Form einer mittelständischen Lehre entspricht den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Teilzeitschulpflicht, die das Gesetz vom 29. Juni 1983 bezüglich <strong>der</strong> Schulpflicht<br />

festlegt.<br />

Die duale Ausbildung bietet eine Schulung des Jugendlichen in alternieren<strong>der</strong> Form an,<br />

d.h. auf Basis eines Lehrvertrags wird <strong>der</strong> Jugendliche prioritär in einem Betrieb in beruflichtechnischen<br />

Fertigkeiten (vier Tage pro Woche) und ergänzend in einer Berufsschule<br />

in Allgemein- und Fachkenntnissen (ein Tag pro Woche) ausgebildet. Der Lehrvertrag<br />

wird auf Vermittlung eines anerkannten Lehrlingssekretärs vom Ausbildungsbetrieb<br />

und den Eltern des Jugendlichen in <strong>der</strong> auf drei Monate befristeten Periode für<br />

Lehrvertragsabschlüsse zwischen dem 1. Juli und dem 1. Oktober unterzeichnet.<br />

Der erfolgreiche Abschluss einer im Prinzip dreijährigen Lehre wird durch ein Gesellenzeugnis<br />

zertifiziert. Den Gesellen eröffnet sich nach <strong>der</strong> Lehre die Möglichkeit, berufsbegleitend<br />

eine zweijährige Betriebsleiterausbildung zu besuchen, <strong>der</strong>en erfolgreiches<br />

Bestehen mit dem Meisterbrief zertifiziert wird.


69<br />

Eine Son<strong>der</strong>form des Lehrvertrags ist das kontrollierte Lehrabkommen. Es ist von den<br />

Ausbildungsinhalten her vollkommen identisch mit dem Lehrvertrag. Ein kontrolliertes<br />

Lehrabkommen wird zwischen den Eltern des Jugendlichen und einem anerkannten<br />

Lehrlingssekretär abgeschlossen, wenn <strong>der</strong> Jugendliche im elterlichen Betrieb ausgebildet<br />

wird.<br />

Zur Lehre zugelassen sind die Jugendlichen, die Inhaber des Abschlusszeugnisses <strong>der</strong><br />

Grundschule sind, ein zweites Jahr des Sekundarunterrichts bestanden haben und im<br />

Prinzip zumindest 15 Jahre sind.<br />

2.4.7 Autonome Hochschule in <strong>der</strong> DG<br />

Im Dekret vom 27. Juni 2005 wurde die Gründung <strong>der</strong> Autonomen Hochschule in <strong>der</strong><br />

DG vorgenommen.<br />

Das Lehrprogramm sieht an <strong>der</strong> Autonomen Hochschule in <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft die Bachelor-Studiengänge im Bereich Bildungswissenschaften (Kin<strong>der</strong>gärtner/innen,<br />

Primarschullehrer/innen) und Gesundheits- und Krankenpflegewissenschaften<br />

vor. An <strong>der</strong> Hochschule werden neben <strong>der</strong> Erstausbildung auch Weiterbildungen<br />

angeboten.<br />

Die Hochschule bereitet durch Lehre und Studium auf berufliche Tätigkeiten vor, die<br />

die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfor<strong>der</strong>n. Sie nimmt<br />

gegebenenfalls auch Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wahr.<br />

2.4.8 Die Son<strong>der</strong>schulen<br />

Für Schüler mit erheblichen Lernschwierigkeiten, mit einer leichten bis schweren geistigen<br />

Behin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> auch mit körperlichen Schwächen bieten vier Son<strong>der</strong>primarschulnie<strong>der</strong>lassungen<br />

und eine Son<strong>der</strong>sekundarschule in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

eine adäquate Betreuung und individuelle För<strong>der</strong>ung an. Nach Bedarf wird<br />

in diesen Primarschulnie<strong>der</strong>lassungen auch eine Kin<strong>der</strong>gartenklasse organisiert. Neben<br />

<strong>der</strong> Betreuung in den hiesigen Son<strong>der</strong>schulen bzw. Regelschulen für Schüler mit<br />

erhöhtem För<strong>der</strong>bedarf bestehen Abkommen mit Bildungseinrichtungen in Nordrhein-<br />

Westfalen, insbeson<strong>der</strong>e Aachen, für den Unterricht für Kin<strong>der</strong> mit beson<strong>der</strong>en physischen<br />

Beeinträchtigungen, so z.B. Seh- o<strong>der</strong> Hörschäden.<br />

2.4.9 Integration<br />

Seit 1998 besteht für die Son<strong>der</strong>schüler auch die Möglichkeit in <strong>der</strong> Regelgrundschule<br />

integriert zu werden. Für jeden Schüler muss ein Projekt erstellt werden mit umfassen<strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>diagnose und präzisem För<strong>der</strong>plan, nach dem <strong>der</strong> Schüler individuell seinen<br />

Bedürfnissen entsprechend geför<strong>der</strong>t wird. Seitens <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

werden im Rahmen des Möglichen spezifische Fachkräfte zur Verfügung gestellt,<br />

um diese Schüler beson<strong>der</strong>s zu unterstützen. Im Schuljahr 2006-2007 werden<br />

184 Projekte geför<strong>der</strong>t. Die Schüler, die in einem solchen Projekt integriert werden,<br />

werden als „Schüler mit erhöhtem För<strong>der</strong>bedarf“ angesehen.<br />

2.5 Die PMS-Zentren<br />

Die Aufgabe <strong>der</strong> Psycho-Medizinisch-Sozialen Zentren besteht darin, den Schülerinnen<br />

und Schülern Hilfestellungen zu bieten bei ihrer geistigen, psychischen, körperlichen<br />

und sozialen Entwicklung. Die Mitarbeiter sind Psychologen, Krankenpfleger und Ärzte


70<br />

sowie Sozialarbeiter, die in einem Team zusammenarbeiten und somit eine integrative<br />

Vorgehensweise gewährleisten. In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft gibt es drei<br />

Psycho-Medizinisch-Soziale Zentren: eines für die Gemeinschaftsschulen, eines für die<br />

freien Schulen und eines für die Gemeindeschulen, wobei letzteres durch die Provinz<br />

Lüttich getragen wird. Die PMS-Zentren bieten den Schülern, Eltern und Lehrern verschiedene<br />

vorbeugende Dienstleistungen an:<br />

• Beratung beim Übergang vom Kin<strong>der</strong>garten in die Primarschule;<br />

• Entscheidungshilfen und Begleitung bei <strong>der</strong> Integration in den Regelunterricht<br />

o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Aufnahme in die Son<strong>der</strong>schule;<br />

• Information und Beratung beim Übergang von <strong>der</strong> Primarschule zur Sekundarschule;<br />

• Gruppenanimation nach Absprache mit <strong>der</strong> Schule, um die persönliche Entfaltung<br />

<strong>der</strong> Schüler und das Zusammenleben in <strong>der</strong> Klassengruppe zu för<strong>der</strong>n;<br />

• Information und Beratung zu schulischen und beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten,<br />

Studien- und Berufswahl, Lebensprojekt;<br />

• Unterstützung <strong>der</strong> gesundheitsför<strong>der</strong>nden Schule und <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

in den Schulen (Zahnprophylaxe und gesunde Ernährung, Sexualerziehung<br />

und Aidsprävention, Suchtprävention, Sicherheit in <strong>der</strong> Werkstatt und auf<br />

dem Schulhof...);<br />

• vorbeugende ärztliche Untersuchungen, Vorsorge bei ansteckenden Krankheiten<br />

sowie Impfungen (für die Gemeinschaftsschulen durch das PMS-Zentrum<br />

<strong>der</strong> DG, für die freien Schulen und die Gemeindeschulen durch die Gesundheitszentren).<br />

Auf Anfrage bieten die PMS-Zentren:<br />

• Begleitung und Beratung <strong>der</strong> Eltern und Lehrer in Schul- und Erziehungsfragen;<br />

• Hilfestellung und Begleitung von Schülern bei Lernschwierigkeiten, Leistungsdruck,<br />

Schulversagen, persönlichen Fragen, kritischen Lebenssituationen, familiären<br />

Konflikten, Misshandlung, Beziehungsproblemen, Stress, Essstörungen,<br />

Ängsten ...;<br />

• Erstellung von Gutachten für den Son<strong>der</strong>schul- bzw. Integrationsunterricht;<br />

• Spezifische Untersuchungen z.B. <strong>der</strong> Schulreife, Intelligenz, Interessen, Fähigkeiten,<br />

Entwicklung.<br />

Im Rahmen ihres Auftrages sind die PMS-Zentren Partner <strong>der</strong> Schulen und arbeiten<br />

mit vielen an<strong>der</strong>en sozialen Dienststellen zusammen. Die Dienstleistungen sind kostenlos.<br />

Die Mitarbeiter sind an die berufliche Schweigepflicht gebunden.<br />

2.6 Studienbeihilfen<br />

In Ausführung des Dekretes vom 26. Juni 1986 bezüglich <strong>der</strong> Gewährung von Studienbeihilfen<br />

gibt es vier verschiedene Kategorien von Studienbeihilfen:<br />

2.6.1 Studienbeihilfen im Sekundarschulwesen<br />

Diese Studienbeihilfen können im Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

von Schülern beantragt werden, die eine Sekundarschule in <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft besuchen.<br />

2.6.2 Studienbeihilfen im Universitäts- und Hochschulwesen<br />

Diese Studienbeihilfen können im Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

von Studenten beantragt werden, die eine Hochschule in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Ge-


71<br />

meinschaft besuchen o<strong>der</strong> ein Studium im Ausland absolvieren.<br />

Studenten, die ihr Studium in <strong>der</strong> Französischen Gemeinschaft absolvieren, stellen den<br />

Antrag auf Studienbeihilfe in <strong>der</strong> Französischen Gemeinschaft.<br />

2.6.3 Ausgleichsstudienbeihilfen<br />

Falls die Studienbeihilfe, die <strong>der</strong> Student für ein Studium in <strong>der</strong> Französischen Gemeinschaft<br />

von <strong>der</strong> dortigen Behörde erhält, niedriger ist als <strong>der</strong> Betrag, den er in <strong>der</strong><br />

Deutschsprachigen Gemeinschaft erhalten würde, wird er automatisch vom Ministerium<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft kontaktiert, das dem Studenten dann die<br />

Differenz erstattet. Bedingung ist, dass <strong>der</strong> Student während drei Jahren seinen Wohnsitz<br />

bereits in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft hat.<br />

2.6.4 Son<strong>der</strong>studienbeihilfen<br />

Für die Wie<strong>der</strong>holung eines Studienjahres im Universitäts- und Hochschulwesen kann<br />

eine Son<strong>der</strong>studienbeihilfe seitens <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft gewährt werden.<br />

Der Antragsteller muss seinen Antrag ausführlich begründen (z.B. finanzielle Situation,<br />

familiäre Än<strong>der</strong>ung, usw.).<br />

Wovon hängt die Höhe <strong>der</strong> Studienbeihilfe ab?<br />

Die Höhe <strong>der</strong> Studienbeihilfen hängt von <strong>der</strong> jeweiligen Situation des Antragstellers ab:<br />

Berücksichtigt werden das Einkommen (des Studenten und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Person, die für<br />

seinen Unterhalt aufkommt), die Personen zu Lasten und ob <strong>der</strong> Schüler/Student ein<br />

Zimmer mietet (auch Internat) o<strong>der</strong> nicht. Son<strong>der</strong>fälle, die das Einkommen <strong>der</strong> Familie<br />

betreffen, wie z.B. bei Todesfall, Pensionierung, Frühpensionierung, Scheidung, Trennung,<br />

… werden ebenfalls berücksichtigt.<br />

C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

I. Die Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Die freiwillige Jugendhilfe<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe wirken sowohl <strong>der</strong> Jugendliche als auch die<br />

Eltern wesentlich an <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Hilfe mit. Über eine individuelle Jugendhilfe<br />

kann nur nach vorheriger Anhörung <strong>der</strong> durch diese Maßnahme betroffenen Personen<br />

entschieden werden.<br />

Die Anhörung des Jugendlichen sowie des Erziehungsberechtigten ist nur dann nicht<br />

verpflichtend, wenn dies im begründeten Ausnahmefall aufgrund des Alters <strong>der</strong> Person,<br />

ihres Gesundheitszustandes, ihrer Reife, ihres unbekannten Wohnortes o<strong>der</strong> bei<br />

äuβerster Dringlichkeit nicht möglich ist.<br />

Je<strong>der</strong> Jugendliche, <strong>der</strong> angehört wird, kann sich durch eine Person seiner Wahl begleiten<br />

lassen. Im Interesse des Jugendlichen können Gespräche getrennt vom Erziehungsberechtigten<br />

stattfinden.<br />

Jede Entscheidung über eine individuelle Jugendhilfemaßnahme muss dem Jugendlichen,<br />

<strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat, insofern er direkt von <strong>der</strong> Maβnahme betroffen<br />

ist, sowie den mit <strong>der</strong> Erziehung betrauten Personen schriftlich mitgeteilt werden.


72<br />

Als Grundlage für die Ausgestaltung <strong>der</strong> Hilfemaßnahme führt <strong>der</strong> Jugendhilfedienst<br />

zusammen mit dem Erziehungsberechtigten und dem Jugendlichen, <strong>der</strong> die erfor<strong>der</strong>liche<br />

Reife besitzt, ein Hilfeplangespräch. Bei diesem Hilfeplangespräch werden <strong>der</strong><br />

Bedarf, die notwendigen Leistungen, die Dauer <strong>der</strong> Hilfe und die Beteiligung <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten<br />

an den Kosten <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Hilfe besprochen.<br />

Das einvernehmliche Resultat des Hilfeplangesprächs wird in einem Jugendhilfevertrag<br />

festgehalten. Dieser Vertrag wird vom Jugendhilfedienst <strong>der</strong> Organisation, die mit <strong>der</strong><br />

Durchführung des Hilfeprogramms beauftragt wird, den Erziehungsberechtigten und<br />

dem Jugendlichen, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat, unterzeichnet. Bei mehreren<br />

Erziehungsberechtigten ist die Unterzeichnung des Vertrags durch alle Erziehungsberechtigten<br />

nur aufgrund des beeinträchtigten Gesundheitszustandes, des unbekannten<br />

Wohnortes des an<strong>der</strong>en Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong> im Falle von akuter Gefährdung<br />

nicht verpflichtend. Die Unterschrift einer <strong>der</strong> beiden Erziehungsberechtigten ist ausreichend,<br />

wenn ein offensichtliches Desinteresse des an<strong>der</strong>en Erziehungsberechtigten<br />

besteht o<strong>der</strong> wenn durch die Maβnahme die Erziehung des Jugendlichen nicht unmittelbar<br />

beeinträchtigt wird.<br />

Der Jugendhilfedienst kann durch die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten von<br />

Rechtswegen vom Einverständnis des an<strong>der</strong>en Erziehungsberechtigten ausgehen, es<br />

sei denn, es liegen offensichtliche Hinweise für eine Verweigerung des Einverständnisses<br />

des betroffenen Erziehungsberechtigten vor.<br />

Gegebenfalls kann <strong>der</strong> Vertrag zusätzlich von dem im Haushalt anwesenden Lebenspartner<br />

eines Elternteils unterzeichnet werden, insofern dieser von <strong>der</strong> Hilfeplanung<br />

betroffen ist.<br />

2. Die gerichtliche Jugendhilfe<br />

Die gerichtliche Jugendhilfe greift, wenn <strong>der</strong> Jugendhilfedienst bei Unstimmigkeit zwischen<br />

den Betroffenen und dem Mitarbeiter des Jugendhilfedienstes und weiterhin<br />

bestehen<strong>der</strong> Gefährdung des Jugendlichen die Fallsituation an den Prokurator des<br />

Königs übermittelt. Der Prokurator entscheidet über die Befassung des Jugendgerichts.<br />

Es handelt sich auch um eine Form <strong>der</strong> Jugendhilfe, sie kann aber im Interesse des<br />

Jugendlichen durch das Jugendgericht auferlegt werden. Ab einem Alter von 12 Jahren<br />

ist die Anhörung des Jugendlichen verpflichtend, unter 12 Jahren liegt es im Ermessen<br />

des Richters, das Kind unter Berücksichtigung seiner Reife anzuhören o<strong>der</strong> nicht. Die<br />

Erziehungsberechtigten werden vom Jugendrichter vor Anordnung <strong>der</strong> Jugendhilfemaßnahme<br />

angehört. Diese Regeln bezüglich <strong>der</strong> Anhörung gelten auch im Jugendschutzverfahren<br />

(straffällige Jugendliche).<br />

3. Die elterliche Gewalt<br />

3.1 Allgemeines<br />

Gemäß Art. 488 des Zivilgesetzbuches wird die zivile Volljährigkeit mit Vollendung des<br />

18. Lebensjahr erreicht. Der/die Min<strong>der</strong>jährige untersteht „<strong>der</strong> Gewalt“ seiner Eltern bis<br />

zu seiner Volljährigkeit o<strong>der</strong> bis zur Mündigkeitserklärung (Art. 372 des Zivilgesetzbuches).<br />

Leben die Eltern zusammen, so üben sie gemeinsam die Personensorge aus (Art. 373<br />

des Zivilgesetzbuches). Neben <strong>der</strong> Personensorge umfasst die elterliche Gewalt das<br />

Recht <strong>der</strong> Verwaltung des Vermögens des Kindes und das Recht seiner Vertretung<br />

(Art. 376 des Zivilgesetzbuches). Daneben steht ihnen das Recht zu, die Einkünfte aus


73<br />

Bestandteilen des Kindesvermögens zu genießen (Art. 384 des Zivilgesetzbuches). Die<br />

Personensorge umfasst das Recht und die Verpflichtung, für das Kind zu sorgen und<br />

zu erziehen.<br />

Können beide Elternteile sich in einzelnen Angelegenheiten <strong>der</strong> elterlichen Gewalt<br />

nicht einigen, so kann je<strong>der</strong> von ihnen das Jugendgericht anrufen. Dieses kann die<br />

Entscheidung in einzelnen Angelegenheiten einem Elternteil übertragen (Art 373 Satz<br />

3 und 4 des Zivilgesetzbuches).<br />

Das Jugendgericht kann aber auch selbst eine eigene Entscheidung im Interesse des<br />

Kindes treffen o<strong>der</strong> getroffene Entscheidungen abän<strong>der</strong>n (Art. 387bis des Zivilgesetzbuches).<br />

Leben beide Elternteile getrennt, bleibt das Prinzip <strong>der</strong> gemeinsamen Ausübung <strong>der</strong><br />

elterlichen Gewalt bestehen. Bei Uneinigkeit kann das Jugendgericht die ausschließliche<br />

Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt einem Elternteil anvertrauen. Aber auch in diesem<br />

Fall kann das Jugendgericht bestimmen, dass bestimmte Entscheidungen nur mit<br />

dem Einverständnis bei<strong>der</strong> Elternteile getroffen werden können (Art 374 des Zivilgesetzbuches).<br />

Es bestimmt den Kindesaufenthalt (Art. 374 Satz 5 des Zivilgesetzbuches).<br />

Das Jugendgericht kann auf Antrag <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft jegliche<br />

Verfügung in Bezug auf die elterliche Gewalt im Interesse des Kindes anordnen o<strong>der</strong><br />

abän<strong>der</strong>n (Art. 387bis. Des Zivilgesetzbuches).<br />

Obwohl die elterliche Gewalt das Recht umfasst, das Kind bei sich zu haben und über<br />

seinen Aufenthalt zu bestimmen, bedarf es nach belgischem Recht nicht des Entzugs<br />

<strong>der</strong> elterlichen Gewalt, um Maßnahmen <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe anzuordnen und<br />

durchzuführen. Rechtlich bleiben die Eltern die Inhaber <strong>der</strong> elterlichen Gewalt, faktisch<br />

sind sie jedoch darin eingeschränkt. Ordnet <strong>der</strong>/die Jugendrichter/in Maßnahmen <strong>der</strong><br />

zwingenden Jugendhilfe an, so setzt er/sie in den dafür notwendigen Teilbereichen die<br />

Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt für die Dauer <strong>der</strong> Maßnahme außer Kraft. Bei einer<br />

Fremdunterbringung gegen den Willen <strong>der</strong> sorgeberechtigten Eltern würde dies beispielsweise<br />

die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts betreffen. An<strong>der</strong>e Teile<br />

<strong>der</strong> elterlichen Gewalt bleiben unberührt, so dass auch bei einer Fremdunterbringung<br />

die Eltern bei allen wichtigen Entscheidungen befragt werden und ihr Einverständnis<br />

dazu geben müssen. Kommt es dabei erneut zu Konflikten, entscheidet <strong>der</strong>/die Jugendrichter/in<br />

im Interesse des/<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährigen.<br />

Unter gewissen schwerwiegenden Umständen, kann den Eltern die elterliche Gewalt<br />

entzogen werden (Artikel 32 bis 35 des Jugendschutzgesetzes vom 8. April 1965).<br />

Dies ist unter folgenden Umständen <strong>der</strong> Fall:<br />

1. Wenn <strong>der</strong> Elternteil für ein Vergehen (Haftstrafe von 8 Tagen bis 5 Jahre) o<strong>der</strong><br />

ein Verbrechen (Haftstrafe über 5 Jahre) gegenüber seinen Kin<strong>der</strong>n verurteilt<br />

wurde o<strong>der</strong> ein Vergehen o<strong>der</strong> ein Verbrechen mit Hilfe einer seiner Kin<strong>der</strong><br />

begangen hat;<br />

2. Wenn <strong>der</strong> Elternteil durch schlechte Behandlung, Autoritätsmissbrauch, offensichtliches<br />

Fehlverhalten o<strong>der</strong> schwere Vernachlässigung die Gesundheit, die<br />

Sicherheit o<strong>der</strong> die Moral des Kindes gefährdet hat;<br />

Der Entzug <strong>der</strong> elterlichen Gewalt wird durch die Staatsanwaltschaft beantragt und<br />

durch das Jugendgericht ausgesprochen.


74<br />

Das Jugendgericht kann dem Elternteil alle seine Rechte entziehen o<strong>der</strong> nur einen Teil<br />

seiner Rechte.<br />

Bei Entzug <strong>der</strong> elterlichen Rechte bezeichnet das Jugendgericht eine Person, die die<br />

entzogenen Rechte ausübt. Werden die elterlichen Rechte nur einem Elternteil entzogen,<br />

übt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Elternteil die alleinige Gewalt über das Kind aus, es sei denn, dies<br />

steht im Wi<strong>der</strong>spruch zum Interesse des Kindes.<br />

3.2 Was ist <strong>der</strong> Unterschied zwischen dem Hauptbeherbergungsrecht und dem<br />

Umgangsrecht?<br />

Das Hauptbeherbergungsrecht bestimmt, wo das Kind hautsächlich lebt. In dieser Gemeinde<br />

wird das Kind auch in das Bevölkerungsregister eingetragen.<br />

Das Umgangsrecht ist das Recht, mit dem Kind regelmäßige Kontakte zu pflegen. Dieses<br />

Recht hat <strong>der</strong> Elternteil, bei dem das Kind nicht wohnt. Der Richter verbietet den<br />

Umgang mit dem Kind nur, wenn sehr gravierende Gründe vorliegen.<br />

Der Gesetzgeber hat auch den Großeltern des Kindes sowie je<strong>der</strong> Person, die nachweisen<br />

kann, dass sie eine ganz beson<strong>der</strong>e Beziehung zum Kind hat, ein Umgangsrecht<br />

zugesprochen. Sollten es bei <strong>der</strong> Ausübung dieses Rechtes Probleme geben,<br />

werden die Ausübungsmodalitäten dieses Umgangsrechtes durch das Jugendgericht<br />

festgelegt.<br />

3.3 Bevorzugung <strong>der</strong> abwechselnden Beherbergung von Kin<strong>der</strong>n bei getrennt<br />

lebenden Eltern<br />

Das Gesetz vom 8. Juli 2006 legt u. a. die Bedingungen zur Wahl des Beherbergungsmodells<br />

fest.<br />

Hintergrund des Gesetzes ist die Erkenntnis, dass die Bindung des Kindes zu beiden<br />

Elternteilen erfor<strong>der</strong>lich ist und Gerichtsverfahren zur Regelung <strong>der</strong> Konflikte im Bereich<br />

<strong>der</strong> Beherbergung für das Kind schädlich sind. Somit gilt es, diese auf ein Minimum<br />

zu reduzieren. Da <strong>der</strong> Gesetzgeber bisher kein Beherbergungsmodell festlegte,<br />

ist je<strong>der</strong> Richter nach bestem Gewissen frei, zu entscheiden, welches Modell er im<br />

Einzelfall vorsieht. Somit ist je<strong>der</strong> Elternteil eher angehalten, den Richter von seinem<br />

Modell zu überzeugen, anstatt ein Einvernehmen im Rahmen einer Vermittlung zu erzielen.<br />

Durch das Gesetz vom 13. April 1995 wurde bereits festgelegt, dass beide Elternteile<br />

auch nach <strong>der</strong> Trennung die elterliche Gewalt gemeinsam ausüben. Durch das Gesetz<br />

vom 8. Juli 2006 wird nun die Wahl des Modells für die Beherbergung des Kindes, als<br />

ein Teil <strong>der</strong> Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt, an gesetzlichen Bedingungen gebunden.<br />

Durch das Gesetz wird kein Beherbergungsmodell auferlegt, jedoch das Einvernehmen<br />

<strong>der</strong> Eltern an die erste Stelle gestellt. Bei fehlendem Einvernehmen muss <strong>der</strong> Richter,<br />

wenn ein Elternteil dies beantragt zunächst die Möglichkeit <strong>der</strong> abwechselnden Beherbergung<br />

in Betracht ziehen. Sollte <strong>der</strong> Richter zum Entschluss kommen, dass das abwechselnde<br />

Modell nicht im Interesse des Kindes ist, kann er ein an<strong>der</strong>s Beherbergungsmodell<br />

festlegen. In jedem Fall muss <strong>der</strong> Richter begründen, warum er das abwechselnde<br />

Modell verwirft und ein an<strong>der</strong>es vorzieht. Begründet werden muss diese<br />

Entscheidung unter Berücksichtigung <strong>der</strong> konkreten Umstände, des Interesse des Kindes<br />

und <strong>der</strong> Eltern. Objektive Kriterien für die Wahl des Richters können das Alter des<br />

Kindes, die Verfügbarkeit jeden Elternteils und die Entfernung <strong>der</strong> Wohnorte zwischen<br />

beiden Elternteile sein.<br />

Da das Einvernehmen <strong>der</strong> Eltern als Priorität angesehen wird, muss <strong>der</strong> Richter die<br />

Parteien nicht nur über das mögliche Vermittlungsverfahren son<strong>der</strong>n auch über das<br />

Interesse, eine solche Vermittlung vorzunehmen, informieren. Damit die Parteien Zeit


75<br />

haben sich über einen Vermittlungsprozess zu erkundigen und diesen zu beginnen,<br />

kann das Gericht das Verfahren für höchstens einen Monat aussetzen. Wird <strong>der</strong> Vermittlungsprozess<br />

erfolgreich beendet, bestätigt <strong>der</strong> Richter die Einigung, es sei denn,<br />

diese würde offensichtlich dem Interesse des Kindes wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Um das Verfahren zu vereinfachen und die Kosten zu reduzieren, sieht das Gesetz<br />

auch vor, dass nach dem ersten Befassen eines Jugendgerichts die Akte dort bis zur<br />

Mündigkeitserklärung o<strong>der</strong> bis zur Volljährigkeit des Kindes anhängig bleibt. Sollten<br />

sich neue Elemente ergeben, kann die betroffene Partei das Gericht erneut durch einfache<br />

Hinterlegung von Schlussfolgerungen o<strong>der</strong> mittels einer schriftlichen Anfrage<br />

befassen.<br />

3.4 Nichteinhaltung von festgelegten o<strong>der</strong> vereinbarten Regelungen bezüglich<br />

<strong>der</strong> Beherbergung und des Umgangsrechts<br />

Zweiter Schwerpunkt des Gesetzes vom 8. Juli 2006 ist die Festlegung von Maßnahmen<br />

in dem Fall, wo eine festgelegte Regelung bezüglich <strong>der</strong> Beherbergung o<strong>der</strong> des<br />

Umgangsrechts nicht eingehalten wird. Auch hier bleibt im Prinzip <strong>der</strong> Richter zuständig,<br />

<strong>der</strong> die Entscheidung, die nicht eingehalten wird, getroffen bzw. bestätigt hat.<br />

Wird eine vereinbarte o<strong>der</strong> festgelegte Entscheidung nicht eingehalten, kann <strong>der</strong> Richter<br />

eine neue Entscheidung bezüglich <strong>der</strong> Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Beherbergung treffen. Diese neue Entscheidung basiert mit Ausnahme <strong>der</strong> Dringlichkeit<br />

auf:<br />

- einer neuen Untersuchungsmaßnahme, wie z.B. einer neuen Sozialuntersuchung<br />

o<strong>der</strong> Expertise,<br />

- einer Schlichtung zwischen den Parteien;<br />

- einer Vermittlung.<br />

Auch wenn die Nichteinhaltung <strong>der</strong> Beherbergungsregelung weiterhin eine Straftat<br />

bleibt, sieht das Gesetz nun ausdrücklich vor, dass <strong>der</strong> Richter <strong>der</strong> klagenden Partei<br />

erlauben kann, Zwangsmassnahmen einzusetzen, wenn die neue Regelung nicht eingehalten<br />

wird. Der Richter legt die Art <strong>der</strong> Zwangsmaßnahme fest und unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Interessen des Kindes die Modalitäten zur Umsetzung. Wenn er es für<br />

erfor<strong>der</strong>lich hält, kann <strong>der</strong> Richter eine Person bezeichnen, die den Gerichtsvollzieher<br />

bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Maßnahme begleitet. Der Richter kann auch ein Zwangsgeld<br />

aussprechen, um die Ausführung seiner Entscheidung zu erzwingen. Der diesbezügliche<br />

Antrag bei Gericht ist kostenfrei. Wird ein Kind entgegen <strong>der</strong> Beherbergungs- o<strong>der</strong><br />

Umgangsregelung von einem Elternteil ins Ausland gebracht, finden die entsprechenden<br />

internationalen Bestimmungen Anwendung.<br />

Um Zwangsmaßnahmen zu beantragen, muss <strong>der</strong> Kläger belegen, dass er den Beklagten<br />

in Verzug gesetzt hat und dass dieser sich daraufhin weiterhin geweigert hat,<br />

seinen Verpflichtungen nachzukommen.<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> staatlichen Verwaltung<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur<br />

Die Staatsform des Königreiches Belgien ist eine konstitutionelle repräsentative Monarchie.<br />

Es hat sich zu einem fö<strong>der</strong>alisierten Staat entwickelt. Belgien ist geglie<strong>der</strong>t in<br />

Sprachgebiete, Regionen und Gemeinschaften, die jedoch unterschiedliche Zuständigkeiten<br />

haben und territorial nicht deckungsgleich sind. Die Zuständigkeiten <strong>der</strong> Regio-


76<br />

nen sind vor allem wirtschaftlicher Art, während die Zuständigkeiten <strong>der</strong> Gemeinschaften<br />

eher kultureller Art (vor allem bildungspolitischer Art) und personenbezogen sind.<br />

Die unterste Ebene <strong>der</strong> Selbstverwaltung sind die 589 Gemeinden.<br />

Die belgische fö<strong>der</strong>ale Exekutive setzt sich aus dem König und <strong>der</strong> fö<strong>der</strong>alen Regierung<br />

zusammen. Das fö<strong>der</strong>ale Parlament bildet die Legislative (Der König interveniert<br />

auch auf Ebene <strong>der</strong> Legislative). Es besteht aus <strong>der</strong> Abgeordnetenkammer und dem<br />

Senat. Die Abgeordnetenkammer hat die Entscheidungsgewalt in Haushaltsangelegenheiten<br />

sowie <strong>der</strong> Vertrauensfrage. Der Senat besitzt eine Beratungsfunktion und<br />

entscheidet bei Interessenskonflikten zwischen den regionalen Parlamenten.<br />

Auf fö<strong>der</strong>aler Ebene werden die Ministerien als „Fö<strong>der</strong>aler Öffentlicher Dienste“ (FÖD)<br />

bezeichnet. So besteht <strong>der</strong> FÖD-Justiz, FÖD-Finanzen, .. .<br />

Sprachgebiete:<br />

Belgien ist in vier Sprachgebiete eingeteilt: das deutsche Sprachgebiet, das französische<br />

Sprachgebiet (Wallonie), das nie<strong>der</strong>ländische Sprachgebiet (Flan<strong>der</strong>n) und das<br />

zweisprachige Gebiet Brüssel-Hauptstadt. In den deutschsprachigen Gemeinden Amel,<br />

Büllingen, Burg-Reuland, Bütgenbach, Eupen, Kelmis, Lontzen, Raeren und St.Vith hat<br />

die geschützte Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> französischsprachige Bürger Son<strong>der</strong>rechte.<br />

Regionen:<br />

Der Fö<strong>der</strong>alstaat besteht aus den eigenständigen Gebietskörperschaften Wallonische<br />

Region, Flämische Region und Brüsseler Region. Sie sind für gebietsbezogene Materien<br />

zuständig wie Teile <strong>der</strong> Wirtschaftpolitik, Bodenschätze, Umweltpolitik, Neugestaltung<br />

ländlicher Gebiete und Erhaltung <strong>der</strong> Natur, Wohnungswesen, Wasserpolitik, Teile<br />

<strong>der</strong> Energiepolitik, Aufsicht über untergeordnete Behörden, Beschäftigungspolitik,<br />

öffentliche Arbeiten, Verkehrswesen, Forsten, Jagd und Fischerei. Die Regionen haben<br />

eigene direkt gewählte Parlamente (Räte mit rechtlichen Befugnissen), Regierungen<br />

und ein eigenes Ministerium für die Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten. Sie besitzen<br />

eine begrenzte eigene Finanz- und Steuerhoheit. Die Ministerpräsidenten und Minister<br />

werden von den Parlamenten gewählt und sind diesem gegenüber verantwortlich. Die<br />

Regionen besitzen keine eigenen Verfassungen. Ihre Verfassungsordnung ist Gegenstand<br />

<strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>alen Verfassung und nationaler Gesetze.<br />

Die Regionen (mit Ausnahme <strong>der</strong> Region Brüssel-Hauptstadt) sind in zehn Provinzen<br />

unterteilt. Diese sind zu administrativen Zwecken in Arrondissements (Bezirke) geglie<strong>der</strong>t,<br />

die keine eigenen Organe besitzen.<br />

Gemeinschaften:<br />

Die Gemeinschaften sind wie die Regionen eigenständige Gebietskörperschaften. Die<br />

Unterteilung in Sprach- und Kulturgemeinschaften umfasst die Flämische Gemeinschaft,<br />

Französische Gemeinschaft und Deutschsprachige Gemeinschaft. Entsprechend<br />

<strong>der</strong> Verfassung sind sie für Bildung einschließlich Hochschulwesen, personenbezogene<br />

Angelegenheiten des Sozialwesens (Gesundheit, Soziales und Jugend),<br />

Sprache und Kultur sowie zwischengemeinschaftliche und internationale Beziehungen<br />

zuständig.<br />

Die Gemeinschaften verfügen jeweils über ein eigenes direkt gewähltes Parlament,<br />

eine diesem Parlament verantwortliche Regierung und ein Ministerium für die Wahrnehmung<br />

ihrer Zuständigkeiten.


77<br />

Die Deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien verwaltet sich weitgehend selbst.<br />

Mit Sitz in Eupen hat sie ihr eigenes, direkt gewähltes 25-köpfiges Parlament. Die Mitglie<strong>der</strong><br />

gehen dieser Aufgabe nebenberuflich nach. Die Regierung ist dem Parlament<br />

gegenüber verantwortlich. Das Parlament <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft verabschiedet<br />

seine Dekrete, Stellungnahmen und Gutachten in Sitzungen des Plenums.<br />

Die Deutschsprachige Gemeinschaft (ca. 73.000 Einwohner) umfasst die beiden<br />

deutschsprachigen Kantone Sankt Vith und Eupen und gehört zur Wallonischen Region.<br />

Der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde die Ausführung gewisser regionaler<br />

Zuständigkeiten durch die Wallonischen Regionen übertragen wie z.B. die Aufsicht<br />

über die Gemeinden und die Beschäftigungspolitik.<br />

2. Jugendhilfedienst und Jugendgerichtsdienst<br />

2.1 Der Jugendhilfedienst<br />

Der Jugendhilfedienst ist ein Teil des Ministeriums <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft.<br />

Das Personal des Dienstes wird wie das übrige Personal des Ministeriums von<br />

<strong>der</strong> Regierung bezeichnet. Die Aufgaben des Jugendhilfedienstes umfassen die Untersuchung<br />

und Bearbeitung von Hilfeanfragen, die von Jugendlichen, ihren Erziehungsberechtigten<br />

an sie gestellt werden und von Situationen, die dem Jugendhilfedienst<br />

an<strong>der</strong>weitig bekannt geworden sind. Auch die Staatsanwaltschaft kann den Jugendhilfedienst<br />

mit einer Untersuchung beauftragen.<br />

Der Dienst bietet Beratung und Information für die Jugendlichen, die Erziehenden und<br />

an<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> Problemsituation Betroffene. Außerdem werden Betroffene an beratende,<br />

unterstützende, therapeutische o<strong>der</strong> betreuende Personen o<strong>der</strong> Einrichtungen vermittelt.<br />

Die territoriale Zuständigkeit richtet sich nach dem Wohnsitz des Jugendlichen, <strong>der</strong><br />

sich bei Min<strong>der</strong>jährigen grundsätzlich bei den Eltern befindet.<br />

2.2 Der Jugendgerichtsdienst<br />

Der Jugendgerichtsdienst ist wie <strong>der</strong> Jugendhilfedienst ein Teil des Ministeriums, dessen<br />

Personal von <strong>der</strong> Regierung bezeichnet. Die Mitarbeiter/innen des Jugendgerichtdienstes<br />

betreuen die ihnen zugewiesenen Fälle in eigener Verantwortung. Die territoriale<br />

Zuständigkeit des Jugendgerichtsdienstes richtet sich nach <strong>der</strong> des Jugendgerichtes.<br />

Der Jugendgerichtsdienst wird durch den/die Jugendrichter/in, das Jugendgericht o<strong>der</strong><br />

die Staatsanwaltschaft beauftragt und führt bei Bedarf die Voruntersuchungen in ihrem<br />

Auftrag durch. Diese beinhaltet in <strong>der</strong> Regel die Erstellung einer Sozialuntersuchung<br />

und eines Sozialberichtes.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Sozialuntersuchung werden die Familien- und die Lebenssituationen <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>jährigen, die zu <strong>der</strong> Anfrage geführt haben, detailliert untersucht und festgehalten.<br />

Zu den Familien, zu Schulen und gegebenenfalls zu an<strong>der</strong>en Diensten, die bereits<br />

tätig geworden sind, wird Kontakt hergestellt. Die Sozialuntersuchung kann unterbleiben,<br />

wenn bereits ein Sozialbericht des Jugendhilfedienstes vorliegt.<br />

Anhand <strong>der</strong> Sozialuntersuchung erstellt <strong>der</strong>/die zuständige Mitarbeiter/in einen Sozialbericht,<br />

den er/sie an den jeweiligen Auftraggeber weiterleitet. Dieser beinhaltet Handlungs-<br />

und Lösungsvorschläge.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Aufgabe des Jugendgerichtsdienstes ist es, die vom/von <strong>der</strong> Jugendrichter/in<br />

o<strong>der</strong> dem Jugendgericht angeordneten Maßnahmen auszuführen.<br />

Die Mitarbeiter/innen des Jugendgerichtsdienstes begleiten, koordinieren und kontrollieren<br />

die Maßnahmen. Auf Basis <strong>der</strong> Entscheidungen des/<strong>der</strong> Jugendrichters/in o<strong>der</strong>


78<br />

des Jugendgerichtes schließt <strong>der</strong>/die Mitarbeiter/in Verträge mit den durchführenden<br />

Diensten und Organisationen ab. Er/sie hält Kontakt zu den Familien und Jugendlichen<br />

und verfolgt <strong>der</strong>en Situation.<br />

Neben den hier beschriebenen Aufgaben in Bezug auf gefährdete Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

ist <strong>der</strong> Jugendgerichtsdienst ebenfalls im Rahmen des Jugendschutzes tätig bei<br />

Jugendlichen, die Taten begangen haben, die bei Erwachsenen als Straftaten gelten.<br />

3. Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

3.1 Allgemeines<br />

Die öffentliche Jugendhilfe (freiwillige und die gerichtliche Jugendhilfe) in <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft wird vom Jugendgerichtsdienst (JGD) und vom Jugendhilfedienst<br />

(JHD) wahrgenommen. Die Aufgaben dieser Ausführungsorgane sind im Dekret<br />

über die Jugendhilfe festgeschrieben. Der Jugendschutz (straffälliger Jugendlicher) ist<br />

auf fö<strong>der</strong>aler Ebene durch das Gesetz vom 08.04.1965 geregelt, das kürzlich einer<br />

grundlegenden Reform unterzogen wurde.<br />

Jugendlicher im Sinne des Dekretes über die Jugendhilfe ist jede Person unter 18 Jahren<br />

und jede Person unter 21 Jahren, <strong>der</strong> bereits vor ihrem 18. Lebensjahr Jugendhilfe<br />

gewährt wurde und die eine Verlängerung beantragt hat. Die Jugendhilfe soll dann<br />

eingreifen, wenn das physische o<strong>der</strong> psychische Wohl des Kindes, seine Entwicklung<br />

o<strong>der</strong> Erziehung aufgrund seiner Lebensumstände, seiner Beziehungskonflikte, seines<br />

Verhaltens o<strong>der</strong> des Verhaltens seiner Erziehungsberechtigten in Gefahr ist. Zudem<br />

richtet sie sich an Erziehungsberechtigte, die eine dem Kindeswohl entsprechende<br />

Erziehung nicht/nicht mehr gewährleisten können.<br />

Die erste Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe ist unter denen im Dekret über die Jugendhilfe festgelegten<br />

Bedingungen das Erbringen von Hilfeleistungen. Neben dieser Aufgabe ist<br />

auch die Jugendhilfeplanung und die Prävention wichtiger Bestandteil <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />

Sowohl für die Jugendhilfeplanung als auch für die Prävention ist <strong>der</strong> Begleitausschuss<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe zuständig. Dieser setzt sich aus Vertretern <strong>der</strong> Akteure <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe und <strong>der</strong> angrenzenden Bereichen zusammen.<br />

Das Jugendschutzgesetz richtet sich an straffällige Jugendliche. Im Gegensatz zu <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe beinhaltet <strong>der</strong> Jugendschutz keine Sozialleistungen. Durch das Jugendschutzgesetz<br />

wird auf das strafrechtliche Verhalten (strafbare Handlungen im Strafgesetzbuch)<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen reagiert. Das Jugendschutzgesetz antwortet nicht unmittelbar<br />

mir Strafen son<strong>der</strong>n in erster Linie mit Erziehungsmaβnahmen. Durch die im<br />

Jahr 2006 durchgeführte Reform wird <strong>der</strong> Schwerpunkt auf die Wie<strong>der</strong>gutmachung,<br />

das Verantwortungsbewusstsein des straffälligen Jugendlichen und seiner Erziehungsberechtigten<br />

gelegt.<br />

Unter Wie<strong>der</strong>gutmachung versteht man die Vermittlung zwischen <strong>der</strong> Person, die im<br />

Verdacht steht, eine als Straftat qualifizierte Tat begangen zu haben, den Personen,<br />

die ihr gegenüber die elterliche Gewalt ausüben und dem Opfer, mit dem Ziel, dass<br />

das Opfer auβergerichtlich für seinen Schaden direkt vom vermutlichen Täter entschädigt<br />

wird und dem straffälligen Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, gemeinsam<br />

und mit Hilfe eines unparteiischen Vermittlers sich insbeson<strong>der</strong>e mit den die Beziehungsebene<br />

betreffenden und materiellen Folgen einer als Straftat qualifizierten Tat<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Reform wird dem Jugendlichen auch die Möglichkeit gegeben dem<br />

Jugendrichter ein persönliches Projekt zur Wie<strong>der</strong>gutmachung seiner Straftat vorzuschlagen.


79<br />

Wenn keine <strong>der</strong> Erziehungsmaβnahmen greift, kann <strong>der</strong> Jugendrichter dem Jugendlichen<br />

ab 16 Jahre unter gewissen Bedingungen an eine geson<strong>der</strong>te Kammer des Jugendgerichts<br />

verweisen, die sich aus zwei Jugendrichtern und einem Strafrichter zusammensetzt.<br />

Diese Kammer kann gegenüber dem Jugendlichen das allgemeine<br />

Strafrecht anwenden. Wird <strong>der</strong> Jugendliche zu einer Haftstrafe verurteilt, muss er diese<br />

in einer dafür geschaffenen Einrichtung (fö<strong>der</strong>ale Jugendschutzzentren) absitzen. Neben<br />

diesen neuen Maβnahmen gegenüber Jugendlichen hat <strong>der</strong> Jugendrichter nun<br />

auch die Möglichkeit Eltern ein Elternpraktikum aufzuerlegen. Bedingung ist, dass die<br />

Eltern offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber dem straffälligen Verhalten des Jugendlichen<br />

zeigen. Ziel des Elternpraktikums ist es, das Bewusstsein <strong>der</strong> Personen,<br />

die die elterliche Gewalt über Min<strong>der</strong>jährige ausüben, hinsichtlich des kriminellen Verhaltens<br />

<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährigen für die sie die elterliche Gewalt ausüben zu schärfen, diesen<br />

Personen im Rahmen von Begleitmaßnahmen aufzuzeigen, welche ihre Verpflichtungen<br />

als Verantwortliche für die Erziehung ihrer Kin<strong>der</strong> sind, und ihr Verantwortungsgefühl<br />

zu stimulieren. Das Elternpraktikum muss als motivierende Maßnahme eingesetzt<br />

werden und jegliche Stigmatisierung vermeiden. Das Elternpraktikum besteht aus<br />

einer individualisierten und aus einer kollektiven Phase. Die Nachsorge wird individuell<br />

o<strong>der</strong> kollektiv ausgestaltet.<br />

3.2 Staatliches Wächteramt/Eingriffsverwaltung<br />

Die gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe wird vom Jugendgericht angeordnet. Sie wird<br />

vom Jugendgerichtsdienst durchgeführt. Die gerichtliche Jugendhilfe interveniert, wenn<br />

im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe keine Zusammenarbeit mehr zwischen dem<br />

Jugendhilfedienst, dem Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten möglich ist.<br />

Stellt <strong>der</strong> Jugendhilfedienst diese fehlende Zusammenarbeit bei bleiben<strong>der</strong> Gefährdung<br />

des Jugendlichen fest, befasst <strong>der</strong> Dienst die Jugendstaatsanwaltschaft. Die Jugendstaatsanwaltschaft<br />

entscheidet, das Jugendgericht zu befassen o<strong>der</strong> nicht.<br />

Wird <strong>der</strong> Jugendliche <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten im Rahmen <strong>der</strong> richterlichen<br />

Jugendhilfe entzogen, behalten die Eltern weiterhin die Rechte und Pflichten <strong>der</strong><br />

elterlichen Gewalt. Es findet we<strong>der</strong> eine Enthebung <strong>der</strong> Rechte <strong>der</strong> elterlichen Gewalt<br />

statt noch wird eine Form <strong>der</strong> Vormundschaft organisiert. Das bedeutet, dass die Eltern<br />

alle wichtigen Entscheidungen mitentscheiden müssen, auch wenn ihr Kind in einer<br />

Jugendhilfeeinrichtung untergebracht ist. Bei Konflikten zwischen Eltern und Unterbringungseinrichtung<br />

o<strong>der</strong> zwischen den Eltern bezüglich Entscheidungen, die das Kind<br />

betreffen, entscheidet <strong>der</strong> Jugendrichter jeweils unter Berücksichtigung des Interesses<br />

des Jugendlichen.<br />

3.3 Leistungserbringung<br />

Die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe werden von freien und von öffentlichen Trägern erbracht.<br />

In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft muss je<strong>der</strong> Träger, <strong>der</strong> Leistungen in<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe erbringt, von <strong>der</strong> Regierung anerkannt sein. Der detaillierte Auftrag, die<br />

Qualitätskriterien und die entsprechende Finanzierung werden jeweils in einem Vertrag<br />

(„Geschäftsführungsvertrag“) zwischen dem jeweiligen Träger und <strong>der</strong> Regierung festgelegt.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe haben <strong>der</strong> Jugendliche und <strong>der</strong> Erziehungsberechtigte<br />

bei <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Jugendhilfereinrichtung aktiv mitzuwirken, da die Jugendhilfeleistung<br />

am Ende in einen Jugendhilfevertrag mündet, <strong>der</strong> von allen Betroffenen<br />

unterzeichnet werden muss. Die finanzielle Eigenbeteiligung <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten<br />

richtet sich nach dem Familieneinkommen. Ob <strong>der</strong> Jugendliche bei einem<br />

öffentlichen o<strong>der</strong> privaten Träger unterkommt und begleitet wird, ist unerheblich für die<br />

Höhe <strong>der</strong> Eigenbeteiligung.<br />

In den meisten Fällen wird die Jugendhilfeleistung nicht direkt vom Jugendhilfedienst<br />

erbracht, son<strong>der</strong>n durch einen öffentlichen o<strong>der</strong> privaten Träger. Letztere arbeiten somit<br />

im Auftrag des Jugendhilfedienstes.


80<br />

Aus diesem Grund unterschreibt <strong>der</strong> Vertreter des Trägers, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Durchführung<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe beauftragt wird, neben den Erziehungsberechtigten, dem Jugendhilfedienst<br />

und dem Jugendlichen (ab 12 Jahre) auch den Jugendhilfevertrag.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> gerichtlichen Jugendhilfe und insbeson<strong>der</strong>e im Rahmen <strong>der</strong><br />

Jugendschutzmaβnahmen entscheidet <strong>der</strong> Jugendrichter auf Grundlage des Berichtes<br />

des Jugendgerichtsdienstes darüber, wo <strong>der</strong> Jugendliche untergebracht o<strong>der</strong> von wem<br />

er begleitet wird.<br />

D. Leistungsrecht<br />

I. Rechtsanspruch o<strong>der</strong> objektives Recht<br />

Das Dekret über die Jugendhilfe sieht vor, dass je<strong>der</strong> Jugendliche und Erziehungsberechtigte<br />

ungeachtet seiner Herkunft, seiner Staatsangehörigkeit, seiner religiösen,<br />

philosophischen und politischen Ansichten ein Recht auf die im Rahmen vorliegenden<br />

Dekretes organisierte Hilfe hat.<br />

Diese Hilfe zielt darauf ab, dem Jugendlichen ein angemessenes Leben zu ermöglichen<br />

und seine Entwicklung unter den bestmöglichen Bedingungen zu för<strong>der</strong>n.<br />

Ein Rechtsanspruch ist jedoch nicht gegeben, da dieses Recht nicht einklagbar ist. Der<br />

Jugendhilfedienst entscheidet aufgrund <strong>der</strong> von ihm durchgeführten Sozialuntersuchung,<br />

ob eine Jugendhilfemaßnahme zuerkannt wird o<strong>der</strong> nicht. Ist <strong>der</strong> Jugendhilfedienst<br />

<strong>der</strong> Meinung, dass keine Gefährdung eines Jugendlichen im Sinne des Dekretes<br />

vorliegt, wird <strong>der</strong> Fall eingestellt, ohne, dass die Betroffenen ein Einspruchsrecht gegen<br />

diese Entscheidung haben. Besteht Uneinigkeit zwischen dem Erziehungsberechtigten,<br />

dem Jugendlichen und dem Jugendhilfedienst im Rahmen <strong>der</strong> Fallarbeit, kann jedoch<br />

ein Vermittlungsverfahren eingeleitet werden.<br />

Der Jugendliche kann eine Jugendhilfe beantragen, insofern <strong>der</strong> Jugendliche in seiner<br />

• psychischen o<strong>der</strong> physischen Integrität,<br />

• affektiven, moralischen, intellektuellen o<strong>der</strong> sozialen Entwicklung,<br />

• Erziehung<br />

bedroht ist. Bedroht sein können sie durch ihr eigenes Verhalten, ihre Lebensumstände,<br />

durch Beziehungskonflikte o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e beson<strong>der</strong>e Ereignisse.<br />

Darüber hinaus hat jede Person, die Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Ausübung <strong>der</strong> elterlichen<br />

Gewalt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erziehung hat, das Recht, Jugendhilfe zu beantragen.<br />

II. Arten von Leistungen<br />

1. Standardleistungen<br />

1.1 Hilfeleistungen im Rahmen <strong>der</strong> Freiwilligen Jugendhilfe<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe ist <strong>der</strong> Jugendhilfedienst frei, die Art und Form<br />

<strong>der</strong> Hilfeleistung vorzuschlagen. Das Dekret über die Jugendhilfe schreibt jedoch Ziele<br />

verschiedener Hilfeleistungen vor, die im Rahmen des Jugendhilfevertrages berücksichtigt<br />

werden müssen. Das Jugendhilfedekret legt diese Ziele für folgende 4 Formen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe fest:


1.1.1 Stationäre Betreuung<br />

81<br />

Die Unterbringung in teil- o<strong>der</strong> vollstationären Einrichtungen:<br />

• Unterbringung in einer teilstationären Einrichtung bis zu höchstens einem<br />

Jahr;<br />

• Unterbringung in einem Empfangs- und Orientierungszentrum für höchstens<br />

30 Tage;<br />

• Eine stationäre Unterbringung in Ausnahmen und höchstens für 2 Jahre;<br />

Stationäre Betreuung meint die Erziehungshilfe in einer Einrichtung über Tag und<br />

Nacht o<strong>der</strong> in einer an<strong>der</strong>s betreuten Wohnform.<br />

Jugendliche sollen entsprechend ihres Alters und Entwicklungsstandes in ihrer Entwicklung<br />

geför<strong>der</strong>t werden. Dabei soll entsprechend <strong>der</strong> Bedingungen in <strong>der</strong> Herkunftsfamilie:<br />

• eine Rückkehr in die Familie versucht werden.<br />

• die Aufnahme in eine an<strong>der</strong>e Familie vorbereitet werden.<br />

• eine längerfristige Unterbringungsmöglichkeit mit Verselbstständigungshilfen<br />

geboten werden.<br />

1.1.2 Ambulante Betreuung<br />

Die ambulante Betreuung findet im Rahmen einer sozial-pädagogischen Begleitung<br />

innerhalb <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> bei dem selbstständig lebenden Jugendlichen statt.<br />

Die Begleitung eines selbstständig lebenden Jugendlichen soll ihn/sie in seiner/ihrer<br />

Verselbstständigung för<strong>der</strong>n und ihn/sie bei Alltags- und Entwicklungsproblemen unterstützen.<br />

Die Begleitung <strong>der</strong> Familie hat zum Ziel, dass Jugendhilfe und Eltern zum Wohl des<br />

Jugendlichen zusammenarbeiten, um eine Rückkehr des Jugendlichen in die Ursprungsfamilie<br />

zu ermöglichen. Ist das nicht in einem vertretbaren Rahmen möglich, so<br />

soll gemeinsam mit den Betroffenen eine an<strong>der</strong>e langfristige Lebensperspektive für<br />

den Jugendlichen erarbeitet werden.<br />

1.1.3 Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung<br />

Die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung kann sowohl stationär als auch ambulant<br />

durchgeführt werden. Sie dient dazu, die Jugendlichen intensiv bei Problemen<br />

<strong>der</strong> sozialen Integration und Verselbstständigung zu unterstützen. Diese Hilfe ist in <strong>der</strong><br />

Regel längerfristig angelegt.<br />

1.1.4 Betreuung in einer Pflegefamilie<br />

Die Hilfe zur Erziehung in einer Pflegefamilie soll je nach Lebenssituation des Jugendlichen<br />

eine zeitlich befristete Erziehungshilfe, eine Pflegepatenschaft o<strong>der</strong> eine auf<br />

Dauer angelegte Lebensform bieten.<br />

Die Bedingungen <strong>der</strong> Anerkennung und Regelungen <strong>der</strong> Pflegeentschädigung hat die<br />

Regierung in einem Ausführungserlass geregelt. Der Pflegefamiliendienst hat folgende<br />

Aufgaben:<br />

1) Die Auswahl <strong>der</strong> Pflegefamilien;<br />

2) Vorbereitung <strong>der</strong> Pflegefamilie durch Gespräche und Schulungen auf die Aufnahme<br />

eines Kindes;<br />

3) Abschluss eines Vertrages zwischen Pflegeeltern und Pflegefamiliendienst,<br />

welcher im Rahmen <strong>der</strong> durch die Regierung festgelegten Bedingungen die<br />

Rechte und Pflichten bei<strong>der</strong> Parteien festlegt;


82<br />

4) Begleitung, Beratung und Unterstützung <strong>der</strong> Pflegefamilien während <strong>der</strong> Dauer<br />

<strong>der</strong> Unterbringung in allen Fragen des Pflegeverhältnisses;<br />

5) Regelmäßige Berichterstattung über die Entwicklung des Kindes an die Einrichtung,<br />

die die Unterbringung des Kindes vereinbart o<strong>der</strong> veranlasst hat.<br />

1.2 Hilfeleistung im Rahmen <strong>der</strong> gerichtlichen Jugendhilfe<br />

Im Gegensatz zum Jugendhilfedienst ist das Jugendgericht im Rahmen <strong>der</strong> zwingenden<br />

Jugendhilfe an einen im Dekret festgelegten Maβnahmenkatalog gebunden. Aufgrund<br />

dieses Maβnahmenkatalogs kann das Jugendgericht auf Basis <strong>der</strong> durch die<br />

zuständigen Sozialdienste durchgeführten Sozialuntersuchung und des erstellten Sozialberichts<br />

mit Ausnahme <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en, begründeten Dringlichkeit eine o<strong>der</strong> mehrere<br />

<strong>der</strong> folgenden Maßnahmen im Rahmen des vorhandenen Angebots und unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> im Dekret für die jeweilige Art <strong>der</strong> Maβnahme festgelegten Zielsetzungen<br />

anordnen:<br />

1. dem Jugendlichen und/o<strong>der</strong> den Personen, die dem Jugendlichen gegenüber<br />

die elterliche Aufsicht ausüben o<strong>der</strong> die ihn in ihrer Obhut haben für höchstens<br />

zwei Jahre eine pädagogische o<strong>der</strong> therapeutische Begleitung auferlegen,<br />

wenn dies zum Wohl des Jugendlichen erfor<strong>der</strong>lich ist;<br />

2. den Personen, die dem Jugendlichen gegenüber die elterliche Gewalt haben<br />

o<strong>der</strong> die ihn in ihrer Obhut haben und die offensichtlich nicht mehr in <strong>der</strong> Lage<br />

sind, die Aufsicht im Interesse des Jugendlichen auszuüben, die Teilnahme an<br />

einem durch die Regierung anerkannten Elternerziehungsprogramm auferlegen,<br />

wenn dies zum Wohl des Jugendlichen erfor<strong>der</strong>lich ist;<br />

3. dem Jugendlichen und den Personen, die dem Jugendlichen gegenüber die<br />

elterliche Gewalt haben o<strong>der</strong> die ihn in ihrer Obhut haben für höchstens zwei<br />

Jahre eine Familienbegleitung durch eine anerkannte Einrichtung auferlegen;<br />

4. den Jugendlichen, gegebenenfalls zusammen mit den Personen, die ihm gegenüber<br />

die elterliche Gewalt haben o<strong>der</strong> die ihn in ihrer Obhut haben, wenn<br />

dies zum Wohl des Jugendlichen erfor<strong>der</strong>lich ist, für höchstens zwei Jahre einem<br />

Projekt in <strong>der</strong> Jugendhilfe anvertrauen;<br />

5. den Jugendlichen für die Dauer von höchstens zwei Jahren unter die Aufsicht<br />

des Jugendgerichtsdienstes stellen;<br />

6. den Jugendlichen für die Dauer von höchstens zwei Jahren einer intensiven<br />

Erziehungsbegleitung und einer individuellen Begleitung durch einen Referenzerzieher<br />

o<strong>der</strong> einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung unterstellen;<br />

7. den Jugendlichen, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat, für eine Dauer von<br />

höchstens sechs Monaten in seiner familiären Umgebung belassen, unter einer<br />

o<strong>der</strong> mehrerer <strong>der</strong> folgenden Bedingungen:<br />

a. regelmäβig dem Schulunterricht beiwohnen;<br />

b. eine Ausbildung machen;<br />

c. an einer o<strong>der</strong> mehreren aufwertenden kulturellen, sportlichen o<strong>der</strong> sozialen<br />

Aktivitäten teilnehmen;<br />

d. an<strong>der</strong>e Bedingungen o<strong>der</strong> Verbote, die das Gericht festlegt, einhalten.<br />

Der Jugendgerichtsdienst wird mit <strong>der</strong> Überprüfung und <strong>der</strong> Kontrolle <strong>der</strong> Einhaltung<br />

<strong>der</strong> Bedingungen beauftragt. Bei Nichteinhaltung einer durch den<br />

Richter festgelegten Bedingungen o<strong>der</strong> Verbote informiert <strong>der</strong> Jugendgerichtsdienst<br />

unmittelbar den Richter. Der Richter kann daraufhin auf Vorschlag<br />

des Jugendgerichtsdiensts die festgelegte Maβnahme abän<strong>der</strong>n.<br />

8. dem Jugendlichen für höchstens sechs Monate ein Erziehungsprogramm auferlegen;<br />

9. den Jugendlichen, <strong>der</strong> das 16. Lebensjahr vollendet hat, unter regelmäßiger<br />

Aufsicht selbstständig wohnen lassen;


83<br />

10. den Jugendlichen <strong>der</strong> Begleitung eines anerkannten Empfangs- und Orientierungszentrums<br />

unterstellen;<br />

11. den Jugendlichen für höchstens sechzig Tage <strong>der</strong> Begleitung eines von <strong>der</strong><br />

Regierung anerkannten Beobachtungszentrums o<strong>der</strong> für den gleichen Zeitraum<br />

zur Beobachtung in eine psychiatrische Einrichtung o<strong>der</strong> psychiatrische<br />

Abteilung eines Krankenhauses unterstellen;<br />

12. die Betreuung des Jugendlichen in Anwendung von Artikel 16, 3. in einer familiären<br />

Umgebung anordnen;<br />

13. dem Jugendlichen ausnahmsweise und für höchstens zwei Jahre eine stationäre<br />

Betreuung in einer geeigneten offenen Einrichtung auferlegen o<strong>der</strong> für<br />

höchstens ein Schuljahr einem Internat anvertrauen;<br />

14. den Jugendlichen, <strong>der</strong> das 14. Lebensjahr vollendet hat, stationär in einer geeigneten<br />

geschlossenen Einrichtung betreuen lassen, wenn nachgewiesen<br />

wurde, dass diese Maßnahme zur Integration des Jugendlichen erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist;<br />

15. den Jugendlichen für höchstens zwei Jahre nur einem <strong>der</strong> Elternteile anvertrauen.<br />

1.3 Jugendschutzmaßnahmen<br />

Die Jugendschutzmaßnahmen werden gegenüber den straffälligen Jugendlichen und<br />

gegebenenfalls gegenüber ihren Erziehungsberechtigten ausgesprochen. Im Jahr 2006<br />

wurde das Jugendschutzgesetz grundlegend reformiert. Das Herzstück <strong>der</strong> Reform<br />

besteht darin, die Erziehungsberechtigten und den straffällig gewordenen Jugendlichen<br />

stärker in die Verantwortung einzubeziehen und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutmachung einen zentralen<br />

Platz einzuräumen.<br />

Neben erzieherischen Maßnahmen zugunsten des straffällig gewordenen Jugendlichen<br />

erachtet das Gesetz jetzt auch dessen Bestrafung als erfor<strong>der</strong>lich. In diesem Kontext<br />

wird es ab Januar 2009 zwei Jugendstrafanstalten geben.<br />

Der Jugendrichter kann Maßnahmen gegenüber den Erziehungsberechtigten und<br />

dem straffällig gewordenen Jugendlichen anordnen.<br />

So kann er die Erziehungsberechtigten verpflichten, ein Elternpraktikum zu absolvieren.<br />

Das Elternpraktikum wird rechtlich auf Ebene des Jugendgerichts als Strafe<br />

gegenüber den Erziehungsberechtigten eines straffällig gewordenen Jugendlichen gewertet.<br />

Es ist eine die Strafe für den Jugendlichen ergänzende Maßnahme und soll<br />

dazu führen, die Erziehungskompetenz <strong>der</strong> Eltern zugunsten des Wohles ihres Kindes<br />

zu stärken. Begründet wird es damit, dass bestimmte Erziehungsberechtigte nur<br />

durch Zwang einem solchen Praktikum nachkommen.<br />

Für eine strafrechtliche Verfolgung eines Jugendlichen unter 12 Jahren ist relevant,<br />

dass ihm sein normativ abweichendes Verhalten bewusst sei. Aus diesem Grund sieht<br />

das Jugendschutzgesetz für diese Kategorie Jugendliche Maßnahmen zum Grunde<br />

vor, die vom Jugendgericht fakultativ ergriffen werden können. Dabei handelt es sich<br />

um:<br />

1. die Durchführung eines Wie<strong>der</strong>gutmachungsangebots in <strong>der</strong> Form einer Vermittlung.<br />

In die Vermittlung sind <strong>der</strong> Jugendliche, <strong>der</strong> im Verdacht steht, eine als<br />

Straftat qualifizierte Tat begangen zu haben, seine Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong><br />

die Personen, die rechtlich o<strong>der</strong> effektiv ihm gegenüber das Sorgerecht besitzen,<br />

das Opfer sowie ein neutraler Vermittler involviert. Ziel ist es, mit Hilfe des Vermittlers<br />

eine kollektive Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Folgen <strong>der</strong> Tat anzugehen<br />

und eine Lösung zur Entschädigung des Opfers zu finden;


84<br />

2. das Erstellen eines individuellen Projekts durch den Jugendlichen, das er dem<br />

Jugendrichter vorschlägt;<br />

3. eine Verwarnung des Jugendlichen o<strong>der</strong> dessen Eltern;<br />

4. die Unterstellung unter die Aufsicht des zuständigen Sozialdienstes;<br />

5. eine intensive Erziehungsbegleitung, die durch einen Referenzerzieher gewährleistet<br />

werde.<br />

Eine Unterbringung eines straffällig gewordenen Jugendlichen unter 12 Jahren in einer<br />

geschlossenen Einrichtung ist nicht möglich. Wenn diese Maßnahmen nicht greifen,<br />

muss <strong>der</strong> Richter den Jugendlichen wie<strong>der</strong> an die Staatsanwaltschaft verweisen, die<br />

versuchen kann, eine geeignete Maßnahme auf Ebene <strong>der</strong> Jugendhilfe durchzuführen.<br />

Für Jugendliche über 12 Jahren können folgende Maßnahmen durch das Jugendgericht<br />

angeordnet werden:<br />

1. die Verrichtung von Arbeit im Allgemeininteresse;<br />

2. eine ambulante Begleitung durch spezialisierte Dienste;<br />

3. das Absolvieren einer Ausbildung o<strong>der</strong> einer organisierten Aktivität – z.B. sportlicher<br />

Art;<br />

4. den Jugendlichen einer Vertrauensperson o<strong>der</strong> privaten Einrichtung anvertrauen,<br />

die sich um dessen Beherbergung, Behandlung, Erziehung und Ausbildung sowie<br />

berufliche Ausbildung kümmert. Die traditionelle Zielsetzung <strong>der</strong> Erziehung<br />

ist somit um die Komponente <strong>der</strong> Integration ergänzt worden;<br />

5. die Unterbringung in einer öffentlichen Einrichtung. Dafür müssen bestimmte Bedingungen<br />

beachtet werden, so das Alter des Jugendlichen, die Schwere <strong>der</strong><br />

Straftat und das dafür vorgesehen Strafmaß. Es handelt sich hier um offene o<strong>der</strong><br />

geschlossene Einrichtungen. Da es keine <strong>der</strong>artige geschlossene Einrichtung in<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft gibt, werden die Jugendlichen aus <strong>der</strong><br />

Deutschsprachigen Gemeinschaft im Rahmen eines Zusammenarbeitsabkommens<br />

in den Einrichtungen (I.P.P.J.) <strong>der</strong> Französischen Gemeinschaft untergebracht.<br />

6. eine medizinisch-psychologische Untersuchung durch einen Krankenhausdienst;<br />

7. die Überstellung an einen Dienst zur Bekämpfung von Drogen- und Alkoholabhängigkeit<br />

bzw. je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Abhängigkeit;<br />

8. die Unterbringung in einer offenen o<strong>der</strong> geschlossenen kin<strong>der</strong>psychiatrischen<br />

Einrichtung;<br />

9. <strong>der</strong> bedingte Verbleib in <strong>der</strong> Familie – eventuell unter Berücksichtigung einer Altersbegrenzung;<br />

10. eine Aussetzung <strong>der</strong> Unterbringung – verbunden mit einer Frist von sechs Monaten<br />

und gemeinnütziger Arbeit im Umfang von höchstens 150 Stunden.<br />

Folgende Maßnahmen kann die Staatsanwaltschaft ergreifen:<br />

1. Mahnschreiben an den Jugendlichen und seine Erziehungsberechtigten richten;<br />

2. den Jugendlichen und seine Erziehungsberechtigten vorladen;<br />

3. die Durchführung einer Vermittlung vorschlagen;<br />

4. ein Elternpraktikum vorschlagen. Im Gegensatz zum Jugendrichter ist er nicht<br />

berechtigt, dieses aufzuerlegen.<br />

Eine bedeutende Än<strong>der</strong>ung hat es auch bei <strong>der</strong> Entbindung des Jugendgerichts aus<br />

seiner Zuständigkeit gegeben. Wenn ein Jugendlicher zwischen 16 und 18 Jahren eine<br />

schwerwiegende Straftat begangen habe, er sich einer pädagogischen Betreuung verweigert<br />

und bereits angeordnete erzieherische Maßnahmen nicht gefruchtet haben,<br />

kann <strong>der</strong> Jugendrichter nun eine Sozialuntersuchung und eine medizinischpsychologische<br />

Untersuchung in Auftrag geben, um sich ein Bild davon zu verschaffen,


85<br />

ob weitere Jugendschutzmaßnahmen noch sinnvoll sind. Auf Grundlage <strong>der</strong> Resultate<br />

fast <strong>der</strong> Jugendrichter den Beschluss, den Jugendlichen an ein Strafgericht zu verweisen<br />

o<strong>der</strong> dies zu unterlassen. Ab dem 10. September 2007 kann dieser Verweis nur<br />

noch an eine neu eingerichtete Drei-Richter-Kammer des Jugendgerichts erfolgen.<br />

Diese Kammer besteht aus zwei Jugendrichtern und einen Strafrichter. Bei einer<br />

Überstellung findet das Strafrecht für Erwachsene Anwendung. Bei schwerwiegenden<br />

Verbrechen ist sogar eine Verweisung an den Assisenhof möglich.<br />

In diesem Zusammenhang werden zwei Jugendstrafanstalten errichtet. Wenn eine<br />

Entbindung des Jugendgerichts aus <strong>der</strong> Zuständigkeit erfolgt, muss <strong>der</strong> Jugendliche in<br />

dieser Anstalt untergebracht werden. Die Zeit <strong>der</strong> Unterbringung, die als eine Form <strong>der</strong><br />

Untersuchungshaft betrachtet werden kann, wird von <strong>der</strong> Haftstrafe, die gegen ihn verhängt<br />

wird und die <strong>der</strong> Jugendliche ebenfalls in dieser Anstalt ableisten muss, abgezogen.<br />

1.4 Jugendhilfeleistung, die durch die privaten o<strong>der</strong> öffentlichen Träger in <strong>der</strong><br />

Deutschsprachigen Gemeinschaft angeboten werden<br />

1.4.1 Das SPZ (sozial-psychologisches Zentrum)<br />

Das SPZ bietet zu verschiedenen Bereichen Beratung und Therapie an, z.B.:<br />

• Sucht- und Drogenberatung;<br />

• Partnerschaftsberatung;<br />

• Gruppentherapie;<br />

• ambulante psychiatrische Betreuung;<br />

• Kin<strong>der</strong>therapie, Kin<strong>der</strong>therapiezentrum;<br />

• Erziehungsberatung<br />

1.4.2 Der Dienst für Kind und Familie<br />

Das erste Ziel des Dienstes für Kind und Familie ist die För<strong>der</strong>ung eines gesunden<br />

Lebensstils <strong>der</strong> schwangeren Frauen und <strong>der</strong> Familien, um die optimale Entwicklung<br />

aller Kin<strong>der</strong> auf gesundheitlicher und emotionaler Ebene zu unterstützen und ihre Persönlichkeitsentwicklung<br />

zu stärken.<br />

Das zweite Ziel ist, die Kompetenzen <strong>der</strong> Familien und das Selbstvertrauen <strong>der</strong> Eltern<br />

in ihre Erziehungsfähigkeit zu stärken und so einen Beitrag zum Wohlbefinden <strong>der</strong> Familien<br />

in unserer Gemeinschaft zu leisten.<br />

Aus gesundheitlicher Sicht erfüllt <strong>der</strong> Dienst für Kind und Familie zentrale Aufgaben,<br />

unter an<strong>der</strong>em gewährleistet er den Impfschutz von Säuglingen und Kleinkin<strong>der</strong>n und<br />

sorgt durch die Organisation regelmäßiger Untersuchungen schon im frühesten Lebensalter<br />

für das Feststellen von Erkrankungen, die bei fehlen<strong>der</strong> Früherkennung zu<br />

Langzeitschäden führen könnten.<br />

Der DKF bietet ferner je<strong>der</strong> Familie in <strong>der</strong> DG, die dies wünscht, eine individuelle<br />

Betreuung durch Hausbesuche an und ist ein wichtiger Ansprechpartner für Familien in<br />

sozialen Notlagen.<br />

Darüber hinaus ist <strong>der</strong> Dienst für Kind und Familie zuständig für die För<strong>der</strong>ung, Gestaltung<br />

und Aufsicht von Kin<strong>der</strong>betreuungsstrukturen.


86<br />

1.4.3 Die Dienste <strong>der</strong> häuslichen Versorgung<br />

Die Dienste <strong>der</strong> häuslichen Versorgung, die von <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

finanziell unterstützt werden, haben als Aufgabe, vorrangig Familien mit Kin<strong>der</strong>n, Alleinerziehenden,<br />

Alleinstehenden, älteren Menschen, Kranken, Behin<strong>der</strong>ten, Dienste<br />

anzubieten, die die alltägliche Versorgung zu Hause gewährleisten.<br />

1.4.4 Die Frühhilfe Ostbelgien<br />

Die Frühhilfe Ostbelgien ist ein Dienst <strong>der</strong> Dienstelle für Personen mit Behin<strong>der</strong>ungen.<br />

Sie bietet Information und Beratung für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ungen zu den Themen<br />

Unterbringungsmöglichkeiten, Wohnungsanpassungen und Integration an. Außerdem<br />

informieren und berät Sie Familien mit behin<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> entwicklungsverzögerten<br />

Kleinkin<strong>der</strong>n von <strong>der</strong> Geburt bis zum 7. Lebensjahr.<br />

1.4.5 Das sozial-pädagogische Zentrum für Kin<strong>der</strong>- und Jugendbetreuung „Mosaik“<br />

genannt, das in Trägerschaft des Sozialhilfezentrums Eupen betrieben<br />

wird<br />

Das Zentrum gewährleistet die stationäre Betreuung von Jugendlichen für die ein offenes<br />

Erziehungssystem innerhalb einer Lebensgruppe pädagogisch sinnvoll ist und <strong>der</strong>en<br />

Verhalten keine ernsthafte Gefährdung für an<strong>der</strong>e Gruppenmitglie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> das<br />

Betreuungspersonal darstellt.<br />

Darüber hinaus gewährleistet das Zentrum eine ambulante Begleitung von Jugendlichen<br />

o<strong>der</strong> Familien.<br />

Das Zentrum gewährleistet:<br />

- die stationäre Aufnahme von 28 Jugendlichen<br />

- darüber hinaus dringende Unterbringungen für 8 Jugendliche unter 14 Jahren.<br />

- die ambulante Begleitung von 24 Familien o<strong>der</strong> selbständig wohnenden Jugendlichen<br />

-<br />

1.4.6 Die Wohngemeinschaften SIA und OIKOS<br />

Für Jugendliche unter 18 Jahren muss die Anfrage, dort zu wohnen, beim Jugendhilfedienst<br />

gestellt werden. Über 18jährige können sich direkt an die Einrichtungen wenden.<br />

Die Wohngemeinschaft „S.I.A.“ versteht sich als therapeutische Wohngemeinschaft.<br />

Die Mitarbeiter/innen (Psychologen/innen, Sozialarbeiter/innen und Erzieher/innen)<br />

unterstützen die Bewohner/innen sowohl in ihrer beruflichen, als auch in ihrer sozialen<br />

Integration, sie begleiten sie bei Behördengängen, vermitteln bei Bedarf Therapieplätze<br />

und bereiten gemeinsam den Übergang in eine selbständige Wohnsituation vor.<br />

„OIKOS“ ist eine Vereinigung, die mehrere Wohngemeinschaften betreibt. Die Antragstellung<br />

erfolgt wie bei <strong>der</strong> SIA. Auch hier unterstützen die Mitarbeiter/innen die Bewohner/innen<br />

in ihrer beruflichen und sozialen Integration, begleiten sie bei Behördengängen,<br />

vermitteln bei Bedarf Therapieplätze und bereiten gemeinsam die Verselbständigung<br />

vor.<br />

Neben den Wohngemeinschaften organisiert „OIKOS“ im gesamten Gebiet <strong>der</strong> DG die<br />

ambulante Betreuung von Familien und Jugendlichen, die allein wohnen.


1.4.7 Courage<br />

87<br />

Courage betreut Jugendliche überwiegend in <strong>der</strong> Euregio Maas-Rhein (B/D/NL). Courage<br />

VoG als belgischer individual-pädagogischer Träger arbeitet auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

einer Konvention mit dem Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft.<br />

Courage bietet individualpädagogische Hilfen in ambulanter und stationärer Form an.<br />

Dazu gehören:<br />

- aufsuchendes Clearing<br />

- intensive ambulante Einzelfallbetreuung<br />

- Eltern- und Familienberatung<br />

- Freizeit- und Beschäftigungsprojekte<br />

- Patenfamilienbetreuung<br />

- stationäre Einzelfallbetreuung<br />

1.5 Kostenbeteiligung<br />

1.5.1 Eigenbeteiligung bei Unterbringungsmaßnahmen im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Eine Eigenbeteiligung <strong>der</strong> Unterhaltspflichtigen wird gemäß einer Tabelle berechnet.<br />

Dabei werden das Netto-Einkommen und die Haushaltszusammensetzung berücksichtigt.<br />

Der Jugendhilfedienst bzw. <strong>der</strong> Jugendrichter legt die Höhe <strong>der</strong> Eigenbeteiligung unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> oben erwähnten Tabelle fest. Diesen sind alle relevanten Angaben<br />

zu übermitteln. Wird das verweigert, kann <strong>der</strong> Höchstbetrag festgelegt werden.<br />

Die Eigenbeteiligung wird auf ein Konto des Ministeriums überwiesen. Verpflichtet sich<br />

<strong>der</strong> Unterhaltspflichtige die Kosten <strong>der</strong> Maßnahme direkt an den zuständigen Träger zu<br />

zahlen, wird keine Eigenbeteiligung festgelegt. War ein Unterhaltspflichtiger vor <strong>der</strong><br />

Unterbringungsmaßnahme verpflichtet, Unterhaltszahlungen für den Jugendlichen zu<br />

leisten, so entspricht die Eigenbeteiligung mindestens <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Unterhaltszahlungen.<br />

1.5.2 Verringerung <strong>der</strong> Eigenbeteiligung<br />

Die Eigenbeteiligung kann niedriger festgelegt werden, wenn finanzielle o<strong>der</strong> soziale<br />

Schwierigkeiten dies rechtfertigen, z.B.:<br />

• Bezug von Einglie<strong>der</strong>ungseinkommen;<br />

• Bezug von Arbeitslosenunterstützung;<br />

• wenn mehrere Kin<strong>der</strong> einer Familie untergebracht sind.<br />

Der Mindestbetrag beträgt pro Familie 10 €/Monat.<br />

1.5.3 Kostenbeteiligung bei Volljährigkeit des Untergebrachten<br />

Wird die Maßnahme über die Volljährigkeit hinaus verlängert, ist die Eigenbeteiligung<br />

weiter zu zahlen.<br />

Endet hingegen die Unterhaltspflicht, muss <strong>der</strong> junge Volljährige die Eigenbeteiligung<br />

selbst zahlen, unter Berücksichtigung seines Nettoeinkommens.


1.6 Adoption<br />

88<br />

Jede Adoption muss nachvollziehbar begründet sein. Das höhere Interesse des Kindes<br />

und die Achtung <strong>der</strong> ihm in internationalem Recht zuerkannten Grundrechte haben<br />

Vorrang.<br />

1.6.1 Bedingungen für eine Adoption<br />

Sowohl bei einer einfachen Adoption (Beibehaltung gewisser Bindungen zur Herkunftsfamilie),<br />

als auch bei einer Volladoption (Abbruch aller Bindungen zur Herkunftsfamilie)<br />

müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:<br />

• Die Adoptionsbewerber müssen mindestens 25 Jahre alt sein und es muss ein<br />

Altersunterschied von mehr als 15 Jahren zwischen ihnen und dem Adoptierten<br />

bestehen. Im beson<strong>der</strong>en Fall eines Kindes des Ehepartners o<strong>der</strong> des Zusammenwohnenden<br />

werden das Alter des Adoptierenden auf 18 Jahre und<br />

<strong>der</strong> Altersunterschied auf 10 Jahre gesenkt.<br />

• Die Adoption steht (verheirateten, nicht miteinan<strong>der</strong> verwandten gesetzlich<br />

zusammenlebenden und nicht miteinan<strong>der</strong> verwandten, seit mindestens drei<br />

Jahren zusammenwohnenden) Paaren verschiedenen o<strong>der</strong> gleichen Geschlecht,<br />

sowie alleinstehenden Personen offen.<br />

• Der Adoptierende bzw. die Adoptierenden müssen vom Jugendrichter als<br />

tauglich und qualifiziert beurteilt werden, d.h. sie müssen die notwendigen soziopsychologischen<br />

Eigenschaften besitzen.<br />

• Die leiblichen Eltern des min<strong>der</strong>jährigen Kindes müssen <strong>der</strong> Adoption zustimmen.<br />

• Ein Kind im Alter von mindestens 12 Jahren muss seiner Adoption zustimmen.<br />

Für eine internationale Adoption sind gewisse mit den Rechtsvorschriften des Herkunftslandes<br />

des Kindes verbundene Auflagen zu erfüllen, insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich<br />

des Alters des/<strong>der</strong> Adoptierenden, des Adoptierten, des Altersunterschieds zwischen<br />

beiden, des Personenstands <strong>der</strong> Adoptierenden sowie <strong>der</strong>en Gesundheit.<br />

1.6.2 Zu unternehmende Schritte<br />

Die Adoption wird durch eine von den Gemeinschaften zugelassene Einrichtung o<strong>der</strong> -<br />

in Ermangelung <strong>der</strong>selben – durch die gemeinschaftliche Zentrale Behörde zugelassene<br />

Einrichtung begleitet.<br />

Der Adoptionsprozess eines Kindes umfasst mehrere Etappen: die Vorbereitung, die<br />

Bewertung <strong>der</strong> Eignung (Tauglichkeit), die Vermittlung, die Adoptionsentscheidung und<br />

die Betreuung nach <strong>der</strong> Adoption. Je nachdem, ob es sich um eine interne o<strong>der</strong> internationale<br />

Adoption handelt, verlaufen diese Phasen etwas unterschiedlich. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Rahmen <strong>der</strong> internationalen Adoption muss die im Ausland erzielte Adoptionsentscheidung<br />

von <strong>der</strong> fö<strong>der</strong>alen Zentralen Behörde anerkannt werden.<br />

Vor jeglichem Adoptionsschritt müssen die Adoptionsbewerber eine Vorbereitung<br />

durchlaufen haben. Hierzu wird ein Antrag auf Anmeldung zu den Vorbereitungszyklen<br />

an die gemeinschaftliche Zentrale Behörde gerichtet. Diese wird auch die Adoptionsentscheidung<br />

treffen. Die Vermittlung besteht in <strong>der</strong> Bestimmung einer Adoptivfamilie,<br />

die als geeignet erscheint, den Bedürfnissen, Merkmalen und dem bisher Erlebten des<br />

Kindes am besten zu entsprechen.


89<br />

Das Jugendgericht führt eine Bewertung <strong>der</strong> Eignung <strong>der</strong> Personen durch, die adoptieren<br />

möchten, insbeson<strong>der</strong>e auf Grundlage einer sozialen Untersuchung.<br />

Die postadoptive Betreuung wird durch die Gemeinschaften organisiert. Sie bieten<br />

einen Ort <strong>der</strong> Aufnahme und des Zuhörens an und stellen bei Schwierigkeiten nach <strong>der</strong><br />

Adoption gegebenenfalls die Verbindung zu spezialisierten Fachleuten her.<br />

2. Hilfen für beson<strong>der</strong>e Personengruppen<br />

2.1 Rechtliche Grundlagen<br />

• das Dekret vom 19.7.1990 zur Schaffung einer Dienststelle <strong>der</strong> deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft für Personen mit einer Behin<strong>der</strong>ung<br />

• <strong>der</strong> Geschäftsführungsvertrag zwischen <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft und <strong>der</strong> Dienststelle für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung<br />

In Belgien gibt es keine beson<strong>der</strong>en Bestimmungen für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche mit<br />

Behin<strong>der</strong>ungen. Sie fallen sowohl in den Anwendungsbereich <strong>der</strong> Jugendhilfe (siehe<br />

Frühhilfe Ostbelgien), als auch in den des Dienstes für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ungen.<br />

Im folgenden Teil werden die Leistungsvoraussetzungen, Hilfen und Anbieter im Bereich<br />

des Dienstes für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ungen beschrieben.<br />

2.2 Leistungsvoraussetzungen<br />

Anspruchsberechtigte (Art.18 ff. Dekret vom 19.7.1990) sind Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung,<br />

die ihren Wohnsitz in <strong>der</strong> DG haben und im Besitz <strong>der</strong> belgischen Staatsangehörigkeit<br />

sind o<strong>der</strong> seit mindestens 5 Jahren ohne Unterbrechung in Belgien wohnhaft<br />

sind o<strong>der</strong> seit 10 Jahren einen Aufenthalt in Belgien geltend machen. Von den Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Staatsangehörigkeit, <strong>der</strong> 5jährigen Wohnsitznahme o<strong>der</strong> dem<br />

10jährigen Aufenthalt kann, unter von <strong>der</strong> Regierung festgelegten Bedingungen, abgesehen<br />

werden, z.B. bei Staatenlosen o<strong>der</strong> Flüchtlingen.<br />

Hilfen können Personen mit einer körperlich, geistig und /o<strong>der</strong> sensorischen Behin<strong>der</strong>ung<br />

und z. T. mit einer psychischen Krankheit o<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung in Anspruch nehmen.<br />

Darüber hinaus kann sich jede in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft wohnende<br />

Person in Fragen, die mit Behin<strong>der</strong>ung zu tun haben, mündlich o<strong>der</strong> schriftlich an die<br />

Dienststelle wenden.<br />

Wird ein Antrag auf Hilfen gestellt, erfolgt durch die Dienststelle eine Klärung des konkreten<br />

Bedarfs (Clearing).<br />

Zunächst wird ein Gutachten erstellt, ob die jeweiligen Hilfen notwendige Voraussetzung<br />

zur sozialen Integration sind. Anschließend wird <strong>der</strong> individuelle Dienstleistungsplan<br />

(IPD) erarbeitet.<br />

Ziel <strong>der</strong> Hilfe ist es, unter Berücksichtigung <strong>der</strong> individuellen Lebenssituation die Menschen<br />

mit Behin<strong>der</strong>ung zu för<strong>der</strong>n, in Bezug auf:<br />

• die berufliche (Wie<strong>der</strong>-)Einglie<strong>der</strong>ung<br />

• Wohnen<br />

• Freizeit<br />

• materielle und soziale Hilfen


2.3 Hilfen<br />

Angebote für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren:<br />

90<br />

• Soziopädagogische und lebenspraktische Unterstützung und Beratung <strong>der</strong><br />

Familien; Vermittlung, Koordination und Finanzierung von Unterbringungen im<br />

In- und Ausland, sofern es keine geeigneten Einrichtungen innerhalb <strong>der</strong><br />

Deutschsprachigen Gemeinschaft gibt.<br />

• Übernahme von Restkosten für therapeutische Behandlungen, therapeutischtechnische<br />

Hilfen, beson<strong>der</strong>e pädagogische Hilfsmittel und operative Eingriffe.<br />

• Bezuschussung von materiellen und sozialen Hilfen zur Realisierung eines<br />

selbstbestimmten Lebens (Grundlage bzw. Höhe <strong>der</strong> Zuschüsse sind zu finden<br />

im „Buch <strong>der</strong> Regelungen - Materielle und soziale Hilfen“, Hrsg: Verwaltungsrat<br />

<strong>der</strong> Dienststelle).<br />

• Ausbildung im Betrieb (AIB) in Zusammenarbeit mit den Zentren des Teilzeitunterrichts.<br />

• Für Jugendliche ab 15 Jahren die Vermittlung an spezialisierte Einrichtungen<br />

und Zentren <strong>der</strong> Berufsberatung.<br />

• Kooperation mit Diensten im Familien- und Unterrichtsbereich, beson<strong>der</strong>s des<br />

Jugendhilfedienstes.<br />

3. Hilfen für junge Volljährige<br />

3.1 Rechtliche Grundlagen<br />

Das Jugendhilfedekret sieht vor, dass Jugendliche, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres<br />

an einer Maßnahme teilgenommen haben, eine Verlängerung <strong>der</strong> Maβnahme<br />

beantragen können. Dies gilt sowohl bei einer vom Jugendhilfedienst organisierten, als<br />

auch vom Jugendgerichtsdienst auferlegten Maßnahme. Die Verlängerung soll die Jugendlichen<br />

bei <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und sie zu einer eigenständigen<br />

Lebensführung befähigen.<br />

3.2 Leistungsvoraussetzungen<br />

Die Verlängerung wird von den Jugendlichen selbst spätestens einen Monat vor Erreichen<br />

<strong>der</strong> Volljährigkeit o<strong>der</strong> vor Ablauf einer bereits beschlossenen Verlängerung beantragt.<br />

Im Antrag wird angegeben, wie lange die Jugendlichen die Verlängerung wünschen.<br />

Der Antrag wird bei <strong>der</strong> zuständigen Fachabteilung des Ministeriums gestellt.<br />

Diese beauftragt dann die Behörde, die die laufende Maßnahme bewilligt hat, und den<br />

Träger <strong>der</strong> laufenden Maßnahme jeweils mit <strong>der</strong> Erstellung eines Gutachtens. Eine<br />

Verlängerung muss schriftlich beantragt und begründet werden. Sie kann maximal bis<br />

zum 21. Lebensjahr verlängert werden.<br />

3.3 Ende <strong>der</strong> Maßnahme<br />

Je<strong>der</strong> Jugendliche über 18 Jahre kann eine Maßnahme vor Ablauf <strong>der</strong> Verlängerung<br />

beenden. Es genügt eine Mitteilung an das zuständige Ministerium.<br />

3.4 Kosten<br />

Wird die Verlängerung genehmigt, werden die Kosten in gleicher Höhe wie vorher vom<br />

Ministerium übernommen.<br />

Leben die Jugendlichen selbstständig, werden nach Genehmigung <strong>der</strong> Verlängerung<br />

lediglich die Kosten <strong>der</strong> Betreuung übernommen. In diesem Fall kann <strong>der</strong> Jugendliche<br />

einen Antrag auf Sozialhilfe beim zuständigen Öffentlichen Sozialhilfezentrum beantragen.


91<br />

III. Verfahren und gerichtliche Kontrolle<br />

1. Antrag<br />

1.1 Freiwillige Jugendhilfe<br />

Um Hilfen in Anspruch nehmen zu können, stellen die Betroffenen eine Anfrage beim<br />

Jugendhilfedienst <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft. Der Jugendhilfedienst wird<br />

nicht nur auf Antrag des Kindes, des Jugendlichen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Familie (Selbstmeldung)<br />

tätig, son<strong>der</strong>n kann zudem sowohl eigeninitiativ als auch auf Meldung von Schule, Einrichtung<br />

o<strong>der</strong> Privatperson (Fremdmeldung) hin o<strong>der</strong> im Auftrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft<br />

aktiv werden. Ob ein Hilfebedarf besteht o<strong>der</strong> eine Gefährdung vorliegt, entscheidet im<br />

Einzelfall <strong>der</strong> Jugendhilfedienst o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendstaatsanwalt.<br />

Jede Anfrage wird durch einen entsprechenden Registereintrag dokumentiert.<br />

Der Jugendhilfedienst erstellt im Zuge <strong>der</strong> Anfrage einen Sozialbericht, in dem Informationen<br />

zur Problematik, zu bereits durchgeführten o<strong>der</strong> begonnenen Interventionen und<br />

<strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Gefährdung dargestellt werden. Der Jugendhilfedienst kann bei Bedarf ein<br />

Gutachten durch eine medizinische, psychologische o<strong>der</strong> juristische Fachkraft beantragen.<br />

1.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe<br />

Das Jugendgericht bzw. <strong>der</strong> Jugendrichter wird durch die Staatsanwaltschaft mit einem<br />

Jugendhilfefall befasst. Die Staatsanwaltschaft wird bis auf einige Ausnahmen immer<br />

über den Jugendhilfedienst mit einer Jugendhilfeakte befasst.<br />

Während <strong>der</strong> Vorbereitungsphase im Vorfeld eines Verfahrens in <strong>der</strong> Sache wird <strong>der</strong><br />

Jugendrichter befasst. Diese Vorbereitungsphase dient:<br />

• dringend notwendigen Maßnahmen,<br />

• den Untersuchungen zur Persönlichkeit des Min<strong>der</strong>jährigen,<br />

• <strong>der</strong> Ermittlung des Bedarfs an weitergehenden notwendigen Schutzmaßnahmen.<br />

Nach <strong>der</strong> Vorbereitungsphase kann die Sache auf Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft zur<br />

Anordnung einer endgültigen, aber weiterhin abän<strong>der</strong>baren Maßnahme dem Jugendgericht<br />

zum Verfahren in <strong>der</strong> Sache vorgetragen werden.<br />

Das Jugendgericht wird erst im Verfahren in <strong>der</strong> Sache (öffentliche Gerichtssitzung)<br />

befasst, wenn eine Sache verhandlungsreif ist. Das Jugendgericht ist zuständig bei<br />

Streitigkeiten über die Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Rechte o<strong>der</strong> des Umgangsrechts o<strong>der</strong><br />

bei Adoptionen Min<strong>der</strong>jähriger.<br />

Im Gegensatz zum Jugendrichter ist das Jugendgericht zwar zur Strafermittlung berechtigt,<br />

ist jedoch kein Strafgericht, da es keine Strafmaßnahmen im Sinne des Strafrechts<br />

festlegt. Im Sinne <strong>der</strong> o. g. Personalunion interveniert <strong>der</strong> Jugendrichter innerhalb<br />

desselben Falls auch als Richter am Jugendgericht.<br />

1.3 Jugendschutz<br />

Das Jugendgericht wird durch die Staatsanwaltschaft mit dem Fall eines straffälligen<br />

Jugendlichen befasst. Der Staatsanwalt kann vor <strong>der</strong> Befassung des Jugendgerichts<br />

auch bereits einige Maßnahmen anordnen (siehe Jugendschutzmassnahmen).


2. Mitwirkung<br />

2.1 Freiwillige Jugendhilfe<br />

92<br />

Im Bereich <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe bedarf jede Hilfemaßnahme, unabhängig vom<br />

Alter des Min<strong>der</strong>jährigen, <strong>der</strong> vorherigen Anhörung aller durch die Maßnahmen betroffenen<br />

Personen und <strong>der</strong> schriftlichen Einwilligung <strong>der</strong> Personen, die die elterliche Gewalt<br />

ausüben bzw. <strong>der</strong>er, die die regelmäßige Aufsicht über den Min<strong>der</strong>jährigen führen.<br />

Bei <strong>der</strong> Anhörung kann sich <strong>der</strong> Jugendliche von einer Person seiner Wahl begleiten<br />

lassen, in seinem Interesse kann zudem eine getrennte Anhörung durchgeführt werden.<br />

Ausnahmen von <strong>der</strong> vorherigen Anhörungspflicht sind nur möglich aufgrund des Alters<br />

<strong>der</strong> Person, ihrer Reife, ihres Gesundheitszustands, eines unbekannten Wohnorts o<strong>der</strong><br />

äußerster Dringlichkeit, und müssen vom fallverantwortlichen Mitarbeiter schriftlich<br />

begründet werden.<br />

Alle Entscheidungen über individuelle Hilfemaßnahmen werden dem Jugendlichen, <strong>der</strong><br />

das 12. Lebensjahr vollendet hat, und den mit <strong>der</strong> Erziehung beauftragten Personen<br />

schriftlich mitgeteilt. Eine die Lebenssituation verän<strong>der</strong>nde Entscheidung über Hilfemaßnahmen<br />

ohne das schriftliche Einverständnis des Jugendlichen, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr<br />

vollendet hat, zu treffen, ist dem Jugendhilfedienst untersagt.<br />

Darüber hinaus bedürfen alle Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>der</strong> schriftlichen Fixierung in<br />

einem sog. Jugendhilfevertrag.<br />

Inhalte <strong>der</strong> Hilfepläne, <strong>der</strong> in einem Jugendhilfevertrag fixiert wird, sind:<br />

• die Bedarfsbeschreibung,<br />

• die notwendigen Leistungen,<br />

• die Dauer <strong>der</strong> Maßnahme,<br />

• die Kostenbeteiligung <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten.<br />

Zur Auswertung <strong>der</strong> Eignung und Notwendigkeit <strong>der</strong> Hilfemaßnahmen und zur Entscheidung<br />

über Fortführung, Än<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Beendigung <strong>der</strong> Hilfen finden zwischen<br />

Jugendhilfedienst und Betroffenen in regelmäßigen Abständen sog. Bilanzgespräche<br />

statt. Diese finden im Abstand von 6 Monaten statt, bei längerfristigen Unterbringungen<br />

ist ein Bilanzgespräch pro Jahr vorgesehen.<br />

Beteiligte Akteure an den vom fallverantwortlichen Mitarbeiter des Jugendhilfedienstes<br />

geleiteten Treffen sind die Betroffenen, die Vertreter <strong>der</strong> Hilfseinrichtung und weitere<br />

Vertreter des Jugendhilfedienstes. An<strong>der</strong>e Personen, Dienste o<strong>der</strong> Einrichtungen, die<br />

für die Durchführung <strong>der</strong> Hilfe hinzugezogen werden, sind an <strong>der</strong> Erstellung und Überprüfung<br />

des Hilfeplans zu beteiligen.<br />

Der o. g. Jugendhilfevertrag ist zu unterzeichnen vom:<br />

• Vertreter des Jugendhilfedienstes;<br />

• Erziehungsberechtigten, in dessen Wohnsitz <strong>der</strong> Jugendliche gemeldet ist,<br />

und ggf. von dem im Haushalt anwesenden Lebenspartner eines Elternteils,<br />

sofern dieser von <strong>der</strong> Hilfeplanung betroffen ist;<br />

• Jugendlichen, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat.


2.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe und Jugendschutz<br />

93<br />

Jugendliche, Kin<strong>der</strong> und ihre Familien werden an Gerichtsverfahren in folgendem Umfang<br />

beteiligt:<br />

• Je<strong>der</strong> Jugendliche, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat, muss vor Verkündung<br />

einer ihn betreffenden Maßnahme des Jugendschutzes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

durch den Jugendrichter angehört werden.<br />

Im Jugendhilfe- und im Jugendschutzverfahren ist <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige in <strong>der</strong><br />

Regel Partei.<br />

• Je<strong>der</strong> Jugendliche, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr vollendet hat, muss laut in Verfahren<br />

vor dem Jugendrichter o<strong>der</strong> dem Jugendgericht, in denen die Inhaber <strong>der</strong><br />

elterlichen Gewalt über seine Person, die Verwaltung seiner Güter o<strong>der</strong> das<br />

Besuchsrecht streiten, zur Anhörung vorgeladen werden.<br />

In diesen Verfahren ist <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige in <strong>der</strong> Regel nicht Partei. In Anlehnung<br />

an die Internationale Konvention über die Rechte des Kindes gestattet<br />

die Rechtsprechung Min<strong>der</strong>jährigen, die das notwendige Unterscheidungsvermögen<br />

besitzen, in Verfahren, die ihre Interessen betreffen, und in denen<br />

sie nicht Partei sind, den eigenen Willen vorzutragen und als Partei eigene<br />

For<strong>der</strong>ungen zu stellen.<br />

• Dem Min<strong>der</strong>jährigen wird ein Rechtsanwalt zugewiesen, sobald <strong>der</strong> Jugendrichter<br />

mit einer Sache befasst wird.<br />

• Wird eine einstweilige Verfügung gegen einen Jugendlichen, <strong>der</strong> das 12. Lebensjahr<br />

vollendet hat, erlassen, muss er vom Jugendrichter persönlich angehört<br />

werden. Die persönliche Anhörungspflicht entfällt, wenn <strong>der</strong> Jugendliche<br />

nicht aufzufinden ist, er aufgrund seines Gesundheitszustands nicht anhörungsfähig<br />

ist o<strong>der</strong> wenn er sich verweigert.<br />

• Der Jugendliche und die Parteien haben nach <strong>der</strong> Zustellung <strong>der</strong> Vorladung<br />

die Möglichkeit, bei <strong>der</strong> Gerichtskanzlei die Jugendakte einzusehen. Davon<br />

ausgenommen sind Schriftstücke, die sich auf die Persönlichkeit o<strong>der</strong> Umwelt<br />

des Jugendlichen beziehen.<br />

• Während <strong>der</strong> Untersuchung des Falles in <strong>der</strong> Vorphase des Verfahrens in <strong>der</strong><br />

Sache darf <strong>der</strong> Jugendrichter den Jugendlichen vorladen, muss dies jedoch<br />

nicht.<br />

• Der Jugendliche kann gegen ein Säumnisurteil, das in Folge von Abwesenheit<br />

bei einer Sitzung ergeht, einen einschlägigen Einspruch einlegen.<br />

• Je<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige, <strong>der</strong> über das notwendige Unterscheidungsvermögen<br />

verfügt, kann laut Artikel 931 Abs. 3 des Gerichtsgesetzbuches in den ihn<br />

betreffenden Zivilverfahren auf eigenen Antrag o<strong>der</strong> kraft richterlicher Entscheidung<br />

und mit seinem Einverständnis durch den Richter angehört werden.<br />

Diese Anhörung findet unter Ausschluss <strong>der</strong> Parteien statt; die Parteien dürfen<br />

zwar das Anhörungsprotokoll einsehen, es jedoch nicht kopieren.<br />

3. Datenschutz<br />

Die Regelungsinhalte zum Datenschutz finden sich im Dekret über die Jugendhilfe.<br />

Demnach müssen alle an <strong>der</strong> Ausführung des Dekretes beteiligten Personen Angaben,<br />

von denen sie im Rahmen ihres Auftrags o<strong>der</strong> auf ihren Auftrag bezogen Kenntnis erlangen,<br />

vertraulich behandeln. Bei Verstößen sind die an <strong>der</strong> Ausführung des Dekretes<br />

beteiligten Personen gem. Artikel 458 des Strafgesetzbuches zur Verantwortung.<br />

Angaben, von <strong>der</strong> eine an <strong>der</strong> Ausführung des Dekretes beteiligte Person im Rahmen<br />

persönlicher o<strong>der</strong> erzieherischer Hilfe in befugter Weise Kenntnis erlangt, darf diese<br />

ohne strafrechtliche Konsequenzen unter folgenden Voraussetzungen weitergeben:<br />

• wenn <strong>der</strong> Anvertrauende seine Einwilligung zur Weitergabe gegeben hat o<strong>der</strong>


94<br />

• an denjenigen Mitarbeiter, <strong>der</strong> wegen eines Wechsels <strong>der</strong> Fallzuständigkeit<br />

für die Gewährung o<strong>der</strong> Erbringung <strong>der</strong> Jugendhilfe verantwortlich ist o<strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> Vorbereitung o<strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> Hilfemaßnahme beteiligt ist o<strong>der</strong> wird<br />

o<strong>der</strong><br />

• an zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos hinzugezogene Fachkräfte,<br />

• an Mitarbeiter <strong>der</strong> zuständigen Fachabteilung des Ministeriums zu Verwaltungszwecken.<br />

Die zur Erfüllung <strong>der</strong> verschiedenen Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe erhobenen Angaben<br />

dürfen nur aufgrund eines unmittelbaren Sachzusammenhangs in Akten o<strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>en<br />

Datenträgern zusammengeführt werden. Daten, die zum Zwecke <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung<br />

gespeichert und genutzt werden, sind sofort zu anonymisieren.<br />

Ein Recht auf Kenntnis <strong>der</strong> während des freiwilligen Jugendhilfeverfahrens in Akten<br />

o<strong>der</strong> auf Datenträgern zu seiner Person gespeicherten Daten hat nach Vollendung<br />

des 18. Lebensjahres je<strong>der</strong> Jugendliche, <strong>der</strong> Gegenstand einer Jugendhilfemaßnahme<br />

war, soweit nicht ein berechtigtes Interessen Dritter entgegensteht.<br />

Vor Vollendung des 18. Lebensjahres kann dem Jugendlichen Einsicht in die Daten<br />

gewährt werden, sofern er über die erfor<strong>der</strong>liche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt<br />

und kein berechtigtes Interesse Dritter die Verweigerung <strong>der</strong> Einsicht in die Daten verhin<strong>der</strong>t.<br />

4. Örtliche und sachliche Zuständigkeit<br />

4.1 Freiwillige Jugendhilfe<br />

Die freiwillige und außergerichtliche Jugendhilfe Belgiens liegt in <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong><br />

jeweiligen Gemeinschaften. In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft wird die Hilfe<br />

durch den Jugendhilfedienst angeboten. Die freiwillige Jugendhilfe geschieht i. d. R.<br />

ohne Beteiligung <strong>der</strong> Gerichte, die erst in Übergangsfällen zwischen freiwilliger und<br />

zwingen<strong>der</strong> Jugendhilfe, also in Fällen des Jugendschutzes, tätig werden.<br />

Der Jugendhilfedienst ist für Anfragen auf Hilfe zuständig, wenn sich <strong>der</strong> Wohnsitz des<br />

Jugendlichen im deutschen Sprachgebiet Belgiens befindet. Hält er sich im deutschsprachigen<br />

Gebiet auf, ohne dort seinen Familienwohnsitz zu haben, wird die örtliche<br />

Zuständigkeit des Jugendhilfedienstes durch seinen Aufenthaltsort bestimmt, insofern<br />

eine akute Gefährdung vorliegt. Bei einem Wohnsitzwechsel außerhalb <strong>der</strong> DG kann<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfedienst unter gewissen Bedingungen in einer Übergangszeit von höchstens<br />

6 Monaten den Jugendlichen weiter betreuen.<br />

Die sachliche Zuständigkeit des Jugendhilfedienstes ist gegeben wenn:<br />

Die physische o<strong>der</strong>/und psychische Integrität, die affektive, moralische, kognitive o<strong>der</strong><br />

soziale Entwicklung o<strong>der</strong> die Erziehung des Jugendlichen durch sein eigenes Verhalten,<br />

das seiner Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong> von Drittpersonen, durch seine Lebensumstände,<br />

durch Beziehungskonflikte o<strong>der</strong> durch beson<strong>der</strong>e Ereignisse gefährdet ist.<br />

Die Kindesgefährdung kann durch die Verwirkung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt und/o<strong>der</strong> die<br />

Vernachlässigung des Kindes und/o<strong>der</strong> durch das unverschuldete Versagen <strong>der</strong> Eltern<br />

und/o<strong>der</strong> durch das Verhalten Dritter entstehen. Erkannt werden kann die Kindesgefährdung<br />

durch die Feststellung von Grundrechtsverletzungen an Kin<strong>der</strong>n. Zudem interveniert<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfedienst auf Anfrage jedes Erziehungsberechtigten, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />

Erziehung eines Kindes erhebliche Schwierigkeiten hat und wenn dies zur Folge hat,<br />

dass eine dem Wohl des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht mehr gewährleistet<br />

werden kann und eine Leistung <strong>der</strong> Jugendhilfe für seine Entwicklung sich als<br />

geeignet und notwendig erweist.


95<br />

4.2 Gerichtliche (zwingende) Jugendhilfe<br />

Da Belgien per Gesetz in verschiedene Gerichtsbezirke unterteilt wurde, ist jedes Jugendgericht<br />

ausschließlich für seinen Bezirk zuständig. Die belgischen Jugendgerichte<br />

besitzen somit keine Zuständigkeit für das gesamte belgische Staatsgebiet. Die örtliche<br />

Zuständigkeit des Jugendgerichts wird im Jugendschutzgesetz geregelt. Die Zuständigkeit<br />

des Jugendgerichts ist auch ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Jugendgerichtsdienstes.<br />

Die Zuständigkeit des Jugendgerichts ergibt sich aus dem<br />

Wohnsitz <strong>der</strong> Eltern, des Vormundes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Personen, die die Aufsicht über den<br />

Min<strong>der</strong>jährigen ausüben. Wenn diese Personen keinen Wohnsitz in Belgien haben<br />

o<strong>der</strong> ihr Wohnsitz ist unbestimmbar o<strong>der</strong> unbekannt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit<br />

des Gerichts nach seinem Aufenthaltsort o<strong>der</strong> nach dem Sitz <strong>der</strong> Jugendhilfeeinrichtung,<br />

<strong>der</strong> er anvertraut wurde.<br />

Die Voraussetzungen <strong>der</strong> sachlichen Zuständigkeit sind das Kindeswohl- und Entwicklungsgefährdung.<br />

IV. Leistungserbringungsrecht<br />

1. Jugendhilfeplanung<br />

In <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde ein Begleitausschuss für die Jugendhilfe<br />

eingesetzt. Dieser Begleitausschuss ist mit <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung und <strong>der</strong> Prävention<br />

beauftragt.<br />

Die Zusammensetzung und die Organisation des Begleitausschusses werden durch<br />

die Regierung in einem Ausführungserlass festgelegt.<br />

Der Begleitausschuss hat im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung folgende Aufgaben:<br />

1. Die Organisation eines jährlichen Jugendhilfeforums. An diesem Forum nehmen<br />

die betroffenen Akteure des Jugendhilfebereichs und an<strong>der</strong>er betroffener<br />

Bereiche teil. Bei diesem Forum werden alle Teilnehmer angehalten, ihre<br />

Kenntnisse und Erfahrungen bei <strong>der</strong> Ermittlung des Bedarfs einzubringen.<br />

2. Die kontinuierliche Ermittlung des Bedarfs an Hilfeleistungen unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Bedürfnisse und Interessen <strong>der</strong> Jugendlichen und <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten<br />

und die Vorraussetzungen zur Deckung des Bedarfs; dabei<br />

muss darauf geachtet werden, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf abgedeckt<br />

werden kann;<br />

3. Initiativen för<strong>der</strong>n, die dem ermittelten Bedarf entsprechen;<br />

4. Die Angemessenheit geplanter Initiativen auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Erkenntnisse des Jugendhilfeforums und <strong>der</strong> Tätigkeitsberichte des Jugendhilfe-<br />

und des Jugendgerichtsdienstes legt die Regierung jeweils die Schwerpunkte<br />

in <strong>der</strong> Jugendhilfe für die kommenden zwei Jahre fest.<br />

2. Zulassung von Leistungserbringern<br />

Jede natürliche o<strong>der</strong> juristische Person, die im Rahmen des Dekrets über die Jugendhilfe<br />

regelmäßig Jugendliche aufnimmt o<strong>der</strong> begleitet, muss zu diesem Zweck von <strong>der</strong><br />

Regierung anerkannt werden. Um anerkannt zu werden, muss <strong>der</strong> Antragsteller auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendhilfe tätig sein, gemeinnützige Ziele verfolgen und aufgrund


96<br />

<strong>der</strong> fachlichen und personellen Vorraussetzungen erwarten lassen, dass er imstande<br />

ist, einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe zu<br />

leisten.<br />

Darüber hinaus müssen die Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe die durch die Regierung in ihren<br />

Ausführungsbestimmungen festgelegten Bedingungen erfüllen. Diese beziehen sich u.<br />

a. auf:<br />

1. Art, Ziel und Qualität des Leistungsangebots;<br />

2. den in <strong>der</strong> Einrichtung, dem Dienst o<strong>der</strong> durch die natürliche Person zu<br />

betreuenden Personenkreis;<br />

3. die Anzahl und Qualifikation des Personals;<br />

4. die betriebsnotwendigen Anlagen und Vorraussetzungen <strong>der</strong> Einrichtung o<strong>der</strong><br />

des Dienstes;<br />

5. die Versorgung, den Unterricht, die Berufsausbildung und das Erziehungssystem<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen sowie<br />

6. die Finanzierung des Leistungsangebotes.<br />

Die Anerkennung wird durch die Regierung auf Basis des Gutachtens <strong>der</strong> zuständigen<br />

Fachabteilung des Ministeriums für einen erneuerbaren Zeitraum von sechs Jahren<br />

gewährt. Neben <strong>der</strong> Anerkennung kann die Regierung mit den einzelnen Trägern einen<br />

Geschäftsführungsvertrag abschließen, in dem spezifisch für den betroffenen Träger<br />

die Erwartungen, die Qualitätsgarantien und die Finanzierung festgelegt sind.<br />

E. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe/Staatliches Wächteramt<br />

I. Intervention bei Gefährdung und Scheitern <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe<br />

1. Voraussetzungen <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe<br />

Bevor das Jugendgericht bzw. <strong>der</strong> Jugendrichter sich mit einer Sache befasst, müssen<br />

in Anwendung des Dekretes über die Jugendhilfe folgende Bedingungen erfüllt sein:<br />

1.1 Gefährdungssituation (Allgemeine Anspruchsvoraussetzung <strong>der</strong> Jugendhilfe)<br />

Wie die freiwillige Jugendhilfe richtet sich auch die zwingende Jugendhilfe an gefährdete<br />

Min<strong>der</strong>jährige. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre physische o<strong>der</strong>/<br />

und psychische Integrität, ihre affektive, moralische o<strong>der</strong> soziale Entwicklung o<strong>der</strong> die<br />

Erziehung gefährdet ist. Die Gefährdung kann von ihrem eigenen Verhalten, das ihrer<br />

Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong> vom Verhalten von Drittpersonen ausgehen. Sie kann<br />

bedingt sein durch die Lebensumstände, durch Beziehungskonflikte o<strong>der</strong> durch beson<strong>der</strong>e<br />

Ereignisse.<br />

Gleiches gilt, wenn die Erziehungspersonen so erhebliche Erziehungsschwierigkeiten<br />

haben, dass eine dem Wohl entsprechende Erziehung eines/r Min<strong>der</strong>jährigen nicht<br />

mehr gewährleistet ist und Maßnahmen notwendig werden.<br />

1.2 Scheitern <strong>der</strong> Freiwilligen Jugendhilfe<br />

Zunächst erfolgt eine Intervention des Jugendhilfedienstes im Rahmen <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Jugendhilfe. Diese hat in <strong>der</strong> Regel immer Vorrang. Die Staatsanwaltschaft hat die<br />

Möglichkeit, sich in bestimmten Ausnahmefällen direkt, d.h. ohne vorherige Intervention<br />

des Jugendhilfedienstes, an das Jugendgericht zu wenden.


97<br />

In drei Fällen ist diese Vorgehensweise möglich:<br />

1. Es besteht <strong>der</strong> Verdacht, dass ein Erwachsener eine Straftat an einem Min<strong>der</strong>jährigen<br />

begangen hat und eine Maßnahme zum Schutz dieses Jugendlichen<br />

notwendig ist.<br />

2. Das Jugendgericht ist bereits aufgrund von Straffälligkeit eines Min<strong>der</strong>jährigen<br />

mit einer Sache befasst. Der/die Staatsanwalt/Staatsanwältin hält für den/die<br />

Min<strong>der</strong>jährige/n o<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es min<strong>der</strong>jähriges Familienmitglied eine Maßnahme<br />

des Jugendschutzes für erfor<strong>der</strong>lich.<br />

3. Nach Beendigung einer gerichtlichen Maßnahme für eine/n Jugendliche/n wird<br />

erneut eine Maßnahme vor Ablauf eines Jahres notwendig.<br />

Erst wenn eine Zusammenarbeit gescheitert ist und weiterhin eine Gefährdungssituation<br />

vorliegt, kann durch den Jugendhilfedienst eine Meldung an die Staatsanwaltschaft<br />

erfolgen.<br />

1.3 Erfor<strong>der</strong>lichkeit<br />

Liegt ein Scheitern <strong>der</strong> freiwilligen Jugendhilfe vor, so muss gleichzeitig eine <strong>der</strong> im<br />

Dekret über die Jugendhilfe erwähnten gerichtlichen Maßnahmen erfor<strong>der</strong>lich sein.<br />

Mit Abgabe <strong>der</strong> Akte an die Staatsanwaltschaft ist im Prinzip die Intervention des Jugendhilfedienstes<br />

beendet.<br />

II. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte<br />

1. Der Jugendhilfedienst<br />

Leitet <strong>der</strong> Jugendhilfedienst eine Jugendakte an die Jugendstaatsanwaltschaft weiter<br />

zwecks Befassung des Jugendrichters, so wird <strong>der</strong> Weiterleitungsakte ein Sozialbericht<br />

des Jugendhilfedienstes über den Jugendlichen beigefügt. Dieser Bericht hilft sowohl<br />

<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft als auch dem Jugendrichter bei <strong>der</strong> Entscheidungsfindung.<br />

2. Jugendgerichtshilfe und Jugendschutz<br />

Der Jugendgerichtsdienst wird im Rahmen <strong>der</strong> Jugendgerichtshilfe o<strong>der</strong> des Jugendschutzes<br />

durch den/die Jugendrichter/in, das Jugendgericht o<strong>der</strong> die Staatsanwaltschaft<br />

beauftragt und führt bei Bedarf die Voruntersuchungen in ihrem Auftrag durch.<br />

Diese beinhaltet in <strong>der</strong> Regel die Erstellung einer Sozialuntersuchung und eines Sozialberichtes.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Sozialuntersuchung werden die Familien- und die Lebenssituationen <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>jährigen, die zu <strong>der</strong> Anfrage geführt haben, detailliert untersucht und festgehalten.<br />

Zu den Familien, zu Schulen und gegebenenfalls zu an<strong>der</strong>en Diensten, die bereits<br />

tätig geworden sind, wird Kontakt hergestellt. Sie kann unterbleiben, wenn bereits ein<br />

Sozialbericht des Jugendhilfedienstes vorliegt.<br />

Der Jugendgerichtsdienst wird zu den Sitzungen des Jugendgerichts eingeladen.<br />

In ausschließlich zivilrechtlichen Akten (Ehescheidung, Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Gewalt...)<br />

führen die Justizassistenten (Mitarbeiter des Justizhauses) die Sozialuntersuchungen<br />

über die Familiensituation auf Anfrage des Magistrats durch.


98<br />

III. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige<br />

1. Grundsatz: elterliche Gewalt (siehe C.I.3.)<br />

Im belgischen Recht gehört <strong>der</strong> Stand <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährigkeit zu den „Schutzstatuten“.<br />

Bei diesen „Schutzstatuten“ geht es sich in erster Linie um den Schutz <strong>der</strong> „schwächeren“<br />

Person, im vorliegenden Fall des Min<strong>der</strong>jährigen, bei Rechtshandlungen. Ziel ist<br />

es die gesetzliche Vertretung des Min<strong>der</strong>jährigen sicher zu stellen, damit dieser am<br />

Rechtsleben teilhaben kann.<br />

Normalerweise steht ein Min<strong>der</strong>jähriger unter elterlicher Gewalt, <strong>der</strong>en Bestandteil die<br />

gesetzliche Vertretung ist. Aufgrund des Ablebens bei<strong>der</strong> Elternteile, bei Entzug <strong>der</strong><br />

elterlichen Gewalt o<strong>der</strong> im Fall eines Interessenskonfliktes nimmt ein Vormund die<br />

rechtlichen Aufgaben und Pflichten <strong>der</strong> elterlichen Gewalt wahr.<br />

2. Ausnahme: Die Vormundschaft<br />

Im Falle wo bei <strong>der</strong> Geburt keine Abstammung besteht o<strong>der</strong> beim Ableben <strong>der</strong> beiden<br />

Elternteile, informiert <strong>der</strong> Standesbeamte innerhalb von drei Tagen nach Eintragung<br />

den Friedensrichter.<br />

In dem Fall wo Vater und Mutter verschollen sind, wird innerhalb von 6 Monaten provisorisch<br />

eine Vormundschaft organisiert.<br />

Für die Handlungen, für die <strong>der</strong> Vormund die Erlaubnis des Friedensrichters benötigt,<br />

müssen die Eltern im Prinzip auch die Erlaubnis des Friedensrichters beantragen.<br />

Die Vormundschaft wird in folgenden Fällen eröffnet:<br />

o Ableben des Vaters und <strong>der</strong> Mutter;<br />

o Vater und Mutter sind gesetzlich unbekannt;<br />

o Vater und Mutter ist es grundsätzlich unmöglich, die elterliche Gewalt auszuüben.<br />

Diese Unmöglichkeit wird durch das Gericht Erster Instanz auf Antrag<br />

des Prokurators festgestellt (außer bei Entmündigung, verlängerte Min<strong>der</strong>jährigkeit<br />

und erklärter o<strong>der</strong> vermuteter Abwesenheit). Der Prokurator handelt<br />

von Amts wegen o<strong>der</strong> auf Antrag je<strong>der</strong> Person, die ein Interesse an einer <strong>der</strong>artigen<br />

Feststellung hat. Der 12-jährige Min<strong>der</strong>jährige wird getrennt durch das<br />

Gericht angehört.<br />

3. Zuständiger Friedensrichter<br />

Der zuständige Friedensrichter ist <strong>der</strong> des Wohnsitzes des Mündels und in Ermangelung<br />

eines Wohnsitzes <strong>der</strong> des Aufenthaltsortes. Der Friedensrichter bleibt immer zuständig,<br />

auch beim Wechsel des Wohnsitzes des Mündels.<br />

Dennoch kann <strong>der</strong> Friedensrichter von Amts wegen o<strong>der</strong> auf Anfrage des Vormundes<br />

den Fall an den Friedensrichter des Wohnortes o<strong>der</strong> des Aufenthaltsortes des Mündels<br />

übergeben. In diesem Fall ist dieser Friedensrichter verpflichtet, den Fall anzunehmen.<br />

4. Bezeichnung des Vormundes<br />

Die Eltern können einen Vormund durch Testament, Erklärung vor dem Friedensrichter<br />

o<strong>der</strong> vor dem Notar bezeichnen. Beim Ableben eines <strong>der</strong> Elternteile bleibt diese Erklärung<br />

gültig, es sei denn, <strong>der</strong> Überlebende wi<strong>der</strong>ruft sie o<strong>der</strong> bezeichnet einen an<strong>der</strong>en<br />

Vormund. Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Elternteile kann die gemeinsame Bezeichnung des Vormundes<br />

ebenfalls einzeln wi<strong>der</strong>rufen (z.B. bei Scheidung).


99<br />

Wenn die bezeichnete Person die Vormundschaft annimmt, beglaubigt <strong>der</strong> Friedensrichter<br />

die Bezeichnung, es sei denn, schwerwiegende Gründe im Interesse des Kindes<br />

verbieten dies.<br />

Wenn kein Vormund zuvor bezeichnet wurde, wählt <strong>der</strong> Friedensrichter eine Person,<br />

die fähig ist, den Min<strong>der</strong>jährigen zu erziehen und seine Güter zu verwalten. Vorzugsweise<br />

bezeichnet er einen aus dem engen Familienkreis.<br />

Die Bezeichnung erfolgt unter Vorraussetzung <strong>der</strong> Annahme des Betroffenen. Der<br />

Mündel muss ab dem Alter von 12 Jahren vor <strong>der</strong> Bezeichnung seines Vormundes<br />

angehört werden. Der Friedensrichter hört bzw. lädt die Großeltern, die volljährigen<br />

Geschwister des Min<strong>der</strong>jährigen und Geschwister <strong>der</strong> Eltern des Min<strong>der</strong>jährigen vor.<br />

Der Friedensrichter kann zudem jede an<strong>der</strong>e Person anhören, wenn er dies für notwendig<br />

erachtet.<br />

Der Friedensrichter kann einen Vormund für die Person und einen für die Güter des<br />

Mündels bezeichnen. Der Friedensrichter regelt die eventuellen Konflikte zwischen den<br />

beiden Vormunden. Für die Handlungen, die die Person und die Güter betreffen, ist<br />

das Einverständnis bei<strong>der</strong> Vormunde erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Wenn <strong>der</strong> Vormund legitime Gründe vorträgt, kann <strong>der</strong> Friedensrichter ihn während <strong>der</strong><br />

Vormundschaft von seiner Funktion freistellen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Vormund die Vormundschaft nicht annimmt, muss das ÖSHZ die Vormundschaft<br />

übernehmen.<br />

In keinem Fall Vormund sein dürfen:<br />

- Personen, die nicht frei über ihre eigenen Güter verfügen können;<br />

- Personen, denen durch den Jugendrichter Maßnahmen auferlegt wurden;<br />

- Personen, die einen offensichtlichen schlechten Lebenswandel haben;<br />

- Personen, <strong>der</strong>en Vermögensverwaltung Unfähigkeit und Untreue bestätigen;<br />

- Personen o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Ehepartner, Mitbewohner, Nach- o<strong>der</strong> Vorfahren, die<br />

einen Prozess mit dem Min<strong>der</strong>jährigen führen, von dem <strong>der</strong> bürgerliche<br />

Stand, das Vermögen o<strong>der</strong> ein großer Teil des Vermögens des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

betroffen sind.<br />

Die Absetzung des Vormundes erfolgt durch den Friedensrichter von Amts wegen, auf<br />

Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft o<strong>der</strong> des Gegenvormundes.<br />

Die Funktion des Vormundes geht nicht auf die Erben über.<br />

5. Der Gegenvormund<br />

In je<strong>der</strong> Vormundschaft wird ein Gegenvormund bezeichnet. Dieser muss seine Funktion<br />

zuvor annehmen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Vormund verwandt o<strong>der</strong> verschwägert mit dem Min<strong>der</strong>jährigen ist, wird <strong>der</strong><br />

Gegenvormund vorzugsweise in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Linie gewählt.<br />

Der Gegenvormund überwacht den Vormund. Wenn er feststellt, dass dieser Fehler in<br />

<strong>der</strong> Erziehung des Min<strong>der</strong>jährigen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung seiner Güter begeht, informiert<br />

er unverzüglich den Friedensrichter. Der Vormund muss mit dem Gegenvormund zusammenarbeiten,<br />

um diesem die Ausübung seiner Kontrollfunktion zu ermöglichen.


100<br />

Im Falle eines Interessenskonfliktes mit dem Vormund interveniert <strong>der</strong> Gegenvormund.<br />

Im Fall eines Interessenskonfliktes mit dem Gegenvormund wird ein Vormund ad hoc<br />

und eine Gegenvormund ad hoc bezeichnet.<br />

Wenn die Funktion des Vormundes endet, wird <strong>der</strong> Gegenvormund nicht automatisch<br />

Vormund. Der Gegenvormund hat die Verpflichtung, die Bezeichnung eines neuen<br />

Vormundes zu beantragen.<br />

6. Aufgaben des Vormundes<br />

Er versorgt den Min<strong>der</strong>jährigen. Er erzieht ihn nach den ggf. von den Eltern angewandten<br />

Prinzipien.<br />

Er vertritt den Min<strong>der</strong>jährigen in allen zivilen Handlungen.<br />

Er verwaltet die Güter des Min<strong>der</strong>jährigen als guter Familienvater und ist für den Schaden<br />

aufgrund einer schlechten Verwaltung verantwortlich. Er kann sich nach Erlaubnis<br />

des Friedensrichters durch an<strong>der</strong>e Personen Beistand suchen.<br />

Er verwendet die Einkünfte des Min<strong>der</strong>jährigen, um den Unterhalt und die Pflege des<br />

Mündels zu gewährleisten. Er beantragt die Anwendung <strong>der</strong> Sozialgesetzgebung für<br />

den Min<strong>der</strong>jährigen.<br />

Innerhalb des Monats nach Beginn seiner Funktion erstellt er ein Inventar über die Höhe<br />

des Vermögens des Min<strong>der</strong>jährigen. Der Friedensrichter kann die Frist auf 6 Monate<br />

verlängern. Wird das Inventar nicht in dieser Frist erstellt, beauftragt <strong>der</strong> Friedensrichter<br />

einen Notar damit auf Kosten des Vormundes.<br />

Innerhalb eines Monats nach Hinterlegung des Inventars und nach Anhörung des Vormundes,<br />

des Gegenvormundes und des Min<strong>der</strong>jährigen ab dem Alter von 15 Jahren<br />

legt <strong>der</strong> Friedensrichter den Handlungsspielraum des Vormundes fest.<br />

Der Vormund muss die vorherige Erlaubnis (je nach Reife des Min<strong>der</strong>jährigen kann er<br />

zuvor angehört werden) für folgende Handlungen beantragen:<br />

- Den Verkauf von Gütern des Min<strong>der</strong>jährigen mit Ausnahme von nicht brauchbaren<br />

Gegenständen;<br />

- Anleihen aufnehmen;<br />

- Güter des Min<strong>der</strong>jährigen als Sicherheit geben o<strong>der</strong> eine Hypothek auf Güter<br />

aufnehmen;<br />

- einen Mietvertrag über 9 Jahre abschließen und die Erneuerung eines geschäftlichen<br />

Mietvertrags;<br />

- eine Erbschaft ablehnen o<strong>der</strong> annehmen ohne Inventarantrag;<br />

- eine Schenkung annehmen;<br />

- den Min<strong>der</strong>jährigen vor Gericht vertreten (außer beim einverständlichen Teilungsverfahren,<br />

Antrag auf Versiegelung, Erstellung des Inventars bei einer<br />

Erbschaft);<br />

- einen Unteilbarkeitspakt abschließen;<br />

- eine Immobilie kaufen;<br />

- Einwilligung eines Antrags o<strong>der</strong> eines Gerichtsurteils;<br />

- einen <strong>Vergleich</strong> o<strong>der</strong> eine <strong>Vergleich</strong>skonvention abschließen;<br />

- einen Handel weiterführen, den <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige aufgrund einer Erbschaft<br />

erhalten hat;<br />

- Andenken o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e persönliche Gegenstände von geringem Wert verkaufen.<br />

Sie werden im Prinzip bis zur Volljährigkeit behalten.


101<br />

Die Immobilien und beweglichen Güter werden öffentlich verkauft, es sei denn <strong>der</strong> Friedensrichter<br />

erlaubt den freihändigen Verkauf im Interesse des Min<strong>der</strong>jährigen.<br />

Der Vormund und <strong>der</strong> Gegenvormund dürfen nur mit Erlaubnis des Friedensrichters<br />

Güter des Min<strong>der</strong>jährigen anmieten. Der Friedensrichter bestimmt die Modalitäten.<br />

Grundsätzlich dürfen <strong>der</strong> Vormund und <strong>der</strong> Gegenvormund nicht die Güter des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

kaufen.<br />

7. Konflikte zwischen dem Min<strong>der</strong>jährigen und dem Vormund<br />

Wenn gravierende Konflikte zwischen dem Min<strong>der</strong>jährigen und dem Vormund o<strong>der</strong> ggf.<br />

mit dem Gegenvormund bestehen, kann <strong>der</strong> Mündel sich in den Angelegenheiten, die<br />

seine Person betreffen ab dem 12. Lebensjahr (ab 15 Jahren für die Angelegenheiten,<br />

die sein Vermögen betreffen) schriftlich o<strong>der</strong> mündlich an den Prokurator des Königs<br />

wenden. Der Prokurator holt alle erfor<strong>der</strong>lichen Informationen ein. Wenn er die Anfrage<br />

des Min<strong>der</strong>jährigen als begründet ansieht „ruft“ er den Friedensrichter an, um den Konflikt<br />

zu lösen. Der Friedensrichter entscheidet nach Anhörung des Min<strong>der</strong>jährigen, des<br />

Vormundes und des Gegenvormundes.<br />

8. Informationsmöglichkeit des Friedensrichters<br />

Der Friedensrichter kann alle Maßnahmen treffen, um über sich ein Bild über die Familiensituation,<br />

die moralische und materielle Situation und Lebensbedingungen des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

zu machen. Er kann insbeson<strong>der</strong>e beim Prokurator eine Sozialuntersuchung<br />

durch den zuständigen Sozialdienst anfragen.<br />

9. Rechenschaftsablegung des Vormundes<br />

Der Vormund hinterlegt beim Friedensgericht jährlich einen Rechenschaftsbericht bezüglich<br />

seiner Verwaltung. Diesen Bericht erhalten auch <strong>der</strong> Gegenvormund und <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>jährige ab 15 Jahren. Der Friedensrichter kann von Amts wegen o<strong>der</strong> auf Antrag<br />

des Gegenvormundes den Vormund zwecks Erläuterung vorladen. Die Form und den<br />

Inhalt des Rechenschaftsberichts wird durch Königlichen Erlass festgelegt.<br />

Jährlich hinterlegt <strong>der</strong> Vormund auch einen Bericht über die Erziehung des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

und über die Maßnahmen, die eine freie Entfaltung des Min<strong>der</strong>jährigen ermöglicht<br />

haben. Der Gegenvormund hat auch Einsicht in diesen Bericht.<br />

Am Ende <strong>der</strong> Vormundschaft o<strong>der</strong> bei Übergabe muss <strong>der</strong> Vormund einen definitiven<br />

Rechenschaftsbericht vorlegen. Vor Gutheißung des definitiven Rechenschaftsberichts<br />

darf kein Vertrag zwischen dem Vormund und dem Min<strong>der</strong>jährigen abgeschlossen werden.<br />

10. Klagemöglichkeit des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

Die Klagemöglichkeit des Min<strong>der</strong>jährigen gegen den Vormund o<strong>der</strong> Gegenvormund<br />

verjährt nach 5 Jahren ab dem Alter <strong>der</strong> Volljährigkeit, auch wenn <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige<br />

zuvor für mündig erklärt wurde.<br />

11. Mündigkeitserklärung des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

Der Min<strong>der</strong>jährige ab 15 Jahren, <strong>der</strong> we<strong>der</strong> Vater noch Mutter hat, kann für mündig<br />

erklärt werden, wenn <strong>der</strong> Vormund und <strong>der</strong> Gegenvormund ihn für fähig beurteilen. Der<br />

Vormund und <strong>der</strong> Gegenvormund hinterlegen den Antrag beim Jugendgericht. Wenn<br />

sie sich uneinig sind, hinterlegt einer <strong>der</strong> beiden den Antrag. In diesem Fall muss <strong>der</strong><br />

Jugendrichter denjenigen anhören o<strong>der</strong> zumindest vorladen, <strong>der</strong> den Antrag nicht gestellt<br />

hat.


102<br />

Wenn <strong>der</strong> Vormund keine Schritte zur Mündigkeitserklärung unternommen hat, obwohl<br />

einer o<strong>der</strong> mehrere Verwandten o<strong>der</strong> Schwager bis zum vierten Grad des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

ihn diesbezüglich für fähig ansehen, können diese Personen beim Prokurator beantragen,<br />

dass dieser das Jugendgericht zwecks Mündigkeitserklärung befasst.<br />

Der Min<strong>der</strong>jährige kann auch alleine den Antrag beim Prokurator einreichen. Dem<br />

mündig erklärten Min<strong>der</strong>jährigen wird ein Pfleger zur Seite gestellt. Der mündig erklärte<br />

Min<strong>der</strong>jährige darf mehr Handlungen als ein „normaler“ Min<strong>der</strong>jähriger tätigen, aber<br />

weniger als ein Volljähriger.


Verwendete Kürzel<br />

103<br />

• JHD: Jugendhilfedienst<br />

• BV: Belgische Verfassung von 1831<br />

bereinigt (im belgischen Sprach<br />

gebrauch spricht man von „koordiniert)<br />

am 17.02.1994<br />

• JGD: Jugendgerichtsdienst<br />

• PFD: Pflegefamiliendienst<br />

• UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention: Übereinkommen über die Rechte<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> vom 20.11.1989<br />

• B.V. : Belgische Verfassung (koordiniert<br />

bereinigt) am 17.02.1994<br />

• KSÜ: Übereinkommen über die Zustän-<br />

digkeit, das anzuwendende Recht,<br />

die Anerkennung, Vollstreckung<br />

und Zusammenarbeit auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> elterlichen Verantwor-<br />

tung und <strong>der</strong> Maβnahmen zum<br />

Schutz von Kin<strong>der</strong>n vom<br />

19.10.1996<br />

• Brüssel IIbis-VO: EG-Verodnung Nr. 2201/2003<br />

über die Zuständigkeit und die Anerkennung<br />

und Vollstreckung von<br />

Entscheidungen in Ehesachen und<br />

in Verfahren betreffend die elterliche<br />

Verantwortung und zur Aufhebung<br />

<strong>der</strong> Verordnung Nr. 1347/2000<br />

• JSG: Jugendschutzgesetz (straffällige<br />

Jugendliche)<br />

• LBU: Laufbahnunterbrechung (im deut-<br />

schen Sprachgebrauch mit dem<br />

Begriff „Freistellung“ gleichzustellen)<br />

• PMS-Zentrum: Psycho-Medizinisch-Sozial Zent-<br />

rum<br />

• TZÜ: Teilzeitunterricht<br />

• MDG: Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachi-<br />

gen Gemeinschaft<br />

• I.P.P.J.: Institution public de protection de<br />

la jeunesse (öffentliche<br />

Jugendschutzeinrichtung)<br />

• SPZ : Sozial Psycologisches Zentrum<br />

• DKF : Dienst für Kind und Familie<br />

• DPB: Dienststelle für Personen mit einer<br />

Behin<strong>der</strong>ung<br />

• PDG : Parlament <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft<br />

• Mosaik: Sozial pädagogisches Zentrum für<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendbetreuung<br />

• SIA: Soziale Integration und Alltagshilfe<br />

• ÖSHZ: Öffentliches Sozialhilfezentrum<br />

• ZBA: Zentrale Behörde für Adoption in<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemein-<br />

schaft


104


Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />

105<br />

Län<strong>der</strong>bericht Nie<strong>der</strong>lande<br />

Vorwort<br />

in zunehmendem Masse sind auch im Europäischen Bereich Bürger in Bewegung. Die<br />

Grenzen zwischen den Staaten werden immer leichter passiert und dies bringt öfters<br />

Schwierigkeiten mit sich.<br />

Diese Schwierigkeiten entstehen auch durch verschiedene Gesetze in den angrenzenden<br />

Län<strong>der</strong>n. Entwicklungen im Europäischen Bereich geben für die Zukunft einige<br />

Hoffnung für gemeinschaftliche Aktionen, aber am heutigen Tag ist dies lei<strong>der</strong> noch<br />

nicht so weit.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe sind schon seit Mitte <strong>der</strong> 90iger Jahre Initiativen entwickelt<br />

worden, um die Probleme <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Mobilität einschätzen und gut<br />

darauf reagieren zu können.<br />

So gibt es einige Übereinkommen zwischen dem Landesverband <strong>Rheinland</strong> und dem<br />

Bureau Jeugdzorg Limburg über die Jugendhilfe an deutsche Bürger, die in <strong>der</strong> Provinz<br />

Limburg wohnhaft sind. Dennoch gibt es in diesem Kontext immer wie<strong>der</strong> Probleme.<br />

In den letzten Jahren haben stets mehr Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong> ihren Anlass gefunden, in die<br />

Bundesrepublik Deutschland zu ziehen. Dasselbe gilt für grenzüberschreitende Wohnortwechsel<br />

von belgischen und nie<strong>der</strong>ländischen Bürgern.<br />

Im Jahr 2005 hat eine Arbeitsgruppe des LVR die Initiative ergriffen, einen <strong>Vergleich</strong><br />

<strong>der</strong> Rechtssysteme <strong>der</strong> drei Län<strong>der</strong> zu erstellen. Diese Zusammenarbeit ist durch uns<br />

stark unterstützt worden. Ein Ergebnis dieser Arbeitsgruppe ist diese Broschüre, die ich<br />

Ihnen gerne empfehlen möchte.<br />

Es bestand hier eine enge Zusammenarbeit von Praktikern <strong>der</strong> Jugendhilfe aus den<br />

drei Län<strong>der</strong>n. Dabei geht es um de Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming und das Bureau<br />

Jeugdzorg Limburg aus <strong>der</strong> Provinz Limburg, um die Deutschsprachige Gemeinschaft<br />

Belgiens und um das Landesjugendamt <strong>Rheinland</strong> (LVR) und die Jugendämter des<br />

Kreises Heinsberg und <strong>der</strong> Stadt Herzogenrath.<br />

Die Arbeitsgruppe wurde fachlich sehr gut unterstützt durch die Fachhochschule Köln,<br />

wobei Frau Prof. Kötter und Frau Prof. Oberloskamp diese Broschüre durch ihre Arbeit<br />

möglich gemacht haben. Die Rechtsanwältin Frau Handelmann und Herr Prof. Roggendorf<br />

von <strong>der</strong> Fachhochschule Aachen haben durch ihr Engagement mit daran gearbeitet,<br />

dass hier eine professionelle Arbeit vorliegt, die hoffentlich in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe viel genutzt wird.<br />

Ich bin froh, dass wir, als Provinz Limburg, die Erstellung <strong>der</strong> Broschüre durch die<br />

Übernahme <strong>der</strong> Dolmetscherkosten erheblich unterstützen konnten.<br />

Ich wünsche allen Teilnehmern einen schönen und erfolgreichen Tag am 27. November<br />

und hoffe, dass diese Broschüre ein Ansatz ist, für die weitere Zusammenarbeit im<br />

grenznahen Bereich.<br />

Odile Wolfs<br />

Deputierte Jeugdzorg <strong>der</strong> Provinz Limburg


106


107<br />

Län<strong>der</strong>bericht Nie<strong>der</strong>lande<br />

Die Jugendhilfe in <strong>der</strong> Provinz Limburg<br />

Prof. Dr. Ute Kötter, Fachhochschule Köln<br />

unter Mitwirkung von<br />

Hein Engels, Bureau Jeugdzorg Limburg und<br />

Ilona Pijls, Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming Maastricht<br />

Inhaltsangabe<br />

A. Begriff und Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe 111<br />

1. Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe 111<br />

2. Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe 111<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen 112<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 112<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 112<br />

1. Supranationale Rechtsquellen 112<br />

2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen 113<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe 114<br />

1. Gesetze 114<br />

2. Nachrangige Gesetzgebung 115<br />

IV. Jugendhilfe im System des Wohlfahrtsstaates 115<br />

1. Die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen durch finanzielle 115<br />

Zuwendungen an sie o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

1.1 Freistellung wegen Schwangerschaft, Geburt, 115<br />

Kin<strong>der</strong>erziehung, Pflege<br />

1.2 Kin<strong>der</strong>geld 117<br />

1.3 Beson<strong>der</strong>e Leistungen für behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> 117<br />

1.4 Leistungen bei Kin<strong>der</strong>betreuung durch Dritte 118<br />

1.5 Leistungen bei Unterhaltsausfall 118<br />

1.6 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen 119<br />

2. Das Bildungssystem 119<br />

2.1 Kin<strong>der</strong>garten 120<br />

2.2 Grundschule 120<br />

2.3 Weiterführende Schule 120<br />

2.4 Berufsbilden<strong>der</strong> Unterricht 121<br />

2.5 Hochschule 121<br />

2.6 Akademische Grade 122<br />

2.7 Erwachsenenbildung 122<br />

2.8 Kosten <strong>der</strong> Bildung 122


108<br />

C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe 123<br />

I. Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe 123<br />

1. Anspruch auf Jugendhilfe 123<br />

2. Eltern 123<br />

3. Elterliche Sorge 123<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> staatlichen Verwaltung 125<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur 125<br />

1.1 Das Reich 125<br />

1.2 Die Provinzen 126<br />

1.3 Die Gemeinden 126<br />

2. Die Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe 126<br />

2.1 Büro für Jugendhilfe (Bureau Jeugdzorg) 127<br />

2.2 Jugendschutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) 128<br />

3. Die Leistungserbringung 128<br />

D. Das Leistungsrecht 129<br />

I. Rechtsanspruch auf indizierte Jugendhilfe 129<br />

II. Arten von Jugendhilfe 130<br />

1. Der Anspruch auf Jugendhilfe gem. Art. 3 Wjz i. V. m. Art. 2 UWjz 130<br />

1.1 Jugendhilfe i. e. S. 130<br />

1.2 Unterbringung 131<br />

1.3 Observationsdiagnostik 133<br />

2. Leistungen psychischer Gesundheitsfürsorge 133<br />

3. Hilfen für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche 133<br />

4. Unterbringung in einer justiziellen Jugendeinrichtung als zivilrechtliche 133<br />

Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahme<br />

5. Nicht-indizierte Jugendhilfe 133<br />

6. Adoption 134<br />

6.1 Allgemeines 134<br />

6.2 Verfahren 135<br />

6.3 Voraussetzungen <strong>der</strong> Adoption 135<br />

6.4 Folgen <strong>der</strong> Adoption 136


109<br />

III. Die Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe 136<br />

1. Grundsätze 136<br />

2. Beitrag <strong>der</strong> Eltern 137<br />

IV. Verfahren und gerichtliche Kontrolle 137<br />

1. Antrag 137<br />

2. Feststellung des Hilfebedarfs/ Indikationsstellung 138<br />

3. Erbringung von Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe 138<br />

4. Evaluation <strong>der</strong> Leistungserbringung und Nachsorge 139<br />

5. Mitbestimmung <strong>der</strong> Klienten 139<br />

5.1 Beteiligungsrechte 139<br />

5.2 Vertrauensperson 140<br />

5.3 Klientenrat 140<br />

6. Außergerichtliche und gerichtliche Kontrolle 140<br />

6.1 Überblick 140<br />

6.2 Beschwerdeverfahren in <strong>der</strong> Jugendhilfe 140<br />

6.3 Das Beschwerdeverfahren bei Maßnahmen des Kindesschutzes 141<br />

V. Das Leistungserbringerrecht 142<br />

1. Die Leistungserbringer 142<br />

2. Die Planung 142<br />

2.1 Die Planung durch die Provinzen 142<br />

2.2 Die Planung durch das Reich 143<br />

3. Qualitätssicherung 144<br />

F. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe 144<br />

I. Allgemeines 144<br />

II. Gerichtlicher Kindesschutz und Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden 145<br />

1. Einleitung des Verfahrens des Kin<strong>der</strong>schutzes 145<br />

2. Die Untersuchung 145<br />

3. Schutzaufsicht 146<br />

3.1 Voraussetzungen <strong>der</strong> Schutzaufsicht 146<br />

3.2 Verfahren 146<br />

3.3 Durchführung <strong>der</strong> Schutzaufsicht 147<br />

3.4 Unterbringung (Uithuisplaatsing) Art. 1:261 BW 148


110<br />

4. Suspension und Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge 148<br />

4.1 Die Suspension <strong>der</strong> elterlichen Sorge 148<br />

4.2 Der Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge 149<br />

5. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige 149<br />

5.1 Die Bestellung eines Vormunds 149<br />

5.2 Die Bestellung eines Pflegers 150<br />

6. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte 150<br />

6.1 Die Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden im Verfahren <strong>der</strong> Ehescheidung 150<br />

6.2 Die Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendhilfebehörden im Jugendstrafverfahren 150<br />

6.3 Jugendbewährungshilfe 151


111<br />

A. Begriff und Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

In den Nie<strong>der</strong>landen ist <strong>der</strong> Begriff Jugendhilfe (jeugdzorg) 71 in Art. 1c Wet op de<br />

Jeugdzorg (Wjz) 72 gesetzlich definiert. Das am 1.1.2005 73 in Kraft getretene Gesetz<br />

über die Jugendhilfe regelt mit <strong>der</strong> Definition des Begriffs Jugendhilfe seinen sachlichen<br />

Anwendungsbereich. Gem. Art. 1c Wjz ist Jugendhilfe die Unterstützung von und<br />

Hilfe für Jugendliche, ihre Eltern, Stiefeltern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, die einen Jugendlichen als<br />

Teil ihrer Familie versorgen und erziehen, bei Entwicklungs- und Erziehungsproblemen<br />

o<strong>der</strong> beim Drohen solcher Probleme. Der Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe des Art. 1c Wjz umfasst<br />

dabei auch die Hilfe und Unterstützung bei Entwicklungs- und Erziehungsproblemen<br />

für Jugendliche mit psychischen Problemen o<strong>der</strong> geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche<br />

und ihre Eltern, und die Erziehungs- und Entwicklungshilfe für Jugendliche, die aufgrund<br />

eines (zivil-) richterlichen Beschlusses in einer Einrichtung für Jugendliche untergebracht<br />

sind.<br />

Schließlich zählen zur Jugendhilfe auch die allgemein an Kin<strong>der</strong> und Jugendliche gerichteten<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> Jugend(sozial)arbeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulsozialarbeit, die in an<strong>der</strong>en<br />

Gesetzen als dem Gesetz über die Jugendhilfe geregelt sind. 74 Das Wet op de<br />

Jeugdzorg sieht insoweit eine Abstimmung zwischen den Maßnahmen <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendarbeit und <strong>der</strong> Jugendhilfe im Sinne des Wet op de Jeugdzorg vor.<br />

Zur Jugendhilfe werden aber nicht nur die freiwilligen Leistungen nach dem Wet op de<br />

Jeugdzorg gezählt, son<strong>der</strong>n auch zwingende Maßnahmen des Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutzes<br />

bei pädagogisch o<strong>der</strong> physisch verwahrlosten Jugendlichen o<strong>der</strong> bei physisch<br />

o<strong>der</strong> psychisch misshandelten Jugendlichen auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Bürgerlichen Gesetzbuchs<br />

(Burgerlijk Wetboek – BW). 75<br />

Jugendhilfe ist daher die Gesamtheit von freiwilligen und zwingenden Hilfen bei drohenden<br />

o<strong>der</strong> bereits bestehenden Entwicklungs- und Erziehungsproblemen von Jugendlichen.<br />

2. Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Aus <strong>der</strong> Definition des Begriffs Jugendhilfe lässt sich als Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe die<br />

Unterstützung und Hilfe bei Erziehungs- und Entwicklungsproblemen von Jugendlichen<br />

ableiten. Die Rechtsgrundlagen für diese Hilfe und Unterstützung finden sich in verschiedenen<br />

Gesetzen: für die Jugendhilfe im engeren Sinn im Wet op de Jeugdzorg,<br />

für die psychologische und psychiatrische Jugendhilfe und Jugendhilfe für leicht geistig<br />

behin<strong>der</strong>te Jugendliche im Algemene Wet Bijzon<strong>der</strong>e Ziektekosten (AWBZ), für die<br />

Unterbringung in einer justiziellen Jugendeinrichtung im Beginselenwet Justitiële Jeugdinrichtingen<br />

und für die kommunale Jugendhilfe im Wet Maatschappelijke On<strong>der</strong>steuning<br />

(WMO). 76<br />

71<br />

Der Begriff jeugdzorg ist ein mo<strong>der</strong>nerer Terminus technicus, <strong>der</strong> die älteren Begriff jeugdhulpverlening<br />

und jeugdbescherming ersetzt.<br />

72 Gesetz über die Jugendhilfe.<br />

73 Davor galt das Wet op de jeugdhulpverlening (wjhv). Zum Wet op de Jeugdzorg vgl. K.S. Klompe-Toet,<br />

PS-special: Wet op de jeugdzorg, Deventer, 2005; A.A.W. van Unen, Wet op de jeugdzorg. Tekst en uitleg,<br />

Den Haag, 2005.<br />

74 J.E. Doek, P. Vlaardingerbroek, Jeugdrecht en jeugdzorg, 5. Aufl., Den Haag, 2006, S. 589.<br />

75 Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 696 ff.; Klompe-Toet, S. 31.<br />

76 Zu den Gesetzen im Einzelnen vgl. unten.


112<br />

B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen<br />

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die nie<strong>der</strong>ländische Verfassung (Grondwet - GW) enthält kein ausdrückliches Recht<br />

auf Jugendhilfe. In <strong>der</strong> Diskussion um die Einführung des neuen Wet op de Jeugdzorg<br />

wurde auch die Verankerung eines Grundrechts auf Jugendhilfe in <strong>der</strong> Verfassung diskutiert.<br />

Dieser Vorschlag wurde jedoch aus grundsätzlichen und finanziellen Gründen<br />

verworfen.<br />

In <strong>der</strong> Literatur wird aus Art. 22 Abs. 1 GW eine Pflicht des Staates (insb. <strong>der</strong> Legislative<br />

und <strong>der</strong> Exekutive) abgeleitet, ausreichende Möglichkeiten <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung<br />

für den Bürger sicherzustellen. Art. 22 Abs. 1 GW regelt, dass <strong>der</strong> Staat Maßnahmen<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Volksgesundheit ergreift: „De overheid treft maatregelen ter<br />

bevor<strong>der</strong>ing van de volksgezondheid.“ Dazu zählen sowohl die körperliche als auch die<br />

geistige Gesundheitsversorgung, wozu auch die Jugendhilfe gerechnet wird. 77 Es<br />

handelt sich hierbei nicht um ein klassisches (Abwehr-)Grundrecht, son<strong>der</strong>n um ein<br />

soziales Grundrecht. Soziale Grundrechte sind in Art. 18 – 23 GW geregelt. Sie sind<br />

Teile des Sozialstaatsgebots. Aus ihnen lassen sich jedoch keine unmittelbaren<br />

Rechtsansprüche des Bürgers gegen den Staat ableiten.<br />

Eine Verpflichtung des Staates zum Schutz <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> (staatliches Wächteramt) findet<br />

sich in <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Verfassung nicht. Allerdings stützt sich das in § 245 Bürgerliches<br />

Gesetzbuch geregelte Verbot <strong>der</strong> Anwendung von Gewalt von Eltern gegenüber<br />

ihren Kin<strong>der</strong>n auf das in Art. 11 GW geregelte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.<br />

Ein staatliches Wächteramt wird darüber hinaus aus internationalen Normen abgeleitet.<br />

78 Art. 3 Un-KIn<strong>der</strong>rechtskonvention enthält einen Auftrag an den Staat, Kin<strong>der</strong>n den<br />

Schutz und die Sorge zu sichern, die sie benötigen. Vorrangig verantwortlich für diesen<br />

Schutz und diese Sorge sind die Eltern. Wenn diese ihre Aufgabe nicht erfüllen können<br />

o<strong>der</strong> Probleme bei <strong>der</strong> Erziehung haben, muss <strong>der</strong> Staat sie unterstützen. Wenn das<br />

Kind vor seinen Erziehungsberechtigten geschützt werden muss, muss <strong>der</strong> Staat intervenieren.<br />

79<br />

II. Internationalrechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Supranationale Rechtsquellen<br />

Gemäß Art. 92 GW können die Nie<strong>der</strong>lande durch völkerrechtliche Verträge Hoheitsrechte<br />

auf völkerrechtliche Organisationen übertragen. Soweit diese zur Rechtssetzung<br />

befugt sind, gilt dann ihr Recht vorrangig vor dem nationalen Recht.<br />

Die Nie<strong>der</strong>lande sind Gründungsmitglied <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaften. Die Normen<br />

<strong>der</strong> Europäischen Union sind grundsätzlich vorrangig vor nationalem Recht. Während<br />

europäische Richtlinien gem. Art. 249 EGV noch in nationales Recht umgesetzt<br />

werden müssen, bevor sie unmittelbar anwendbar sind, gelten europäische Verordnungen<br />

direkt. Im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe sind vor allem zwei EG-Verordnungen bedeutsam:<br />

• die VO (EG) Nr. 1347/ 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung<br />

und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren<br />

betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ehegatten<br />

vom 29.5.2000 80 (Sprachgebrauch: „Brüssel II“),<br />

77 Van <strong>der</strong> Linden, Om wie het gaat in het jeugdbeschermingsrecht, in FJR 1995, 8, S. 174.<br />

78 Doek/Vlaardingerbroek, S. 30 f.<br />

79 Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 588.<br />

80 ABl. EG 2000, Nr. L 160, S. 19.


113<br />

• die VO (EG) Nr. 2201/ 2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung<br />

und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren<br />

betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung <strong>der</strong> VO (EG) Nr.<br />

1347/ 2000 vom 27.11.2003 81 (Sprachgebrauch: „Brüssel IIa“), die die Verordnung<br />

Brüssel II weitestgehend abgelöst hat.<br />

2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen<br />

Die Nie<strong>der</strong>lande haben eine Reihe von internationalen Verträgen geschlossen, die Bedeutung<br />

für den Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe haben. Ihre unmittelbare rechtliche Bindungswirkung<br />

gegenüber den Bürgern hängt davon ab, dass diese Verträge vom Parlament<br />

ratifiziert worden sind (Art. 91 GW). Art. 93 GW bestimmt, dass Vertragsbestimmungen<br />

und Beschlüsse völkerrechtlicher Organisationen in den Nie<strong>der</strong>landen, die sich ihrem<br />

Inhalt nach an je<strong>der</strong>mann richten, rechtsverbindlich sind, sobald sie bekannt gemacht<br />

wurden. Sie haben dann Vorrang vor nationalem nie<strong>der</strong>ländischem Recht (Art. 94<br />

GW). Nie<strong>der</strong>ländische Gesetze, die nicht mit den vorrangigen internationalen Normen<br />

vereinbar sind, dürfen nicht angewandt werden. Daneben gibt es noch internationale<br />

Verträge, die nur die vertragszeichnenden Staaten binden und die keine unmittelbare<br />

Wirkung im nationalen Recht haben.<br />

Zu den multilateralen Verträgen mit Bezug zur Jugendhilfe zählen die folgenden Abkommen:<br />

die UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention (IVRK), das Haager Min<strong>der</strong>jährigenschutzabkommen<br />

(MSA), das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler<br />

Kindesentführung (HKÜ) und das Kin<strong>der</strong>schutzübereinkommen (KSÜ). 82<br />

Die von den Nie<strong>der</strong>landen am 24.11.1994 83 ratifizierte UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention vom<br />

20.11.1989 (Internationale Verdrag inzake de Rechten van het Kind - IVRK) hat für die<br />

Jugendhilfe eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. 84 Zwar sind die darin festgelegten Standards<br />

zum Schutz <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> kein unmittelbar geltendes Recht. Die Konvention entfaltet ihre<br />

Wirkung aber über die Verpflichtung <strong>der</strong> Vertragspartner zu einer den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Konvention entsprechenden Ausgestaltung ihres nationalen Rechts. Die Einhaltung<br />

dieser Verpflichtung wird durch das Kin<strong>der</strong>rechtskomitee <strong>der</strong> Vereinten Nationen anhand<br />

<strong>der</strong> periodisch durch die Unterzeichnerstaaten zu erstellenden Berichte überprüft.<br />

Die von <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>rechtskommission festgestellten Defizite in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfepolitik<br />

<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande waren Anlass für den Nationalen Aktionsplan Kin<strong>der</strong> 2004<br />

(Nationaal Actieplan Kin<strong>der</strong>en 2004), in dessen Zuge die Regelung, die den Eltern die<br />

Anwendung von psychischer und physischer Gewalt bei <strong>der</strong> Erziehung ihrer Kin<strong>der</strong><br />

untersagt, in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde. Die Kin<strong>der</strong>rechtskonvention<br />

bildete auch einen wichtigen Maßstab für das neue Wet op de Jeugdzorg. 2007<br />

soll dem Kin<strong>der</strong>rechts-Komitee <strong>der</strong> Vereinten Nationen ein neuer nie<strong>der</strong>ländischer Bericht<br />

vorgelegt werden, <strong>der</strong> eine Übersicht über die Entwicklungen in den letzten fünf<br />

Jahren enthält.<br />

Unmittelbar in den Nie<strong>der</strong>landen geltendes Recht enthält die Konvention zum Schutz<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte und Grundfreiheiten 85 des Europarats. Nach Erschöpfung des<br />

nationalen Rechts können sich alle Bürger <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande vor dem Europäischen Gerichtshof<br />

für Menschenrechte darauf berufen. Für den Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe spielt<br />

vor allem Art. 8 EMKR eine Rolle. Er schützt das Familienleben und lässt einen<br />

81 ABl. EG 2003, Nr. L 338, S.1.<br />

82 Haagse Kin<strong>der</strong>beschermingsverdrag 1996, Gesetz vom 16.2.2006, Stb. 2006, 122.<br />

83 Stb. 1994, 862. Die UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention ist am 8.3.1995 in den Nie<strong>der</strong>landen in Kraft getreten.<br />

84 Zur Bedeutung <strong>der</strong> UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention für Pflegekin<strong>der</strong> vgl. A.P. Versteeg/A.M. Weterings, De<br />

onbeschermde positie van het pleegkind, een juridisch en maatschappelijk probleem met en o.a. aandacht<br />

voor de betekenis van de artikelen 3, 16, en 20 IVRK, in: FJR 2000 (7/8), S. 161 – 166.<br />

85 Gesetz vom 28.7.1954. Der Verdrag tot Bescherming van de Rechten van de Mens en Fundamentele<br />

Vrijheden ist am 31.8.1954 in den Nie<strong>der</strong>landen in Kraft getreten.


114<br />

behördlichen Eingriff nur zu, soweit <strong>der</strong> Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen<br />

Gesellschaft notwenig ist. 86<br />

III. Nationale Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Gesetze<br />

Das Gesetz über die Jugendhilfe (Wet op de Jeugdzorg - Wjz) 87 bildet seit dem<br />

1.1.2005 die wichtigste gesetzliche Grundlage <strong>der</strong> Jugendhilfe. Es regelt den Anspruch<br />

auf Jugendhilfe und den Zugang zur Jugendhilfe. Es regelt darüber hinaus die Planung,<br />

Steuerung, Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe nach dem Wet op de jeugdzorg.<br />

Die Ansprüche auf psychische Gesundheitsversorgung von Jugendlichen und die Jugendhilfe<br />

für geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche finden sich hingegen weiterhin im Algemene<br />

Wet Bijzon<strong>der</strong>e Ziektekosten (AWBZ - Allgemeines Gesetz Beson<strong>der</strong>e Krankheitskosten)<br />

88 . Das AWBZ ist die Rechtsgrundlage <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Kranken- und<br />

Pflegevolksversicherung.<br />

Die Rechtsgrundlagen für die Unterbringung eines Jugendlichen in einer stationären<br />

justiziellen Einrichtung sind im Beginselenwet Justitiële Jeugdinrichtingen (BJJ -<br />

Grundsatzgesetz Justizielle Jugendeinrichtungen) 89 enthalten.<br />

Für die allgemeine Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Schulsozialarbeit gilt seit dem<br />

1.1.2007 das Gesetz Soziale Unterstützung (Wet Maatschappelijke On<strong>der</strong>steuning –<br />

WMO), 90 das das Welzijnswet 1994 ablöst. Es regelt die Kooperationsebenen und Beziehungen<br />

zwischen den nationalen, provinzialen und kommunalen Behörden im sozialen<br />

Bereich, darunter auch die Bereiche <strong>der</strong> sozialen Wohlfahrt, die Jugendliche beson<strong>der</strong>s<br />

betreffen. Diese allgemeine Jugendarbeit und (Jugend-)Sozialarbeit fällt in den<br />

Zuständigkeitsbereich <strong>der</strong> Gemeinden. Mit dem Wet Maatschappelijke On<strong>der</strong>steuning<br />

wurde den Gemein<strong>der</strong>äten eine größere Verantwortung für die allgemeine Jugendarbeit<br />

und (Jugend-)Sozialarbeit zugewiesen (Art. 9 WMO). Die Kommunen haben mit<br />

dem Ministerium für Jugend und Familie <strong>der</strong> Regierung Balkenende IV eine Vereinbarung<br />

geschlossen, nach <strong>der</strong> in je<strong>der</strong> Gemeinde ein Zentrum für Jugend und Familie<br />

unter Verantwortung <strong>der</strong> Gemeinden errichtet werden soll, das für die Beantwortung<br />

einfacher Erziehungsfragen zuständig ist.<br />

Die letztgenannten Gesetze und sie ergänzende Gesetze, wie das Kwaliteitswet Zorginstellingen<br />

(Qualitätsgesetz Pflege- und Gesundheitseinrichtungen), 91 Gezondheidswet<br />

(Gesundheitsgesetz) 92 , enthalten auch Bestimmungen über die Steuerung, die<br />

Finanzierung und die Aufsicht <strong>der</strong> Jugendhilfe. Der Zugang zu allen Formen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

erfolgt jedoch einheitlich auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Bestimmungen des Wet op de<br />

jeugdzorg über das jeweilige Büro für Jugendhilfe.<br />

86 Zur Bedeutung <strong>der</strong> Europäischen Menschenrechtskonvention für den rechtlichen Status von Pflegefamilien<br />

vgl. M.L.C.C. de Bruijn-Lückers, Pleegzorg met visie en het EVRM, in: FJR 2000 (11), S. 252, 253).<br />

87 Gesetz vom 22.4.2004, Stb. 2004, 306.<br />

88 Gesetz vom 14.12.1967, Stb. 1967, in <strong>der</strong> bereinigten Fassung Stb. 1992,392.<br />

89 Vom 2.11.2001, Stb. 2001, 481.<br />

90 Gesetz vom 29.6.2006, Stb. 2006, 351.<br />

91 Gesetz vom 18.1.1996, Stb. 1996, 80.<br />

92 Stb. 1956,51, zuletzt geän<strong>der</strong>t durch Gesetz vom 20.10.2006, Stb. 2006, 555.


2. Nachrangige Gesetzgebung<br />

115<br />

Die Gesetze können durch Rechtsverordnungen <strong>der</strong> Regierung, Algemene Maatregel<br />

van Bestuur (AmvB), 93 und <strong>der</strong> Ministerien (Ministeriële Regeling) weiter konkretisiert<br />

werden. 94<br />

Wichtige Rechtsverordnungen zum Wet op de Jeugdzorg sind<br />

- die Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Jugendhilfe (Uitvoeringsbesluit<br />

Wet op de jeugdzorg - Uwjz) 95 , die Einzelheiten <strong>der</strong> Rechtsansprüche auf<br />

Jugendhilfe, die Ansprüche von Auslän<strong>der</strong>n auf Jugendhilfe, die Formen <strong>der</strong> psychischen<br />

Gesundheitsfürsorge für Jugendliche, die Ansprüche in Eilfällen, den<br />

Inhalt des Indikationsbeschlusses des Büro für Jugendhilfe, die Qualität und Arbeitsweise<br />

<strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe, die Zusammenarbeit zwischen <strong>der</strong> Stiftung<br />

Büro für Jugendhilfe und dem Kin<strong>der</strong>schutzbehörde, die Rechtspersönlichkeit<br />

und die Aufgaben <strong>der</strong> Vertrauensperson für die Klienten <strong>der</strong> Jugendhilfe und die<br />

eigenen Beiträge <strong>der</strong> Klienten zu den Kosten <strong>der</strong> Jugendhilfe regelt,<br />

- die befristete Verordnung über die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe (Tijdelijk besluit<br />

uitkeringen jeugdzorg),<br />

- die Übergangsregelung Planung Jugendhilfe (Overgangsregeling planning jeugdzorg),<br />

- die Reichssubventionsregelung zur Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe (Rijsksubsidieregeling<br />

bekostiging jeugdzorg),<br />

- die Regelung zur Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe (Regeling bekostiging jeugdzorg),<br />

- die Regelung über Normbeträge Jugendhilf (Regeling normbedragen jeugdzorg).<br />

Die Verordnung zu den justiziellen Jugendeinrichtungen (Reglement justitiële jeugdinrichtingen<br />

96 ) regelt Einzelheiten <strong>der</strong> Unterbringung von Jugendlichen in justiziellen Jugendanstalten.<br />

VI. Jugendhilfe im System des Wohlfahrtsstaates<br />

Der nie<strong>der</strong>ländische Staat unterstützt die Eltern bei <strong>der</strong> Versorgung und Erziehung<br />

ihrer min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong> durch Sozialleistungen 97 und durch die Gewährleistung<br />

eines qualitativ hochwertig und quantitativ ausreichenden Bildungssystems.<br />

1. Die För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen<br />

an sie o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

1.1 Freistellung wegen Schwangerschaft, Geburt, Kin<strong>der</strong>erziehung, Pflege 98<br />

Das Wet Arbeid en Zorg 99 , das am 1.12.2001 in Kraft getreten ist, regelt Rechtsansprüche<br />

auf Freistellung von <strong>der</strong> arbeitsvertraglichen Arbeitspflicht bei Schwanger-<br />

93 Art. 89 Grondwet.<br />

94 Vgl. J.W.P. Verheugt, Inleiding in het Ne<strong>der</strong>landse Recht, 9. Aufl., Gouda, 1997, S. 60 f.<br />

95 Gesetz vom 16.12.2004, Stb. 2004, 703.<br />

96 Stb. 2001, 350.<br />

97 Zu den folgenden Sozialleistungen vgl. De kleine gids voor de Ne<strong>der</strong>landse Sociale Zekerheid, Kluwer,<br />

2007.1.<br />

98 Vgl. dazu die Angaben auf <strong>der</strong> Website des Ministeriums für Soziale Angelegenheiten und Arbeit (Ministerie<br />

voor Sociale Zaken en Werkgelegenheid - SZW): www.szw.nl<br />

99 Gesetz vom 29.11.2001, Stb. 2001, 568.


116<br />

schaft, Geburt, Wochenbett, Adoption, Pflege, Erziehung und Unterbrechung <strong>der</strong> Arbeit.<br />

Während <strong>der</strong> Freistellung besteht weiterhin Versicherungspflicht in den Sozialversicherungen.<br />

Bei manchen Formen <strong>der</strong> Freistellung bestehen Ansprüche auf (teilweise)<br />

Lohnfortzahlung und/o<strong>der</strong> Sozialleistungen in Höhe von 100 % des früheren Lohns bis<br />

zu einer Maximumgrenze. Ansprüche auf Sozialleistungen haben auch Selbständige.<br />

Das Gesetz regelt auch Ansparoptionen für Arbeitnehmer/innen zur Finanzierung <strong>der</strong><br />

Freistellungsperioden.<br />

1.1.1 Schwangerschaft<br />

Bei Schwangerschaft haben Arbeitnehmerinnen einen Anspruch auf mindestens 16<br />

Wochen Schwangerschaftsurlaub (zwangerschaps- en bevallingsverlof). Die Schwangere<br />

kann im Zeitraum von sechs bis vier Wochen vor dem berechneten Geburtstermin<br />

selbst den Anfangtermin für den Schwangerschaftsurlaub bestimmen. In diesem Zeitraum<br />

wird eine Sozialleistung in Höhe des früheren Gehalts, aber höchsten in Höhe<br />

des Maximaltageslohns 100 gewährt.<br />

Der Partner <strong>der</strong> Schwangeren hat nach <strong>der</strong> Geburt Anspruch auf zwei Tage Urlaub mit<br />

Lohnfortzahlung (kraamverlof). Der Urlaub muss innerhalb von vier Wochen nach <strong>der</strong><br />

Geburt des Kindes genommen werden. Während dieser Zeit wird das Gehalt in voller<br />

Höhe weiterbezahlt.<br />

1.1.2 Adoption bzw. Aufnahme eines Pflegekindes<br />

Arbeitnehmer/innen und Selbständige haben bei Adoption eines Kindes o<strong>der</strong> bei Aufnahme<br />

eines Pflegekindes einen Rechtsanspruch auf Adoptions- bzw. Pflegeurlaub<br />

(adoptie-, pleegzorgverlof) im Umfang von vier Wochen um den Zeitpunkt <strong>der</strong> Adoption<br />

bzw. <strong>der</strong> Aufnahme des Pflegekindes herum. In dieser Zeit haben sie Anspruch auf<br />

eine Sozialleistung in Höhe ihres Erwerbseinkommens bis zu einer maximalen Höhe<br />

eines Tageslohns. Sowohl <strong>der</strong> Schwangerschafts-, als auch <strong>der</strong> Adoptions- bzw. Pflegeurlaub<br />

müssen spätestens drei Wochen vor Beginn des Urlaubs beim Arbeitgeber<br />

gemeldet werden.<br />

1.1.3 Erziehungsurlaub<br />

Arbeitnehmer/innen, die seit mindestens einen Jahr in einem Arbeitsverhältnis stehen,<br />

haben Anspruch auf unbezahlten Teilzeiturlaub zur Versorgung und Erziehung von<br />

Kin<strong>der</strong>n bis zum Alter von acht Jahren. Voraussetzung für diesen Erziehungsteilzeiturlaub<br />

(Ou<strong>der</strong>schapsverlof) ist, dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin ihre Arbeitszeit<br />

um höchstens die Hälfte <strong>der</strong> normalen Zeit für ein halbes Jahr reduziert. Es kann<br />

auch eine höhere Reduzierung <strong>der</strong> Arbeitszeit für einen kürzeren Zeitraum o<strong>der</strong> eine<br />

niedrigere Reduzierung für einen längeren Zeitraum gewählt werden.<br />

Der Erziehungsurlaub dauert in <strong>der</strong> Regel 13-mal die wöchentliche Arbeitszeit und wird<br />

nicht bezahlt. Es besteht aber die fiskalisch begünstigte Möglichkeit, einen Teil des<br />

Bruttolohns für Zeiten <strong>der</strong> Freistellung anzusparen (levensloopregeling). Sinkt das Einkommen<br />

unter das Sozialhilfeniveau, kann Sozialhilfe beantragt werden, ohne dass<br />

eine Pflicht zur Bewerbung besteht.<br />

1.1.4 Urlaub wegen Erkrankung von Familienangehörigen<br />

Bei Erkrankung des Kindes, des Partners o<strong>der</strong> eines Elternteils eines Arbeitnehmers/einer<br />

Arbeitnehmerin besteht ein Anspruch auf Pflegeurlaub (zorgverlof). Während<br />

des Pflegeurlaubs werden 70 % des Lohns bzw. wenigstens <strong>der</strong> Mindestlohn gezahlt.<br />

Die Höchstdauer des Pflegeurlaubs beträgt zweimal die wöchentliche Arbeitszeit<br />

des/<strong>der</strong> Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin.<br />

100<br />

Ab 1. Juli 2007 beträgt <strong>der</strong> maximale Tageslohn, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Berechnung von Lohnersatzleistungen<br />

zugrunde gelegt wird, €174,64.


1.1.5 Lebenslaufregelung<br />

117<br />

Das Wet Arbeid en Zorg ermöglicht es Arbeitnehmern, bis zu 12 % ihres Bruttojahreslohns<br />

einschließlich des Urlaubsgeldes für Perioden <strong>der</strong> Freistellung bis zu einem<br />

Höchstbetrag von 2,1 Jahresgehältern zu sparen. Auf diesen Teil des Gehalts sind<br />

Arbeitnehmerbeiträge zu den Sozialversicherungen zu entrichten, so dass lohnorientierte<br />

Sozialleistungen nicht verringert werden. Der Arbeitgeber kann sich steuerfrei an<br />

den Sparleistungen beteiligen. Der Arbeitnehmer bedarf <strong>der</strong> Zustimmung seines Arbeitgebers<br />

zur Freistellung. Diese kann jedoch nur bei beson<strong>der</strong>s schwerwiegenden<br />

betrieblichen o<strong>der</strong> beruflichen Interessen verweigert werden. Bei den oben genannten<br />

gesetzlichen Freistellungsansprüchen kann die Zustimmung nicht verweigert werden.<br />

1.2 Kin<strong>der</strong>geld<br />

Das Allgemeine Kin<strong>der</strong>zulagengesetz (Algemene Kin<strong>der</strong>bijslagwet) 101 gewährt Eltern,<br />

die in den Nie<strong>der</strong>landen wohnen und arbeiten, finanzielle Unterstützung bei <strong>der</strong> Versorgung<br />

o<strong>der</strong> dem Unterhalt von Kin<strong>der</strong>n bis zum Alter von 18 Jahren. Der sog. Kin<strong>der</strong>zuschlag<br />

ist nach dem Alter <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> gestaffelt. Bei Kin<strong>der</strong>n, die vor dem 1.1.1995<br />

geboren wurden, richtet sich die Höhe des Zuschlags bei Kin<strong>der</strong>n von 12 – 17 Jahren<br />

auch nach <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Familie: 102<br />

Kin<strong>der</strong> geboren vor dem 1.1.1995<br />

Für Kin<strong>der</strong> zwischen 12 und 17 Jahren in Familien mit:<br />

1 Kind € 267,40<br />

2 Kin<strong>der</strong>n € 301,09<br />

3 Kin<strong>der</strong>n € 312,20<br />

4 Kin<strong>der</strong>n € 336,63<br />

5 Kin<strong>der</strong>n € 351,28<br />

6 Kin<strong>der</strong>n € 361,06<br />

Kin<strong>der</strong> geboren am o<strong>der</strong> nach dem 1.1.1995<br />

0 – 5 Jahre € 187,42<br />

6 – 11 Jahre € 227,58<br />

12 – 17 Jahre € 267,74<br />

1.3 Beson<strong>der</strong>e Leistungen für behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong><br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Gesetzes über Zuschüsse zu den Unterhaltskosten zuhause<br />

wohnen<strong>der</strong> körperlich behin<strong>der</strong>ter Kin<strong>der</strong> (TOG-Regeling) 103 können Eltern, die ein<br />

behin<strong>der</strong>tes Kind zu Hause versorgen, zusätzlich zum Kin<strong>der</strong>geld einen weiteren staatlichen<br />

Zuschuss zu den Unterhaltskosten erhalten. Die Leistung wird gewährt,<br />

- wenn die Behin<strong>der</strong>ung Folge einer körperlichen, geistigen o<strong>der</strong> seelischen<br />

Krankheit ist, die auch die Aufnahme in eine stationäre Einrichtung rechtfertigen<br />

würde,<br />

- das Kind durch die Behin<strong>der</strong>ung in höherem Umfang abhängig von Versorgung,<br />

Begleitung und Aufsicht ist als ein Kind gleichen Alters<br />

- und das Kind mindestens 3 Jahre alt und nicht älter als 17 Jahre ist.<br />

101 Gesetz vom 26.4.1962, Stb. 160; bereinigt in Stb. 1990, 128.<br />

102 Vgl. De kleine gids voor de ne<strong>der</strong>landse sociale zekerheid, 2007.1, S. 165 f.<br />

103 Regeling Tegemoetkoming on<strong>der</strong>houdskosten thuiswonende meervoudig en ernstig<br />

lichamelijk gehandicapte kin<strong>der</strong>en, Staatscourant 1997, Nr. 67, S. 10 ff.


118<br />

Seit dem 1.7.2007 beträgt die Höhe <strong>der</strong> Leistung € 206,24 pro Quartal. Die Leistung ist<br />

steuerfrei und wird nicht auf den Kin<strong>der</strong>zuschlag (algemene Kin<strong>der</strong>bijslag) angerechnet.<br />

1.4 Leistungen bei Kin<strong>der</strong>betreuung durch Dritte<br />

Seit dem 1.1.2005 besteht auf <strong>der</strong> Grundlage des Gesetzes über die Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

(Wet Kin<strong>der</strong>opvang) 104 ein Rechtsanspruch auf einen staatlichen Zuschuss zu den<br />

Kosten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung (kin<strong>der</strong>opvangtoeslag). Voraussetzung ist, dass beide<br />

Eltern Erwerbstätigkeit und Kin<strong>der</strong>betreuung kombinieren. 105 Der Zuschuss zu den<br />

Kosten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung wird nur gezahlt, wenn das Kind in einer registrierten Kin<strong>der</strong>betreuungseinrichtung<br />

untergebracht wird, z.B. bei einer Tagesmutter, in einer Kin<strong>der</strong>tagesstätte<br />

o<strong>der</strong> einer Kin<strong>der</strong>grippe. Der Zuschuss setzt sich zusammen aus einem<br />

Pauschalbetrag, <strong>der</strong> ein Drittel <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung abdeckt, und einem<br />

einkommensabhängigen Teil. Seit dem 1.1.2007 muss <strong>der</strong> Arbeitgeber einen Teil des<br />

Pauschalbetrags finanzieren. Der einkommensabhängige Teil des Kin<strong>der</strong>betreuungszuschlags<br />

wird vom Staat getragen. Die Höhe dieses Teils des Kin<strong>der</strong>betreuungszuschlags<br />

richtet sich nach dem Einkommen, <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Betreuung des Kindes und <strong>der</strong><br />

Anzahl betreuter Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Familie. Dabei sind die Kosten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

gedeckelt: 2007 beträgt <strong>der</strong> maximale Stundentarif für Kin<strong>der</strong>tagesstätten (dagopvang)<br />

und Tagespflege durch Tagesmütter/väter für 0 – 4jährige Kin<strong>der</strong> € 5,86 und für Horte<br />

und Tagespflege für 4 – 12jährige Kin<strong>der</strong> € 6,02. Der Kin<strong>der</strong>betreuungszuschlag wird<br />

vom Finanzamt ausgezahlt.<br />

1.5 Leistungen bei Unterhaltsausfall 106<br />

Eltern haben das Recht und die Pflicht ihre Kin<strong>der</strong> zu versorgen und zu erziehen (Art.<br />

1:247 Abs. 1 BW). Eltern sind daher verpflichtet, die Kosten <strong>der</strong> Versorgung und Erziehung<br />

ihrer min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong> zu tragen (Art. 1:404 Abs. 1 BW). Diese Pflicht trifft<br />

aber auch die Stiefeltern (Art. 1:404 Abs. 2 BW), den Partner eines Elternteils, <strong>der</strong> gemeinsam<br />

mit diesem die elterliche Sorge für das Kind hat (Art. 1:253sa, 253t – 253 w<br />

BW) 107 und unter bestimmten Umständen 108 auch den leiblichen Vater eines (nicht von<br />

ihm anerkannten) Kindes (Art. 1:394, 406a BW) und den Vormund (Art. 1:282 Abs. 6<br />

BW). 109<br />

Für volljährige Kin<strong>der</strong>, die noch studieren, besteht eine Unterhaltspflicht nur bis zum<br />

21. Lebensjahr. Danach besteht die Unterhaltspflicht nur noch, wenn das Kind bedürftig<br />

ist und nicht für sich selbst sorgen kann. Die Unterhaltspflicht hängt von <strong>der</strong> wirt-<br />

104 Gesetz vom 9.7.2004, Stb. 2004, 455.<br />

105<br />

Unter bestimmten Umständen besteht auch dann ein Anspruch, wenn nur ein Elternteil erwerbstätig<br />

ist, z.B. wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e eine Einkommensersatzleistung bezieht und an einer Maßnahme zur Reintegration<br />

in den Arbeitsmarkt teilnimmt. Vgl. De kleine gids voor de Ne<strong>der</strong>landse Sociale Zekerheid,<br />

2007.1, S. 92.<br />

106<br />

Informationen in deutscher Sprache finden sich auf <strong>der</strong> Website des Europäischen justiziellen Netzes<br />

für Zivil- und Handelssachen: http://ec.europa.eu/civiljustice/index_de.htm.<br />

107<br />

Übt eine Person, die kein Elternteil des Kindes ist, gemeinsam mit einem Elternteil des Kindes das<br />

Sorgerecht für dieses Kind aus, so hat diese Person eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind<br />

(Artikel 1:253w Bürgerliches Gesetzbuch). Der Unterhaltsanspruch besteht für eine ebenso lange Zeit<br />

wie die gemeinsame elterliche Sorge gedauert hat. Sie endet jedenfalls mit dem 21. Geburtstag des<br />

Kindes.<br />

108<br />

Der leibliche Vater eines Kindes ist verpflichtet, für den Unterhalt des von ihm gezeugten (nicht anerkannten)<br />

Kindes aufzukommen, solange das Kind keine rechtliche familiäre Beziehung zu ihm o<strong>der</strong><br />

zu einem an<strong>der</strong>en Mann besitzt (d.h., solange kein gesetzlicher Vater existiert).Dieselbe Verpflichtung<br />

gilt auch für den Lebenspartner einer Mutter, <strong>der</strong> einem zur Zeugung des Kindes geeigneten Akt zugestimmt<br />

hat.<br />

109<br />

Dies gilt nicht für Vormün<strong>der</strong>, denen aufgrund <strong>der</strong> Regeling Pleegzorg die Sorge für ein o<strong>der</strong> mehrere<br />

Kin<strong>der</strong> übertragen wurde.


119<br />

schaftlichen Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Eltern ab. Bei min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong>n und volljährigen<br />

Kin<strong>der</strong>n bis zum 21. Lebensjahr besteht die Unterhaltspflicht unabhängig von <strong>der</strong><br />

tatsächlichen Bedürftigkeit des Kindes. Soweit ein Gericht Maßnahmen des Kin<strong>der</strong>schutzes<br />

für ein Kind festlegt, können die Eltern zugleich zur Zahlung eines Beitrags zu<br />

den Kosten dieser Maßnahme verurteilt werden (Art. 69 ff. Wjz).<br />

Kommen Eltern ihrer Verpflichtung nicht nach, kann das Landesbüro für die Einziehung<br />

von Unterhaltsleistungen (Landelijk Bureau Inning On<strong>der</strong>houdsbijdragen LBIO) 110 mit<br />

Sitz in Gouda, diese Verpflichtung feststellen und die Einziehung vornehmen. Das<br />

LBIO kann die Einziehung vornehmen, es leistet aber keinen Unterhaltsvorschuss.<br />

Das LBIO muss zur Einziehung des Unterhalts vom Unterhaltsgläubiger o<strong>der</strong> dem Unterhaltsschuldner<br />

ermächtigt werden. Das LBIO kann, falls notwendig, die Einziehung<br />

mittels Zwangsvollstreckung durchführen. Es kann beispielsweise das Gehalt, die Sozialleistungen<br />

o<strong>der</strong> bewegliches und unbewegliches Eigentum des Unterhaltsschuldners<br />

pfänden. Die Inanspruchnahme <strong>der</strong> Dienste des LBIO ist nicht kostenlos. Bei Zahlungsrückständen<br />

muss <strong>der</strong> Unterhaltsschuldner die Kosten des LBIO für die Einziehung<br />

bezahlen. Das LBIO erhebt für die Einziehung eine Strafgebühr in Höhe von<br />

10 % des ausstehenden Betrags. Die Kosten für gerichtliche Verfahren und Vollstreckungen<br />

werden ebenfalls beim Unterhaltsschuldner beigetrieben.<br />

1.6 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen<br />

In einer Reihe weiterer Sozialgesetze werden Kin<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>der</strong> Beiträge<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Leistungen berücksichtigt. So sind auch Kin<strong>der</strong> unter 18 Jahren nach dem seit<br />

2006 geltenden Zorgverzekeringswet (Zvw) verpflichtet, eine private Krankenversicherung<br />

abzuschließen. Sie müssen aber we<strong>der</strong> einen einkommensabhängigen Beitrag<br />

bezahlen, da dieser nur auf Erwerbseinkommen und Sozialleistungen erhoben wird,<br />

noch einen nominalen Beitrag, da dieser erst nach dem 18. Lebensjahr zu zahlen ist. 111<br />

Das Allgemeine Angehörigengesetz (Algemene Nabestaandenwet – Anw) regelt Ansprüche<br />

auf Waisenrenten bei Tod eines Unterhaltspflichtigen. In <strong>der</strong> Sozialhilfe (Wet<br />

Werk en Bijstand) werden Kin<strong>der</strong> leistungssteigernd mitberücksichtigt.<br />

2. Das Bildungssystem 112<br />

Die nie<strong>der</strong>ländische Verfassung garantiert mit <strong>der</strong> Freiheit des Unterrichts die Gründung<br />

von privaten Schulen und die weitgehende Freiheit <strong>der</strong> Schulen bei <strong>der</strong> Auswahl<br />

<strong>der</strong> Lehrmaterialien und <strong>der</strong> Unterrichtsgestaltung. In den Nie<strong>der</strong>landen gibt es ca. 600<br />

freie Schulträger. 70 % aller Schulen sind private, häufig weltanschaulich o<strong>der</strong> religiös<br />

geprägte Schulen. Sie erhalten die gleichen Subventionen wie die öffentlichen Schulen,<br />

unterliegen wie diese <strong>der</strong> staatlichen, in <strong>der</strong> Regel kommunalen Aufsicht. Die Festlegung<br />

verbindlicher Lernziele, landesweit durchgeführte Abschlussprüfungen und<br />

staatliche Inspektionen sollen ein vergleichbares Niveau <strong>der</strong> Ausbildung und <strong>der</strong><br />

Schulabschlüsse gewährleisten. Die Mitbestimmung <strong>der</strong> Eltern und Erziehungsberechtigten<br />

im Bildungsbereich wird seit 1992 durch das Gesetz zur Mitbestimmung im Bil-<br />

110 Das LBIO wurde durch das Wet van 23 maart 1995, Stb. 1995, 198 ab 1.1.1997 mit dieser Aufgabe<br />

betraut.<br />

111 Vgl. De Kleine Gids van de Ne<strong>der</strong>landse Sociale Zekerheid, 2007/1, S. 12.<br />

112 Die Informationen zu den Ausführungen in diesem Kapitel wurden den folgenden Websites entnom-<br />

men:<br />

www.uni-oldenburg.de/nie<strong>der</strong>landistik/alt/bildungswesen.html<br />

www.dija.de


120<br />

dungsbereich (Wet Medezeggenschap On<strong>der</strong>wijs) geregelt. Die Eltern können frei zwischen<br />

allen Schulen wählen.<br />

2.1 Kin<strong>der</strong>garten<br />

Der Kin<strong>der</strong>garten wurde 1985 abgeschafft und in die seither achtjährige Grundschule<br />

integriert.<br />

2.2 Grundschulen<br />

Die Schulpflicht ist im Lernpflichtgesetz (Leerplichtwet) geregelt und beginnt in den<br />

Nie<strong>der</strong>landen mit dem 5. Lebensjahr, d.h. ab dem ersten Schultag des Monats, <strong>der</strong> auf<br />

den fünften Geburtstag folgt. Die meisten Kin<strong>der</strong> gehen bereits mit vier Jahren zur<br />

Schule. Die Schulpflicht dauert grundsätzlich bis zum Ende des Schuljahres, in dem<br />

<strong>der</strong>/die Schüler/in 16 Jahre alt wird o<strong>der</strong> in dem sie/er 12 Schuljahre absolviert hat. Bis<br />

zur Volljährigkeit besteht weiterhin eine Unterrichtspflicht im Umfang von 2 Tagen pro<br />

Woche. Für Jugendliche, die noch nicht ausreichend für den Arbeitsmarkt qualifiziert<br />

sind, besteht seit dem 1.8.2007 die Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr. Das Lernpflichtgesetz<br />

bestimmt, dass die Gemeinden die Einhaltung <strong>der</strong> Lernpflicht kontrollieren.<br />

Die Kin<strong>der</strong> besuchen zunächst acht Jahre lang die Grundschule (Basisschool) in sogenannten<br />

Gruppen (groepen) (= Klassen). Für Kin<strong>der</strong> mit geistigen o<strong>der</strong> körperlichen<br />

Behin<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> problematischem Sozialverhalten bestehen spezialisierte Schulen,<br />

die neben dem regulären Unterricht zusätzliche För<strong>der</strong>ung anbieten. Die Grundschulen<br />

stellen auf <strong>der</strong> Basis gesetzlicher Vorschriften jeweils ihren eigenen Lehrplan<br />

für ein Jahr auf. Im letzten Grundschuljahr wird eine vom Staatlichen Institut für Testentwicklung<br />

(Centraal Instituut voor Toets Ontwikkeling - CITO) entwickelte und ausgewertete<br />

Prüfung abgelegt, die zusammen mit einer Beratung durch den Gutachter<br />

<strong>der</strong> Schule Grundlage für die Entscheidung <strong>der</strong> Eltern über den Besuch einer weiterführenden<br />

Schule ist.<br />

2.3 Weiterführende Schulen<br />

Es gibt drei Arten von weiterführenden Schulen: die Schulen für berufsvorbereitenden<br />

Sekundarunterricht (Voorbereidend Middelbaar Beroepson<strong>der</strong>wijs - VMBO), die Schulen<br />

für höheren allgemeinbildenden Sekundarunterricht (Hoger Algemeen Voortgezet<br />

On<strong>der</strong>wijs - HAVO) und die Schulen für den studienvorbereitenden Sekundarunterricht<br />

(Voorbereidend Wetenschappelijk On<strong>der</strong>wijs - VWO). In allen drei Schultypen findet<br />

zunächst eine je nach Schultyp zwei bis drei Jahre dauernde Grundausbildung (Basisvorming<br />

- BAVO) statt, <strong>der</strong>en Ziel eine interdisziplinäre Behandlung von Themen und<br />

die Vermittlung vergleichbarer Kenntnisse in einem breit angelegten Kanon von 15<br />

Pflichtfächern wie etwa Nie<strong>der</strong>ländisch, Englisch, Geschichte und Mathematik ist. Damit<br />

soll ein Wechsel des Schultyps innerhalb <strong>der</strong> ersten zwei bis drei Jahre ermöglicht<br />

werden.


121<br />

Dies wird auch dadurch erleichtert, dass die verschiedenen Schultypen oft in einem<br />

Gebäude (Gesamtschule) untergebracht sind. Der vierjährige berufsvorbereitende Sekundarunterricht<br />

(voorbereidend middelbaar beroepson<strong>der</strong>wijs - VMBO) berechtigt zum<br />

Besuch des berufsbildenden Unterrichts. Nach einer Grundausbildung können die<br />

Schüler sich für einen Schwerpunktbereich (Technik, Versorgung, Verwaltung, Landwirtschaft)<br />

entscheiden. Der bis zu fünfjährige allgemein bildende Sekundarunterricht<br />

(hoger algemeen voorgezet on<strong>der</strong>wijs - HAVO) berechtigt nach dem mit dem Fachabitur<br />

vergleichbaren Abschluss zum Besuch <strong>der</strong> Fachhochschulen.<br />

Das Abschlusszeugnis des sechsjährigen vorwissenschaftlichen Unterrichts (voorbereitend<br />

wetenschappelijk on<strong>der</strong>wijs – VWO) befähigt zum Studium an <strong>der</strong> Universität. Es<br />

werden drei Arten von Schulen des vorwissenschaftlichen Unterrichts unterschieden:<br />

das Gymnasium, auf dem die alten Sprachen (Latein, Griechisch) Pflicht sind, das<br />

Athenäum, auf dem anstelle <strong>der</strong> alten Sprachen die mo<strong>der</strong>nen Sprachen gelehrt werden<br />

und das Lyceum, das eine Kombination aus beiden darstellt.<br />

2.4 Berufsbilden<strong>der</strong> Unterricht<br />

Die Berufsausbildung findet in den Nie<strong>der</strong>landen in <strong>der</strong> Regel auch in Form <strong>der</strong> Schulausbildung<br />

statt. 1996 wurde die Lehrlingsausbildung mit dem Berufsschulunterricht in<br />

sog. regionalen Ausbildungszentren (ROC) zusammengelegt (Gesetz über Erwachsenenbildung<br />

und berufsbildenden Unterricht - Wet Educatie en Beroepson<strong>der</strong>wijs/WEB),<br />

in denen auch die Erwachsenenbildung untergebracht ist. Es bestehen zwei verschiedene<br />

Ausbildungsformen, die sich danach unterscheiden, welchen Anteil das schulische<br />

Lernen bzw. die praktische Ausbildung an <strong>der</strong> Berufsausbildung haben. Es gibt<br />

seither die Berufsausbildung (beroepsopleiding – BOL) mit einem Praxisanteil von<br />

mindestens 20 % und höchstens 60 % und die Berufsbegleitung mit einem Praxisanteil<br />

von mindestens 60 % (beroepsbegleiding – BBL). Die Ausbildungen können auf vier<br />

verschiedenen Niveaus absolviert werden.<br />

2.5 Hochschulen<br />

In den Nie<strong>der</strong>landen gibt es zwei Hochschularten, die Fachhochschulen, die Studiengänge<br />

<strong>der</strong> höheren Berufsausbildung anbieten (Hoger Beroepsopleiding -HO), und die<br />

Universitäten (Wissenschaftlicher Unterricht – WO). Im Rahmen des Bolognaprozesses<br />

wurden seit September 2002 Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt. An<br />

den Universitäten wird <strong>der</strong> Bachelorgrad nach drei Jahren, an den Fachhochschulen<br />

nach vier Jahren erlangt. Nach Abschluss des Bachelorstudiums können sich die Studierenden<br />

in einem Masterstudiengang weiter spezialisieren.


122<br />

Das Masterstudium dauert je nach Studienfach ein bis zwei Jahre, im Fach Medizin<br />

drei Jahre. Nach dem Masterstudium können sich die Absolventinnen und Absolventen<br />

weiter spezialisieren o<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Forschung widmen. Insgesamt gibt es in den Nie<strong>der</strong>landen<br />

neun allgemeine Universitäten, drei technische, und eine landwirtschaftliche.<br />

2.6 Akademische Grade<br />

Je nach Studiengang werden mit dem erfolgreichen Abschluss des Studiums <strong>der</strong> Bachelor-<br />

bzw. Mastergrad o<strong>der</strong> die traditionellen Titeln erreicht. Die traditionellen Titel<br />

<strong>der</strong> Absolventen <strong>der</strong> Fachhochschulen sind „ingenieur“ (ing.) o<strong>der</strong> „Baccalaureus“ (B.),<br />

die <strong>der</strong> Absolventen <strong>der</strong> Universitäten „ingenieur“ (ir.), „doctorandus“ (drs.) o<strong>der</strong>, bei<br />

Abschluss eines Jurastudiums, „meester in de rechten“ (mr.). Anstelle dieser Titel kann<br />

auch <strong>der</strong> Mastertitel (M.) geführt werden. Wer promoviert, erwirbt den Doktorgrad (dr.).<br />

Diese akademischen Grade sind gesetzlich geschützt.<br />

2.7 Erwachsenenbildung<br />

Die Erwachsenenbildung wird seit den 80er Jahren von <strong>der</strong> Politik gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t.<br />

Ihre gesetzliche Grundlage ist das Gesetz über den berufsbildenden Unterricht<br />

und die Erwachsenenbildung (WEB-Wet). Träger <strong>der</strong> Erwachsenenbildung sind staatliche,<br />

kommunale, aber auch private Einrichtungen, <strong>der</strong>en Zertifikate unter bestimmten<br />

Bedingungen staatlich anerkannt werden. Nahezu alle oben beschriebenen Unterrichtsarten<br />

werden auch in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung angeboten: Seit 1984 besteht in<br />

Heerlen die Fernuniversität (Open Universiteit), an <strong>der</strong> auch ohne Abitur Hochschulabschlüsse<br />

erworben werden können. Eine wichtige Rolle in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

spielen auch die ca. 110 Volkshochschulen (volksuniversiteiten, volkshogescholen). Im<br />

Abend- und Tagesunterricht für Erwachsene (Avond- en dagon<strong>der</strong>wijs voor volwassenen)<br />

können Schulabschlüsse nachgeholt werden. Die Zentren für die Handwerksausbildung<br />

(Centra voor vakopleiding) dienen <strong>der</strong> beruflichen Fortbildung, z.B. zur Vorbereitung<br />

auf Meisterprüfungen.<br />

2.8 Kosten <strong>der</strong> Bildung<br />

Eltern brauchen für den Schulbesuch ihrer Kin<strong>der</strong> bis zu <strong>der</strong>en 16. Lebensjahr nichts<br />

zu zahlen. Für Schulbücher und an<strong>der</strong>e Lehrmittel, die im Sekundarunterricht eingesetzt<br />

werden, müssen sie allerdings aufkommen. Ab 2009 sollen Lehrbücher wie<strong>der</strong><br />

kostenlos sein.<br />

Ab dem 16. Lebensjahr sind dann ein Schulgeld in Höhe von € 936 pro Jahr o<strong>der</strong> Studiengebühren<br />

in Höhe von € 1476 pro Jahr zu zahlen. Das Schulgeld bzw. die Studiengebühren<br />

sind für die meisten Ausbildungsgänge gleich.<br />

Schüler und Studenten müssen ab ihrem 18. Lebensjahr für ihre Ausbildung bezahlen.<br />

Ab dem 18. Lebensjahr erhalten jedoch alle Schüler und Studenten auf <strong>der</strong> Basis des<br />

Ausbildungsför<strong>der</strong>ungsgesetzes (Wet Studiefinanciering) vom Staat ein einkommens-<br />

unabhängiges Grundstipendium und eine Ermäßigungskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel<br />

(OV-Jaarkaart). 113 Dieses Grundstipendium wird automatisch in ein Darlehen<br />

umgewandelt, wenn nicht mindestens 50 % <strong>der</strong> Kurse des jeweiligen Schul- o<strong>der</strong><br />

Studienjahrs bestanden wurden. 2007 beträgt das Grundstipendium € 90,77 für Studierende,<br />

die noch bei ihren Eltern wohnen, und € 252,73 für diejenigen, die zur Miete<br />

außerhalb des elterlichen Haushalts wohnen. Daneben gibt es ein (eltern-) einkommensabhängiges<br />

Darlehen als aufstockende Leistung für Studierende, die ihr Studium<br />

vor dem 30. Lebensjahr begonnen haben. Diese Leistung wird höchstens für vier Jahre<br />

gewährt. Dieses Stipendium muss nur zurückgezahlt werden, wenn <strong>der</strong>/die Studierende<br />

nicht innerhalb von 10 Jahren nach Studienbeginn sein/ihr Examen abgelegt hat.<br />

113 Vgl. hierzu und zum Folgenden www.ib-groep.nl unter dem Stichwort studiefinanciering.


C. Strukturmerkmale <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

123<br />

I. Rechtsstellung von Eltern und Kin<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Anspruch auf Jugendhilfe<br />

Anspruch auf Jugendhilfe haben gem. Art. 3 Abs. 1 Wet op de Jeugdzorg Klienten mit<br />

Ausnahme <strong>der</strong> sich nicht rechtmäßig in den Nie<strong>der</strong>landen aufhaltenden Auslän<strong>der</strong>n.<br />

Klienten <strong>der</strong> Jugendhilfe sind gem. Art. 1 d Wjz nicht nur die Jugendlichen, son<strong>der</strong>n<br />

auch ihre Eltern und Stiefeltern und diejenigen, die den Jugendlichen als zu ihrer Familie<br />

gehörend versorgen.<br />

Jugendlicher ist, wer die Volljährigkeitsgrenze noch nicht erreicht hat, d.h. noch nicht<br />

18 Jahre alt ist (Art. 1b Nr. 1 Wjz i.V.m. Art. 1:233 BW). Der Begriff des Jugendlichen<br />

umfasst damit auch Kin<strong>der</strong> ab <strong>der</strong> Geburt. Als Jugendliche gelten aber auch diejenigen,<br />

die älter als 18 Jahre sind und jünger als 21 und denen eine Jugendstrafe gem.<br />

Art. 77g ff. Wetboek van Strafrecht (Strafgesetzbuch) auferlegt wurde (Art. 1b Nr. 3<br />

Wjz). Schließlich gelten als Jugendliche auch diejenigen, die älter als 18 aber noch<br />

keine 23 Jahre alt sind, und für die die Fortsetzung <strong>der</strong> Jugendhilfe, die vor dem Erreichen<br />

<strong>der</strong> Volljährigkeit begonnen wurde, notwendig ist, o<strong>der</strong> bei denen nach <strong>der</strong> Beendigung<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe innerhalb eines halben Jahres eine Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

erfor<strong>der</strong>lich ist (Art. 1b Nr. 3 Wjz).<br />

Art. 3 Abs. 1 Wjz gewährt ausländischen Jugendlichen nur dann einen Anspruch auf<br />

Jugendhilfe, wenn sie sich rechtmäßig in den Nie<strong>der</strong>landen aufhalten. Art. 7 Uitvoeringsbesluit<br />

Wjz konkretisiert dies aber dahingehend, dass auch Jugendliche unter 18<br />

Jahren, die sich nicht rechtmäßig in den Nie<strong>der</strong>landen aufhalten, Anspruch auf Jugendhilfe<br />

haben, allerdings – außer unter beson<strong>der</strong>en Umständen - nicht auf Unterbringung<br />

in einer Pflegefamilie.<br />

Bei Kin<strong>der</strong>n unter 12 Jahren entscheiden die sorgeberechtigten Eltern(teile) über die<br />

Inanspruchnahme von Jugendhilfe. Jugendliche ab 16 Jahren können dies selbst entscheiden,<br />

Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern. Im<br />

Konfliktfall hat <strong>der</strong> gut überlegte Wunsch des Jugendlichen, Jugendhilfe in Anspruch<br />

nehmen zu wollen, Vorrang.<br />

2. Eltern<br />

Unter Eltern werden im juristischen Sprachgebrauch die Mutter und <strong>der</strong> Vater verstanden,<br />

die nach dem Gesetz Mutter und Vater sind. Im normalen Sprachgebrauch wird<br />

Eltern zumeist mit biologischen Eltern gleichgesetzt, die jedoch nicht in jedem Fall die<br />

gesetzlichen Eltern sind.<br />

Die Mutter des Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat o<strong>der</strong> die es adoptiert hat<br />

(Art. 1:198 BW).<br />

Der Vater des Kindes ist in jedem Fall<br />

- <strong>der</strong> Ehemann <strong>der</strong> Mutter, wenn die Mutter bei <strong>der</strong> Geburt des Kindes verheiratet<br />

ist;<br />

- <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> das Kind anerkannt o<strong>der</strong> adoptiert hat;<br />

- <strong>der</strong> Mann, dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde (Art. 1:199 BW).<br />

Die Eltern des Kindes sind die Mutter und <strong>der</strong> Vater gemäß <strong>der</strong> obigen Definition.<br />

Die Partner eines Elternteils o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vormund/die Vormün<strong>der</strong> sind nicht Eltern.<br />

3. Elterliche Sorge<br />

Das Sorgerecht besteht aufgrund elterlicher Verantwortung o<strong>der</strong> Vormundschaft. Die<br />

elterliche Sorge (Art. 1:245 Abs. 1 BW) umfasst die Pflicht und das Recht, für das min<strong>der</strong>jährige<br />

Kind zu sorgen und es zu erziehen (Art. 1:247 Abs. 1 BW). Unter Versorgung<br />

und Erziehung werden u. a. die Verantwortung für das psychische und physische<br />

Wohlbefinden des Kindes und die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung seiner Persönlichkeit ver-


124<br />

standen (Art. 1:247 Abs. 1 BW). Die sorgeberechtigten Eltern treffen wichtige Entscheidungen<br />

im Leben des Kindes wie die über den Wohnort des Kindes und über die<br />

Schule, die es besucht.<br />

Die sorgeberechtigten Eltern sind gesetzliche Vertreter des Kindes. Min<strong>der</strong>jährige Kin<strong>der</strong><br />

dürfen in vielen Fällen nicht rechtlich selbständig handeln. Dies übernimmt die sorgeberechtigte<br />

Person für das Kind o<strong>der</strong> im Namen des Kindes. Grundsätzlich haftet <strong>der</strong><br />

gesetzliche Vertreter solange, bis das Kind 14 Jahre alt ist, auch für Schäden, die das<br />

Kind verursacht.<br />

Die sorgeberechtigten Eltern verwalten das Einkommen und das Vermögen des Kindes,<br />

mit Ausnahme von Taschengeld und eventuell Arbeitslohn, über das/den das<br />

min<strong>der</strong>jährige Kind selbst verfügt. Mit zunehmendem Alter werden mehr Eigenverantwortung<br />

und die zugehörige Entscheidungsbefugnis in bestimmten Bereichen auf das<br />

min<strong>der</strong>jährige Kind übertragen, beispielsweise in Bezug auf die Verwendung seines<br />

Geldes und den Abschluss von Arbeitsverträgen.<br />

Eltern sind verpflichtet, ihre Kin<strong>der</strong> ohne Gebrauch psychischer o<strong>der</strong> physischer Gewalt<br />

bzw. an<strong>der</strong>er Formen herabwürdigen<strong>der</strong> Behandlung zu erziehen.<br />

Die elterliche Sorge kann von beiden Eltern gemeinsam o<strong>der</strong> auch nur durch einen<br />

Elternteil (Art. 1:245 BW) ausgeübt werden. Generell werden drei Fälle unterschieden:<br />

- Verheiratete Eltern/eingetragene Partner<br />

Es wird davon ausgegangen, dass die Eltern während <strong>der</strong> Ehe die Sorge für ihre<br />

min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong> gemeinsam ausüben. Das Sorgerecht wird ihnen kraft Gesetzes<br />

mit <strong>der</strong> Geburt des Kindes übertragen (Artikel 1:251 Absatz 1 BW). Auch<br />

Eltern, die eine eingetragene Partnerschaft eingegangen sind, erhalten mit <strong>der</strong><br />

Geburt des Kindes automatisch das Sorgerecht für das Kind. Voraussetzung ist<br />

jedoch, dass <strong>der</strong> männliche Partner das Kind anerkannt hat (Artikel 1:253aa BW).<br />

- Unverheiratete Eltern<br />

Unverheiratete Eltern können die elterliche Sorge für ihre min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong><br />

gemeinsam ausüben. Sie erhalten das Sorgerecht jedoch nicht automatisch,<br />

son<strong>der</strong>n müssen es beim Landgericht (rechtbank) beantragen.<br />

- Ledige Mutter<br />

Die ledige Mutter erhält nach dem Gesetz bei <strong>der</strong> Geburt des Kindes das Sorgerecht,<br />

es sei denn, sie ist zu diesem Zeitpunkt zur Übernahme <strong>der</strong> Verantwortung<br />

nicht berechtigt (Art. 1:253b BW). Dies ist beispielsweise <strong>der</strong> Fall, wenn sie selbst<br />

noch min<strong>der</strong>jährig ist. Die Mutter kann jedoch bei Gericht eine Volljährigkeitserklärung<br />

beantragen.<br />

Die elterliche Sorge kann auch vom sorgeberechtigten Elternteil und einem Nichtelternteil<br />

gemeinsam wahrgenommen. Ein Nichtelternteil kann beispielsweise <strong>der</strong>/die Partner/in<br />

einer eheähnlichen Gemeinschaft des Elternteils sein, <strong>der</strong>/die das Kind zusammen<br />

mit dem Elternteil pflegt und erzieht. Gemeinschaftliche Verantwortung kann auch<br />

von den Eltern zusammen mit dem Betreuer (Pflegemutter/Pflegevater) des Kindes<br />

ausgeübt werden (Art. 1:253t BW).<br />

Anstelle <strong>der</strong> Eltern kann auch ein Vormund (Art. 1:245 Abs. 2 BW) sorgeberechtigt<br />

sein. Vormund kann eine natürliche Person o<strong>der</strong> das Büro für Jugendhilfe (Bureau<br />

Jeugdzorg) sein. Bei <strong>der</strong> gemeinschaftlichen Vormundschaft üben <strong>der</strong> Vormund und<br />

sein Partner die elterliche Sorge aus. Das Büro für Jugendhilfe kann nicht gemeinsam<br />

mit einer an<strong>der</strong>en (natürlichen o<strong>der</strong> juristischen) Person die Vormundschaft ausüben.


125<br />

II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil <strong>der</strong> staatlichen Verwaltung 114<br />

1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur<br />

Die Nie<strong>der</strong>lande sind eine erblich konstitutionelle Monarchie mit parlamentarischem<br />

Regierungssystem. Das Parlament als Organ <strong>der</strong> Legislative besteht aus zwei Kammern.<br />

Die 75 Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> ersten Kammer werden indirekt über die Parlamente <strong>der</strong> 12<br />

Provinzen gewählt, während die zweite Kammer direkt gewählt wird. Das Parlament<br />

setzt die rechtlichen Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe.<br />

Der dezentralisierte Einheitsstaat <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande hat eine dreigliedrige Struktur:<br />

neben dem Reich (rijk) erfüllen die 12 Provinzen (provincies) und die Gemeinden (gemeenten)<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Legislative und Exekutive.<br />

1.1 Das Reich<br />

An <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Verwaltung steht die Krone, die sich aus <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit<br />

amtierenden Königin Beatrix und den Ministern des Reichs zusammensetzt. Für<br />

die Jugendpolitik war bis Februar 2007 das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und<br />

Sport hauptverantwortlich. Die Angelegenheiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen wurden<br />

von <strong>der</strong> Afdeling Jeugdzorg (Abteilung Jugendhilfe) <strong>der</strong> Directie Jeugdbeleid (Hauptabteilung<br />

Jugendpolitik) im Directoraat-Generaal Maatschappelijke Zorg (Generaldirektion<br />

Soziale Fürsorge) bearbeitet.<br />

Seit <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> neuen nie<strong>der</strong>ländischen Regierung im Februar 2007 (Balkenende<br />

IV) ist für den Bereich Jugend und Familie (Jeugd en Gezin) ein dem Ministerium für<br />

Gesundheit, Wohlfahrt und Sport zugeordneter sog. Programmminister zuständig. 115<br />

Dabei handelt es sich um einen Minister ohne Portefeuille dessen Aufgabe es ist, den<br />

Zusammenhang von Jugend-, Familien-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sicher zu<br />

stellen. Die Neustrukturierung <strong>der</strong> ministeriellen Zuständigkeit beruht auch auf den Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> Arbeit, <strong>der</strong> sogenannten Operation Jung (Operatie Jong) 116 , <strong>der</strong>en Aufgabe<br />

es war, die Kooperation zwischen den verschiedenen mit <strong>der</strong> Jugendhilfe befassten<br />

Ministerien und zwischen den Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfeinstitutionen zu verbessern.<br />

Neben dem Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport haben auch das Justizministerium,<br />

das Innenministerium, das Ministerium für Soziale Angelegenheiten und<br />

Arbeit und das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft Aufgaben im Bereich<br />

<strong>der</strong> Jugendpolitik.<br />

Im Justizministerium ist die Generaldirektion Prävention, Jugend und Sanktionen (Directoraat-Generaal<br />

Preventie, Jeugd en Sancties) für den Bereich des Jugendschutzes<br />

und <strong>der</strong> Jugendkriminalität zuständig. Dieser Generaldirektion ist die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

(Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) zugeordnet.<br />

Das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport koordiniert die interministerielle<br />

Jugendpolitik. Die dort angesiedelte Inspektion Jugendhilfe (Inspectie Jeugdzorg) steht<br />

unter gemeinsamer Verantwortung des Justizministers und des Ministers für Gesundheit,<br />

Wohlfahrt und Sport. Sie hat die Aufsicht über die Jugendhilfebüros (Bureau<br />

Jeugdzorg), die Einrichtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe, die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de<br />

Kin<strong>der</strong>bescherming), die Jugendstrafanstalten, die Organisationen für Auslandsadoptionen<br />

sowie die Aufnahme und die Vormundschaft von unbegleiteten min<strong>der</strong>jährigen<br />

Flüchtlingen. Darüber hinaus erstellt sie Berichte und unterbreitet den Verwaltungsbehörden<br />

<strong>der</strong> Provinzen sowie dem Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport und<br />

dem Justizministerium Vorschläge zur Verbesserung <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendfürsorge<br />

und dem Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutz. Sie veröffentlicht Jahresberichte<br />

über ihre Aufsichts- und Kontrolltätigkeit.<br />

114<br />

Ich danke Herrn Dipl.-Sozialarbeiter Marcel Smits (M.A.) für die Vorarbeiten zu diesem Teil des Landesberichts.<br />

115<br />

Der Jugend- und Familienminister ist <strong>der</strong>zeit André Rouvoet.<br />

116 Vgl. www.operatie-jong.nl


1.2 Die Provinzen<br />

126<br />

Jede <strong>der</strong> 12 Provinzen wird gemeinsam vom Kommissar <strong>der</strong> Königin (Commissaris<br />

van de Koningin) und dem Parlament <strong>der</strong> Provinz (Provinciale Staten) bzw. dem aus<br />

seinen Reihen gebildeten Deputiertenausschuss (Gedeputeerde Staten) verwaltet. Der<br />

Kommissar <strong>der</strong> Königin ist sowohl Organ des Reiches als <strong>der</strong> Provinz und damit eine<br />

wichtige Verbindung zwischen Reich und Provinz.<br />

Die dezentralisierte Verwaltungsstruktur prägt auch die Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe, die<br />

primär die Aufgabe <strong>der</strong> Provinzen (und Kommunen) ist. Die Provinzen sind für die<br />

Durchführung <strong>der</strong> im Wet op de jeugdzorg geregelten Aufgaben <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe<br />

verantwortlich und verwalten die zur Finanzierung dieser Aufgaben vom<br />

Reich zur Verfügung gestellten Mittel. Die Büros für Jugendhilfe als Institutionen <strong>der</strong><br />

Provinzen entscheiden über die konkreten Leistungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe. Die<br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörden (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) als Unterteil <strong>der</strong> Justizverwaltung<br />

sind an den jeweiligen Gerichtsbezirken (arrondissementen) angesiedelt. In<br />

Limburg gibt es Nie<strong>der</strong>lassungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörden in Maastricht und Roermond.<br />

1.3 Die Gemeinden<br />

Die unterste Verwaltungsebene bilden die Städte und Gemeinden, die sowohl Aufgaben<br />

<strong>der</strong> Selbstverwaltung als auch <strong>der</strong> Auftragsverwaltung erfüllen. Ihr oberstes Organ<br />

ist <strong>der</strong> Gemein<strong>der</strong>at (Gemeenteraad), <strong>der</strong> zusammen mit dem Kollegium aus Bürgermeister<br />

und Beigeordneten (College van Burgermeester en Wethou<strong>der</strong>s) und dem<br />

Bürgermeister die Gemeinde leitet. Die Verwaltung <strong>der</strong> Gemeinde ist in verschiedene<br />

Fachabteilungen geglie<strong>der</strong>t. Im Bereich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe sind die Gemeinden<br />

für allgemeine Maßnahmen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe (allgemeine Jugend(sozial-)arbeit<br />

und präventive Maßnahmen), aber auch für die Durchsetzung <strong>der</strong><br />

Schulpflicht verantwortlich. Die allgemeinen Maßnahmen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe<br />

sind meistens an alle Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen gerichtet und sollen die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n und die Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben unterstützen. Hierzu gehören<br />

die allgemeine Jugendsozialarbeit und die Schulsozialarbeit. Die finanziellen Mittel<br />

für die Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe werden den Gemeinden auf <strong>der</strong> Grundlage des Wet<br />

Maatschappelijke On<strong>der</strong>steuning (WMO) entwe<strong>der</strong> vom Reich zugewiesen o<strong>der</strong> von<br />

ihnen aus eigenen Haushaltsmitteln aufgebracht.<br />

2. Die Doppelstruktur <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die zentralen Einrichtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe in den Nie<strong>der</strong>landen sind die Büros für<br />

Jugendhilfe (Bureau Jeugdzorg) und <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming).<br />

Während die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde im Bereich des Kin<strong>der</strong>schutzes, <strong>der</strong><br />

Adoption, in Scheidungsverfahren und bei Strafverfahren gegen Min<strong>der</strong>jährigen tätig<br />

ist, sind die Büros für Jugendhilfe die zentrale Instanz für die Gewährung von Leistungen<br />

<strong>der</strong> (freiwilligen) Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe. Mit <strong>der</strong> Reform des Jugendhilferechts<br />

durch das Wet op de Jeugdzorg wurde die Integration <strong>der</strong> freiwilligen und <strong>der</strong> zwingenden<br />

Jugendhilfe in einem System angestrebt. Die Büros für Jugendhilfe und die Kin<strong>der</strong>schutzbehörden<br />

ergänzen und unterstützen einan<strong>der</strong> in ihren jeweiligen Aufgabengebieten.<br />

So hat das Büro für Jugendhilfe eine Reihe von Aufgaben im Bereich des<br />

Kin<strong>der</strong>schutzes: u. a. ist es Beratungs- und Meldepunkt bei Kindesmisshandlung 117<br />

und es stellt häufig auch die Familienvormün<strong>der</strong> bei Schutzaufsicht.<br />

117 Art. 10 Abs. 1 e Wjz.


127<br />

2.1 Büro für Jugendhilfe (Bureau Jeugdzorg)<br />

Die Träger <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe sind Stiftungen, <strong>der</strong>en örtliche Zuständigkeit sich<br />

auf das Gebiet einer Provinz bzw. einer großstädtischen Region wie Amsterdam, Rotterdam,<br />

Den Haag 118 erstreckt. Die zentrale Aufgabe <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe ist es,<br />

den Bedarf an Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe für den einzelnen Jugendlichen und seine<br />

Familie festzustellen und die Klienten bei <strong>der</strong> Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen<br />

zu unterstützen. Nur <strong>der</strong> Indikationsbeschluss eines Büros für Jugendhilfe öffnet<br />

den Zugang zu den Angeboten <strong>der</strong> sog. indizierten Jugendhilfe, d.h. <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Jugendhilfe, <strong>der</strong> psychischen Gesundheitsfürsorge und den Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche <strong>der</strong> Volkskranken- und -<br />

pflegeversicherung (AWBZ) und <strong>der</strong> Jugendhilfe aufgrund zivilrichterlichen Beschlusses<br />

in einer justiziellen Jugendeinrichtung.<br />

Unter <strong>der</strong> Geltung des Wet op <strong>der</strong> Jeugdhulpverlening, des Vorgängergesetzes des<br />

Wet op de Jeugdzorg, bestanden für die unterschiedlichen Leistungsbereiche <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

unterschiedliche Indikationsverfahren, obwohl das Hilfeangebot ähnlich war.<br />

Der Mangel an Koordinierung <strong>der</strong> verschiedenen Hilfebereiche führte zu Über- und<br />

Unterkapazitäten im Hilfeangebot. Mit dem Wet op de Jeugdzorg wurde daher angestrebt,<br />

die Indikationsstellung nur noch durch eine Stelle, das Büro für Jugendhilfe,<br />

durchführen zu lassen, die auch dafür Sorge trägt, dass die verschiedenen Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe für einen Jugendlichen aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt sind.<br />

Das Wet op de Jeugdzorg strebt darüber hinaus eine deutliche Trennung von Indikation<br />

und Leistungserbringung an. Daher werden die Hilfen/Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe in<br />

<strong>der</strong> Regel nicht von den Büros für Jugendhilfe selbst angeboten, son<strong>der</strong>n von Trägern<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe, die in den Bereichen <strong>der</strong> allgemeinen Jugendhilfe, des Jugendschutzes,<br />

<strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe, <strong>der</strong> psychologischen und psychiatrischen Versorgung<br />

von Jugendlichen mit seelischen Problemen (psychischen Gesundheitsfürsorge für<br />

Jugendliche) und <strong>der</strong> (befristeten) Hilfe für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche tätig<br />

sind.<br />

Die Büros für Jugendhilfe haben neben <strong>der</strong> Indikationsstellung und <strong>der</strong> Begleitung des<br />

Klienten während <strong>der</strong> Inanspruchnahme von Jugendhilfemaßnahmen auch noch die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Durchführung zivilrichterlicher Beschlüsse über die Unterbringung in einer<br />

justiziellen Jugendeinrichtung (Art. 11 a BJJ), <strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe und <strong>der</strong><br />

Amtsvormundschaft. Gem. Art. 11 Wjz ist das Büro für Jugendhilfe Beratungs- und<br />

Meldepunkt bei Kindesmisshandlung (advies- en meldpunt kin<strong>der</strong>mishandeling - AMK).<br />

In dieser Funktion untersucht es Anzeigen von Kindesmisshandlung und beschließt, ob<br />

und welche weiteren Schritte vorzunehmen sind. Ggf. meldet es die Kindesmisshandlung<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) (Art. 9 Abs. 2 Wjz),<br />

<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft o<strong>der</strong> dem Gericht. Das Büro für Jugendhilfe berät auch Personen,<br />

die einen Fall von Kindesmisshandlung vermuten, über mögliche Schritte. Es tritt<br />

aber auch als Familienvormund bei Schutzaufsicht über ein Kind auf und unterstützt<br />

und leitet an<strong>der</strong>e Familienvormün<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Vormün<strong>der</strong> an.<br />

Eine weitere Aufgabe des Büros für Jugendhilfe ist die telefonische Beratung von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen durch ehrenamtlich Tätige, das sog. Kin<strong>der</strong>telefon (kin<strong>der</strong>telefoon).<br />

Die Büros für Jugendhilfe können selbst nur sog. nichtindizierte Jugendhilfe erbringen,<br />

z.B. Beratung für Jugendliche, die keinen Bedarf an Jugendhilfe im Sinne des Wet op<br />

de jeugdzorg haben, o<strong>der</strong> die Einrichtung eines Beratungsbüros für Baby- und Kleinkin<strong>der</strong>ziehung.<br />

Die nichtindizierte Jugendhilfe darf einen maximalen Umfang von 5 Gesprächen<br />

haben (Art. 10 Wjz). Bei an<strong>der</strong>em Beratungsbedarf sollen die Klienten an die<br />

allgemeinen Instanzen nach dem Wet Maatschappelijke On<strong>der</strong>steuning verwiesen<br />

werden.<br />

118 Den großstädtischen Regionen von Rotterdam, Amsterdam und Den Haag können Aufgaben <strong>der</strong> Provinzen<br />

im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe übertragen werden. Vgl. Art. 2 Wjz.


128<br />

2.2 Jugendschutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming)<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) 119 hat ihren Sitz in Utrecht<br />

und Nie<strong>der</strong>lassungen in 13 Regionen. Das Ministerium für Justiz hat die Rechts-<br />

und Fachaufsicht über die Arbeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde und kann auch Weisungen<br />

in Einzelfällen erteilen. Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde beschäftigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />

Fachpersonal.<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde übernimmt eine Schlüsselrolle beim Kindesschutz (Art. 1:238<br />

ff. BW). 120 Sie hat eine Garantiefunktion für die Rechte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im Sinne <strong>der</strong> UN-<br />

Kin<strong>der</strong>rechtskonvention. Sie führt Untersuchungen auf eigene Initiative o<strong>der</strong> auf Initiative<br />

an<strong>der</strong>er Behörden, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe, <strong>der</strong> Polizei o<strong>der</strong> eines<br />

Richters durch und beantragt ggf. Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahmen bei Gericht. Ein direkter<br />

Zugang zur Kin<strong>der</strong>schutzbehörde ist nur in Krisenfällen möglich, da die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

eine sog. Einrichtung in zweiter Linie ist. Wenn die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde einen<br />

solchen Fall untersucht, teilt sie dies dem Beratungs- und Meldepunkt Kin<strong>der</strong>schutz<br />

des zuständigen Büros für Jugendhilfe mit. Umgekehrt meldet das Büro für Jugendhilfe<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde, wenn ein Verdacht auf Kindesmissbrauch o<strong>der</strong><br />

Vernachlässigung von Kin<strong>der</strong>n vorliegt. Ihre Ermittlungen werden innerhalb von drei<br />

Monaten abgeschlossen. In 60 % <strong>der</strong> Fälle werden gerichtliche Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahmen<br />

erlassen.<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde führt auch die Aufsicht über die Maßnahmen <strong>der</strong> Büros für<br />

Jugendhilfe im Bereich des Kin<strong>der</strong>schutzes.<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde hat über den Kin<strong>der</strong>schutz hinaus auch wichtige Aufgaben in<br />

Scheidungsverfahren. Wenn die Eltern sich nicht über den Umgang und den Wohnsitz<br />

des Kindes einigen können, können sie eine gerichtliche Entscheidung beantragen.<br />

Das Gericht kann bei Bedarf die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde um ihre Expertise bitten.<br />

In Jugendstrafverfahren begleitet die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde den Jugendlichen während<br />

des Strafverfahrens und koordiniert die Aktivitäten von Staatsanwaltschaft, Polizei und<br />

des Büros für Jugendhilfe, Abteilung Jugendresozialisierung. Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

kann auch ein Gutachten über den Jugendlichen für das Verfahren erstellen. Sie berät<br />

die Strafverfolgungsorgane über Strafverfolgung, Strafe und Hilfsmaßnahmen und koordiniert<br />

bei Verurteilung des Jugendlichen zu gemeinnütziger Arbeit die Ausführung<br />

<strong>der</strong> Strafe.<br />

Im Adoptionsverfahren erstellt die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde u. a. Eignungsgutachten über<br />

die potentiellen Adoptiveltern.<br />

3. Die Leistungserbringung<br />

Die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe werden nicht durch die Büros für Jugendhilfe o<strong>der</strong> die<br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde erbracht, son<strong>der</strong>n durch von <strong>der</strong> Provinz subventionierte Leistungsanbieter.<br />

121 Leistungsanbieter können alle natürlichen o<strong>der</strong> juristischen Personen<br />

sein, die im Europäischen Wirtschaftsraum nie<strong>der</strong>gelassen sind, und in <strong>der</strong>en Statuten<br />

die Erbringung von Jugendhilfe als Ziel benannt wird (Art. 18 Wjz).<br />

119 Die in den Broschüren des nie<strong>der</strong>ländischen Justizministeriums gewählte Übersetzung „Jugendamt“<br />

wird hier nicht verwendet, da die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde nur einen Teil <strong>der</strong> Aufgaben des deutschen Jugendamtes<br />

ausführt. Zum Raad op de Kin<strong>der</strong>bescherming vgl. auch www.kin<strong>der</strong>bescherming.nl.<br />

120 Die Rechtsgrundlagen für die Arbeit <strong>der</strong> Jugendschutzbehörde finden sich nicht nur im Bürgerlichen<br />

Gesetzbuch, son<strong>der</strong>n auch im Zivilprozessrecht (Wetboek van Burgerlijke Rechtsvor<strong>der</strong>ing), im Strafrecht<br />

(Wetboek van Strafrecht) und im Strafprozessrecht (Wetboek van Strafvor<strong>der</strong>ing), und in <strong>der</strong> Verordnung<br />

über die Organisation <strong>der</strong> Jugendschutzbehörde (Organisatiebesluit Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming,<br />

KB van 25 april 2006, Stb. 2006, 192).<br />

121 Das Gesetz unterscheidet zwischen zorgaanbie<strong>der</strong> (Art. 1 g Wjz), d.h. dem Leistungsanbieter, <strong>der</strong><br />

Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe erbringt, auf die aufgrund des Wjz Anspruch besteht, und aanbie<strong>der</strong> van<br />

zorg (Art. 1 h Wjz), d.h. dem Leistungsanbieter, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe erbringt.


129<br />

Das Wet op de Jeugdzorg kennt die Einteilung <strong>der</strong> Leistungserbringer nach Leistungsarten<br />

(voorzieningen) nicht mehr. Die Leistungsanbieter müssen sog. Module, d.h.<br />

standardisierte Leistungseinheiten, anbieten. Diese Leistungseinheiten müssen den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an Art, Inhalt und Umfang entsprechen, die in einer Rechtsverordnung<br />

für die Planung und Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe vorgegeben sind. Für jedes Modul<br />

wird ein bestimmter Preis festgesetzt. Im jeweiligen Hilfeplan werden die einzelnen für<br />

den Jugendlichen notwendigen Module zusammengefasst. Die Gesamtkosten <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

für den einzelnen Jugendlichen ergeben sich dann aus <strong>der</strong> Zahl und dem<br />

Preis <strong>der</strong> jeweiligen im Indikationsbeschluss als für ihn erfor<strong>der</strong>lich benannten Module.<br />

Der Leistungsanbieter erhält von <strong>der</strong> Provinz für eine bestimmte Menge an Leistungen<br />

<strong>der</strong> definierten Module eine Subvention. Der subventionierte Leistungsanbieter hat im<br />

Rahmen <strong>der</strong> finanziellen Grenzen seiner Subvention die Pflicht zur Annahme von<br />

Klienten <strong>der</strong> subventionierenden Provinz (Art. 19 Wjz). Der Leistungsanbieter muss<br />

dem Büro für Jugendhilfe den Beginn und die Beendigung einer Leistung mitteilen und<br />

das Büro für Jugendhilfe über den Fortgang <strong>der</strong> Hilfe informieren (Art. 20 Wjz). Außerdem<br />

muss er dem Büro für Jugendhilfe die erfor<strong>der</strong>lichen Daten für die Evaluation <strong>der</strong><br />

Hilfe mitteilen.<br />

Die Leistungsanbieter können sog. Hilfeeinheiten (zorgeenheid) bilden, die ein bestimmtes<br />

abgegrenztes Leistungsspektrum anbieten.<br />

D. Leistungsrecht<br />

I. Rechtsanspruch auf indizierte Jugendhilfe<br />

Seit <strong>der</strong> Einführung des Wet op de Jeugdzorg besteht in den Nie<strong>der</strong>landen ein allgemeiner<br />

Rechtsanspruch auf Jugendhilfe, geregelt in Art. 3 Abs. 1 Wjz. Dieser Rechtsanspruch<br />

auf Jugendhilfe setzt gem. Art. 3 Abs. 3 Wjz einen Indikationsbeschluss des<br />

Büros für Jugendhilfe o<strong>der</strong> einen gleichgestellten Beschluss an<strong>der</strong>er Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

voraus, nämlich<br />

- das Urteil eines Strafrichters gem. Art. 77s Abs. 1 WvS<br />

- den Beschluss eines Auswahlbeamten gem. Art. 16 III BJJ<br />

- den Beschluss des Direktors einer justiziellen Jugendhilfeeinrichtung gem. Art. 31<br />

BJJ über Jugendhilfe, die zusätzlich zur Unterbringung erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

-<br />

Ein Anspruch auf Jugendhilfe ohne Indikationsbeschluss besteht nur in Eilfällen (Art.<br />

14 Wjz).<br />

Der Rechtsanspruch auf indizierte Jugendhilfe ist in einer Rechtsverordnung, dem Uitvoeringsbesluit<br />

Wet op de Jeugdzorg (Uwjz), näher beschrieben. Gem. Art. 2 Uwjz<br />

umfasst <strong>der</strong> Anspruch Jugendhilfe, Unterbringung und Beobachtungsdiagnostik. Der<br />

Anspruch auf indizierte Jugendhilfe richtet sich gegen die Provinzen.<br />

Rechtsansprüche auf psychische Gesundheitsfürsorge für Jugendliche und auf Leistungen<br />

für behin<strong>der</strong>te Jugendliche waren schon vorher und sind noch im Algemene<br />

Wet Bijzon<strong>der</strong>e Ziektekosten (AWBZ) geregelt. Sie richten sich an die Träger <strong>der</strong><br />

Volkskranken- und Pflegeversicherung.<br />

Der Rechtsanspruch auf Unterbringung in einer justiziellen Einrichtung <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

gem. Art. 11 a BJJ richtet sich an das Justizministerium.<br />

Trotz <strong>der</strong> unterschiedlichen Rechtsgrundlagen <strong>der</strong> verschiedenen Formen von Jugendhilfe<br />

entscheidet nur ein Organ, nämlich das Büro für Jugendhilfe über das Vorliegen<br />

<strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong> Jugendhilfe (Art. 5 II Wjz).<br />

Auf die von den Gemeinden getragenen Formen <strong>der</strong> allgemeinen Jugendhilfe, wie Jugend(sozial-)arbeit<br />

und <strong>der</strong> Schulsozialarbeit, besteht kein Rechtsanspruch. Sie sind<br />

aber ohne Indikationsbeschluss zugänglich.<br />

Gem. Art. 5 Abs. 4 S. 1 Wjz soll die Jugendhilfe dem Ziel dienen, eine ungefährdete<br />

Entwicklung des Jugendlichen zu gewährleisten und soll sich nach dem Bedarf des


130<br />

Klienten richten. Die Jugendhilfe ist daher so schonend wie möglich, so nahe wie möglich<br />

am dauerhaften Aufenthaltsort des Klienten und so kurz wie möglich zu erbringen<br />

(Art. 5 Abs. 4 S. 2 Wjz). In den Nie<strong>der</strong>landen werden diese Leitlinien als „zozo-zo-beleid“<br />

bezeichnet, frei übersetzt: So-so-so-Grundsatz. Der So-so-so-Grundsatz,<br />

<strong>der</strong> auch an an<strong>der</strong>er Stelle im Wet op de Jeugdzorg wie<strong>der</strong>holt wird (z.B. Art. 31 Abs. 4<br />

Wjz) hat verschiedene Auswirkungen: Er bedeutet, dass präventive Maßnahmen Vorrang<br />

haben, dass ambulante Hilfe Vorrang vor stationärer Hilfe hat und dass freiwillige<br />

Jugendhilfe Vorrang vor zwingen<strong>der</strong> Jugendhilfe hat. Schließlich enthält er ganz allgemein<br />

die Anfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit von Mitteln und Zielen und <strong>der</strong> Subsidiarität.<br />

122 Damit wird <strong>der</strong> Bedarf des Jugendlichen zum Ausgangspunkt <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

gemacht. Die Jugendhilfe soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr durch<br />

das Angebot, son<strong>der</strong>n durch die Nachfrage gesteuert werden.<br />

II. Arten von Jugendhilfe<br />

1. Der Anspruch auf Jugendhilfe gem. Art. 3 Wjz i.V.m. Art. 2 UWjz<br />

Art. 2 UWjz nennt als Formen <strong>der</strong> Jugendhilfe i.w.S. die Jugendhilfe i.e.S, die Unterbringung<br />

und die Observationsdiagnostik. Die in den Art. 3 – 6 UWjz enthaltenen Beschreibungen<br />

<strong>der</strong> einzelnen Formen <strong>der</strong> Jugendhilfe sind allerdings sehr abstrakt<br />

gehalten. Ziel dieser abstrakten Formulierung des Hilfeanspruchs ist es, eine flexible<br />

Gestaltung des Hilfeangebots, innovative Angebote und eine schnellere Anpassung an<br />

die sich ständig än<strong>der</strong>nden Standards <strong>der</strong> Jugendhilfe zu ermöglichen, auch wenn dies<br />

zu Lasten einer leichten Erkennbarkeit <strong>der</strong> Rechtsansprüche durch die Klienten und zu<br />

weniger Rechts- und finanzieller Sicherheit führt. 123 Konkretisiert werden die Ansprüche<br />

durch den Indikationsbeschluss, <strong>der</strong> die Leistungen, auf die Anspruch besteht, in<br />

Modulen beschreibt. Dieser Leistungsbeschreibung entsprechen die in Modulform gefassten<br />

Leistungsangebote <strong>der</strong> Leistungserbringer <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />

1.1 Jugendhilfe i. e. S.<br />

Die Jugendhilfe i.e.S. ist in Art. 3 Abs. 1 a UWjz dahingehend konkretisiert, dass sie<br />

die Behandlung und Begleitung von Jugendlichen umfasst, <strong>der</strong>en Ziel die Beseitigung,<br />

Verringerung, die Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verschlimmerung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Umgang mit den Folgen<br />

seiner psychosozialen, psychischen o<strong>der</strong> Verhaltensprobleme ist. Es kann sich<br />

aber auch um die Begleitung und Behandlung eines Klienten handeln, <strong>der</strong> nicht <strong>der</strong><br />

Jugendliche ist, mit dem Ziel solche Fertigkeiten zu erwerben, die es ihm ermöglichen,<br />

die psychosozialen, psychischen o<strong>der</strong> Verhaltensprobleme in <strong>der</strong> Familie zu bewältigen<br />

(Art. 3 Abs. 1 b UWjz). Die Jugendhilfe umfasst daher u. a. Erziehungsberatung<br />

durch Pädagogen, Sozialarbeiter, sozialpädagogische Kräfte, die in Erziehungsberatungsstellen<br />

o<strong>der</strong> freiberuflich tätig sind, die Erziehungshilfe z.B. durch Beratungszentren/Gemeindeschwestern<br />

(für Kin<strong>der</strong> bis 4 Jahre) für medizinische und soziale/emotionale<br />

Entwicklung (Gemeentelijke Gezondheidsdienst -GGD/ Jeugdgezondheidszorg-JGZ)<br />

o<strong>der</strong> durch „Videohometraining“ (mit Videoaufnahmen wird Erziehungshilfe<br />

und Beratung zu Hause vermittelt), o<strong>der</strong> Maßnahmen des Familie-First-<br />

Programms (die intensive Betreuung <strong>der</strong> Familie, um die Unterbringung eines Kindes<br />

zu vermeiden).<br />

Art. 3 Abs. 2 a UWjz enthält den Subsidiaritätsgrundsatz. Danach besteht kein Anspruch<br />

auf Jugendhilfe, wenn die Probleme des Jugendlichen durch ihn selbst o<strong>der</strong><br />

seine Eltern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Erziehungsberechtigte, evtl. mit Hilfe seiner direkten Umgebung<br />

o<strong>der</strong> Hilfen <strong>der</strong> nicht indizierten Jugendhilfe bewältigt werden können.<br />

122<br />

Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 630 ff.<br />

123<br />

Klompe-Toets, S. 125.


131<br />

Ein Anspruch auf Jugendhilfe i.e.S. besteht gem. Art. 3 Abs. 2 b UWjz auch dann nicht,<br />

wenn die Probleme des Jugendlichen durch psychiatrische Erkrankungen (mit-) verursacht<br />

werden, die einen psychiatrischen Ansatz erfor<strong>der</strong>lich machen. In solchen Fällen<br />

sind Maßnahmen psychischer Gesundheitsfürsorge zu ergreifen.<br />

1.2 Unterbringung<br />

Gem. Art. 4 Abs. 1 UWjz ist die Unterbringung (verblijf) das Angebot eines stationären<br />

o<strong>der</strong> teilstationären Aufenthalts mit passen<strong>der</strong> pädagogischer Umgebung bei Pflegeeltern<br />

o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Einrichtung eines Leistungserbringers (Internat) o<strong>der</strong> auch in Form des<br />

selbständigen Wohnens in einer Wohngemeinschaft. Auch hier gilt <strong>der</strong> oben beschriebene<br />

Subsidiaritätsgrundsatz. Über den Subsidiaritätsgrundsatz hinaus ist die Unterbringung<br />

nachrangig gegenüber <strong>der</strong> Jugendhilfe i. e. S. Jugendliche mit einer geistigen,<br />

körperlichen Behin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> einer Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sinnesorgane o<strong>der</strong> mit<br />

psychiatrischen Krankheiten o<strong>der</strong> Einschränkungen, die aufgrund ihrer Behin<strong>der</strong>ung<br />

einer Unterbringung mit persönlicher Versorgung, unterstützen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> aktivieren<strong>der</strong><br />

Begleitung und Behandlung gem. Art. 2 Abs. 1 Besluit Zorgaanspraken AWBZ bedürfen,<br />

haben keinen Anspruch auf Unterbringung auf <strong>der</strong> Rechtsgrundlage des Wet op<br />

de Jeudzorg, son<strong>der</strong>n aufgrund <strong>der</strong> krankenversicherungsrechtlichen Regelung.<br />

1.2.1 Unterbringung bei Pflegeeltern<br />

Bei <strong>der</strong> Unterbringung bei Pflegeeltern 124 geht es im Kern um Versorgung und Erziehung<br />

eines Kindes in einer häuslichen Umgebung durch Privatpersonen unter <strong>der</strong> Verantwortung<br />

eines Leistungserbringers <strong>der</strong> Jugendhilfe. Die Unterbringung kann in Vollzeit<br />

erfolgen, aber auch nur für einzelne Tage in <strong>der</strong> Woche, z.B. am Wochenende.<br />

Pflegeeltern sind gem. Art. 1u Wjz Personen, die im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe 125 einen<br />

Jugendlichen, <strong>der</strong> nicht das eigene o<strong>der</strong> Stiefkind ist, als zu ihrer Familie gehörend<br />

versorgen und erziehen. Voraussetzung für diese Art von Jugendhilfe ist immer ein<br />

Indikationsbeschluss des Büros für Jugendhilfe (Bureau Jeugdzorg). 126 Die im Wet op<br />

de Jeugdzorg enthaltenen Regeln für die Pflegesorge (Art. 22 f. Wjz) gelten für alle<br />

Formen von Pflege, die aufgrund eines Indikationsbeschlusses des Büros für Jugendhilfe<br />

erfolgen. 127<br />

Die Pflegeeltern müssen nicht <strong>der</strong> Familie des Kindes o<strong>der</strong> dem sozialen Umfeld des<br />

Kindes angehören. Sie können dem Kind auch völlig fremd sein.<br />

In <strong>der</strong> aktuellen Diskussion um Innovation und Qualitätsverbesserung in <strong>der</strong> Pflege<br />

werden zwei Typen von Pflege unterschieden: kurzfristige Pflege als Teil <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

und die dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie als Erziehungsarrangement.<br />

128 Die kurzfristige Pflege dient <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Familiensituation des Kindes.<br />

Durch intensive Hilfe für die Eltern des Kindes soll die Situation soweit verbessert<br />

werden, dass das Kind wie<strong>der</strong> in die Familie zurückkehren kann. Nur wenn dies nicht<br />

möglich ist, kommt eine dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie mit dem Ziel<br />

<strong>der</strong> Schaffung einer neuen primären Umgebung des Kindes in Betracht.<br />

124 Mit Pflegeeltern sind in diesem Text auch Alleinerziehende gemeint.<br />

125 Neben <strong>der</strong> Unterbringung in einer Pflegefamilie als Leistung <strong>der</strong> Jugendhilfe können Kin<strong>der</strong> auf <strong>der</strong><br />

Grundlage privater Absprachen zwischen den Eltern (bzw. dem Vormund) und Dritten, diesen für eine<br />

bestimmte Zeit anvertraut werden. Vgl. Broek/Vlaardingerbroek, S. 269. Eine Pflegeelternschaft kann<br />

auch <strong>der</strong> Adoption vorausgehen. Vgl. Broek/Vlaardingerbroek, S. 272.<br />

126 Vgl. Art. 19 Abs. 1 UWjz.<br />

127 Für Unterbringungen aufgrund privater Verträge gilt das Pflegekin<strong>der</strong>gesetz vom 21.12.1951 (pleegkin<strong>der</strong>enwet),<br />

Stb. 1951, 595, das die Möglichkeit kommunaler Kontrolle privater Pflegeelternschaft regelt. Es<br />

gilt auch für die durch ihre potentiellen Adoptiveltern aufgenommen ausländischen Pflegekin<strong>der</strong>.<br />

128 Eine Untersuchung von E.C.C. Punselie, Pleegzorg met visie. Juridische haken en ogen. On<strong>der</strong>zoeksrapport<br />

(Universiteit Leiden: VOG Utrecht, März 2000), beschreibt die rechtlichen Möglichkeiten und<br />

Grenzen <strong>der</strong> Umsetzung dieses Konzepts. Problematisch sind die fehlenden gesetzlichen Grundlagen<br />

für die Übertragung des Sorgerechts auf die Pflegeeltern, aber auch für die Entziehung des Sorgerechts.<br />

Vgl. auch <strong>der</strong>s., FJR 2000 (11), S. 245 – 251.


132<br />

Für die Information <strong>der</strong> Bürger und die Anwerbung und Auswahl potentieller Pflegefamilien<br />

sind die sog. Zentralen für Pflegesorge (centrale voor pleegzorg), die vom Staat<br />

finanziert werden, zuständig.<br />

Die Pflegeeltern werden auf <strong>der</strong> Grundlage eines Vertrages tätig, den sie mit einem<br />

Anbieter von Jugendhilfeleistungen geschlossen haben. Dieser Vertrag muss bestimmte<br />

durch das Ministerium in <strong>der</strong> Regeling Pleegzorg 129 fest gesetzte Kriterien erfüllen.<br />

So muss im Vertrag z.B. die Pflicht <strong>der</strong> Pflegeeltern geregelt werden, dem für das Kind<br />

durch den Pflegeanbieter aufgestellten Hilfeplan zu folgen und an <strong>der</strong> Durchführung<br />

des Umgangsrechts <strong>der</strong> leiblichen Eltern mitzuwirken. Im Vertrag ist aber auch die<br />

Pflicht des Leistungsanbieters zur Begleitung <strong>der</strong> Pflegeeltern zu regeln. Art. 22 Wjz<br />

verpflichtet den Leistungsanbieter, zu überwachen, dass die Versorgung und Erziehung<br />

des Jugendlichen durch die Pflegeeltern vertragsgemäß geschieht. Er muss<br />

überprüfen, ob die Pflegeeltern unter Berücksichtigung ihre Erziehungsmöglichkeiten,<br />

des Alters des Kindes, <strong>der</strong> Zusammensetzung ihrer Familie und <strong>der</strong> zu erwartenden<br />

Dauer <strong>der</strong> Pflege für die Pflege geeignet sind (Art. 2 Regeling Pleegzorg). Darüber<br />

hinaus muss die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad van de Kin<strong>der</strong>bescherming) feststellen,<br />

ob in <strong>der</strong> Person des/<strong>der</strong> Bewerbers/in keine <strong>der</strong> Pflege und Erziehung eines Pflegekindes<br />

wi<strong>der</strong>sprechenden Umstände vorliegen (z.B. Gefängnisstrafen).<br />

Die Pflegeeltern erhalten für die Versorgung und Erziehung des Jugendlichen vom<br />

Pflegeanbieter eine Vergütung, die aus einem - eventuell nach dem Lebensalter gestaffelten<br />

- Basisbetrag und Zuschlägen besteht. Die Höhe <strong>der</strong> Vergütung ist in <strong>der</strong><br />

Regeling Pleegzorg geregelt. Bei Übertragung <strong>der</strong> Vormundschaft auf ein Pflege-<br />

Elternteil wird ein Zuschlag gezahlt. Wenn zwei Pflegeeltern gemeinsam die Vormundschaft<br />

erhalten, werden sie unterhaltspflichtig und erhalten keine finanzielle Unterstützung<br />

mehr. Pflegeeltern müssen bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich <strong>der</strong> Höchstzahl<br />

von Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Pflegefamilie und ihrer Eignung als Pflegeeltern erfüllen, die in<br />

<strong>der</strong> Regeling Pleegzorg festgelegt sind.<br />

Artt. 1:253s und 1:336a BW enthalten Schutzvorschriften zugunsten <strong>der</strong> Pflegeeltern.<br />

War ein Pflegekind mit Zustimmung seiner leiblichen Eltern mehr als ein Jahr lang in<br />

einer Pflegefamilie untergebracht, können die leiblichen Eltern das Kind nicht ohne<br />

Zustimmung <strong>der</strong> Pflegeeltern aus <strong>der</strong> Pflegefamilie nehmen. Diese Regelung gilt nur<br />

für Unterbringungen im Rahmen von freiwilligen Jugendhilfemaßnahmen, nicht aber<br />

bei vorläufiger Vormundschaft o<strong>der</strong> Unterbringung mit richterlicher Zustimmung bei<br />

Schutzaufsicht. 130 Ihr Ziel ist die Gewährleistung einer kontinuierlichen Pflege und Erziehung<br />

des Kindes.<br />

Pflegeeltern haben auch das Recht, eine Schutzaufsicht für das Kind (Art. 1:254 Abs. 2<br />

BW) o<strong>der</strong> die Entziehung <strong>der</strong> elterlichen Sorge (Artt. 1:269 Abs. 1e, 1:270 Abs. 2 BW)<br />

o<strong>der</strong> die Übertragung <strong>der</strong> Vormundschaft (Art. 1:299a BW) zu beantragen.<br />

1.2.2 Jugendhilfeeinrichtungen<br />

Die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung kann freiwillig erfolgen, aber auch<br />

durch zivil- o<strong>der</strong> strafrichterlichen Beschluss. Hinsichtlich <strong>der</strong> stationären Jugendhilfeeinrichtungen<br />

lassen sich zwei Entwicklungen beobachten. Zum einen wird seit den<br />

70er Jahren nach weniger eingreifenden Formen <strong>der</strong> stationären Jugendhilfe gesucht.<br />

So werden zunehmend alternative Formen <strong>der</strong> Unterbringung angeboten, meistens in<br />

Form kleinerer Wohneinheiten in normalen Wohngebieten. Gleichzeitig nimmt aber seit<br />

Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts die Zahl <strong>der</strong> Unterbringung in stationären Einrichtungen im<br />

Rahmen des justiziellen Jugendschutzes und <strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe zu. 131<br />

129 Regeling van de Staatssecretaris van Volksgezondheid, Welzijn en Sport, houdende regels ten aanzien<br />

van het pleegcontract, aan pleegou<strong>der</strong>s te stellen eisen en vaststelling van de pleegvergoeding van<br />

22.12.2004.<br />

130 Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 275.<br />

131 Vgl. die Tabelle bei Doek/Vlaardingerbroek, S. 701.


1.3 Observationsdiagnostik<br />

133<br />

Die Observationsdiagnostik umfasst die Untersuchungen, die erfor<strong>der</strong>lich sind, um die<br />

Daten zu erheben, die das Büro für Jugendhilfe für seinen Indikationsbeschluss benötigt<br />

(Art. 5 Abs. 1 und 3 UWjz), soweit dafür eine stationäre o<strong>der</strong> teilstationäre Unterbringung<br />

erfor<strong>der</strong>lich ist. Die Observationsdiagnostik dauert in <strong>der</strong> Regel nicht länger<br />

als sechs Wochen, kann aber – falls erfor<strong>der</strong>lich - einmal um höchstens sechs Wochen<br />

verlängert werden (Art. 5 Abs. 4 UWjz).<br />

2. Leistungen psychischer Gesundheitsfürsorge<br />

Erziehungs- und Entwicklungsprobleme von Jugendlichen können auch psychische<br />

Ursachen haben. Hilfen bei internalisierten Problemen (Ängsten, Depressionen, Wahnvorstellungen,<br />

Zwangshandlungen etc.) und externalisierten Problemen (Aufsässigkeit,<br />

Aggression, anti-soziales Verhalten etc.) o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en psychischen Erkrankungen<br />

(z.B. Essstörungen, Psychosen, psychosomatischen Störungen, posttraumatischen<br />

Störungen) werden neben o<strong>der</strong> an Stelle <strong>der</strong> Jugendhilfe durch Kin<strong>der</strong>- und Jugendpsychologen<br />

und –psychiater in den Jugendabteilungen <strong>der</strong> GGZ (geestelijke gezondheidszorg)<br />

132 , Polikliniken und Jugendabteilungen <strong>der</strong> allgemeinen psychiatrischen<br />

Krankenhäuser, Polikliniken und Kliniken <strong>der</strong> Einrichtungen für Kin<strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrie<br />

erbracht.<br />

Die Anspruchsgrundlage für Leistungen psychischer Gesundheitsfürsorge für Jugendliche<br />

mit psychiatrischen Krankheiten o<strong>der</strong> Einschränkungen, Verhaltensproblemen o<strong>der</strong><br />

psychischen o<strong>der</strong> psychosozialen Problemen findet sich in Art. 3 – 9 Besluit Zorgaanspraken<br />

AWBZ. Leistungen psychischer Gesundheitsfürsorge sind hauswirtschaftliche<br />

Versorgung, persönliche Versorgung, Pflege, unterstützende und aktivierende<br />

Begleitung, Behandlung o<strong>der</strong> Unterbringung (Art. 9 UWjz).<br />

3. Hilfen für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche<br />

Die Jugendhilfe umfasst auch Teile <strong>der</strong> Hilfen für geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche. Es<br />

geht dabei um Hilfen für geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche o<strong>der</strong> ihre Eltern bei (drohenden)<br />

Entwicklungs- und Erziehungsproblemen. Die Indikation dieser Leistungen durch<br />

die Büros für Jugendhilfe wird aber voraussichtlich erst ab dem 1.1.2008 erfolgen. 133<br />

4. Unterbringung in einer justiziellen Jugendeinrichtung als zivilrechtliche<br />

Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahme<br />

Die Kapazität <strong>der</strong> justiziellen Jugendeinrichtungen ist seit 2004 von 2447 (davon 611<br />

Plätze in geschlossenen Abteilungen) auf 2558 Plätze (davon 663 Plätze in geschlossenen<br />

Abteilungen) angestiegen. 134 Dennoch reichen die Kapazitäten nicht. Derzeit<br />

wird ein Gesetzesentwurf 135 diskutiert, <strong>der</strong> vorsieht ab 2010 Jugendlich nicht länger in<br />

den justiziellen Jugeneinrichtungen unterzubringen, son<strong>der</strong>n eigene vom Ministerium<br />

für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport finanzierte Einrichtungen zu schaffen, in denen<br />

die Jugendlichen auch in geschlossenen Abteilungen untergebracht werden können.<br />

5. Nicht-indizierte Jugendhilfe<br />

Ohne Indikation durch die Büros für Jugendhilfe sind bestimmte, v.a. kommunale Hilfen<br />

und Beratungen zugänglich, wie Spielmöglichkeiten für Kleinkin<strong>der</strong> (peuterspeelzaalwerk),<br />

Kin<strong>der</strong>betreuung, schulbezogene Sozialarbeit und Betreuung Jugendlicher so-<br />

132<br />

früher RIAAG (Regeling pleegzorg).<br />

133<br />

Kamerstukken 2005/2006, 29 815, Nr. 79.<br />

134<br />

Doek/Vlaardingerbroek, S. 592, Rz. 4.<br />

135<br />

Wetsvoorstel inzage gedragsbeïnvloedende maatregel, Kamerstukken 30 332


134<br />

wie Unterstützung von Seiten <strong>der</strong> Jugendgesundheitsfürsorge. In den Schulen bestehen<br />

z.B. sogenannte Z.A.T.s (Zorg Advies Teams), in denen Lehrkräfte gemeinsam mit<br />

Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe Entwicklungs- o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Probleme <strong>der</strong> Jugendlichen besprechen<br />

und Ziele setzen, und wenn nötig, die Jugendlichen an an<strong>der</strong>e Träger überweisen.<br />

Diese Formen nicht-indizierter Jugendhilfe erfüllen wichtige präventive Funktionen<br />

durch pädagogische Hilfen für die Sorgeberechtigten und durch das Melden von<br />

Problemen an die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde. 136 Der Minister für Jugend und Familie plant<br />

innerhalb von vier Jahren in je<strong>der</strong> Gemeinde mindestens ein Zentrum für Jugend und<br />

Familie einzurichten (in Schulen, Beratungsstellen, Gesundheitseinrichtungen), an das<br />

sich Eltern von Kin<strong>der</strong>n bis 18 Jahren mit Erziehungsfragen wenden können und hat<br />

dafür 440 Millionen Euro bereitgestellt. 137<br />

An <strong>der</strong> Schnittstelle induzierter und nicht-induzierter Jugendhilfe bieten einzelne Träger<br />

befristete Hilfen an: So bietet das Bureau Jeugdzorg <strong>der</strong> Provinz Limburg Jugendlichen,<br />

bei denen keine Indikation für Jugendhilfe festgestellt wurde, und/o<strong>der</strong> ihre Eltern<br />

bzw. Sorgeberechtigten Beratungsgespräche an. Diese (durchschnittlich fünf) Beratungsgespräche<br />

werden vom Bureau Jeugdzorg <strong>der</strong> Provinz Limburg selbst erbracht,<br />

um Überweisungen an an<strong>der</strong>e Leistungsträger und die damit verbundenen Wartezeiten<br />

zu vermeiden.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> kommunalen Jugendhilfe sollen in Zukunft auch verschiedene Informationssysteme<br />

organisiert werden. Der „verwijsindex“ sammelt Risikomeldungen<br />

über Jugendliche bis 23 Jahre verschiedener Hilfeerbringer und för<strong>der</strong>t so den Austausch<br />

und die Zusammenarbeit zwischen und innerhalb <strong>der</strong> Gemeinden. Die Meldungen<br />

sollen über die Website www.verwijsindex.nl o<strong>der</strong> automatisch über die geplante<br />

elektronische Kin<strong>der</strong>akte erfolgen. Es werden jedoch keine inhaltlichen Angaben über<br />

die Probleme <strong>der</strong> Jugendlichen gemacht.<br />

Die Jugendabteilungen <strong>der</strong> gemeindlichen Gesundheitsdienste (GGD) sind auch zuständig<br />

für die Überwachung <strong>der</strong> Gesundheit von Kin<strong>der</strong>n zwischen 0 und 4 Jahren<br />

und im Schulbereich von 4 bis 12 Jahren durch Reihenuntersuchungen. Sie sollen Datenbanken<br />

mit entsprechenden Kin<strong>der</strong>akten anlegen. Ab 2008 soll jedes Kind, das in<br />

den Nie<strong>der</strong>landen geboren wird, eine elektronische Kin<strong>der</strong>akte (Elektronisch kinddossier)<br />

bekommen. Ab 2009 soll die Führung <strong>der</strong> elektronischen Kin<strong>der</strong>akten obligatorisch<br />

sein. In die Akte werden Informationen über das Kind, seine Familiensituation und<br />

seine Umgebung aufgenommen. Die Akten werden vom Jugendgesundheitsdienst<br />

(jeugdgezondheidszorg) geführt. An<strong>der</strong>e Einrichtungen können Informationen liefern,<br />

haben aber kein Einsichtsrecht. 138<br />

6. Adoption<br />

6.1 Allgemeines<br />

Erst 1956 wurde in den Nie<strong>der</strong>landen die Adoption im Bürgerlichen Gesetzbuch (Titel<br />

12, Buch 1 BW, Art. 227-232) und im Prozessrecht geregelt (Titel 8 Buch 3, Art. 970 -<br />

984 Rv). Während anfangs die Interessen des Kindes im Vor<strong>der</strong>grund standen, wurden<br />

im Rahmen mehrerer Reformen des Adoptionsrechts die Rechte <strong>der</strong> potentiellen Adoptiveltern<br />

gestärkt: seit 1973 müssen die Adoptiveltern vor <strong>der</strong> Adoption das Kind nur ein<br />

Jahr (anfangs drei Jahre) lang versorgt haben und eine Adoption ist auch möglich,<br />

wenn ein Adoptivelternteil vor Ablauf dieser Zeit verstirbt. Seit 1979 besteht die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Stiefelternadoption. Seit 1998 können nicht nur Ehepaare, son<strong>der</strong>n auch<br />

Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft und Einzelpersonen ein Kind adoptieren. Die<br />

Mindest- (18 Jahre) und Höchstgrenzen (50 Jahre) für den Altersunterschied zwischen<br />

Adoptiveltern und – kind wurden auf die Mindestgrenze von 18 Jahren reduziert. Ein<br />

136<br />

Klompe-Toets, S. 176.<br />

137<br />

Vgl. www.jeugdengezin.nl/nieuwsberichten/2007/440-miljoen-voor-cjg.asp<br />

138 Vgl. www.EKD.nl.


135<br />

Höchstalter <strong>der</strong> Eltern für die Adoption nie<strong>der</strong>ländischer Kin<strong>der</strong> besteht nicht mehr. Das<br />

Vetorecht des Elternteils bei <strong>der</strong> Stiefelternadoption wurde ersetzt durch ein durch den<br />

Richter zu beurteilendes Wi<strong>der</strong>spruchsrecht. Das Kind kann seiner Adoption nun schon<br />

mit 12 Jahren statt mit 15 Jahren wi<strong>der</strong>sprechen. Seit dem 1.4.2001 können auch zwei<br />

Personen gleichen Geschlechts ein Kind adoptieren. Diese Möglichkeit ist allerdings<br />

bisher auf nie<strong>der</strong>ländische Kin<strong>der</strong> beschränkt. Das nie<strong>der</strong>ländische Parlament diskutiert<br />

<strong>der</strong>zeit eine Gesetzesän<strong>der</strong>ung, nach <strong>der</strong> auch ausländische Kin<strong>der</strong> durch gleichgeschlechtliche<br />

Paare adoptiert werden können.<br />

6.2 Verfahren<br />

Die Adoption erfolgt in den Nie<strong>der</strong>landen in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst<br />

wird die Eignung <strong>der</strong> potentiellen Adoptiveltern festgestellt und dann in einem zweiten<br />

Verfahren die Zustimmung zu einer konkreten Adoption gegeben.<br />

Personen, die ein nie<strong>der</strong>ländisches Kind adoptieren wollen, müssen dies schriftlich <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde mitteilen. Anträge von Personen über 35 werden nicht behandelt.<br />

Die potentiellen Adoptiveltern müssen <strong>der</strong> Erteilung eines polizeilichen Führungszeugnisse<br />

und einer medizinischen Untersuchung zustimmen. Verwaltungsvorschriften <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde regeln das Verfahren zur Bestimmung <strong>der</strong> Eignung als Adoptiveltern,<br />

das in <strong>der</strong> Regel ein Jahr dauert. Gegen den Beschluss <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

über die Eignung <strong>der</strong> potentiellen Adoptiveltern kann Wi<strong>der</strong>spruch beim Justizministerium<br />

und ggf. Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt werden. Im Falle eines positiven<br />

Beschlusses kann den potentiellen Adoptiveltern ein nie<strong>der</strong>ländisches Kind durch<br />

die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde o<strong>der</strong> ein Büro für Jugendhilfe zugewiesen werden.<br />

Für internationale Adoptionen gelten davon abweichende Bestimmungen aufgrund des<br />

am 1.10.1998 in den Nie<strong>der</strong>landen in Kraft getretenen Haager Abkommens und des<br />

gleichzeitig in Kraft getretenen Gesetzes über die Adoption von ausländischen Pflegekin<strong>der</strong>n<br />

(Wet Opneming Buitenlandse Pleegkin<strong>der</strong>en ter Adoptie - WOBKA).<br />

Danach müssen Ehepaare o<strong>der</strong> Einzelpersonen, die ein ausländisches Kind adoptieren<br />

wollen, beim Justizministerium einen Antrag auf eine sog. grundsätzliche Zustimmung<br />

(beginseltoestemming) stellen. Dieser Antrag muss die erfor<strong>der</strong>lichen Auskünfte<br />

und Erklärungen enthalten. Die Antragssteller sollten nicht älter als 42 Jahre sein.<br />

Wird <strong>der</strong> Antrag angenommen, führt die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde ein Verfahren zur Feststellung<br />

<strong>der</strong> Eignung <strong>der</strong> potentiellen Adoptiveltern durch, die zuvor an einem Informationskurs<br />

teilnehmen müssen. Nach Feststellung <strong>der</strong> Eignung <strong>der</strong> potentiellen Adoptiveltern<br />

und <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> grundsätzlichen Zustimmung durch das Justizministerium<br />

können diese sich an ein nie<strong>der</strong>ländisches Adoptionsvermittlungsbüro wenden. Gegen<br />

die Entscheidung des Justizministeriums können Wi<strong>der</strong>spruch und Klage bei <strong>der</strong> Abteilung<br />

Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates (Raad van State, Afdeling Bestuursrechtspraak)<br />

eingelegt werden.<br />

6.3 Voraussetzungen <strong>der</strong> Adoption<br />

Zentrale Voraussetzung <strong>der</strong> Adoption ist, dass sie im Interesse des Kindes liegt (Art. 1:<br />

227 Abs. 3 BW). Dies setzt auch voraus, dass zum Zeitpunkt des Adoptionsantrags<br />

und in <strong>der</strong> Zukunft vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass das Kind nichts mehr von<br />

seinen leiblichen Eltern/seinem elterlichen Elternteil zu erwarten hat. Kin<strong>der</strong>n ab 12<br />

Jahren ist Gelegenheit zu geben, ihre Meinung zu <strong>der</strong> geplanten Adoption zu äußern.<br />

Wenn das Kind sich gegen eine Adoption ausspricht, wird <strong>der</strong> Adoptionsantrag durch<br />

den Richter abgewiesen. Die leiblichen Eltern dürfen zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Adoption kein<br />

Sorgerecht für das Kind mehr haben. Wi<strong>der</strong>sprechen sie <strong>der</strong> Adoption, muss <strong>der</strong> Richter<br />

den Adoptionsantrag abweisen. Dies gilt nicht, wenn<br />

- <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprechende Elternteil nicht o<strong>der</strong> kaum mit dem Kind im Familienverband<br />

gelebt hat<br />

- o<strong>der</strong> das Kind missbraucht


- o<strong>der</strong> seine Erziehung und Versorgung verwahrlost hat<br />

- o<strong>der</strong> verurteilt ist wegen eines Verbrechens gegen das zu adoptierende Kind.<br />

136<br />

Wie bereits dargestellt können Ehepaare, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft<br />

o<strong>der</strong> einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, die vor dem Antrag mindestens drei<br />

Jahre zusammengelegt haben, aber auch Einzelpersonen ein Kind adoptieren. Die<br />

Volljährigenadoption ist in den Nie<strong>der</strong>landen grundsätzlich nicht möglich. Der Altersunterschied<br />

zwischen Kind und Adoptiveltern muss mindestens 18 Jahre betragen. Es<br />

besteht keine Höchstgrenze für den Altersunterschied mehr. (Ehe-)Paare müssen das<br />

Kind mindestens ein Jahr lang, Einzelpersonen mindestens drei Jahre lang im eigenen<br />

Haushalt versorgt haben.<br />

6.4 Folgen <strong>der</strong> Adoption<br />

Durch die Adoption entstehen familienrechtliche Beziehungen zwischen dem adoptierten<br />

Kind, seinen Adoptiveltern und <strong>der</strong>en Familien (Art. 1: 229, Abs. 1 BW). Die Adoptiveltern<br />

erhalten die elterliche Sorge, können den Nachnamen des Kindes bestimmen.<br />

Das Kind erhält das gesetzliche Erbrecht. Zu den leiblichen Eltern bestehen keine familienrechtlichen<br />

Beziehungen mehr. Haben leibliche Eltern im Zeitpunkt <strong>der</strong> Adoption<br />

Umgang mit dem Kind, kann das Adoptionsgericht bestimmen, dass die leiblichen Eltern<br />

und das Kind ein Umgangsrecht miteinan<strong>der</strong> behalten (Art. 1: 229 Abs. 4 BW). Die<br />

Adoption ist grundsätzlich unwi<strong>der</strong>ruflich. Der/die Adoptierte kann allerdings frühestens<br />

zwei Jahre und spätestens fünf Jahre nach seiner/ihrer Volljährigkeit die Aufhebung<br />

<strong>der</strong> Adoption beantragen (Art. 1: 231 BW). Das Gericht wird <strong>der</strong> Aufhebung zustimmen,<br />

wenn sie im Interesse des/<strong>der</strong> Adoptierten liegt. Mit <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> Adoption lebt<br />

die rechtliche Situation vor <strong>der</strong> Adoption wie<strong>der</strong> auf.<br />

III. Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

1. Grundsätze<br />

Die Finanzierung <strong>der</strong> Jugendhilfe ist jeweils in dem Gesetz geregelt, das den Anspruch<br />

auf eine bestimmte Art von Jugendhilfe regelt.<br />

Die Finanzierung <strong>der</strong> psychischen Gesundheitsfürsorge für Jugendliche und <strong>der</strong> Hilfen<br />

für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche erfolgt durch die Volksversicherung gegen<br />

beson<strong>der</strong>e Krankheits- und Pflegekosten auf <strong>der</strong> Basis des Allgemeinen Gesetzes für<br />

beson<strong>der</strong>e Krankheitskosten (Algemene Wet Bijzon<strong>der</strong>e Ziektekosten - AWBZ) aus<br />

Beiträgen <strong>der</strong> Versicherten.<br />

Die Jugendhilfe, auf die nach dem Wet op de Jeugdzorg Anspruch besteht, wird durch<br />

die Provinzen finanziert. Diese erhalten dafür vom Reich zweckbestimmte Finanzmittel<br />

für die Büros für Jugendhilfe und die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe. Die Mittel für die Arbeit<br />

<strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe umfassen zum einen die Mittel zur Erfüllung <strong>der</strong> folgenden<br />

Aufgaben: Indikation, Schutzaufsicht, Vormundschaft, Jugendbewährungshilfe,<br />

Beratungs- und Meldepunkt Kin<strong>der</strong>schutz. Zum an<strong>der</strong>n die Mittel für die Beratung, Information<br />

und Weiterbildung, die Kontakte mit an<strong>der</strong>en insbeson<strong>der</strong>e kommunalen<br />

Einrichtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe und Schulen, telefonische Beratung und eigene Jugendhilfeangebote.<br />

Aus den Mitteln für die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe werden die Leistungen <strong>der</strong> Leistungserbringer<br />

finanziert. Die Leistungserbringer stellen dazu einen Subventionsantrag<br />

bei <strong>der</strong> Provinz, <strong>der</strong> Art, Inhalt und Umfang <strong>der</strong> angebotenen Produkte in Modulform<br />

beschreibt und den Preis dafür benennt. Die Provinz beschließt dann die Menge und<br />

den Preis <strong>der</strong> subventionierten Leistungen. Am Ende des Jahres legt <strong>der</strong> Leistungserbringer<br />

eine durch einen Wirtschaftsprüfer beglaubigte Abrechnung vor, aus <strong>der</strong> sich die<br />

tatsächlichen Kosten ergeben. Wurden weniger Leistungen erbracht als dem Subventionsbeschluss<br />

zugrundegelegt wurden, wird entsprechend weniger Subvention an den<br />

Leistungserbringer gezahlt.


2. Beitrag <strong>der</strong> Eltern<br />

137<br />

Bei teilstationären und stationären Erziehungshilfen sehen Artt. 69 – 70 Wjz eine Eigenbeteiligung<br />

<strong>der</strong> Eltern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit vor. Eine Ausnahme<br />

gilt bei Unterbringung in einer Krisensituation. In diesem Fall müssen für maximal 6<br />

Wochen keine Beiträge gezahlt werden. Das Büro für Jugendhilfe meldet dem Landesbüro<br />

für die Einziehung von Unterhaltsansprüchen (Landelijk Bureau Inning On<strong>der</strong>houdsbijdragen),<br />

wann eine teilstationäre o<strong>der</strong> stationäre Erziehungshilfe, für die<br />

eigene Beiträge <strong>der</strong> Eltern vorgeschrieben sind, beginnt und endet (Art. 12 Wjz).<br />

Die Höhe <strong>der</strong> Beiträge <strong>der</strong> Eltern zu den Kosten <strong>der</strong> Unterbringung ist in Art. 70 UWjz<br />

festgelegt. Sie wird jährlich angepasst und hängt ab vom Alter des Kindes, <strong>der</strong> Art <strong>der</strong><br />

Unterbringung und <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Tage <strong>der</strong> Unterbringung. Sie beträgt ab 1.1.2007 pro<br />

Monat:<br />

Stationäre Unterbringung Teilstationäre Unterbringung<br />

Tage pro Woche Alter des Kindes Alter des Kindes<br />

0-5 6-11 12-20 0-5 6-11 12-20<br />

1 8,72 11,99 15,26 6,5<br />

4<br />

8,99 11,44<br />

2 17,4 23,97 30,51 13, 17,9 22,88<br />

3<br />

08 8<br />

3 26,1 35,96 45,77 19, 26,9 34,33<br />

5<br />

61 7<br />

4 34,8 47,95 61,02 26, 35,9 45,77<br />

7<br />

15 6<br />

5 43,5 59,93 76,28 32, 44,9 57,21<br />

9<br />

69 5<br />

6 und mehr 65,3 89,90 114,42 32, 44,9 57,21<br />

8<br />

69 5<br />

IV. Verfahren und gerichtliche Kontrolle<br />

Nicht-indizierte Jugendhilfe kann von den Jugendlichen o<strong>der</strong> den Sorgeberechtigten<br />

ohne Indikationsbeschluss in Anspruch genommen werden. In allen an<strong>der</strong>en Fällen ist<br />

ein Indikationsbeschluss erfor<strong>der</strong>lich, sog. indizierte Jugendhilfe.<br />

1. Antrag<br />

Die indizierte Jugendhilfe wird i.d.R. von Eltern bzw. Sorgeberechtigten o<strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen<br />

selbst beim Büro für Jugendhilfe beantragt. Anträge auf Jugendhilfe<br />

können sowohl die Jugendlichen selbst stellen, als auch ihre Eltern, Sorgeberechtigten<br />

und Personen, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen haben und für es sorgen.<br />

Eltern o<strong>der</strong> Dritte können ohne Zustimmung des Jugendlichen keinen Antrag auf Jugendhilfe<br />

für diesen stellen (Art. 7 Abs. 2 Wjz). Wenn er jünger ist als 12 Jahre o<strong>der</strong><br />

älter, aber nicht zu einer vernünftigen Einschätzung seiner Belange fähig, ist die Zustimmung<br />

des gesetzlichen Vertreters erfor<strong>der</strong>lich (Art. 7 Abs. 3 Wjz). Nach dem bis<br />

zum 31.12.2004 geltenden Wet op de jeugdhulpverlening hatten die Eltern eine Vetorecht<br />

hinsichtlich von Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe: ohne ihre Zustimmung konnten<br />

keine Jugendhilfeleistungen erbracht werden. Art. 7 Abs. 4 -5 Wjz regelt nun, dass Jugendliche<br />

ab 16 Jahren selbst über die Jugendhilfemaßnahmen entscheiden. Bei Jugendlichen<br />

zwischen 12 und 16 Jahren entscheiden die Eltern und <strong>der</strong> Jugendliche<br />

gemeinsam. Verweigern die Eltern ihre Zustimmung zum Antrag auf Jugendhilfe, so<br />

kann diese auf ausdrücklichen Wunsch des Jugendlichen doch gewährt werden, wenn<br />

<strong>der</strong> Jugendliche mit vernünftiger Begründung an diesem Wunsch festhält. Verweigert


138<br />

<strong>der</strong> Jugendliche seine Zustimmung zum Antrag <strong>der</strong> Eltern bzw. Sorgeberechtigten,<br />

kann das Büro Jugendhilfe dennoch einen Indikationsbeschluss fassen, wenn die Hilfe<br />

nötig ist.<br />

Darüber hinaus kann das Büro für Jugendhilfe gem. Art. 7 Abs. 6 Wjz bei <strong>der</strong> Ausführung<br />

<strong>der</strong> ihm im Rahmen <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe übertragenen Aufgaben (Vormundschaft,<br />

Familienvormundschaft, Jugendbewährungshilfe) und bei Anträgen <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) und <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft<br />

(Openbaar Ministerie) ohne Antrag des Klienten einen Indikationsbeschluss erlassen.<br />

Das Büro für Jugendhilfe kann aber auch ohne Antrag <strong>der</strong> Anspruchsberechtigten, z.B.<br />

auf einen Hinweis einer Schule o<strong>der</strong> eines Sportvereins hin, tätig werden (sog. outreachende<br />

taak, Art. 5 Abs. 3 Wjz). In diesen Fällen nimmt das Büro für Jugendhilfe von<br />

sich aus Kontakt mit den Betroffenen zur Klärung des Hilfebedarfs auf. Bei fehlen<strong>der</strong><br />

Mitwirkungsbereitschaft <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> in schwerwiegenden Fällen kann im Benehmen<br />

mit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) geprüft werden, ob<br />

eine Maßnahme zum Schutz des Jugendlichen erfor<strong>der</strong>lich ist (Art. 9 Wjz).<br />

2. Feststellung des Hilfebedarfs/ Indikationsstellung<br />

Das Büro für Jugendhilfe bestimmt, ob <strong>der</strong> Klient Hilfe benötigt und welche Hilfe in<br />

Betracht kommt. Ein Indikationsbeschluss ist nicht nur für die Inanspruchnahme von<br />

Jugendhilfe im engeren Sinn, son<strong>der</strong>n auch für die psychische Gesundheitsfürsorge für<br />

Jugendliche, für die Jugendhilfe für geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche und für die zivilrechtliche<br />

Unterbringung in einer justiziellen Jugendeinrichtung erfor<strong>der</strong>lich. Die psychische<br />

Gesundheitsfürsorge für Jugendliche durch die Einrichtungen für psychische<br />

Gesundheitsfürsorge ist auch über die Überweisung durch den Hausarzt zugänglich.<br />

Der Landesjugendhilfeplan 2005 strebt aber an, dass <strong>der</strong> Zugang auch zu den Einrichtungen<br />

für psychische Gesundheitsfürsorge zunehmend über die Büros für Jugendhilfe<br />

erfolgt. 139 Ab 2008 soll die Indikationsfeststellung für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche<br />

nicht mehr durch die Centra voor Indicatie Zorg (CIZ), son<strong>der</strong>n durch die Büros für<br />

Jugendhilfe erfolgen.<br />

Schwierig ist dabei insbeson<strong>der</strong>e die Feststellung des Hilfebedarfs von leicht geistig<br />

behin<strong>der</strong>ten Jugendlichen (LVG-doelgroep) und für diejenigen, die Jugendhilfe durch<br />

Einrichtungen <strong>der</strong> psychischen Gesundheitsfürsorge benötigen. Für letztere ist ein beson<strong>der</strong>es<br />

Protokoll entwickelt worden.<br />

Der Indikationsbeschluss enthält Regelungen darüber, welche Art von Jugendhilfe erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist und für welche Problematik, den Inhalt, die Dauer und das Ziel <strong>der</strong> Jugendhilfe,<br />

und die Frist, binnen <strong>der</strong> <strong>der</strong> Anspruch auf Jugendhilfe geltend gemacht<br />

werden muss (Art. 6 Abs. 1 Wjz). Soweit Koordinierungsbedarf besteht (z.B. bei mehreren<br />

Leistungserbringern) wird im Indikationsbeschluss auch angegeben, welche Instanz<br />

die Koordinierung übernehmen sollte (Art. 6 Abs. 2 Wjz). 140<br />

3. Erbringung von Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die Jugendhilfe muss innerhalb von 13 Wochen nach Erlass des Indikationsbeschlusses<br />

in Anspruch genommen werden, sonst ist eine erneute Indikation erfor<strong>der</strong>lich (Art.<br />

24 UWjz). Das Büro für Jugendhilfe unterstützt den Jugendlichen und seine Sorgeberechtigten<br />

bei <strong>der</strong> Realisierung des Anspruchs auf Jugendhilfe und bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong><br />

Leistungserbringer. Der Jugendliche kann das Büro für Jugendhilfe bevollmächtigen.<br />

Es achtet auf die Abstimmung zwischen verschiedenen Leistungserbringern und auf<br />

die Erstellung eines Hilfeplans durch den/die Leistungserbringer (Art. 17 Abs. 2 Wjz).<br />

139 Doek/Vlaardingerbroek, S. 615.<br />

140 Art. 15 – 20 Uwjz.


139<br />

Der Hilfeplan beschreibt auf <strong>der</strong> Basis des Indikationsbeschlusses anhand <strong>der</strong> sog.<br />

SMART-CP-Kriterien 141 Ziele, die den Wünschen und Möglichkeiten <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

entsprechen.<br />

Die Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an Jugendhilfemaßnahmen liegt bei<br />

den Provinzen bzw. den großstädtischen Regionen (Art. 3 Abs. 2 Wjz). Die Leistungserbringer,<br />

die von den Provinzen Subventionen erhalten, sind verpflichtet, Jugendhilfe<br />

an Klienten mit Indikationsbeschluss <strong>der</strong> Provinzen, von denen sie subventioniert werden,<br />

zu erbringen. Dies gilt nicht, wenn sie überhaupt nicht subventioniert werden, o<strong>der</strong><br />

die subventionierten Kapazitäten bereits erschöpft sind. Allerdings gibt es im Bereich<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe teilweise erhebliche Wartezeiten auch im ambulanten Bereich. 142 Um<br />

Wartezeiten zu vermeiden, kann auf eine an<strong>der</strong>e Hilfe ausgewichen werden, die im<br />

Indikationsbeschluss benannt ist, die sog. second best option (Art. 15 UWjz). Ihre Inanspruchnahme<br />

än<strong>der</strong>t nichts am Anspruch auf die eigentlich indizierte Hilfe. Sobald<br />

diese verfügbar ist, kann sie in Anspruch genommen werden.<br />

Die Leistungserbringung erfolgt in <strong>der</strong> Regel durch freie Leistungserbringer und nur in<br />

Ausnahmefällen durch das Büro für Jugendhilfe 143 . Dies ist <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> Jugendliche<br />

nur einfache (=nicht induzierte) ambulante Hilfe benötigt. In Limburg wird diese<br />

Hilfe im sog. Fünf-Gespräche-Modell erbracht. Das Fünf-Gespräche-Modell soll verhin<strong>der</strong>n,<br />

dass bei einfachem Hilfebedarf Zeit durch Verweisung an einen an<strong>der</strong>en Hilfeerbringer<br />

verloren wird. Diese einfache ambulante Hilfe ist nach Absprache zwischen<br />

den Gemeinden und dem Büro für Jugendhilfe von den Gemeinden zu finanzieren.<br />

4. Evaluation <strong>der</strong> Leistungserbringung und Nachsorge<br />

Während <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Hilfemaßnahme(n) ist das Büro für Jugendhilfe weiterhin<br />

Ansprechpartner für den Klienten und hilft ihm bei <strong>der</strong> Realisierung seines Leistungsanspruchs.<br />

144<br />

Das Büro für Jugendhilfe evaluiert die Leistungserbringung. Dazu steht es im engen<br />

Kontakt mit den Leistungserbringern, die ihm die erfor<strong>der</strong>lichen Informationen übermitteln.<br />

5. Mitbestimmung <strong>der</strong> Klienten<br />

Das Wet op de Jeugdzorg sieht verschiedene institutionelle Formen <strong>der</strong> Mitbestimmung,<br />

aber auch Beteiligungsrechte <strong>der</strong> Klienten vor.<br />

5.1 Beteiligungsrechte<br />

Grundsätzlich erfolgt eine Untersuchung zum Zwecke <strong>der</strong> Indikation nur auf Antrag<br />

o<strong>der</strong> mit Zustimmung des Klienten (Art. 7 Wjz). Kin<strong>der</strong> ab 12 Jahren sind im Indikationsverfahren<br />

anzuhören. Der Jugendhilfeplan des Büros für Jugendhilfe und <strong>der</strong> Jugendhilfeplan<br />

des jeweiligen Leistungserbringers müssen mit dem Klienten besprochen<br />

werden (Art. 12 Abs. 3 S. 2, Art. 24 Abs. 5 S. 1 Wjz). Der Hilfeplan des Leistungserbringers<br />

bedarf <strong>der</strong> Zustimmung des Klienten, es sei denn es handelt sich um eine<br />

Maßnahme des Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutzes. Wenn <strong>der</strong> Klient jünger als 12 Jahre alt<br />

ist o<strong>der</strong> älter als 12 Jahre, aber nicht imstande seine eigenen Interessen vernünftig zu<br />

beurteilen, ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Die Klienten haben auch ein Recht zur Einsichtsnahme von Berichten und Akten und<br />

eine Recht auf Kopien<br />

141 Spezifisch, messbar, aktuell, realistisch, zeitgebunden – konkret und positiv.<br />

142 Vgl. den Brief <strong>der</strong> Staatssekretärin des Ministeriums für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport vom Mai<br />

2006, Kamerstukken 2005/2006, 29 815, Nr. 71, S. 1. Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 643 ff.<br />

143 Ambulante Jugendhilfe, soweit im Jugendhilfeplan <strong>der</strong> Provinz vorgesehen (Art. 10 Abs. 2 b Wjz).<br />

144<br />

Doek/Vlaardingerbroek weisen auf die wichtige Rolle des Büros für Jugendhilfe bei wenig motivierten<br />

Klienten hin.


5.2 Vertrauensperson<br />

140<br />

Die Klienten <strong>der</strong> Jugendhilfe sollen darüber hinaus die Möglichkeit haben, sich an eine<br />

Vertrauensperson zu wenden (Art. 57 Abs. 1 Wjz). Die Provinz kann dazu unabhängige<br />

Einrichtungen bezahlen, <strong>der</strong>en Leistungen dann von den Klienten in Anspruch genommen<br />

werden können (Art. 41 Abs. 4 Wjz). Die Organisation von Vertrauenspersonen<br />

auf Provinzebene soll eine größere Unabhängigkeit und eine bessere Schulung,<br />

Unterstützung und Begleitung <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Vertrauenspersonen gewährleisten. 145<br />

5.3 Klientenrat<br />

Gem. Art. 58 ff. Wjz müssen die Büros für Jugendhilfe und die Leistungserbringer einen<br />

Klientenrat als Interessenvertretung <strong>der</strong> Klienten einrichten. Sie müssen den Klientenrat<br />

bei einer Vielzahl von Angelegenheiten anhören, z.B. bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Aufgabenstellung einer Einrichtung, bei einer teilweisen Aufhebung, einem Umzug<br />

o<strong>der</strong> umfangreichem Umbau einer stationären Einrichtung, bei <strong>der</strong> Ernennung von<br />

Personen mit Leitungsfunktionen auf oberster Ebene, bei <strong>der</strong> Aufstellung des Haushalts<br />

und <strong>der</strong> Jahresabrechnung, bei allgemeinen Fragen <strong>der</strong> Verpflegung und <strong>der</strong> Geschäftsführung<br />

auf den Gebieten <strong>der</strong> Sicherheit, <strong>der</strong> Gesundheit, Hygiene, bei Freizeitangeboten<br />

für Jugendliche etc.<br />

6. Außergerichtliche und gerichtliche Kontrolle<br />

6.1 Überblick<br />

Art. 67 – 68 Wjz regeln das Verfahren bei Beschwerden von Klienten über das Verhalten<br />

von Mitarbeitern <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe und <strong>der</strong> Leistungserbringer im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe. Die Regelung lehnt sich an die im Bereich des Gesundheitssystems<br />

geltende Regelung des Gesetzes über das Beschwer<strong>der</strong>echt <strong>der</strong> Klienten des Gesundheitssystems<br />

(Wet klachtrecht cliënten zorgsector - WKCZ) 146 an, das auch für die<br />

psychische Gesundheitsfürsorge für Jugendliche gilt. Sie gilt für die freiwillige Jugendhilfe.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe (Kin<strong>der</strong>schutz) gibt es ein beson<strong>der</strong>es<br />

Verfahren für die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde. Für die justiziellen Jugendeinrichtungen enthält<br />

das Beginselenwet Justitiële Jeugdinrichtingen die Beschreibung <strong>der</strong> Rechtsposition<br />

<strong>der</strong> in einer justiziellen Jugendeinrichtung untergebrachten Jugendlichen und ihrer<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten.<br />

6.2 Beschwerdeverfahren in <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Die Büros für Jugendhilfe und die Leistungserbringer müssen gem. Artt. 67 – 68 Wjz<br />

ein formelles Beschwerdemanagement einführen, insbeson<strong>der</strong>e eine unabhängige<br />

Beschwerdekommission einrichten und eine Regelung über das Beschwerdeverfahren<br />

aufstellen. Beschwerden über die Behandlung des Kindes, den Umgang mit dem Kind<br />

und/o<strong>der</strong> seinen Eltern müssen entsprechend <strong>der</strong> Regelung des Beschwerdeverfahrens<br />

bei <strong>der</strong> jeweiligen Einrichtung erhoben werden. Nach Ablauf des internen Beschwerdeverfahrens<br />

kann die Beschwerde dem nationalen Ombudsmann vorgelegt<br />

werden. 147<br />

145 Klompe-Toets, S. 84.<br />

146 Wet van 29 mei 1995, Stb. 1995, 308.<br />

147 S. www.stichtingdeombudsman.nl.


141<br />

6.3 Das Beschwerdeverfahren bei Maßnahmen des Kindesschutzes<br />

6.3.1 Beschwerde und Klage gegen die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

Das Beschwerde- und Klagerecht im Kin<strong>der</strong>schutzverfahren ist im Beschluss Beschwerdebehandlung<br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde (Besluit Klachtbehandeling Raad voor de<br />

Kin<strong>der</strong>bescherming) 148 geregelt. Dieser sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Beschwerde<br />

über das Verhalten eines Mitarbeiters <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde im Rahmen<br />

eines Kin<strong>der</strong>schutzverfahrens können beim jeweiligen Nie<strong>der</strong>lassungsleiter eingelegt<br />

werden. Der Leiter <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung versucht durch Gespräche und Mediation zu<br />

einer für den Beschwerdeführer befriedigenden Lösung des Konflikts zu kommen.<br />

Wenn dies nicht gelingt, trifft <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

eine Entscheidung nach Anhörung <strong>der</strong> Parteien. Dagegen kann <strong>der</strong> Beschwerdeführer<br />

schriftlich Klage bei einer Klagekommission einreichen. In den Nie<strong>der</strong>landen gibt es<br />

fünf solcher Klagekommissionen. Die Klagekommission entscheidet innerhalb von<br />

sechs Wochen nach Anhängigkeit mit schriftlichem Beschluss nach Anhörung <strong>der</strong> Parteien.<br />

Bei (auch teilweiser) Begründetheit <strong>der</strong> Klage muss <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung<br />

innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Beschlusses mitteilen, welche Konsequenzen<br />

daraus gezogen werden.<br />

6.3.2 Beschwer<strong>der</strong>echt und Klagerecht in justiziellen Jugendeinrichtungen<br />

Das Beschwer<strong>der</strong>echt in justiziellen Jugendeinrichtungen ist im Kapitel XII des Beginselenwet<br />

Justitiële Jeugdinrichtingen geregelt. Es gilt für alle Jugendlichen, die in einer<br />

justiziellen Jugendeinrichtung untergebracht sind. Sie bzw. ihre (Stief- o<strong>der</strong> Pflege-)<br />

Eltern o<strong>der</strong> ihr Vormund können sich gem. Art. 64 BJJ mit Beschwerden an den zuständigen<br />

Mitarbeiter <strong>der</strong> justiziellen Jugendeinrichtung (maandcommissaris) mit <strong>der</strong><br />

Bitte um Vermittlung wenden. Die Beschwerde kann sich sowohl gegen Beschlüsse als<br />

auch gegen das Verhalten des Direktors <strong>der</strong> Einrichtung gegenüber dem Jugendlichen<br />

richten. Der Mitarbeiter legt innerhalb von 6 Wochen einen Vermittlungsvorschlag vor,<br />

<strong>der</strong> jedoch we<strong>der</strong> den Jugendlichen noch den Direktor bindet. Der Direktor muss innerhalb<br />

von vier Wochen mitteilen, ob er den Vermittlungsvorschlag annimmt. Lehnt er<br />

dies ab, kann <strong>der</strong> Jugendliche innerhalb von sieben Tagen Klage dagegen erheben.<br />

Dieses Klagerecht ist in Kapitel XIII des Beginselenwet Justitiële Jeugdinrichtingen<br />

geregelt. In <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Klagekommission (beklagcommissie) innerhalb von sieben Tagen<br />

nach Kenntnisnahme des Beschlusses einzureichenden Klageschrift müssen <strong>der</strong><br />

Beschluss und die Gründe für die Klage dargelegt werden (Art. 66 Abs. 1 und 3 BJJ).<br />

Die Klagekommission setzt sich aus drei Vertretern <strong>der</strong> Aufsicht über die Justiziellen<br />

Jugendeinrichtungen (commissie van toezicht) zusammen. Den Vorsitz kann nur ein<br />

Richter ausüben.<br />

Gegen den Beschluss <strong>der</strong> Klagekommission können beide Parteien innerhalb von sieben<br />

Tagen Berufung bei <strong>der</strong> Berufungskommission gem. Art. 74 BJJ einlegen. Die<br />

Kommission besteht aus drei Mitglie<strong>der</strong>n, die durch den Rat für Strafrechtsanwendung<br />

und Jugendschutz benannt werden. Die Berufungskommission muss so schnell wie<br />

möglich einen Beschluss fassen (Art. 76 BJJ).<br />

In Unterbringungsangelegenheiten (Unterbringung, Verlegung, Urlaub, Urlaub auf Probe,<br />

Schulungs- und Trainingsauflagen, Strafunterbrechung) gilt ein an<strong>der</strong>es Verfahren,<br />

das sich an das allgemeine Verwaltungsrecht (Algemene Wet Bestuursrecht) anlehnt.<br />

Gem. Art. 18 BJJ kann <strong>der</strong> Jugendliche Wi<strong>der</strong>spruch bei <strong>der</strong> Instanz einlegen, die über<br />

die Unterbringung entschieden hat. Hilft diese dem Wi<strong>der</strong>spruch nicht ab, hat er die<br />

Möglichkeit gegen diese Entscheidung eine Klage bei <strong>der</strong> Berufungskommission einzulegen<br />

(Art. 77 Abs. 1 BJJ).<br />

148 Besluit van 24 juni 1996, Stb. 330.


142<br />

Jugendliche, die in justiziellen Jugendeinrichtungen untergebracht sind, können gem.<br />

Art. 66 – 61 Reglement justitiële jeugdinrichtigen auch gegen eine medizinische Behandlung<br />

vorgehen. Sie können bei einer beson<strong>der</strong>en Stelle (medisch adviseur) Vermittlung<br />

beantragen o<strong>der</strong> eine Klage bei einer Berufungskommission einlegen, die sich<br />

aus zwei Ärzten und einem Juristen zusammensetzt.<br />

V. Das Leistungserbringerrecht<br />

Das Leistungserbringerrecht ist nur teilweise im Wet op de jeugdzorg geregelt. Die<br />

Details <strong>der</strong> Beziehungen zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern (Provinzen,<br />

Büros für Jugendhilfe) finden sich im Uitvoeringsbesluit Wet op de Jeugdzorg.<br />

1. Die Leistungserbringer<br />

Anbieter von Jugendhilfe (zorgaanbie<strong>der</strong>s) sind natürliche o<strong>der</strong> juristische Personen,<br />

die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe, auf die gem. Art. 3 Wjz Anspruch besteht, erbringen<br />

(Art. 1 g Wjz). Diese können in den Nie<strong>der</strong>landen o<strong>der</strong> im gesamten Gebiet des Europäischen<br />

Wirtschaftsraums nie<strong>der</strong>gelassen sein. Vom Begriff des Anbieters von Jugendhilfe<br />

ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Leistungserbringers (zorgeenheid) zu unterscheiden: Der<br />

Leistungserbringer ist eine durch den Jugendhilfeanbieter organisierte Einheit, die ein<br />

bestimmtes Leistungspaket anbietet. Je<strong>der</strong> Leistungserbringer muss den gesetzlichen<br />

Qualitätsnormen entsprechen und die gesetzlich vorgeschriebenen Mitbestimmungsverfahren<br />

für die Klienten gewährleisten.<br />

Die Leistungserbringer sollen ihr Angebot modularisieren, um es transparenter zu machen<br />

und es besser auf die Bedürfnisse <strong>der</strong> Jugendlichen abstimmen zu können.<br />

Die Provinzen als Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe tragen die Gewährleistungsverantwortung,<br />

d.h. sie müssen dafür sorgen, dass die verschiedenen Formen <strong>der</strong> Jugendhilfe in ausreichendem<br />

Umfang vorhanden sind. Der Anspruch auf Jugendhilfe muss innerhalb<br />

einer redlichen Frist erfüllt werden.<br />

Gem. Art. 3 Abs. 6 Wjz dürfen nur Leistungsanbieter in Anspruch genommen werden,<br />

die durch die Provinz subventioniert werden. Diese müssen nicht unbedingt im Gebiet<br />

<strong>der</strong> Region ansässig sein. Auch Leistungsanbieter, z.B. aus grenznahen Gebieten an<strong>der</strong>er<br />

Provinzen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Staaten können subventioniert werden. Ausnahmsweise<br />

– bei sehr seltenen Hilfen, für die es nur wenige Anbieter gibt - können auch Leistungsanbieter<br />

in Anspruch genommen werden, die nicht durch die Provinz subventioniert<br />

werden, wenn eine an<strong>der</strong>e Provinz sie subventioniert und mit dieser Absprachen<br />

bestehen.<br />

Für subventionierte Leistungsanbieter besteht eine Pflicht zur Akzeptanz von durch das<br />

Büro für Jugendhilfe indizierten Klienten.<br />

2. Die Planung<br />

Die Planung <strong>der</strong> Jugendhilfe erfolgt sowohl auf <strong>der</strong> Ebene des Reichs, als auch auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> Provinzen, die die Gewährleistungsverantwortung für ein ausreichendes<br />

Angebot an Jugendhilfe und die Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe haben.<br />

2.1 Die Planung durch die Provinzen<br />

Die Jugendhilfeplanung durch die Provinzen ist in Art. 30 ff. Wjz geregelt. Die Provinzen<br />

kommen ihrer Planungsverantwortung durch die Aufstellung des Provinciaal Beleidska<strong>der</strong><br />

Jeugdzorg (Rahmenplan Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz) und des Durchführungsprogramms<br />

Jugendhilfe nach. Der Rahmenplan Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz enthält die<br />

Vorgaben für die Jugendhilfepolitik für vier Jahre und bestimmt das finanzielle Budget<br />

dafür. Er wird alle vier Jahre nach Anhörung aller Beteiligten durch die Gedeputeerde


143<br />

Staten verabschiedet. Durch die Beratung mit <strong>der</strong> Stiftung Büro für Jugendhilfe, den<br />

Leistungsanbietern und <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde sollen das Angebot und die Nachfrage<br />

an Jugendhilfe aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt werden. Daneben erfolgt eine Abstimmung<br />

zwischen den verschiedenen Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe durch die Beratung mit den Gemein<strong>der</strong>äten<br />

(colleges van burgemeester en wethou<strong>der</strong>s) als Trägern <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Jugendarbeit/Jugendhilfe, den Krankenversicherungen als Trägern <strong>der</strong> Leistungen<br />

nach dem AWBZ und dem Justizministerium als Träger <strong>der</strong> justiziellen Jugendhilfeeinrichtungen.<br />

Der Rahmenplan Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz muss auch Übersichten über die<br />

Jugendhilfepläne <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Träger enthalten. Schließlich sind auch die Klientenorganisationen<br />

bei <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung <strong>der</strong> Provinzen zu beteiligen. Die zuständigen<br />

Ministerien müssen gem. Art. 31 Abs. 7 Wjz eine Abschrift des Jugendhilfeplans erhalten,<br />

um diesen auf die Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung des Reichs und<br />

an<strong>der</strong>en ministeriellen Vorgaben überprüfen und ggf. eine Anpassung <strong>der</strong> provinzialen<br />

Jugendhilfeplanung for<strong>der</strong>n zu können (Art. 33 Wjz).<br />

Der Rahmenplan Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz ist jährlich auf seine Aktualität zu überprüfen<br />

und so weit erfor<strong>der</strong>lich anzupassen. Anpassungen sind den zuständigen Ministerien<br />

mitzuteilen.<br />

Das jährlich gem. Art. 32 Wjz aufzustellende Durchführungsprogramm Jugendhilfe benennt<br />

die dem Rahmenplan Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz entsprechenden Aufgaben des<br />

Büros für Jugendhilfe und <strong>der</strong> Leistungsanbieter in <strong>der</strong> Provinz für das jeweilige Jahr<br />

und die entsprechenden Subventionen. Für die Aufstellung des Durchführungsprogramms<br />

Jugendhilfe gelten die gleichen Verfahrensvorschriften wie für den Rahmenplan<br />

Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinz. Das Durchführungsprogramm Jugendhilfe bildet die Basis<br />

für die Rechtsbeziehungen mit den Leistungsanbietern.<br />

2.2 Die Planung durch das Reich<br />

Auch auf <strong>der</strong> Ebene des Reichs ist gem. Art. 34 Wjz alle vier Jahre ein Landesrahmenplan<br />

Jugendhilfe durch die zuständigen Ministerien nach Anhörung <strong>der</strong> Klientenorganisationen<br />

aufzustellen. Der Landesrahmenplan Jugendhilfe stützt sich auf die Rahmenplanung<br />

<strong>der</strong> Provinzen <strong>der</strong> vorangegangen vier Jahre.<br />

Er legt die Eckpunkte für die Rahmenpläne Jugendhilfe <strong>der</strong> Provinzen fest und bestimmt<br />

die Mittel, die das Reich den großstädtischen Regionen und den Provinzen für<br />

die Jugendhilfe zur Verfügung stellen will. Dies sind zum einen die Mittel für die Stiftungen<br />

Büro für Jugendhilfe (Art. 37 Abs. 1 a Wjz) und für die Jugendhilfe nach dem<br />

Wjz (Art. 37 Abs. 1 b Wjz). Der Landesrahmenplan Jugendhilfe enthält darüber hinaus<br />

eine Übersicht über die nicht nach dem Wjz finanzierte Jugendhilfe <strong>der</strong> Gemeinden,<br />

Krankenversicherungsträger und des Justizministeriums. Der Landesrahmenplan ist in<br />

Abschrift an beide Kammern des Parlaments und an die Provinzen zu senden. Wie die<br />

Jugendhilfepläne <strong>der</strong> Provinzen ist er jährlich zu überprüfen und ggf. anzupassen. Die<br />

Ministerien müssen darüber hinaus einen jährlicher Fortschrittsbericht Jugendhilfe<br />

(Voortgangsrapportage jeugdzorg) mit Übersichten über die (geplante o<strong>der</strong> erfolgte)<br />

Zuweisung <strong>der</strong> Finanzmittel im kommenden und in den letzten beiden Jahren und den<br />

Ausgaben <strong>der</strong> Provinzen für Jugendhilfe im vorangegangen Jahr erstellen.<br />

Derzeit gilt <strong>der</strong> Landesrahmenplan Jugendhilfe 2005 – 2008, dessen Ziele<br />

• eine aneinan<strong>der</strong> anschließende Kette von Jugendhilfe,<br />

• die Verbesserung <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe und <strong>der</strong> Abbau von Bürokratie,<br />

• die Verbesserung <strong>der</strong> Qualität, Effektivität u. Effizienz des Jugendhilfeangebots,<br />

• die Verbesserung des Zugangs, insbeson<strong>der</strong>e die Verringerung von Wartezeiten<br />

und die Verbesserung <strong>der</strong> Beteiligung von Klienten zu/an den Dienstleistungen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe sind.<br />

Wichtige Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind die Verpflichtung <strong>der</strong> Leistungserbringer<br />

und <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe Qualitätssicherungssysteme einzuführen und<br />

die Verpflichtung <strong>der</strong> Leistungserbringer, für jeden Klienten einen Hilfeplan aufzustellen.


3. Qualitätssicherung<br />

144<br />

Die Anbieter von Jugendhilfe erklären sich mit <strong>der</strong> Anfrage von Subventionen auf <strong>der</strong><br />

Basis des Durchführungsprogramms Jugendhilfe bereit, bestimmte Aktivitäten aus dem<br />

Durchführungsprogramm zu realisieren. Bei mehreren Anbietern findet eine Auswahl<br />

durch die Provinz nach Qualität und Preis <strong>der</strong> angebotenen Leistungen statt.<br />

Das Durchführungsprogramm enthält zum Zweck einer besseren Marktübersicht auch<br />

eine Übersicht über die Aktivitäten <strong>der</strong> letzten beiden Jahre und die Höhe <strong>der</strong> an die<br />

einzelnen Leistungsanbieter gezahlten Subventionen, sowie eine Übersicht über die<br />

geplanten Aktivitäten <strong>der</strong> übrigen Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />

Gem. Art. 20 – 24 Wjz müssen die Anbieter von Jugendhilfe Hilfe auf einem guten Niveau<br />

anbieten, die jedenfalls effektiv, effizient und klientenorientiert ist (sog. verantwortete<br />

Hilfe). Qualitätsverpflichtungen gelten aber nicht nur für die Anbieter von Jugendhilfe,<br />

son<strong>der</strong>n auch für das Büro für Jugendhilfe. Diese leiten sich aus den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

des Gesetzes „Qualität von Einrichtungen <strong>der</strong> Gesundheitspflege“ (Kwaliteitswet<br />

zorginstellingen) 149 ab, die auch für die Büros für Jugendhilfe gelten.<br />

Für die Kontrolle <strong>der</strong> Qualitätsverpflichtungen ist im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe nach dem<br />

Wjz die Inspectie Jeugdzorg, im Bereich <strong>der</strong> freiheitsbeschränkenden Jugendhilfemaßnahmen<br />

<strong>der</strong> Rat für die Strafrechtsanwendung und Jugendschutz (Raad voor de<br />

Strafrechtstoepassing en Jeugdbescherming), im Bereich <strong>der</strong> psychischen Gesundheitsfürsorge<br />

für Jugendliche und <strong>der</strong> Hilfen für leicht geistig behin<strong>der</strong>te Jugendliche<br />

die Inspektion Gesundheitspflege (Inspectie Gezondheitszorg) zuständig.<br />

Das Wjz verpflichtet die Anbieter von Jugendhilfe zur Einführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />

(kwaliteitssystemen) und Hilfeplänen.<br />

Neue Leistungsanbieter sollen in Zukunft anhand eines Qualitätsprotokolls geprüft<br />

werden, ehe ihnen Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zugewiesen werden. Dieses Qualitätsprotokoll<br />

wird vom Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport gemeinsam mit <strong>der</strong><br />

interprovinzialen Arbeitsgemeinschaft (IPO: interprovinciaal overleg) und <strong>der</strong> Inspektion<br />

Jugendhilfe (inspectie jeugdzorg) entwickelt.<br />

F. An<strong>der</strong>e Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

I. Allgemeines<br />

Der Schutz von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen ist Aufgabe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde und<br />

Gerichte. Mit dem Wet op de Jeugdzorg sollte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendschutz mit <strong>der</strong><br />

freiwilligen Jugendhilfe zusammengeführt werden, um Jugendlichen mit einer Jugendschutzmaßnahme<br />

den Zugang zu allen Formen von Jugendhilfe zu eröffnen. Daher<br />

wurde das Büro für Jugendhilfe auch mit einer Anzahl von Aufgaben im Bereich des<br />

Jugendschutzes betraut (Art. 10 Abs. 1 Wjz), die es in Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en<br />

Akteuren <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe, wie den Gerichten und <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

erfüllt:<br />

- die Ausübung <strong>der</strong> Vormundschaft und <strong>der</strong> vorläufigen Vormundschaft,<br />

- Ausübung <strong>der</strong> Schutzaufsicht (Art. 1: 254 BW) = Familienvormundschaft,<br />

- Hilfe für die und Unterstützung <strong>der</strong> Sorgeberechtigten während <strong>der</strong> Schutzaufsicht<br />

(Art. 1:257 BW),<br />

- Begleitung und Aufsicht während <strong>der</strong> Bewährungszeit bei straffälligen Jugend-<br />

lichen,<br />

- Aufsicht über die und Begleitung <strong>der</strong> Jugendlichen während <strong>der</strong> Schulungs- und<br />

Trainingsprogramme,<br />

- die Aufgabe einer Beratungs- und Meldestelle bei Misshandlung von Kin<strong>der</strong>n.<br />

149 Gesetz vom 18.1.1996, Stbl. 1996, S. 80.


145<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde wurde dadurch zu einer Einrichtung in zweiter Linie, die nur<br />

noch über das Büro für Jugendhilfe erreichbar ist.<br />

II. Gerichtlicher Kindesschutz und Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden 150<br />

Gerichtliche Maßnahmen zum Kindesschutz sind im nie<strong>der</strong>ländischen Bürgerlichen<br />

Gesetzbuch (Burgerlijk Wetboek – BW) geregelt. Das nie<strong>der</strong>ländische Zivilgesetzbuch<br />

kennt drei gesetzliche Kindesschutzmaßnahmen: die Schutzaufsicht, die Enthebung<br />

von <strong>der</strong> elterlichen Sorge und die Entziehung <strong>der</strong> elterlichen Sorge. In den beiden letzteren<br />

Fällen ist ein Vormund einzusetzen.<br />

1. Einleitung des Verfahrens des Kindesschutzes<br />

Ein Verfahren zum Schutz des Kindes wird auf Anzeige von Dritten (Nachbarn, Familienmitglie<strong>der</strong>,<br />

Lehrer) o<strong>der</strong> des Kindes selbst o<strong>der</strong> auf Initiative des Büros für Jugendhilfe<br />

eingeleitet. Die Büros für Jugendhilfe unterhalten dazu die Beratungs- und Meldestellen<br />

für Kindesmisshandlung (Advies- en Meldpunt Kin<strong>der</strong>mishandeling – AMK), 151<br />

die über die Telefonnummer 0900-1231230 telefonisch erreichbar sind. Das Büro für<br />

Jugendhilfe entscheidet darüber, ob eine Einschaltung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist. In diesem Fall gibt es die entsprechenden Informationen an die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

(Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) weiter, die dann ein Untersuchungsverfahren<br />

einleitet. 152 In Einzelfällen kann die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde auch auf<br />

eigene Initiative tätig werden, z.B. wenn sie im Rahmen eines bereits laufenden gerichtlichen<br />

Verfahrens von Umständen Kenntnis erhält, die ein Eingreifen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

erfor<strong>der</strong>lich machen.<br />

2. Die Untersuchung<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde soll ein umfassendes und klares Bild <strong>der</strong><br />

Situation des Kindes und seiner Familie ergeben. Der Mitarbeiter <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

(raadson<strong>der</strong>zoeker) führt dazu Gespräche mit den Familienmitglie<strong>der</strong>n und Menschen<br />

aus <strong>der</strong>en direkter Umgebung, sowie an<strong>der</strong>en Personen, wie dem Hausarzt,<br />

Sozialarbeitern und Lehrern. Falls erfor<strong>der</strong>lich können neben internen Experten (Psychologen,<br />

Juristen) auch externe Experten zugezogen werden. Am Ende <strong>der</strong> Untersuchung<br />

erstellt <strong>der</strong> Untersuchungsleiter ein Gutachten, das neben einer Beschreibung<br />

<strong>der</strong> Untersuchung die Schlussfolgerungen und die Empfehlung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

enthält und auch <strong>der</strong> richterlichen Entscheidung über den Erlass einer Schutzmaßnahme<br />

zugrunde gelegt wird. Das Gutachten ist für den Richter jedoch nicht bindend.<br />

Die Klienten können den Entwurf des Gutachtens einsehen und Anmerkungen<br />

zur Korrektur o<strong>der</strong> Ergänzung machen. Sie erhalten Gelegenheit, das endgültige Gutachten<br />

im Büro <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde einzusehen und erhalten grundsätzlich eine<br />

Abschrift. Die Abschrift kann aus verschiedenen Gründen verweigert werden, u.a.<br />

wenn durch die Abschrift die Verhin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Verfolgung einer Straftat beeinträchtigt<br />

werden könnte, o<strong>der</strong> dies zum Schutz des Betroffenen o<strong>der</strong> Dritter erfor<strong>der</strong>lich ist. Für<br />

die Erstellung des Gutachtens bestehen Richtlinien des nie<strong>der</strong>ländischen Justizministeriums,<br />

die sog. Normen 2000. 153 Die Richtlinien beschreiben u. a., wie eine Untersu-<br />

150 Für die Vorarbeiten zu diesem Teil im Rahmen des Europäischen Kooperationsseminars des Masterstudiengangs<br />

„Beratung und Vertretung im Sozialen Recht“ an <strong>der</strong> Fachhochschule Köln danke ich Nathalie<br />

Pichler (Dipl.-SA, M.A.) und Sandra Wirbelauer (Dipl.-SA, M.A.).<br />

151 www.amk-ne<strong>der</strong>land.nl<br />

152 Vgl. die Broschüre des Justizministeriums, Wenn das Erziehen ein Problem ist – Über das Jugendamt,<br />

Mai 2004 (Übersetzung <strong>der</strong> Broschüre: Als opvoeden een probleem is – Over de Raad van de Kin<strong>der</strong>bescherming).<br />

153 Die Normen 2000 sind auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde zu finden<br />

(www.kin<strong>der</strong>bescherming.nl). Vgl. Justizministerium, N 82, S. 3.


146<br />

chung durchgeführt wird, welche Informationen im Bericht erfasst werden, und wie lange<br />

die Untersuchung dauern darf. Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde hat verschiedene Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />

eingeführt, u.a. ein Model des Nie<strong>der</strong>ländischen Qualitätsinstituts<br />

(Instituut Ne<strong>der</strong>landse Kwaliteit – INK), und arbeitet mit <strong>der</strong> Klientenorganisationen<br />

wie <strong>der</strong> Plattform Service und Dienstleistungen für Klienten in Jugendhilfe und<br />

Familienrecht (Platform Service- en Dienstverlening aan Cliënten in Jeugdzorg en Familierecht<br />

– SCJF) 154 zusammen.<br />

Die Klienten können sich während <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Untersuchung und bei weiteren<br />

Kontakten mit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde durch eine Vertrauensperson begleiten lassen.<br />

Eine Schutzmaßnahme wird nur angeordnet, wenn freiwillige Hilfe nicht (mehr) ausreichend<br />

ist, o<strong>der</strong> die Eltern keine Hilfe akzeptieren und die Untersuchung bestätigt, dass<br />

die Entwicklung des Kindes ernsthaft gefährdet ist. 155<br />

3. Schutzaufsicht<br />

Die Schutzaufsicht 156 kann durch den Kin<strong>der</strong>richter angeordnet werden, wenn einem<br />

Kind körperlicher o<strong>der</strong> seelischer Schaden droht. Ziel <strong>der</strong> Schutzaufsicht ist es, dem<br />

Min<strong>der</strong>jährigen und den mit <strong>der</strong> Sorge betrauten Eltern o<strong>der</strong> Dritten Hilfe und Unterstützung<br />

zu bieten (Art. 1:257 Abs. 1 BW). Die elterliche Sorge wird durch die Schutzaufsicht<br />

nicht berührt.<br />

3.1 Voraussetzungen <strong>der</strong> Schutzaufsicht<br />

Der Kin<strong>der</strong>richter kann einen Min<strong>der</strong>jährigen nach Untersuchung durch die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

<strong>der</strong> Schutzaufsicht (On<strong>der</strong>-Toezicht-Stelling) eines Büros für Jugendhilfe<br />

unterstellen, wenn <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige unter Umständen aufwächst, die seine sittlichen<br />

o<strong>der</strong> psychischen Interessen o<strong>der</strong> seine Gesundheit ernsthaft bedrohen und an<strong>der</strong>en<br />

Mittel zur Abwendung dieser Bedrohung gescheitert sind o<strong>der</strong> wahrscheinlich<br />

scheitern werden (Art. 1:254 Abs. 1 BW) und die Schutzaufsicht im Interesse des Jugendlichen<br />

ist (Art. 1:254 Abs. 4 BW). Mit <strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Schutzaufsicht ist kein<br />

Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge verbunden. Der Jugendliche erhält einen fachlich dafür<br />

qualifizierten Mitarbeiter des Büros für Jugendhilfe als Familienvormund (gezinsvoogd,<br />

gezinsvoogdijwerker) zugewiesen. Den Eltern ist die Verantwortung für die Versorgung<br />

und Erziehung so weit wie möglich zu belassen (Art. 1:257 Abs. 2 BW). Primäres Ziel<br />

<strong>der</strong> Schutzaufsicht ist die Unterstützung <strong>der</strong> Eltern bei <strong>der</strong> Erziehung. Obwohl die<br />

Schutzaufsicht eine weniger belastende Maßnahme ist als die Entziehung des Sorgerechts,<br />

wird <strong>der</strong>zeit diskutiert, an<strong>der</strong>e weniger eingreifende Schutzmaßnahmen einzuführen.<br />

157<br />

Die vorläufige Schutzaufsicht kann auf Antrag <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde durch den<br />

Richter angeordnet werden, wenn ein Kind ernsthaft und unmittelbar gefährdet ist. Die<br />

vorläufige Schutzaufsicht dauert höchstens 3 Monate.<br />

3.2 Verfahren<br />

Den Antrag auf eine Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahme kann ein Elternteil o<strong>der</strong> ein Dritter, <strong>der</strong><br />

das Kind als zu seiner Familie gehörend versorgt und erzieht, die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

(Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) o<strong>der</strong> die Staatsanwaltschaft (Openbaar Ministerie)<br />

(Art. 1: 254 Abs. 4 BW) beim Jugendrichter stellen.<br />

154<br />

Vgl. Doek/Vlaardingerbroek S. 755.<br />

155<br />

Vgl. Justizministerium, N 82, S. 4.<br />

156<br />

In <strong>der</strong> deutschen Literatur, aber auch in Übersetzungen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Behörden finden sich<br />

Begriffe wie Erziehungsbeistandschaft, <strong>der</strong> im deutschen einen an<strong>der</strong>en Inhalt hat, o<strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong><br />

Aufsicht über Min<strong>der</strong>jährigen o<strong>der</strong> Familienvormundschaft.<br />

157<br />

Vgl. Doek/Vlaardingerbroek, S. 699. Eine solche Maßnahme könnte z.B. darin bestehen, die Eltern zur<br />

Inanspruchnahme von Erziehungshilfe zu drängen.


147<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde ist kraft Gesetzes befugt, von sich aus die Versorgungs- und<br />

Erziehungssituation eines Kindes zu untersuchen, um festzustellen, ob seine sittlichen,<br />

seelischen o<strong>der</strong> gesundheitlichen Interessen gefährdet sind.<br />

Das Büro für Jugendhilfe kann, wenn es im Rahmen eines Indikationsfeststellungsverfahrens<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe erwägt, weitere Untersuchungen bei<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde beantragen. Während dieser Untersuchungen kann eine vorläufige<br />

Schutzaufsicht für einen Zeitraum angeordnet werden.<br />

Durch das Gesetz zur Reform <strong>der</strong> Maßregel <strong>der</strong> Schutzaufsicht (On<strong>der</strong>-Toezicht-<br />

Stelling – OTS) vom 26.4.1995 158 wurde den Büros für Jugendhilfe eine neue Aufgabe<br />

im Bereich <strong>der</strong> gerichtlichen Jugendhilfe zugewiesen. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes<br />

waren die Jugendrichter (kin<strong>der</strong>rechter) nicht nur zuständig für die Anordnung<br />

<strong>der</strong> Schutzaufsicht, son<strong>der</strong>n auch für die Überwachung ihrer Durchführung. Nun sind<br />

beide Funktionen getrennt. Der Jugendrichter ordnet die Schutzaufsicht an, die Büros<br />

für Jugendhilfe als Einrichtungen <strong>der</strong> Familienvormundschaft führen sie aus.<br />

Die Schutzaufsicht dauert höchstens ein Jahr (Art. 1:254 Abs. 1 BW), kann aber auf<br />

Antrag des Büro für Jugendhilfe durch den Jugendrichter jeweils um ein Jahr verlängert<br />

werden bis zum 18. Geburtstag des Min<strong>der</strong>jährigen (Art. 1:256, Abs. 1 und 2 BW). Die<br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde führt die Aufsicht über die Durchführung <strong>der</strong> Schutzaufsicht<br />

durch das Büro für Jugendhilfe. Sie kann auch gegen den Willen des Büros für Jugendhilfe<br />

die Verlängerung <strong>der</strong> Schutzaufsicht beantragen.<br />

Kin<strong>der</strong> ab dem 12. Lebensjahr haben das Recht, vor Ernennung des Vormunds gehört<br />

zu werden und haben ein eigenes Antrags- und Beschwer<strong>der</strong>echt.<br />

3.3 Durchführung <strong>der</strong> Schutzaufsicht<br />

Die Büros für Jugendhilfe überwachen den Jugendlichen und sorgen dafür, dass dem<br />

Min<strong>der</strong>jährigen und seinen sorgeberechtigten Eltern Hilfe und Unterstützung gewährt<br />

wird, um so die Gefährdung <strong>der</strong> sittlichen o<strong>der</strong> psychischen Belange des Jugendlichen<br />

o<strong>der</strong> seiner Gesundheit abzuwenden (Art. 257 Abs. 1 BW.) Dazu sind bei den Büros<br />

für Jugendhilfe Fachkräfte angestellt, die pädagogische Familienhilfe gewähren und als<br />

Familienvormund bezeichnet werden. Sie erstellen - wie in den Fällen <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Jugendhilfe - eine Diagnose des Hilfebedarfs des Jugendlichen und stellen – möglichst<br />

im Zusammenwirken mit dem Jugendlichen und seiner Familie - einen Familienvormundschaftshilfeplan<br />

auf. Wenn neben <strong>der</strong> zwingenden Jugendhilfe freiwillige Jugendhilfe<br />

erbracht werden soll, müssen die Hilfepläne aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt werden. Angebote<br />

zur Hilfe für die und Unterstützung <strong>der</strong> Eltern sollen den/m mit <strong>der</strong> elterlichen<br />

Sorge betrauten Eltern(teil) die Verantwortung für die Versorgung und Erziehung des<br />

Kindes soweit wie möglich überlassen (Art. 1:257 BW). Bei Entscheidungen mit erheblichen<br />

Folgen für das Kind, wie z.B. die Schulwahl, ist die Zustimmung <strong>der</strong> Eltern zwingend<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Wenn <strong>der</strong> Alters- und Entwicklungsstand des Min<strong>der</strong>jährigen und<br />

dessen Fähigkeit, selbständig zu handeln, dazu Anlass geben, sind Hilfe und Unterstützung<br />

nicht nur an die Erziehungsberechtigten zu richten, son<strong>der</strong>n auch auf die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Selbständigkeit des Min<strong>der</strong>jährigen. Der Familienvormundschaftsplan wird<br />

mit den Pädagogen/Psychologen des Büros für Jugendhilfe besprochen.<br />

Der Familienvormund kann den Eltern und dem Min<strong>der</strong>jährigen bei fehlendem Einvernehmen<br />

schriftliche Anweisungen geben, die diese zu befolgen haben (Art. 1:258 Abs.<br />

2 BW). Gegen diese Anweisungen können die Eltern gerichtlich vorgehen (Art. 1: 259<br />

BW). 159<br />

158 Stb. 1995, 255.<br />

159 Untersuchungen im Auftrag des Justizministeriums haben ergeben, dass die Familienvormün<strong>der</strong> zu<br />

wenig Zeit für die direkten Kontakte mit den Klienten haben (ca. 17 % ihrer Arbeitszeit). Möglichkeiten<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe im Rahmen <strong>der</strong> Schutzaufsicht wurden vom<br />

1.10.2002 – 1.1.2005 im Rahmen des Modellprojekts „Deltaplan Kwaliteitsverbetering Gezinsvoogdij“<br />

erprobt. Nach Absprachen zwischen dem Justizministerium, dem Rat <strong>der</strong> Provinzen (Inter Provinciaal<br />

Overleg) und <strong>der</strong> Branchenorganisation <strong>der</strong> Jugendhilfe (MO-Groep) soll <strong>der</strong> Deltaplan ab 2006 landesweit<br />

eingeführt werden.


148<br />

3.4 Unterbringung (Uithuisplaatsing) Art. 1:261 BW<br />

Die Schutzaufsicht kann auch mit einer Fremdunterbringung verbunden sein. Die<br />

Fremdunterbringung kann auf Antrag des Büro für Jugendhilfe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

durch den Kin<strong>der</strong>richter angeordnet werden (Art. 1:261 BW). Ein Antrag <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde ist nur möglich in Fällen, in denen das Kind erstmalig durch den<br />

Kin<strong>der</strong>richter unter Schutzaufsicht gestellt wird. Die Min<strong>der</strong>jährigen werden dann in<br />

einer Pflegefamilie o<strong>der</strong> bei einem an<strong>der</strong>en Träger o<strong>der</strong> in einer justiziellen Jugendeinrichtung<br />

untergebracht (Art. 14 Abs. 1 BJJ, Art. 22 Abs. 1 UWjz)). Die Fremdunterbringung<br />

ist befristet. Sie wird durch das Büro für Jugendhilfe beendet, wenn die Erziehung<br />

des Kindes nicht mehr gefährdet ist (Art. 262 BW). Während <strong>der</strong> Unterbringung sollen<br />

die Eltern weiterhin den Kontakt zu dem Jugendlichen und dem Familienvormund aufrechterhalten<br />

und sich aktiv an <strong>der</strong> Erziehung beteiligen.<br />

In Eilfällen kann eine sofortige Unterbringung ohne vorherige Anordnung erfolgen. Das<br />

Gericht muss in diesen Fällen innerhalb von zwei Wochen alle Beteiligten anhören und<br />

danach einen definitiven Beschluss fassen. In diesen Fällen wird <strong>der</strong> Beschluss verbunden<br />

mit einer vorläufigen Schutzaufsicht, wenn nicht schon früher eine Schutzaufsicht<br />

angeordnet worden war. Die Dauer <strong>der</strong> vorläufigen Schutzaufsicht ist auf drei<br />

Monate beschränkt.<br />

Das Büro für Jugendhilfe muss den Jugendlichen innerhalb von 13 Wochen nach de<br />

Beschluss des Richters bei einem Leistungserbringer unterbringen (Art. 23 UWjz). 160<br />

Bisher wurden die Jugendlichen gemeinsam mit Jugendlichen, die zu einer Jugendstrafe<br />

verurteilt worden waren, in justiziellen Jugendeinrichtungen untergebracht. Das<br />

nie<strong>der</strong>ländische Parlament (Tweede Kamer) hat am 3.7.2007 beschlossen, dass Jugendliche<br />

mit ernsten Verhaltensproblemen in Zukunft in beson<strong>der</strong>en geschlossenen<br />

Einrichtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe untergebracht werden sollen. Die Verantwortung für diese<br />

Einrichtungen trägt das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport. Bis zum<br />

1.1.2010 soll für mehr als 1000 Jugendliche durch den Neubau von Einrichtungen und<br />

die Umwidmung einer Anzahl von justiziellen Jugendeinrichtungen zu Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> geschlossenen Jugendhilfe ein ausreichendes Angebot an Hilfeplätzen geschaffen<br />

werden sollen.<br />

4. Suspension und Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

Zum Schutz <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> kann auch die elterliche Sorge eingeschränkt werden und einem<br />

an<strong>der</strong>en übertragen werden. Das nie<strong>der</strong>ländische Recht kennt zwei Formen <strong>der</strong><br />

Einschränkung <strong>der</strong> elterlichen Sorge: die Suspension <strong>der</strong> elterlichen Sorge (ontheffing,<br />

Art. 1:241 BW) und <strong>der</strong> Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge (ontzetting, Art. 1:269 ff. BW). In<br />

beiden Fällen ist ein Vormund zu ernennen.<br />

4.1 Die Suspension <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

Eine Einschränkung <strong>der</strong> elterlichen Sorge ist auf Antrag <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

(Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft (OM) und grundsätzlich<br />

nur mit Zustimmung <strong>der</strong> Eltern möglich. Allerdings sieht das Gesetz in Art. 1:268<br />

BW Ausnahmen vom Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> elterlichen Zustimmung vor (erzwungene Suspension).<br />

Voraussetzung <strong>der</strong> Suspension <strong>der</strong> elterlichen Sorge ist, dass ein Min<strong>der</strong>jähriger<br />

keine Sorgeberechtigten hat o<strong>der</strong> diese Sorge nicht ausgeübt wird, o<strong>der</strong> dass ein<br />

Elternteil o<strong>der</strong> beide Eltern ungeeignet und unfähig sind, seiner/ihren Pflicht zur Versorgung<br />

und Erziehung des Kindes nachzukommen (Art 1: 266 BW). In dringenden<br />

Fällen ist eine vorläufige Suspension für die Dauer von höchstens 6 Wochen zulässig.<br />

Der Jugendrichter kann diese Frist auf längstens 12 Wochen verlängern.<br />

160 sog. Versilber-Frist (verzilveringstermijn).


4.2 Der Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

149<br />

Das Sorgerecht kann den Eltern wegen Missbrauchs <strong>der</strong> elterlichen Gewalt, wegen<br />

grober Verletzung <strong>der</strong> Unterhalts- und Erziehungspflichten, wegen Führung eines<br />

schlechten Lebenswandels, Bestrafung wegen bestimmter gesetzlich benannter<br />

Verbrechen o<strong>der</strong> Vergehen, Nichtbefolgen <strong>der</strong> Anordnungen des Vormunds und wegen<br />

<strong>der</strong> Befürchtung, dass <strong>der</strong> betreffende Elternteil das Kind von einer an<strong>der</strong>en Person,<br />

die die Versorgung und Erziehung des Kindes übernommen hat, zurückholen werde,<br />

entzogen werden, wenn dies zum Wohle des Kindes erfor<strong>der</strong>lich ist (Art. 1:269 ff BW).<br />

In <strong>der</strong> Praxis erfolgt ein Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge allerdings sehr selten.<br />

Wird nur einem Elternteil die elterliche Sorge entzogen, steht sie dem an<strong>der</strong>en Elternteil<br />

zu. Bei Entzug <strong>der</strong> elterlichen Sorge behalten die Eltern ein Informationsrecht hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Angelegenheiten ihres Kindes und ein Umgangsrecht. Der Vormund ist<br />

außerdem verpflichtet, die Kin<strong>der</strong> über ihre Abstammung aufzuklären. Die Eltern können<br />

auch einen Antrag auf Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> elterlichen Sorge beim Kin<strong>der</strong>richter<br />

stellen, <strong>der</strong> prüft, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.<br />

5. Rechtliche Fürsorge für Min<strong>der</strong>jährige<br />

5.1 Die Bestellung eines Vormunds<br />

Der Richter bestellt einen Vormund für Min<strong>der</strong>jährige, die nicht unter (elterlicher) Sorge<br />

stehen und für <strong>der</strong>en Vormundschaft nicht in gesetzlicher Weise gesorgt ist (Art. 1:293<br />

BW). In den Fällen <strong>der</strong> Suspension o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> elterlichen Sorge wird ein<br />

Vormund durch eine Kammer des Landgerichts ernannt, in an<strong>der</strong>en Fällen, wie z.B.<br />

<strong>der</strong> Schutzaufsicht, durch den Jugendrichter des Landgerichts (kin<strong>der</strong>rechter) als Einzelrichter.<br />

Vormundschaft ist die Sorgerechtsausübung durch eine dritte Person. Diese wird durch<br />

elterliche testamentarische (Art. 1:292 f. BW) o<strong>der</strong> richterliche (Art. 1:295 ff. BW) Anordnung<br />

begründet. Die Vormundschaft erstreckt sich auf die Sorge für die Person des<br />

Min<strong>der</strong>jährigen (Art. 1:336 BW), die rechtliche Vertretung bei zivilrechtlichen Handlungen<br />

(Art. 1:337 Abs. 1 BW) und die Vermögensverwaltung (Art. 1: 337 Abs. 2 BW).<br />

Der Vormund benötigt zu einer Reihe von wichtigen Rechtsgeschäften die Genehmigung<br />

des Vormundschaftsgerichts und untersteht <strong>der</strong> Aufsicht des Vormundschaftsgerichts<br />

(Art. 1:344 ff. BW).<br />

Die Ausübung <strong>der</strong> Vormundschaft erfolgt i.d.R. durch die Büros für Jugendhilfe. 161 Diese<br />

übernehmen damit die Verantwortung für die Versorgung und Erziehung des Jugendlichen.<br />

Diese Aufgabe erfüllt das Büro für Jugendhilfe jedoch nicht selbst, son<strong>der</strong>n<br />

beauftragt damit professionelle Leistungserbringer. Ältere Jugendliche können<br />

ggf. auch selbständig z.B. in einer Wohngemeinschaft wohnen.<br />

Das Büro für Jugendhilfe soll in jedem Fall kontinuierlichen Kontakt zu dem Jugendlichen<br />

halten und ihn auch nach Beendigung <strong>der</strong> Vormundschaft auf Wunsch begleiten<br />

und unterstützen. Das Büro für Jugendhilfe soll aber auch Kontakte zur Herkunftsfamilie<br />

för<strong>der</strong>n und die Jugendlichen über ihre Abstammung aufklären.<br />

Neben den Büros für Jugendhilfe sind bislang mehrere landesweit aktive Vormundschaftsträger<br />

(gezins-)voogdij-instellingen) tätig, die aber bis 2008 diese Aufgabe an<br />

die Büros für Jugendhilfe abgeben und danach nur noch als Leistungserbringer <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe tätig sein sollen. 162 Dies sind die William Schrikker Groep für leicht geistig<br />

behin<strong>der</strong>te Jugendliche, die Heilsarmee (Leger des Heils Jeugdzorg en Reclassering),<br />

die Stiftung Reformierte Jugendwohlfahrt (Stichting Gereformeerd Jeugdwelzijn) und<br />

die Stiftung Nidos. Die Stiftung Nidos übernimmt die Vormundschaft für unbegleitete,<br />

min<strong>der</strong>jährige Flüchtlinge und Asylbewerber und sorgt für <strong>der</strong>en Versorgung, Unter-<br />

161<br />

Vgl. hierzu und zum Folgenden Doek/Vlaardingerbroek, S. 709 ff. Die Bestellung von Privatpersonen im<br />

Bereich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzmaßnahmen ist eher selten.<br />

162<br />

Mit Ausnahme <strong>der</strong> Stiftung Nidos.


150<br />

bringung und Erziehung. Kin<strong>der</strong> zwischen 5 und 15 Jahren werden in Pflegefamilien<br />

o<strong>der</strong> in Kin<strong>der</strong>wohngruppen mit 8 – 12 Kin<strong>der</strong>n mit Betreuung durch Mentoren untergebracht.<br />

Kin<strong>der</strong> von 16 – 17 Jahren wohnen in kleinen Wohneinheiten o<strong>der</strong> selbständig.<br />

Wenn Kin<strong>der</strong> keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben, werden sie in einer<br />

zentralen Einrichtung (Centrale Opvang – COA) untergebracht. Nidos ist auch zuständig<br />

für die Schutzaufsicht über Kin<strong>der</strong> aus Flüchtlingsfamilien.<br />

Kin<strong>der</strong> ab dem 12. Lebensjahr haben das Recht, vor <strong>der</strong> Ernennung eines Vormunds<br />

gehört zu werden und haben ein eigenes Beschwer<strong>der</strong>echt.<br />

5.2 Die Bestellung eines Pflegers<br />

Gem. Art. 1:250 BW kann ein Pfleger (bijzon<strong>der</strong> curator) bestellt werden, wenn in Angelegenheiten,<br />

die die Versorgung und Erziehung bzw. das Vermögen des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

betreffen, die Interessen <strong>der</strong>/des mit <strong>der</strong> Sorge betrauten Eltern/Elternteils bzw.<br />

des Vormundes im Wi<strong>der</strong>spruch zu denen des Min<strong>der</strong>jährigen stehen. Aufgabe des<br />

Pflegers ist es, den Min<strong>der</strong>jährigen in <strong>der</strong> entsprechenden Angelegenheit sowohl gerichtlich<br />

als auch außergerichtlich zu vertreten.<br />

6. Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden bei den Aufgaben <strong>der</strong> Gerichte<br />

6.1 Die Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendbehörden im Verfahren <strong>der</strong> Ehescheidung<br />

Wenn sich die Eltern eines Kindes im Verfahren <strong>der</strong> Ehescheidung nicht über die elterliche<br />

Sorge einigen können, kann das Gericht die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde hinzuziehen. 163<br />

Grundsätzlich sind geschiedene Eltern gemeinsam sorgeberechtigt. Der Scheidungsrichter<br />

kann zum Wohle des Kindes die elterliche Sorge auch einem Elternteil allein<br />

übertragen. Der nicht sorgeberechtigte Elternteil hat dann weiterhin ein Umgangsrecht<br />

und ist über die Belange des Kindes zu informieren und anzuhören. Auch diese Rechte<br />

können allerdings durch eine richterliche Entscheidung weiter eingeschränkt werden.<br />

Bei Uneinigkeit über die Verteilung <strong>der</strong> elterlichen Sorge kann <strong>der</strong> Richter die Eltern an<br />

einen (privaten) Vermittler, z.B. einen Freund o<strong>der</strong> ein Familienmitglied, an einen (professionellen)<br />

Mediator o<strong>der</strong> an das Büro für Jugendhilfe verweisen. An einigen Gerichten<br />

besteht auch die Möglichkeit, während <strong>der</strong> mündlichen Verhandlung die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

mit <strong>der</strong> Unterstützung bei <strong>der</strong> Einigung über die elterliche Sorge zu<br />

betrauen.<br />

Wenn keine Einigung zustande kommt, entscheidet <strong>der</strong> Richter, <strong>der</strong> sich zuvor von <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>schutzbehörde beraten lassen kann.<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde versucht zunächst durch Vermittlung zu einer Einigung zwischen<br />

den Eltern zu kommen. Gelingt dies nicht, so führt die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde ggf.<br />

in einem multidisziplinären Team (Teamleiter, Verhaltenspsychologe, Jurist) eine Untersuchung<br />

entsprechend <strong>der</strong> Normen 2000 mit dem Ziel <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> langfristig<br />

im Interesse des Kindes am besten geeigneten Lösung durch. Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

berichtet dem Richter über die Untersuchung und gibt Empfehlungen zur Regelung<br />

<strong>der</strong> elterlichen Sorge ab.<br />

6.2 Die Mitwirkung <strong>der</strong> Jugendhilfebehörden im Jugendstrafverfahren<br />

Im Jugendstrafverfahren wirkt die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde durch die Untersuchung und<br />

die Erstellung eines Berichts über die Situation des Kindes und seiner Familie, durch<br />

Beratung <strong>der</strong> Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich eventueller Straf- und Hilfsmaß-<br />

163 Vgl. hierzu die Broschüre des nie<strong>der</strong>ländischen Justizministeriums, Wenn Eltern<br />

sich scheiden lassen.


151<br />

nahmen und die Begleitung des Kindes während des Strafverfahrens mit. Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

überwacht die Aktivitäten <strong>der</strong> Strafverfolgungsbehörden.<br />

Für Jugendliche gelten beson<strong>der</strong>e Sanktionen (Art. 77g Abs. 1 WvS). Die Hauptstrafen<br />

sind bei einem Verbrechen: Freiheitsstrafe, Geldstrafe und Alternativstrafen (Art. 77h<br />

Abs. 1 a WvS); bei einem Vergehen: Geldstrafe o<strong>der</strong> Alternativstrafe (Art. 77h Abs. 1 b<br />

WvS). Die Alternativstrafen sind die Arbeitsauflage und die Erziehungsauflage o<strong>der</strong> die<br />

Kombination aus beiden (Art. 77h Abs. 2 WvS).<br />

Im Rahmen einer Arbeitsauflage muss <strong>der</strong> Jugendliche gemeinnützige Arbeit ohne<br />

Entlohnung verrichten. Bei Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit koordiniert die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde<br />

die Ausführung dieser Strafe, sie sucht nach einer passenden Arbeit<br />

für den Klienten und informiert die Staatsanwaltschaft über den Verlauf <strong>der</strong> Arbeit.<br />

Im Rahmen einer Erziehungsauflage ist <strong>der</strong> Jugendliche verpflichtet, einen Lehrgang<br />

zu absolvieren, z.B. ein Antiaggressionstraining, eine Schulung zum Umgang mit Sexualität,<br />

ein Sozialverhaltenstraining etc. Die Durchführung von Erziehungsauflagen<br />

wird von den Büros für Jugendhilfe kontrolliert und begleitet. Sie sind auf <strong>der</strong> Basis des<br />

Beginselenwet Justitiële Jeugdinrichtigen auch zuständig für die Überwachung und<br />

Begleitung <strong>der</strong> Jugendlichen beim Urlaub auf Probe.<br />

6.3 Jugendbewährungshilfe<br />

Die Durchführung <strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe ist mit dem Inkrafttreten des Wet op de<br />

Jeugdzorg ebenfalls Aufgabe <strong>der</strong> Büros für Jugendhilfe geworden (Art. 10 Abs. 1 c<br />

Wjz). Ziel <strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe ist die pädagogisch orientierte Resozialisierung<br />

eines straffälligen Jugendlichen. Die Abteilungen für Jugendbewährungshilfe <strong>der</strong> Büros<br />

für Jugendhilfe begleiten die Jugendlichen während <strong>der</strong> Bewährungszeit, erbringen<br />

aber keine Jugendhilfe im engeren Sinne. Soweit diese nach dem Indikationsbeschluss<br />

des Büros für Jugendhilfe erfor<strong>der</strong>lich sind, werden damit Leistungserbringer betraut.<br />

Für die Jugendbewährungshilfe wird ein Hilfeplan erstellt.<br />

Die Jugendbewährungshilfe betreut Jugendliche auf Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft,<br />

des Richters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>schutzbehörde. Sie übernimmt auch die Betreuung während<br />

einer zeitlich (i.d.R. auf die Nacht) beschränkten Inhaftierung mit regulärem<br />

Schulbesuch während einer Untersuchungshaft.<br />

Die Kin<strong>der</strong>schutzbehörde kontrolliert die Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong> Jugendbewährungshilfe<br />

durch Besprechungen mit den Mitarbeitern und durch Überprüfung und Beurteilung<br />

des Hilfeplans, durch Beurteilung beson<strong>der</strong>er Ereignisse, wie Rückfälle o<strong>der</strong><br />

Untersuchungshaft und mit Hilfe des Abschlussberichts (Art. 77 hh WvS).


Anhang<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

152<br />

AMK Advies- en meldpunkt kin<strong>der</strong>mishandeling<br />

AmvB Algemene maatregel van bestuur<br />

Awb Algemene wet bestuursrecht<br />

(Allgemeines Verwaltungsgesetz)<br />

AWBZ Algemene wet bijzon<strong>der</strong>e ziektekosten<br />

(Allgemeines Gesetz Beson<strong>der</strong>e<br />

Krankheitskosten)<br />

Bjj Beginselenwet justitiële jeugdinrichtingen<br />

(Grundsatzgesetz justizielle<br />

Jugendeinrichtungen)<br />

BW Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch)<br />

EVRM Europees Verdrag tot bescherming van de<br />

rechten van de mens en de fundamentele<br />

vrijheden<br />

(Europäische Menschenrechtskonvention<br />

GGZ Geestelijke gezondheidszorg<br />

GW Grondwet (nie<strong>der</strong>ländische Verfassung)<br />

IVRK Internationaal Verdrag inzake Rechten van het<br />

Kind<br />

(UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention)<br />

LBIO Landelijk bureau inning on<strong>der</strong>houdsbijdragen<br />

Stb Staatsblad<br />

Stcrt Staatscourant<br />

Uwjz Uitvoeringsbesluit Wet op de Jeugdzorg<br />

(Durchführungsverordnung zum Gesetz über die<br />

Jugendhilfe)<br />

Wjz Wet op de Jeugdzorg (Gesetz über die<br />

Jugendhilfe)<br />

WMO Wet maatschappelijke ontwikkeling (Gesetz<br />

gesellschaftliche Entwicklung)<br />

WvS Wetboek van Strafrecht (Strafgesetzbuch)


153<br />

(Rechts-)Grundlagen grenzüberschreiten<strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

I. Vereinbarung über die Unterbringung belgischer Kin<strong>der</strong>/Jugendlicher in<br />

Erziehungshilfeeinrichtungen des <strong>Rheinland</strong>s<br />

- zwischen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens<br />

und dem <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong>/ Landesjugendamt<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> am 26.03.1998 geschlossenen Vereinbarung verpflichtet sich das Landesjugendamt,<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens auf Nachfrage im Einzelfall<br />

bei <strong>der</strong> Unterbringung deutschsprachiger Kin<strong>der</strong>/ Jugendlicher belgischer Nationalität<br />

behilflich zu sein und diese über die in Betracht kommenden Erziehungshilfeeinrichtungen<br />

des <strong>Rheinland</strong>s in Kenntnis zu setzen. Der Vertrag besteht aus <strong>der</strong> Grundvereinbarung,<br />

welcher die Rechte und die Pflichten <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

und des Landesjugendamtes regelt, und einem Musterbetreuungsvertrag, <strong>der</strong><br />

die Abwicklung <strong>der</strong> Erziehungsmaßnahme zwischen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

und <strong>der</strong> Einrichtung beinhaltet.<br />

II. Vereinbarung im Rahmen <strong>der</strong> Hilfen für Deutsche im Ausland gem. § 85<br />

Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII i. V. mit § 6 Abs. 3 SGB VIII<br />

- zwischen <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens/<strong>der</strong> Stichting<br />

voor Jeugdbescherming Limburg NL/jetzt: Bureau Jeugdzorg Limburg NL<br />

und dem <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong>/ Landesjugendamt<br />

Die am 27.01.1999 geschlossenen Vereinbarung dient dem Zweck, im Rahmen einer<br />

grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zugunsten von Deutschen im Ausland Jugendhilfeleistungen<br />

entsprechend des Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII)<br />

durch eine fachkompetente ausländische Behörde/ Institution zeitgerecht einzuleiten,<br />

die notwendigen Hilfen schnellstmöglich zu gewähren und durchzuführen.<br />

Mit <strong>der</strong> Vereinbarung erklären sich die Vertragspartner in Belgien und den Nie<strong>der</strong>landen<br />

bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestimmte Aufgaben für das Landesjugendamt<br />

<strong>Rheinland</strong> wahrzunehmen.<br />

Eltern, die in <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens bzw. in <strong>der</strong> Provinz Limburg/Nie<strong>der</strong>lande<br />

wohnen und Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII beantragen<br />

wollen, wenden sich direkt an die ausländische Institution vor Ort.


154


155<br />

Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens<br />

Ministerium <strong>der</strong> Deutschsprachigen<br />

Gemeinschaft<br />

Familie, Gesundheit und Soziales<br />

Herr Michael Fryns<br />

Gospert 1<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/59 63 46<br />

michael.fryns@dgov.be<br />

Jugendhilfedienst<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

Frau Nathalie Miessen<br />

Hostert 22<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/744959<br />

nathalie.miessen@dgov.be<br />

Pflegefamiliendienst<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

Frau Véronique Schumacher<br />

Gospert 1<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/596347<br />

véronique.schumacher@dgov.be<br />

Zentrale Behörde <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

für Adoption<br />

Herr Günter Manz<br />

Gospert 1<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/596350<br />

guenther.manz@dgov.be<br />

Jugendgerichtsdienst<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

Herr Kurt Struck<br />

Hostert 22 a<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/742 447<br />

kurt.struck@dgov.be<br />

Strafvermittlungsdienst für Jugendliche<br />

<strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />

Herr Marc Hamel<br />

Hostert 22 a<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/742447<br />

marc.hamel@dgov.be<br />

Ansprechpartner, Adressen<br />

Staatsanwaltschaft<br />

Frau Nathalie Corman<br />

Rathausplatz 8<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32 (0)87/596540<br />

nathalie.corman@just.fgov.be<br />

Jugendgericht<br />

Herr Jean-Marie Frères<br />

Rathausplatz 8<br />

4700 Eupen<br />

Tel. +32/ (0)87/596560<br />

jean-marie.freres@just.fgov.be


Provinz Limburg/Nie<strong>der</strong>lande<br />

Ministerie van Justitie<br />

Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming<br />

Regio Limburg<br />

Frau Pijls<br />

Postbus 3002<br />

6202 NA Maastricht<br />

Tel. +31 (0)43/35 14 300<br />

I.Pijls@rvdk.minjus.nl<br />

Ministerie van Justitie<br />

Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming<br />

Regio Limburg<br />

Postbus 279<br />

6040 AG Roermond<br />

Tel. + (0)475/363363<br />

zuid.roermond@evdk.minjus.nl<br />

Bureau Jeugdzorg Limburg<br />

Herr Hein Engels<br />

Postbus 34<br />

6040 AA Roermond<br />

Tel. +31 (0)475/335808<br />

Hein.Engels@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Kosterbeemden 45<br />

6461 EA Kerkrade<br />

Tel. +31 (0)45/5471717<br />

kerkrade@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

De Bosquetplein 1<br />

6211 KJ Maastricht<br />

Tel. +31 (0)43/3501400<br />

maastricht@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Maria Gardestraat 64<br />

6041HM Roermond<br />

Tel. +31 (0)475/316245<br />

roermond@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Noor<strong>der</strong>hof 14<br />

5804 BV Venray<br />

Tel. +31 (0)478/517484<br />

venray@bjzlimburg.nl<br />

Gerichte:<br />

Rechtbank Maastricht<br />

Sector Civiel Unit Familie<br />

Postbus 1988<br />

6201 BZ Maastricht<br />

Tel. +31 (0)43/3465465<br />

www.rechtspraak.nl<br />

156<br />

Ministerie van Justitie<br />

Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming<br />

Regio Limburg<br />

Frau van Wijk<br />

Postbus 3002<br />

6202 NA Maastricht<br />

Tel. +31 (0)43/35 14 300<br />

zuid.maastricht@rvdk.minjus.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Kloosterweg 26<br />

6412 CN Heerlen<br />

Tel. +31 (0)45/5725757<br />

heerlen@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg (Heuvelland)<br />

Adelbert van Scharnlaan 170<br />

6224 JX Maastricht<br />

Tel. +31 (0)43/3627000<br />

heuvelland@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Mgr. Buckxstraat 8<br />

6134 AP Sittard<br />

Tel. +31 (0)46/4580808<br />

sittard@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Prinsenstraat 4<br />

5913 ST Venlo<br />

Tel. +31 (0)77/3540959<br />

venlo@bjzlimburg.nl<br />

Bureau Jeugdzorg<br />

Roermondseweg 10-12<br />

6004 AS Weert<br />

Tel. +31 (0)495/596565<br />

weert@bjzlimburg.nl<br />

Rechtbank Roermond<br />

Sector Civiel Unit Familie<br />

Postbus 950<br />

6040 AZ Roermond<br />

Tel. +31 (0)475/352222<br />

www.rechtspraak.nl


<strong>Rheinland</strong>/Deutschland<br />

Jugendämter<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 50 04 51<br />

52088 Aachen<br />

Tel. +49 (0)241/5198-0<br />

jugendamt@kreis-aachen.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 13 40<br />

52463 Alsdorf<br />

Tel. +49 (0)2404/50-0<br />

info@alsdorf.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Kaiserplatz 2 – 4<br />

52349 Düren<br />

Tel. +49 (0)2421/25-0<br />

stadtjugendamt@dueren.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 11 51/11 56<br />

41801 Erkelenz<br />

Tel. +49 (0)2431/85-0<br />

info@erkelenz.de<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Jülicher Ring 32 a<br />

53879 Euskirchen<br />

Tel. +49 (0)2251/15-0<br />

mailbox@kreis-euskirchen.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 05 51<br />

47565 Goch<br />

Tel. +49 (0)2823/320-0<br />

info@goch.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 12 20<br />

52516 Heinsberg<br />

Tel. +49 (0)2452/14-0<br />

stadt@heinsberg.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 13 60<br />

41825 Hückelhoven<br />

Tel. +49 (0)2433/82-0<br />

jugendamt@hueckelhoven.de<br />

157<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 12 10<br />

52058 Aachen<br />

Tel. +49 (0)241/432-0<br />

jugendamt@mail.aachen.de<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 11 48<br />

52348 Düren<br />

Tel. +49 (0)2421/22-0<br />

jugendamt@kreis-dueren.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 08 64<br />

46428 Emmerich<br />

Tel. +49 (0)2822/75-0<br />

jugendamt@stadt-emmerich.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 13 28<br />

52233 Eschweiler<br />

Tel. +49 (0)2403/71-0<br />

stadtverwaltung@eschweiler.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 14 48<br />

47594 Gel<strong>der</strong>n<br />

Tel. +49 (0)2831/398-0<br />

info@gel<strong>der</strong>n.de<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 13 26<br />

52523 Heinsberg<br />

Tel. Nr. +49 (0)2452/13 51 55<br />

Hartmut.Schuck@kreis-heinsberg.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 12 80<br />

52134 Herzogenrath<br />

Tel. Nr. +49 (0)2406/83- 525<br />

Norbert.Latz@Herzogenrath.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 12 55<br />

47612 Kevelaer<br />

Te. +49 (0)2832/122-0<br />

Matthias.Jansen@stadt-kevelaer.de


Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 15 52<br />

47515 Kleve<br />

Tel. +49 (0)2821/85-0<br />

iris.janssen@kreis-kleve.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 18 20<br />

52222 Stolberg<br />

Tel. +49 (0)2402/13-0<br />

info@stolberg-rhld.de<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 11 52<br />

41711 Viersen<br />

Tel. +49 (0)2162/101-0<br />

keine E-Mai-Anschrift<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 11 60<br />

52135 Würselen<br />

Tel. +49 (0)2405/67-0<br />

keine E-Mail-Anschrift<br />

Landesjugendämter<br />

<strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong><br />

Landesjugendamt<br />

Herr Nörtershäuser/Frau Vöpel<br />

50663 Köln<br />

Tel. +49 (0)221/809-6286/-6313/-6770<br />

k.noertershaeuser@lvr.de/b.voepel@lvr.de<br />

Familiengerichte<br />

Landgerichtsbezirk Aachen<br />

Amtsgericht Aachen<br />

Adalbertsteinweg 90<br />

52070 Aachen<br />

Tel. +49 (0)241/9459-0<br />

www.amtsgericht-aachen.de<br />

Amtsgericht Eschweiler<br />

Peter-Paul-Str. 1<br />

52249 Eschweiler<br />

Tel. +49 (0)2403/7007-0<br />

www.amtsgericht-eschweiler.de<br />

Amtsgericht Heinsberg<br />

Schafhausener Str. 47<br />

52525 Heinsberg<br />

Tel. +49 (0)2452/109-0<br />

www.amtsgericht-heinsberg.de<br />

158<br />

Stadtverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 1955<br />

47517 Kleve<br />

Tel. +49 (0)2821/84-0<br />

stadt-kleve@kleve.de<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 07 62<br />

41707 Viersen<br />

Tel. +49 (0)2162/39-0<br />

jugendamt@kreis-viersen.de<br />

Kreisverwaltung<br />

Jugendamt<br />

Postfach 10 11 60<br />

46471 Wesel<br />

Tel. +49 (0)281/207-0<br />

jugend@kreis-wesel.de<br />

<strong>Landschaftsverband</strong> Westfalen-Lippe<br />

Landesjugendamt<br />

Warendorfer Str. 25<br />

48133 Münster<br />

Tel. +49(0)251/591-01<br />

www.lwl.org<br />

Amtsgericht Düren<br />

August-Klotz-Str. 14<br />

52349 Düren<br />

Tel. +49 (0)2421/493-0<br />

www.amtsgericht-dueren.de<br />

Amtsgericht Geilenkirchen<br />

Konrad-Adenauer-Str. 225<br />

52511 Geilenkirchen<br />

Tel. +49 (0)2451/991-0<br />

www.amtsgericht-geilenkirchen.de<br />

Amtsgericht Jülich<br />

Wilhelmstr. 15<br />

52428 Jülich<br />

Tel. +49 (0)2461/681-0<br />

www.amtsgericht-juelich.de


Amtsgericht Monschau<br />

Laufenstr. 38<br />

52156 Monschau<br />

Tel. +49 (0)2472/9907-0<br />

www.amtsgericht-monschau.de<br />

Landgerichtsbezirk Bonn<br />

Amtsgericht Euskirchen<br />

Herzogenring 33<br />

46483 Wesel<br />

Tel. +49 (0)281/144-0<br />

poststell@ag-wesel.nrw.de<br />

Landgerichtsbezirk Duisburg<br />

Amtsgericht Wesel<br />

Kölner Str. 40 – 42<br />

53879 Euskirchen<br />

Tel. +49 (0)2251/951-0<br />

www.ag-euskirchen.nrw.de<br />

Landgerichtsbezirk Kleve<br />

Amtsgericht Emmerich<br />

Seufzerallee 20<br />

46446 Emmerich am Rhein<br />

Tel. +49 (0)2822/694-0<br />

www.ag-emmerich.nrw.de<br />

Amtsgericht Kleve<br />

Schoßberg 1 (Schwanenburg)<br />

47533 Kleve<br />

Tel. +49 (0)2821/87-0<br />

www.ag-kleve.nrw.de<br />

Landgerichtsbezirk Krefeld<br />

Amtsgericht<br />

Steegerstr. 61<br />

41334 Nettetal<br />

Tel. +49 (0)2153/9151-0<br />

poststelle@ag-nettetal.nrw.de<br />

Landgerichtsbezirk Mönchengladbach<br />

Amtsgericht Erkelenz<br />

Kölner Str. 61<br />

41812 Erkelenz<br />

Tel. +49 (0)2431/9602-0<br />

poststelle@ag-erkelnz.nrw.de<br />

159<br />

Amtsgericht Schleiden<br />

Marienplatz 10<br />

53937 Schleiden<br />

Tel. +49 (0)2444/9507-0<br />

www.amtsgericht-schleiden.de<br />

Amtsgericht Gel<strong>der</strong>n<br />

Nordwall 51<br />

47608 Gel<strong>der</strong>n<br />

Tel. +49 (0)2831/123-0<br />

poststelle@ag-gel<strong>der</strong>n.nrw.de<br />

Amtsgericht Viersen<br />

Dülkener Str. 5<br />

41747 Viersen<br />

tel. +49 (0)2162/373-6<br />

www.ag-viersen.nrw.de


160


161<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsgruppe „<strong>Vergleich</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendhilfesysteme</strong>“:<br />

Herrn Hein Engels / Bureau Jeugdzorg/Roermond<br />

Herrn Michael Fryns / Ministeriums <strong>der</strong> Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens/Eupen<br />

Frau Ruth Handelmann / Rechtsanwältin/Aachen<br />

Frau Prof. Dr. jur. Ute Kötter / Instituts für Soziales Recht <strong>der</strong> Fachhochschule<br />

Köln/Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften<br />

Herr Bernd Krott / Stadtjugendamt Herzogenrath<br />

Herrn Nörtershäuser / Landesjugendamtes <strong>Rheinland</strong>/Köln<br />

Frau Ilona Pijls / Ministrie van Justitie/Raad voor de Kin<strong>der</strong>bescherming/Maastricht<br />

Frau Prof. Dr. jur. Helga Oberloskamp / Instituts für Soziales Recht <strong>der</strong> Fachhochschule<br />

Köln/Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften<br />

Herr Prof. Dr. jur. Peter Roggendorf / Kath. Fachhochschule Aachen / Fachbereich<br />

Sozialwesen / Lehrgebiet Rechtswissenschaft<br />

Herrn Hartmut Schuck / Kreisjugendamtes Heinsberg<br />

Frau Vöpel / Landesjugendamtes <strong>Rheinland</strong>/Köln

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