Bonusmaterial zu Jenseits des Horizonts - Uhrwerk-Verlag
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Ich selbst konnte anfangs nicht glauben, was ich um mich herum<br />
erblickte. Teils war ich fasziniert von all dem bunten Treiben,<br />
teils angewidert von den Auswüchsen der Verderbtheit.<br />
Einmal wurde ich <strong>zu</strong>m Beispiel Augenzeuge eines Spektakels,<br />
welches die Leute dort als ‘Triumph<strong>zu</strong>g’ bezeichneten: Eine<br />
riesige Menschenmasse drängte sich in den blumengeschmückten<br />
breiten Straßen, die vom Brajanstor <strong>zu</strong>m Forum führten.<br />
Ein jeder war in seine besten Kleider gehüllt, vom Kesselflikker<br />
bis <strong>zu</strong>m reichsten Stadtherrn. Auch viele Fremde waren da.<br />
Gesandte und Reisende aus den umliegenden Stadtstaaten, die<br />
wegen <strong>des</strong> Festtags nach Trivina gekommen waren, wie Velian<br />
mir erklärte. Die Priester hatten diesen Tag als den festgesetzt,<br />
an dem Brajan seinen Fuß hier auf den Boden gestellt und beschlossen<br />
hatte, an dieser Stelle seinen Ruheschemel auf<strong>zu</strong>stellen,<br />
weil er diesen Ort als seiner Göttlichkeit würdig befunden<br />
hatte. Mein Freund erzählte weiter: von der Gründung Trivinas,<br />
vom ersten Gottkaiser und solchen Dingen, aber ich habe gar<br />
nicht recht hinhören können. Ich war einfach <strong>zu</strong> nervös und<br />
aufgeregt, <strong>zu</strong>mal wir überall von Soldaten umgeben waren –<br />
mit goldblinkenden Rüstungen zwar und prächtigen, bunten<br />
Helmbüschen, aber eben doch Soldaten …<br />
Erst nach und nach wurde mir klar, dass die Söldner gewiss anderes<br />
im Sinn hatten, als nach entlaufenen Sklaven <strong>zu</strong> suchen.<br />
Wir zogen es jedenfalls vor, hinter den schützenden Wall der<br />
Zuschauer <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>weichen. Hier konnten uns zwar die Soldaten<br />
nicht mehr sehen, aber wir konnten den Zug auch nicht<br />
mehr so gut beobachten.<br />
Aber was ich sah, raubte mir schier den Atem: prunkvoll geschmückte<br />
Wagen, gezogen von schneeweißen Pferden in juwelenbesetztem<br />
Zaum, auf den Wagen bildschöne Mädchen und<br />
Jungen in schimmernden Gewändern, die Blumen unter das<br />
Volk streuten. In Reih und Glied marschierten Soldaten heran.<br />
Der Gleichschritt ihrer genagelten Sandalen schallte wie ein<br />
dumpfer Peitschenknall. Dahinter, umringt von weiteren Soldaten,<br />
kam dann eine Gruppe von Leuten, wie ich sie in Trivina<br />
noch nicht gesehen hatte; auch Velian betrachtete sie mit<br />
erstaunt aufgerissenen Augen. Durch schwere Ketten aneinandergefesselte<br />
Männer und Frauen kamen die Straße entlang,<br />
einige mit hängenden Schultern und Köpfen, andere aber trotz<br />
der Last ihrer Fesseln stolz aufgerichtet.<br />
Diese Gefangenen erschienen mir noch fremdartiger als die<br />
Piraten am Anfang meines Abenteuers. Frauen und Männer<br />
gingen da, krummbeinig und hager, ganz in Felle gehüllt.<br />
Wild blickten sie um sich wie gefangene Bergkatzen. Daneben<br />
schritten hochgewachsene, stolze Menschen mit feurigen, ja<br />
überheblich dreinblickenden Augen, trotz der Fesseln an ihren<br />
Gelenken – Kinder der Rondra, das sah ich deutlich. Und Ihr<br />
werdet es mir nicht verdenken können, dass ich mir ungläubig<br />
die Frage stellte, was und wer sich wohl noch fernab der Mauern<br />
dieser Stadt tummeln mochte, die doch selbst so groß wie ein<br />
Königreich war.<br />
Hinterdrein marschierten wieder Soldaten, und dann gab es einen<br />
Auftrieb von wilden Tieren, riesige, schnaubende und geifernde<br />
Bestien, teils in Käfigen, die auf großen Karren standen,<br />
teils nur von Treibern mittels angespitzter Stöcke auf dem Weg<br />
gehalten. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und Ihr gewiss<br />
auch nicht, werter Herr! Tiere so hoch wie Pferde mit Zähnen,<br />
so lang und spitz wie Dolche! Laut fauchend und knurrend<br />
schnappten sie nach ihren Treibern, die sich einen Spaß<br />
daraus machten, die Tiere mit ihren Stecken <strong>zu</strong> reizen – wohl<br />
auch, um das angstvoll raunende Publikum <strong>zu</strong> beeindrucken.<br />
Danach kam ein flacher niedriger Wagen, von acht schweren<br />
Pferden gezogen, und auf dem Wagen ein Biest so lang wie ein<br />
Schiff mit gezacktem Schweif und ellenlanger Zunge …<br />
Doch gerade da drängte sich ein Soldatentrupp hinten an den<br />
Schaulustigen entlang, und wir zogen es vor <strong>zu</strong> verschwinden,<br />
bevor sie in unserer Nähe kamen.“<br />
Windock <strong>zu</strong>ckte die Achseln und starrte in seinen Becher. „So<br />
kamen wir darum, den Gottkaiser <strong>zu</strong> sehen, aber vielleicht war<br />
es besser so. Der ganze Zug ist dann, gefolgt von der johlenden<br />
Menge, hinter den großen Toren <strong>des</strong> Circus verschwunden, und<br />
was da passiert ist, möchte ich lieber nicht gesehen haben.“<br />
Der Alte leerte wieder einmal seinen Becher, schenkte den Rest<br />
aus der Weinkanne nach und betrachtete gedankenverloren die<br />
letzten Tropfen, die zögernd von der Tülle fielen. Dann blickte<br />
er auf. „Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, das Forum! Einige<br />
Häuser dort waren sehr alt, das Gold auf den Dächern war<br />
stumpf, und in den verwitterten Fassaden klafften tiefe Risse.<br />
Velian erzählte mir, dass Trivina auf eine unglaublich alte Geschichte<br />
<strong>zu</strong>rückblicke und die Brajani selbst sich als direkte<br />
Nachkommen Brajans betrachteten.“<br />
Hier sah ich mich gezwungen, Windocks Redefluss <strong>zu</strong> unterbrechen:<br />
„Brajani?“ fragte ich. „Ihr müsst entschuldigen, aber<br />
ich habe vorhin schon gerätselt, was Ihr damit meint: Brajan<br />
und Brajani?“<br />
Der Kapitän lächelte. „Nun, mein Junge, verzeiht, wenn ich<br />
versäumte, Euch ins Bild <strong>zu</strong> setzen. Brajan, so heißt ihr oberster<br />
Gott, der Fürst <strong>des</strong> Pantheons. Und wenn Ihr seinen Tempel<br />
gesehen hättet, gäbe es keinen Zweifel für Euch, um wen es sich<br />
in Wirklichkeit handelt, sind die Mauern doch übersät mit den<br />
Symbolen <strong>des</strong> Greifs.“<br />
Ich verstand: Brajan war also nichts anderes als ein güldenländischer<br />
Name von Praios. „Und die Brajani? Bezeichnet man<br />
so die Geweihten?“<br />
Windock schüttelte den Kopf. „O nein, jeder Güldenländer, so<br />
meine ich, bezeichnet sich als Brajani, egal wo er herstammt.<br />
Einer, der in der Stadt Trivina geboren ist, nennt sich zwar Triviner,<br />
aber in erster Linie sieht er sich wohl mit all seinen Brüdern<br />
und Schwestern <strong>des</strong> gleichen Volkes als Brajani. Als Kind<br />
<strong>des</strong> Gottes Brajan, wie ich vorhin erwähnte. Velian wusste von<br />
einer alten Legende <strong>zu</strong> berichten, in der erzählt wird, wie Brajan<br />
die Welt durchschritt und wie sein Blick über das Güldenland<br />
schweifte und an der Stelle haftenblieb, wo heute Trivina<br />
steht. Und wie der Gott entschied, dass hier seine Kinder ihre<br />
Heimat haben sollten.“<br />
Der Kapitän sah mich an und zwinkerte mir beruhigend <strong>zu</strong>, als<br />
er erkannte, wie sehr mich das eben Gehörte verwirrte. Dann<br />
fuhr er fort: „Als Beweis dafür stand ebenfalls auf dem Forum<br />
ein steinerner Schemel von unfassbaren Ausmaßen und gewiss<br />
ehrfurchtgebietendem Alter, denn die ehemals weißen Steine<br />
waren in den Jahrtausenden dunkelgrau geworden. Einstmals<br />
habe Brajan selbst auf diesem gigantischen Schemel gesessen –<br />
hieß es in Trivina – und über seine Kinder, die Güldenländer,<br />
geherrscht. Diese pflegten den leeren Sitz <strong>des</strong> Gottes weiterhin<br />
und opferten in seinem Schatten. Eines Tages, so behaupteten<br />
die Priester der Stadt, werde der König der Götter <strong>zu</strong>rückkehren<br />
und wieder die Herrschaft über die Güldenlande antreten. Bis<br />
dahin müssten die Brajaner sich selbst regieren, so gut sie es<br />
vermöchten.<br />
Aber auch andere Götter hatten hier ihre Kultstätten, fremde