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Die_Auschwitz_l__ge

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Aufsicht über die Abteilung Pflanzenzucht unterstand. Er war ein<br />

sehr fröhlicher Mensch, und sein Lachen hatte etwas<br />

Herzerfrischendes. Bei den Häftlin<strong>ge</strong>n war er sehr beliebt. Auch<br />

heute schreibt er sich noch mit ehemali<strong>ge</strong>n Häftlin<strong>ge</strong>n aus<br />

<strong>Auschwitz</strong>. Er war jung verheiratet und ließ später seine Frau und<br />

seine beiden noch nicht schulpflichti<strong>ge</strong>n Kinder nachkommen. Ich<br />

bezog später eine Wohnung in einem fertig <strong>ge</strong>stellten<br />

Gewächshaus. Dort wohnte ich mit einem Wissenschaftler aus dem<br />

Kaiser-Wilhelm-Institut zusammen. Seinen Namen kann ich nennen,<br />

es war Dr. Böhme. Er wurde nach der Kapitulation von<br />

Wild<strong>ge</strong>wordenen polnischen Zivilisten erschossen. Er hatte<br />

bestimmt keinem etwas zuleide <strong>ge</strong>tan und war die Liebenswürdigkeit<br />

und Hilfsbereitschaft in Person.<br />

Als ersten Häftling lernte ich "Agnes" kennen. Agnes <strong>ge</strong>hörte zu den<br />

"Zeu<strong>ge</strong>n Jehovas", und sie war uns als "Raumpfle<strong>ge</strong>rin" zu<strong>ge</strong>teilt.<br />

Ich wollte sie nach den Verhältnissen im KZ ausfra<strong>ge</strong>n - aber Agnes<br />

blieb schweigsam. Anders Frau Pohl. Ihr unterstand die Küche. Sie<br />

forschte auch in der Bibel und verteilte Flugschriften an die<br />

Häftlin<strong>ge</strong>. Das war zwar nicht erlaubt - aber es war nicht meine<br />

Aufgabe, die Häftlin<strong>ge</strong> zu überwachen. Außerdem erschienen mir<br />

ihre Schriften harmlos. In Glaubensfra<strong>ge</strong>n bin ich stets tolerant<br />

<strong>ge</strong>wesen. Bis zum heuti<strong>ge</strong>n Tag kann ich den Zeu<strong>ge</strong>n Jehovas eine<br />

<strong>ge</strong>wisse Bewunderung und Achtung nicht versa<strong>ge</strong>n. Sie ließen sich<br />

we<strong>ge</strong>n ihres Glaubens einsperren und litten, weil sie leiden wollten.<br />

Eine Bewachung benötigten sie nicht, und sie konnten sich auch<br />

außerhalb der Postenketten frei bewe<strong>ge</strong>n.<br />

In unserem Frauenla<strong>ge</strong>r waren in 3 Baracken ca. 300 Frauen<br />

unter<strong>ge</strong>bracht. Es waren aus<strong>ge</strong>suchte Kräfte, die fast ausschließlich<br />

für die Abteilung Pflanzenzucht arbeiteten. Zur Hauptsache waren<br />

es Juden und Polen und eini<strong>ge</strong> Franzosen. Alle sprachen sehr gut<br />

Deutsch. Viele hatten einen akademischen Grad. Ihre Arbeit hatte<br />

wissenschaftlichen Charakter, und sie waren sehr selbständig. Es<br />

war tatsächlich so, dass ich nicht die Häftlin<strong>ge</strong>, sondern die<br />

Häftlin<strong>ge</strong> mich in meine Arbeit einweisen mussten. Ich ließ mir von<br />

ihnen ihre Arbeit erklären, und sie taten das mit einem <strong>ge</strong>wissen<br />

Stolz - beinahe möchte ich es Wichtigtuerei nennen. Es hinterließ<br />

aber bei mir den Eindruck, dass die Häftlin<strong>ge</strong> ihre Forschungsarbeit<br />

mit Eifer und Freude verrichteten.<br />

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