Abendprogramm (PDF) - Philharmonie Luxembourg

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Für den Schlusssatz findet er indes ein Gestaltungsprinzip, das gegenüber den Finallösungen der Wiener Klassiker und der Romantiker bis Mendelssohn und Schumann neue Wege geht. Brahms gründet diesen Satz, mit dem wieder das e-moll des Symphoniebeginns aufgenommen wird, auf einer feststehenden Basslinie. Das achttaktige Schema, das geradezu zwangsläufig den harmonischen Fortgang des Tonsatzes bestimmt, wird beständig aneinandergereiht und taucht insgesamt 31 Mal auf – wobei es Brahms allerdings gelingt, die einzelnen Variationen so ineinanderzublenden, dass der Eindruck eines beständigen Fließens von immer neuen musikalischen Gestalten entsteht. Durch einen zwischenzeitlichen Taktwechsel, der eine Verlangsamung des Grundtempos suggeriert, schafft Brahms sogar eine ebenso sinn- wie wirkungsvolle Binnengliederung: Zwei kräftige, bewegte Abschnitte werden durch einen auch dynamisch spürbar zurückgenommen Mittelteil interpoliert. Statt des massiven Klangs des großen Orchesters treten nunmehr subtile Bläserfarben zutage: zum einen die Solo- Flöte, zum anderen choralartige Posaunen- und Hornklänge. Bei der Gestaltung des Finales ließ sich Brahms von einer Musik anregen, die er erst unmittelbar vor der Komposition dieses Satzes kennengelernt haben dürfte. Im Herbst 1884 – nachdem die beiden ersten Symphoniesätze bereits vorlagen – erschien im Rahmen der Ausgabe der Bach-Gesellschaft, deren Subskribent Brahms war, ein neuer Band mit Kirchenkantaten. Unter ihnen befand sich die Kantate N° 150 «Nach dir, Herr, verlanget mich», ein Frühwerk Bachs, in dessen Schlusschor der spätere Thomaskantor mit einem Reihungsverfahren arbeitet. Das Stück gründet auf einem gleich bleibenden Bassfundament und folgt damit der Form einer Chaconne bzw. Passacaglia. Chaconne bzw. Passacaglia waren schon zu Bachs Zeiten nichts Neues – bereits in Kompositionen des 17. Jahrhunderts sind sie vielfach anzutreffen. Umso mehr musste es erstaunen, dass ein Komponist gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf derartige Formen zurückgriff und auf diese Weise eine Innovation in das symphonische Komponieren einbrachte. Tatsächlich schien Brahms die 32
Anfang der Vierten Symphonie in Brahms’ Handschrift Suche nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten, die gleichwohl die Traditionen der Gattung nicht sprengen, ein Bedürfnis zu sein. Mit dem ins Monumentale strebenden Passacaglia-Satz der Vierten Symphonie konnte er jedenfalls einmal mehr seine außerordentlichen Fähigkeiten in der Beherrschung seines Metiers beweisen. Das ungemein eindrucksvolle Finale seiner Vierten Symphonie, Brahms’ «Abgesang» als Symphoniker, bildet so gleichsam den Höhepunkt seiner langen, intensiven Auseinandersetzung mit Form und Technik der Variation. 33
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