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SPECTRUM #5/2016

Vivre en itinérance

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KULTUR<br />

Anna räumt auf<br />

Humorlos, ehrgeizig und verschlossen – das Bild, das die Westschweizer von uns haben, ist nicht gerade<br />

rosig. Doch was für Vorurteile herrschen eigentlich jenseits des Röstigrabens? Spectrum deckt<br />

auf, was Westschweizer über Freiburg, Freiburger über West- und Deutschschweizer denken oder<br />

glauben zu wissen. Klischees auf den Tisch! ANNA MÜLLER<br />

Vorurteile gibt es überall. Innerhalb<br />

der Deutschschweiz zum Beispiel<br />

ist man sich einig, welche Dialekte<br />

hörenswert sind und welche weniger.<br />

Während sich der Berner und Bündner<br />

Dialekt hoher Beliebtheit erfreuen,<br />

klingen Thurgauer- und Sankt-Galler-<br />

Deutsch in den meisten Ohren weniger<br />

erfreulich. Westlich des Röstigrabens<br />

sind es andere Lebensbereiche, über die<br />

es Klischees gibt. Die Freiburger sagen<br />

sich selbst, den Wallisern, Neuenburgern<br />

und Jurassiern eine ziemlich ausgeprägte<br />

Trinkfreudigkeit nach. Die Berner,<br />

Aargauer und Waadtländer fahren der<br />

Freiburger Ansicht nach schlecht Auto.<br />

Bei den Bernern wird ihre Langsamkeit<br />

hinzugefügt; aber die Tatsache, dass sie es<br />

im Hockey mit Freiburg aufnehmen können,<br />

finden Freiburger natürlich wenig<br />

amüsant. Zürcher sind angeblich reich,<br />

dafür versteht man ihren Dialekt noch am<br />

besten von allen. Und die Genfer seien der<br />

Grande Nation am nächsten, hätten ein<br />

beeindruckendes Mundwerk und fühlten<br />

sich als etwas Besseres als der Rest.<br />

Den Freiburgern selbst wird von anderen<br />

Westschweizern eine eher verschlossene,<br />

bäuerlich angehauchte Mentalität nachgesagt.<br />

Daraus wird auch abgeleitet, dass<br />

die Freiburger nach Kuhmist stinken würden.<br />

Der Prototyp des Deutschschweizers<br />

Und wie sieht der von der Westschweiz<br />

konstruierte Deutschschweizer aus? Er<br />

gilt allgemein als pflichtbewusster und<br />

hält sich angeblich viel mehr an Regeln<br />

als der Westschweizer. Auch wird ihm<br />

nachgesagt, er geniesse sein Leben weniger,<br />

weil er sich mehr mit seiner Arbeit<br />

identifiziere, er sei ehrlich, pünktlich und<br />

verschlossen. Er liebe Sauberkeit, die Familienstruktur<br />

sei patriarchalisch. Okay,<br />

anscheinend machen wir einfach unsere<br />

Arbeit gut. Und nur putzwütig und genussresistent<br />

sind wir auch wieder nicht.<br />

Und die Sache mit dem Ehrgeiz? Es gibt<br />

immer die Ehrgeizigen und diejenigen,<br />

die das Ganze lockerer nehmen. Ich denke<br />

nicht, dass das etwas mit dem Röstigraben<br />

zu tun hat. Beim Vorurteil Verschlossenheit<br />

hätte ich fast zugestimmt. Denn<br />

wer kennt sie nicht, die unpersönlichen<br />

Zugfahrten, wo man sich ein, zwei Stunden<br />

gegenübersitzt und sich vielleicht ein<br />

paar Mal kurz mit dem Blick streift? Andere<br />

handhaben das anders. Aber ist für<br />

all diese Phänomene wirklich die Sprachbarriere<br />

entscheidend?<br />

Freiburg als Chance<br />

Dieser Barriere wird schliesslich mit<br />

dem Fremdsprachenunterricht in der<br />

Schule entgegengewirkt. Dass manche<br />

Westschweizer vom Schweizerdeutschen<br />

trotzdem genervt sind, ist wohl<br />

verständlich. Jahrelang haben sie sich<br />

abgemüht mit hochdeutscher Grammatik<br />

und Aussprache. Und dann passiert<br />

ihnen in der Deutschschweiz das: unverständliche<br />

Laute, so weit das Ohr reicht.<br />

Und die Deutschschweizer lernen zwar<br />

mit Mühe und Not Französisch zu lesen<br />

und zu schreiben – für das Sprechen fehlt<br />

jedoch oft die Praxis. Die Stadt Freiburg<br />

bietet dazu die optimale Möglichkeit: Es<br />

gibt in der Schweiz wenige Orte, die so<br />

mustergültig zweisprachig sind. Wo sonst<br />

kann man sanfter ins Französisch hineinrutschen?<br />

Die Uni ist ein Ort, an dem wir<br />

mit Leuten aus den verschiedenen Landesteilen<br />

gemeinsam im Vorlesungssaal<br />

sitzen. Hier haben wir entgegen all dieser<br />

bestehenden Vorurteile problemlos<br />

einen Draht zueinander gefunden und<br />

können über die Klischees sogar lachen.<br />

Bei einem Bier im Irish verzeihen wir es<br />

den Westschweizern gerne, dass sie uns<br />

„Bourbine“ und „Suisse-toto“ nennen.<br />

© Photo : Alain Wicht<br />

© Illustrationen : Clarisse Aeschlimann<br />

5/<strong>2016</strong> 27

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