SPECTRUM #2/2017
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Liberté, Egalité, Université?<br />
GESELLSCHAFT<br />
Eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist die Integration von Flüchtlingen in die Gesellschaft.<br />
Geflüchtete pflegen Menschen, reinigen Büros und bauen Strassen. Wie aber steht es um die<br />
Möglichkeit, zu studieren? LORENZ TOBLER<br />
© Illustration : Kalinka Janowski<br />
© Foto: Universität Freiburg<br />
Die einzige Flucht, die Studierende<br />
hierzulande kennen, führt aus<br />
der Bibliothek über eine Bar ins<br />
Delirium. Das Studium wird höchstens<br />
aufgrund enttäuschter Interessen oder<br />
veränderten Lebenszielen unterbrochen<br />
oder gar beendet. Wenige Flugstunden<br />
entfernt präsentiert sich die Lage dramatisch<br />
anders. Unter den Millionen Menschen,<br />
die vor Krieg, Terror und Angst<br />
aus ihrer Heimat fliehen, sind auch zahlreiche<br />
Personen aus dem Hochschulbereich.<br />
Personen, deren Idee vom Leben<br />
sich hier nicht ohne zusätzliche Bildung<br />
realisieren lässt. Doch deren Ambitionen<br />
bleiben in der Schweiz oft auf der Strecke:<br />
Immigrantinnen und Immigranten sind<br />
überdurchschnittlich oft in Dienstleistungs-<br />
oder Handwerksberufen vertreten,<br />
viele arbeiten als Hilfskraft.<br />
Viele Hürden<br />
Die Gründe für den geringen Anteil an<br />
Flüchtlinge an Schweizer Hochschulen<br />
sind vielfältig. Wer sich an einer hiesigen<br />
Universität einschreiben will, muss einen<br />
der Maturität entsprechenden Vorbildungsausweis<br />
vorweisen, ausreichende<br />
Kenntnisse der jeweiligen Amtssprache<br />
beweisen und eine Niederlassungsbewilligung<br />
besitzen. Zwar kann zumindest der<br />
mangelnde Vorbildungsausweis durch<br />
eine zentrale Ergänzungsprüfung kompensiert<br />
werden, doch auch diese stellt<br />
hohe fachliche Anforderungen an die<br />
Bildungshungrigen. Der Verband der<br />
Schweizer Studierendenschaften (VSS)<br />
hat deshalb zu dieser Problematik vor<br />
kurzem ein Forderungspapier präsentiert,<br />
in dem er die Erleichterung des Hochschulzugangs<br />
für Flüchtlinge forderte.<br />
So soll unter anderem das Potenzial von<br />
Flüchtenden bereits zu Beginn des Asylverfahrens<br />
abgeklärt, das Zulassungsprozedere<br />
erleichtert sowie finanzielle und<br />
administrative Hilfe bei der Vorbereitung<br />
für das Studium angeboten werden.<br />
Universitäre Projekte<br />
Verschiedene Projekte wollen Flüchtlingen die Türen zu den universitären Auditorien öffnen<br />
Über die Aufnahmebedingungen entscheiden<br />
die jeweiligen Hochschulen<br />
eigenständig. Dadurch bleibt etwa die<br />
Bewertung von bereits absolvierter akademischer<br />
Ausbildung uneinheitlich und<br />
damit wohl für viele Geflüchtete auch unübersichtlich.<br />
Dasselbe Bild präsentiert<br />
sich auch im Bereich der Information und<br />
Begleitung: Mehrere Universitäten versuchen<br />
sich bereits an Pilotprojekten, um<br />
Flüchtlingen einen Einblick in die tertiäre<br />
Bildung zu ermöglichen. In Basel wurde es<br />
Migrantinnen und Migranten ermöglicht,<br />
Vorlesungen als Hörer zu besuchen, in<br />
Genf gibt es das Mentoringprogramm Horizon<br />
Académique und auch Zürich bietet<br />
ein Schnuppersemester für Geflüchtete<br />
an. Ein echtes Studium allerdings, an dessen<br />
Ende ein Abschlussdiplom steht, gibt<br />
es weiterhin nicht. Michael Hengartner,<br />
Rektor der Uni Zürich, erklärt gegenüber<br />
der Neuen Zürcher Zeitung denn auch,<br />
dass es bei den Schnupperangeboten eher<br />
darum gehe, die Eignung für eine akademische<br />
Laufbahn abzuklären, anstatt<br />
Fachwissen zu vermitteln.<br />
Unterstützung durch Freiwillige<br />
Anlässlich der letzten Delegiertenversammlung<br />
hat der VSS beschlossen, mit<br />
dem Flüchtlingsprojekt Perspektiven –<br />
Studium selber einen Beitrag zur Integration<br />
zu leisten. Pfeiler dieses Programms<br />
bilden die Erarbeitung von Informationen<br />
über den Hochschulzugang, das Vernetzen<br />
der betroffenen Akteure, die Unterstützung<br />
von bereits bestehenden studentischen<br />
Projekten sowie ein eigenes<br />
Mentoringprogramm. In Freiburg besteht<br />
bereits die Organisation Refugees meet<br />
Students UniFR, welche ebenfalls Weiterbildungen,<br />
vor allem aber auch Kontaktmöglichkeiten<br />
arrangiert. Ob Flüchtlinge<br />
jedoch angesichts der sprachlichen, finanziellen<br />
und kulturellen Hürden jemals<br />
eine den Einheimischen entsprechende<br />
Hochschulquote erreichen, darf bezweifelt<br />
werden. Der nationale Studierendenverband<br />
versteht den Zugang zu Bildung<br />
aber nicht nur als ökonomischen Faktor,<br />
sondern auch als persönliches Recht zur<br />
Entfaltung. Als individuelles Recht also,<br />
dass in einer freiheitlichen Gesellschaft<br />
jedem gleichberechtigt zustehen sollte.<br />
Dass das Thema Hochschulzugang für<br />
Geflüchtete aufs gesellschaftliche Parkett<br />
gebracht wurde ist daher nicht nur mutig,<br />
sondern auch konsequent.<br />
2/<strong>2017</strong><br />
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