SPECTRUM #2/2017
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„Ah was, das kann man studieren?“<br />
UNILEBEN<br />
Rätoromanisch ist ein Orchideenfach par excellence: Aktuell sind an der Uni Freiburg in diesem Studiengang<br />
auf Bachelor- und Masterebene zehn Studierende eingeschrieben. Wie sieht der Studienalltag<br />
in einem so kleinen Fach aus? MIRJAM SCHMITZ<br />
Erzählen Studierende der Geisteswissenschaften<br />
einem Aussenstehenden<br />
von ihrem Fach, bekommen sie<br />
standardmässig als Erstes zu hören: „Was<br />
willst du denn damit später machen?“<br />
Nicht so Flavia und Dominique, zwei der<br />
drei Rätoromanisch-Studentinnen an der<br />
Uni Freiburg, die das vollständige Nebenfachprogramm<br />
absolvieren. Bei ihnen<br />
lautet die erste Frage: „Ah was, das kann<br />
man studieren?“ Ja, man kann, und zwar<br />
an zwei Orten in der Schweiz. Romanisch<br />
wird ausser in Freiburg noch in Zürich angeboten<br />
und kann an beiden Unis nur im<br />
Nebenfach oder als Vertiefungsoption innerhalb<br />
eines Masterprogramms studiert<br />
werden.<br />
Von der Muttersprache zum Berufswunsch<br />
Flavia studiert im Hauptfach Erziehungswissenschaften.<br />
Nach ihrem Praktikum<br />
bei der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha<br />
besuchte sie eine Romanisch-Vorlesung<br />
als Soft Skill, die ihr so gut gefiel,<br />
dass sie Romanisch als Nebenfach wählte.<br />
Dominiques Berufswunsch steht schon<br />
fest: Sie möchte Lehrerin werden und ihre<br />
beiden Studienfächer Pädagogik/Psychologie<br />
und Romanisch auf Gymnasialstufe<br />
unterrichten. Flavia ist in Vilters bei Sargans<br />
aufgewachsen und spricht Sursilvan,<br />
Dominique hat ihre Wurzeln in Tinizong<br />
in Mittelbünden und spricht Surmiran.<br />
Dominique erzählt, es komme vor, dass<br />
Rätoromanen ins Deutsche wechseln<br />
würden, weil die Idiome zum Teil so unterschiedlich<br />
sind. Flavia lacht: „Es wäre<br />
aber sehr komisch, wenn wir beide jetzt<br />
plötzlich Deutsch miteinander reden<br />
würden.“ Auch im Studium spricht jede<br />
ihr Idiom, Professor Matthias Grünert beherrscht<br />
drei Varietäten – Vallader, Sursilvan<br />
sowie das Standardromanisch Rumantsch<br />
Grischun – und wechselt dann je<br />
nach Bedürfnis seiner Studierenden vom<br />
einen ins andere.<br />
Es besteht Nachwuchsbedarf<br />
Flavia wird in einem Jahr ihren Master<br />
abschliessen, vor Dominique liegen noch<br />
zweieinhalb Studienjahre. Nach ihr hat<br />
noch niemand Neues dieses Nebenfachstudium<br />
begonnen. Warum studieren<br />
in Freiburg so wenige Romanisch? Dominique<br />
erklärt, es könne natürlich ein<br />
Hinderungsgrund sein, wenn man sein<br />
Studienfach nicht in der ganzen Schweiz,<br />
geschweige denn im Ausland anwenden<br />
kann. Dazu kommt, dass Zürich näher an<br />
Graubünden liegt und das Französisch in<br />
Freiburg eine zusätzliche Hürde bedeuten<br />
kann.<br />
Klein aber fein<br />
Die Anzahl der Romanisch-Studierenden<br />
ist zwar gering, das Angebot aber<br />
dennoch vielfältig. Ein Blick in den Studienplan<br />
zeigt: Unter anderem stehen<br />
Soziolinguistik, Sprachgeschichte, Dialektologie<br />
und Themen wie die überregionale<br />
schriftsprachliche Normierung mit<br />
Rumantsch Grischun und der Status des<br />
Rätoromanischen als Minderheitensprache<br />
auf dem Programm. Ansonsten: Texte<br />
lesen, im Seminar aktiv mitarbeiten, Prüfungen<br />
nach Vorlesungen, Referate und<br />
schriftliche Arbeiten zu Seminaren – das<br />
klingt normal für ein Sprachstudium. Nur<br />
dauern Referate in Romanisch-Seminaren<br />
eher mal neunzig statt nur zehn Minuten.<br />
Flavia erzählt ausserdem: „In einem Seminar<br />
sind wir effektiv nur zu zweit. Da<br />
musst du präsent sein und die Texte immer<br />
gelesen haben. Und du kannst nicht<br />
einfach fehlen, sonst hast du gleich ein<br />
schlechtes Gewissen, denn du weisst, die<br />
andere ist dann allein mit dem Professor!“<br />
In einem solchen Mikrostudium sind<br />
aber auch Dinge möglich, die in anderen<br />
Fächern äusserst unüblich oder sogar undenkbar<br />
sind: mit dem Professor per Du<br />
sein, die Vorlesung spontan auf einen anderen<br />
Tag verschieben. Das Studium sei<br />
schon sehr familiär, meint Flavia, was für<br />
sie ein Privileg darstelle. Allerdings wünsche<br />
sie sich manchmal auch grössere<br />
Veranstaltungen, denn „mit mehr Leuten<br />
kann man sich besser austauschen<br />
und hat nicht nur zwei Meinungen“. Das<br />
Persönliche an ihrem Studium schätze<br />
sie aber sehr, da wachse man zusammen.<br />
Bezüglich ihrer Studienwahl sind Dominique<br />
und Flavia überzeugt: „Es war auf<br />
jeden Fall die richtige Entscheidung.“<br />
© Photo : Zoe Bernasconi<br />
© Foto: Mirjam Schmitz<br />
Aus Kommilitoninnen sind gute Freundinnen geworden: Flavia (links) und Dominique bei der Besprechung ihrer Linguistikhausaufgaben<br />
2/<strong>2017</strong><br />
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