JOURNAL ASMAC No 1 - février 2018
Relève - Gériatrie/Dépressions TripAdvisor de l'emploi
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Gériatrie/Dépressions
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PERSPECTIVES<br />
• nicht(-mehr)-Aushalten-können einer subjektiv « unerträglichen » Belastung und/oder Kränkung<br />
• subjektiv unerträglicher psychischer Schmerz<br />
• Glaube, Überzeugung, keine Freiheitsgrade mehr zu haben<br />
• schwer kontrollierbar erscheinende aggressive (selbst- und fremdaggressive) Impulse<br />
• Gefühle von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit<br />
• Gefühle von Zorn, Wut, Rachewünsche<br />
• Rigides Denken, Einengung im Denken<br />
Tabelle 2 : Präsuizidales Syndrom – motivationale Inhalte (nach Wolfersdorf und<br />
Etzersdorfer [14])<br />
Objektive<br />
Einschätzung<br />
Sujektive<br />
Einschätzung<br />
Einschätzung<br />
des Patienten/<br />
der Patientin<br />
• Basis-Suizidalität<br />
• Standardisierte Erhebung<br />
(NGASR)<br />
• 16 evidenzbasierte Risikofaktoren<br />
• Fachperson beurteilt<br />
• Fachperson (dieselbe) beurteilt<br />
• Skala 1 – 4<br />
• Basis : klinische Erfahrung,<br />
Intuition<br />
• Durchführung ab einem<br />
Schwellenwert<br />
• Patientin/Patient im Gespräch<br />
mit Fachperson<br />
• 10 standardisierte Fragen (SSF II)<br />
• Gründe und Motive, die für das<br />
Leben sprechen vs. solche, die<br />
für den Tod sprechen<br />
Tabelle 3 : Systematische Einschätzung der Suizidalität<br />
in der stationären Psychiatrie, ambulant<br />
ebenfalls gut einzusetzen (nach Kozel [22])<br />
NGASR : Nurses Assessment of Suicidal Risk, validierte deutsche Version<br />
SSF II : Suicide Status Form II, validierte deutsche Version<br />
wie bei krisenhaften Zuspitzungen infolge<br />
psychosozialer Belastungen oder bei körperlichen<br />
Erkrankungen, besonders wenn<br />
diese maligne, chronisch oder entstellend<br />
sind oder aus anderen Gründen zu Isolation<br />
zwingen.<br />
Weitere Modelle zum Präsuizidalen Syndrom<br />
stammen von Ringel [20], sowie von<br />
Wolfersdorf und Etzersdorfer [14]. Ringel<br />
beschrieb 1953 erstmals ein zeitlich nicht<br />
eingegrenztes Syndrom. Die ersten beiden<br />
Stadien der Einengung können sich über<br />
Monate bis Jahre erstrecken. Wichtig zu<br />
wissen ist, dass die anschliessende Entwicklung<br />
mit fehlender Aggressionsabfuhr<br />
und der Wendung der Aggression<br />
gegen die eigene Person rasch verlaufen<br />
kann. Aktive und passive Suizidphantasien<br />
bzw. -gedanken können sogar impulsiv<br />
auftreten, wie beispielsweise beim<br />
Vorliegen einer Psychose oder im Rahmen<br />
einer Intoxikation.<br />
Das Modell von Wolfersdorf und Etzersdorfer<br />
[14] (Tab. 2) zielt demgegenüber<br />
auf die motivationalen Inhalte. Dabei<br />
stellen sich folgende oder ähnliche<br />
Fragen: Was will diese Person mir mit<br />
ihrer Mitteilung oder Handlung sagen?<br />
Welchen Zielen könnte das suizidale Denken<br />
oder Handeln dienen? Da sich die<br />
suizidale Person selbst oft nicht über ihre<br />
Motivation im Klaren ist, kann die Wahrnehmung<br />
von Gefühlen der Gegenübertragung<br />
eine wesentliche diagnostische<br />
und therapeutische Funktion einnehmen.<br />
Dies sei am Beispiel einer Äusserung von<br />
Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit erläutert.<br />
Eine solche Äusserung kann beim<br />
Gegenüber ebenfalls Hilfslosigkeit auslösen<br />
– wie es im Kontakt mit einem psychotisch<br />
erkrankten Menschen möglich<br />
ist. Sie könnte Aktivität induzieren – wie<br />
es vielleicht gegenüber einer depressiv erkrankten<br />
Person passiert. Die Äusserung<br />
könnte auch, bei manipulativ-intentionalen<br />
Motiven, das Gegenüber unter Druck<br />
setzen – wie es bei narzistischer Persönlichkeitsproblematik<br />
vorkommt. Wichtig<br />
ist also, auch motivationale Aspekte von<br />
Suizidalität zu beachten und das Verstehen<br />
in die Behandlung einfliessen zu<br />
lassen.<br />
Zeitgemäss und umfassend ist das Konzept<br />
«Systematische Einschätzung der<br />
Suizidalität in der stationären Psychiatrie»<br />
aus Bern ([21], s. Tab. 3). Es kann<br />
weitgehend auf ambulante Situationen<br />
übertragen werden und besteht aus mehreren,<br />
komplementären Bausteinen: objektive<br />
Einschätzung, subjektive Einschätzung,<br />
interdisziplinäre Einschätzung<br />
(Behandlungsteam), Einschätzung der<br />
akuten Suizidalität. Die objektive Einschätzung<br />
wird mit der Nurses Assessment<br />
of Suicidal Risk, validierte deutsche Version<br />
(NGARS, [22]) vorgenommen und<br />
bildet die Basissuizidalität in Form von 16<br />
evidenzbasierten Risikofaktoren ab. Als<br />
subjektive Einschätzung wird die intuitive<br />
Wertung der beurteilenden Fachperson<br />
bezeichnet. Ergibt sich aus diesen beiden<br />
Ratings ein Wert oberhalb einer festgelegten<br />
Schwelle, wird mit der Patientin zusammen<br />
die akute Suizidalität anhand<br />
des Suicide Status Form II German Version<br />
(SSF II, [22]) bearbeitet. Hierzu bearbeiten<br />
Patientin und Fachperson zusammen<br />
10 Fragen und sammeln Gründe<br />
oder Motive, die für das Leben bzw. für den<br />
Tod sprechen. Die Materialien sind kostenlos<br />
online abrufbar [22] und erhalten<br />
neben den angegebenen Instrumenten<br />
weitere wertvolle Hinweise sowie einen<br />
Überwachungsbogen zur Intensivbetreuung.<br />
Allgemein empfehlen Homburger et al.<br />
[23] Wiederholungs-Einschätzungen bei<br />
jeder Verschlechterung, ohne Hinweise<br />
nach 4 Wochen, bei unklarer Beurteilungslage<br />
nach einer Woche und bei akuter<br />
Suizidalität täglich. Vieles hängt bei<br />
der Beurteilung von Suizidalität davon ab,<br />
ob ein tragfähiger, emotionaler Kontakt<br />
hergestellt wird. Sollte Letzteres nicht gelingen,<br />
darf dies nicht als persönliches<br />
Versagen gewertet werden. Vielmehr sollte<br />
die Nicht-Beziehung als ein diagnostisches<br />
Instrument genutzt werden, nämlich<br />
als Hinweis darauf, dass weiter reichende<br />
Massnahmen wie z. B. eine stationäre<br />
Einweisung oder gar eine Zwangseinweisung<br />
nötig sein könnten [2].<br />
Behandlung<br />
Um das Suizidrisiko zu erkennen und<br />
adäquat einschätzen zu können, sind<br />
Kompetenz, Empathie und Zeit [15] unabdingbar,<br />
was eine grosse Herausforderung<br />
darstellt. Das Mass an Verantwortung,<br />
das in der Primärbehandlung übernommen<br />
werden kann, liegt jedoch situationsabhängig<br />
im jeweiligen Ermessen. So<br />
ist es vorstellbar, dass eine depressive Patientin,<br />
die dem Hausarzt gut bekannt ist,<br />
und die offen flüchtige, nicht konkrete<br />
Suizidgedanken infolge einer Belastung<br />
mitteilt, die Krise mit einigen stützenden<br />
Gesprächen gut bewältigt. Ein pychotisch<br />
erkrankter junger Mann, der sich bedroht<br />
fühlt, möglicherweise Stimmen hört und<br />
42 VSAO <strong>JOURNAL</strong> <strong>ASMAC</strong> N o 1 Février <strong>2018</strong>