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JOURNAL ASMAC No 1 - février 2018

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PERSPECTIVES<br />

Fallbeispiel Teil 2<br />

Fr. B.: Im Rahmen des dreimonatigen stationären Aufenthalts in der Psychiatrischen Klinik wurde die<br />

schon begonnene antidepressive Medikation fortgeführt. Neben psychotherapeutischen Gesprächen,<br />

Gruppentherapie, Bewegungstherapie und Ergotherapie konnte Fr. B. mithilfe der Physiotherapie wieder<br />

mehr Bewegungsfreiheit erlangen. Ihre psychische Verfassung verschlechterte sich wiederholt, als<br />

sie sich ihrer schweren, wohl dauerhaften körperlichen Einschränkungen bewusst wurde. Andererseits<br />

verbesserte sie ihre Selbstwahrnehmung, besonders hinsichtlich eigener Bedürfnisse, und nahm frühere<br />

Aktivitäten wie das Chorsingen wieder auf. Im weiteren Verlauf gelang es Frau B., das kontinuierliche<br />

therapeutische Beziehungsangebot anzunehmen und einer Vernetzung aller an der Behandlung<br />

Beteiligten zuzustimmen. Nach Entlassung wurde die ambulante Behandlung durch die stationär<br />

behandelnde Therapeutin kontinuierlich fortgesetzt. Der sozialpsychiatrische Dienst führte Hausbesuche<br />

durch. Versuche der beruflichen Reintegration waren über insgesamt 1,5 Jahre nicht erfolgreich<br />

und mit auslösend für einen weiteren depressiven Einbruch mit ernsthaften Suizidgedanken. Erst nach<br />

einem zweiten psychiatrischen Klinikaufenthalt Ende 2013 und anschliessender beruflicher Rehabilitation<br />

gelang die Reintegration an den noch bestehenden Arbeitsplatz, was eine deutliche psychische<br />

Stabilisierung mit sich brachte.<br />

Suicidality in mental illness – prevention and therapy<br />

The great majority of suicides and suicide attempts are related to mental illness. Special risk has been<br />

attributed to depression, psychosis, substance use, personality, and trauma-related disorders. Many<br />

affected persons seek medical attention prior to taking action. Primary care therefor plays an outstanding<br />

role in suicide prevention. Doctors should pay attention to potential risk constellations and actively<br />

address the issue. This paper presents possibly helpful models and instruments for everyday use. Most<br />

importantly, however, professionals' empathy and time are required as well as appropriate decisions<br />

concerning a referral to a psychiatrist or psychiatric inpatient treatment.<br />

wenig Einblick in sein Erleben nehmen<br />

lässt, sollte jedoch stationär eingewiesen<br />

werden, ggf. auch per FU. Bei Menschen<br />

mit Persönlichkeitsproblematik gilt es<br />

zumeist abzuwägen, wie gross die Gefährdung<br />

ist, und eher zu früh als zu spät eine<br />

Fachärztin einzubeziehen. Das längerfristige<br />

Ziel wäre eine fundierte Psychotherapie.<br />

Auch die Frage, ob ein <strong>No</strong>n-Suizidvertrag<br />

als mündliche oder schriftliche Vereinbarung<br />

abgeschlossen werden sollte, ist nur<br />

im Einzelfall abzuwägen. Im Umgang mit<br />

einer Borderline-PS Patientin kann dies<br />

ein probates Mittel sein. Generell bietet ein<br />

Vertrag jedoch keine Sicherheit, da er in<br />

einer akuten Zuspitzung nicht mehr als<br />

tragfähige Verbindlichkeit wahrgenommen<br />

wird, so wie auch wichtige Bindungen,<br />

wie z. B. zum Partner oder zu den<br />

eigenen Kindern, keinen Halt mehr geben<br />

können.<br />

Im Wissen, dass die Verfügbarkeit von<br />

Mitteln wie Medikamenten oder Waffen<br />

[14] die Wahrscheinlichkeit einer Suizidhandlung<br />

erhöhen, sollten potentiell toxische<br />

Medikamente wie z. B. trizyklische<br />

Antidepressiva im Zweifelsfall nicht verordnet<br />

werden [24].<br />

Spezielle Medikamente zur Behandlung<br />

von Suizidalität existieren bisher nicht.<br />

Behandelt wird die zugrunde liegende<br />

Erkrankung. Als <strong>No</strong>tfallmedikation eignen<br />

sich sedierende Neuroleptika (z. B.<br />

Chlorprotixen) oder Benzodiazepine (z. B.<br />

Lorazepam für 1 – 2 Wochen). Eine Sonderstellung<br />

nimmt Lithium ein, dem als<br />

Langzeitmedikation eine antisuizidale<br />

Wirkung zugesprochen wird [25]. Die Indikation<br />

besteht in erster Linie bei affektiven<br />

Erkrankungen, sie sollte fachärztlich<br />

gestellt werden und, aufgrund der<br />

geringen therapeutischen Breite, nur bei<br />

Personen mit hoher Compliance. Ketamin<br />

wird derzeit als möglicher medikamentöser<br />

Ansatz geprüft [26].<br />

Eine herausragende Bedeutung kommt<br />

dem sozialen Beziehungsgefüge zu, da die<br />

Entscheidung zum Suizid immer vor diesem<br />

Hintergrund getroffen wird. Wenn<br />

aktuell eine tragfähige Bindung besteht,<br />

sollte diese Bezugsperson unter allen Umständen<br />

einbezogen werden, z. B. indem<br />

der Arzt Kontakt aufnimmt oder die Abholung<br />

aus der Praxis/der <strong>No</strong>taufnahme<br />

verlangt. Sollten keine drängenden Suizidgedanken<br />

oder -impulse vorliegen, der<br />

emotionale Kontakt zur Patientin herstellbar<br />

sein und die Bezugsperson sich zur<br />

Betreuung in der Lage fühlen, kann eine<br />

Begleitung über die kommenden 24 Stunden<br />

bzw. bis zum nächsten Termin vereinbart<br />

werden. Je nach Einschätzung<br />

können der Bezugsperson auch die <strong>No</strong>tfall-Medikamente<br />

ausgehändigt werden.<br />

In jedem Fall sollten <strong>No</strong>tfall-Telefonnummern<br />

mitgegeben werden. Gibt es keine<br />

tragfähigen sozialen Beziehungen, ist die<br />

Indikation zur stationären Einweisung<br />

sehr viel enger zu stellen.<br />

Die Tertiärprävention findet häufig im<br />

psychiatrischen Krankenhaus oder im<br />

Konsiliardienst nach bereits erfolgtem Suizidversuch<br />

statt. Sie hat das Ziel, weitere<br />

Suizidversuche zu verhindern. Im Allgemeinspital<br />

entscheidet sich die längerfristige<br />

Prognose anhand der Frage, ob eine<br />

adäquate Krisenintervention erfolgt oder<br />

nicht. Bei Entlassung ohne psychiatrische<br />

Beratung, Diagnostik und ggf. Behandlungseinleitung<br />

steigt das Risiko eines erneuten<br />

Suizidversuchs oder gar eines vollendeten<br />

Suizids deutlich [27]. ■<br />

Korrespondenzadresse<br />

Prof. Dr. med. Silke Bachmann<br />

Clienia Privatklinik Littenheid<br />

Hauptstrasse 1<br />

9573 Littenheid<br />

silke.bachmann@clienia.ch<br />

Literatur<br />

1. Bundesamt für Statistik: Todesursachenstatistik.<br />

www.projuventute.ch/…/Suizid_<br />

und_Suizidversuch_OBSAN-2009.pdf. Statistik<br />

des jährlichen Bevölkerungsstandes<br />

ESPOP, Universitäre Psychiatrische Dienste<br />

Bern/Bundesamt für Gesundheit: Monitoring<br />

des suizidalen Verhaltens in der Agglomeration<br />

Bern, Erhebung 2003 – 2006. Bern<br />

2009: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.<br />

2. Etzersdorfer E. Therapeutische Ansätze bei<br />

akuter Suizidalität. Neurol Psychiat 2010; 2:<br />

34 – 40.<br />

3. Bertolote JM, Fleischmann A. Suicide and<br />

psychiatric diagnosis: a worldwide perspective.<br />

World Psychiat 2002; 1 (3): 181 – 185.<br />

4. Driessen M, Veltrup C, Weber J et al. Psychiatric<br />

co-morbidity, suicidal behaviour and<br />

suicidal ideation in alcoholics seeking treatment.<br />

Addiction 1998; 93: 889 – 894.<br />

N o 1 Février <strong>2018</strong><br />

VSAO <strong>JOURNAL</strong> <strong>ASMAC</strong><br />

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